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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Mai 2013
14. Jahrgang
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1. Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz leitet sich in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 GG ein subjektives Recht der Medien auf Gleichbehandlung im publizistischen Wettbewerb ab, das im Rahmen eines Akkreditierungsverfahrens für die Berichterstattung über ein Strafverfahren zu berücksichtigen ist.
2. Dem Vorsitzenden steht es im Rahmen seiner – verfassungsgerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren – Prozessleitungsbefugnis grundsätzlich frei, bei der Platzvergabe für Medienvertreter im Rahmen einer Sicherungsverfügung nach dem Prioritätsprinzip vorzugehen, wonach Akkreditierungsgesuche in der Reihenfolge ihres Eingangs berücksichtigt werden.
3. In einem Strafverfahren, das eine ungewöhnlich große öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zieht und auch auf das Interesse ausländischer Medienvertreter stößt, die
mit Fragen der Gerichtsberichterstattung und den Verfahren zur Akkreditierung in Deutschland möglicherweise wenig vertraut sind, kann es verfassungsrechtlich geboten sein, in besonderer Weise auf die begrenzte Zahl an Sitzplätzen und die Eilbedürftigkeit der Anmeldung hinzuweisen, so dass sich die Vertreter ausländischer Medien besser auf das Akkreditierungsverfahren einstellen können.
4. Vor diesem Hintergrund unterliegt ein Akkreditierungsverfahren verfassungsrechtlichen Bedenken insbesondere dann, wenn das geplante Verfahren der Sitzvergabe einzelnen Journalisten auf Anfrage bereits eine Woche vorher mitgeteilt worden ist, wenn die die Verfahrensmodalitäten enthaltende E-Mail aufgrund eines Fehlers bei der Übersendung mehreren interessierten Medienvertretern erst verspätet übersandt worden ist und wenn die Tatsache, dass die Zahl der Sitze für Medienvertreter begrenzt ist, erst nachträglich mit einer weiteren Sicherungsverfügung bekannt gegeben worden ist.
5. Bei derartigen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit des Akkreditierungsverfahrens überwiegt das Interesse der Vertreter ausländischer Medien aus einem Staat mit besonderem Bezug zu den Opfern der verfahrensgegenständlichen Tatvorwürfe (hier: Türkei) an einer eigenständigen Berichterstattung und der Zuteilung eines Sitzes im Wege einer einstweiligen Anordnung gegenüber der etwaigen Ungleichbehandlung anderer Medienvertreter oder der allgemeinen Öffentlichkeit, deren Sitzkontingent sich dadurch verringert.
1. Nimmt ein mit der Verfassungsbeschwerde angegriffener Beschluss in einer Strafvollzugssache Bezug auf Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt, so ist die Verfassungsbeschwerde regelmäßig nur dann hinreichend substantiiert i. S. d. § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG, wenn die Stellungnahmen vorgelegt oder in einer die verfassungsgerichtliche Prüfung ermöglichenden Art und Weise wiedergegeben werden.
2. Mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes ist es grundsätzlich vereinbar, die Rechtsschutzgewährung vom Fortbestehen eines Rechtsschutzinteresses abhängig zu machen, sofern berücksichtigt wird, dass ausnahmsweise auch nach Erledigung des Verfahrensgegenstandes ein Interesse des Betroffenen an der Feststellung der Rechtslage bestehen kann.
3. Ein Rechtsschutzinteresse besteht trotz Erledigung unter anderem dann fort, wenn ein gewichtiger Grundrechtseingriff von solcher Art geltend gemacht wird, dass gerichtlicher Rechtsschutz dagegen typischerweise nicht vor Erledigungseintritt erlangt werden kann. Nur so kann verhindert werden, dass (Grund)Rechte in bestimmten Konstellationen – wie etwa im Strafvollzug – in rechtsstaatlich unerträglicher Weise systematisch ungeschützt bleiben.
4. Ein Rechtsschutzinteresse darf insbesondere dann nicht verneint werden, wenn der Verdacht im Raum steht, dass die Justizvollzugsanstalt die Erledigung des darüber geführten Rechtsstreits gezielt selbst herbeigeführt hat, ohne die Rechtswidrigkeit einer zuvor ergriffenen Maßnahme anzuerkennen, um so eine für die Anstalt ungünstige gerichtliche Entscheidung zu vermeiden.
5. Angesichts der nicht ausschließbaren gesundheitlichen Gefahren des Passivrauchens greift die gemeinschaftliche Unterbringung eines nicht rauchenden Gefangenen mit einem rauchenden Gefangenen in das in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistete Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, sofern der Betroffenen der gemeinsamen Unterbringung nicht ausdrücklich zustimmt.
6. Für den Eingriff fehlt es – jedenfalls im Land Nordrhein-Westfalen – an einer Rechtsgrundlage, zumal § 3 Abs. 5 Satz 2 NiSchG NW das Rauchen im Haftraum ausdrücklich verbietet, wenn eine der darin untergebrachten Personen Nichtraucher ist. Dies beinhaltet das Verbot der gemeinsamen Unterbringung eines Nichtrauchers mit einem Raucher, sofern die Anstalt das Rauchverbot nicht systematisch selbst durchsetzt.
7. Von einer Zustimmung zur gemeinsamen Unterbringung mit einem Raucher darf das Gericht vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 GG nicht ohne weitere Sachverhaltsaufklärung ausgehen, wenn die Zustimmung von der Anstalt behauptet, von dem Gefangenen jedoch bestritten wird.
1. Verstirbt der Familienangehörige tatsächlich, bevor über den Antrag des Strafgefangenen gerichtlich entschieden ist, so verkennt das Gericht die Bedeutung der Gewährleistung des Art. 19 Abs. 4 GG, wenn es ein Feststellungsinteresse verneint. Abweichendes gilt nicht deshalb, weil zwischen den Beteiligten streitig ist, ob die
Gefahr des nahen Todes ausreichend belegt war, weil dies in dem gerichtlichen Verfahren gerade hätte geklärt werden müssen.
2. Mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes ist es grundsätzlich vereinbar, die Rechtsschutzgewährung vom Fortbestehen eines Rechtsschutzinteresses abhängig zu machen, sofern berücksichtigt wird, dass ausnahmsweise auch nach Erledigung des Verfahrensgegenstandes ein Interesse des Betroffenen an der Feststellung der Rechtslage bestehen kann.
3. Neben den Fällen der Wiederholungsgefahr, der fortbestehenden Beeinträchtigung und des Rehabilitationsinteresses kann ein Rechtsschutzinteresse auch bei gewichtigen Grundrechtseingriffen gegeben sein, insbesondere wenn sich der Eingriff auf einen Zeitraum beschränkt, in dem gerichtlicher Rechtsschutz typischerweise kaum zu erlangen ist.
4. Die Anforderungen an das Gewicht des Grundrechtseingriffs dürfen dabei nicht überspannt werden, weil ansonsten gegen Eingriffe in bestimmten Bereichen – wie etwa im Strafvollzug – überhaupt kein Rechtsschutz zu erlangen wäre.
5. Der nach Art. 6 Abs. 1 GG gebotene besondere Schutz von Ehe und Familie beansprucht auch für den Strafvollzug Geltung und bezieht sich auch auf das Verhältnis zwischen Eltern und ihren volljährigen Kindern. In das Grundrecht wird in gewichtiger Weise eingegriffen, wenn einem Strafgefangenen die Ausführung zu seinem im Sterben liegenden Vater versagt wird.
6. In diesem Zusammenhang gebietet es das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz auch, die Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, weil die erstinstanzliche Entscheidung erkennbar von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie der Obergerichte zur Frage des Feststellungsinteresses abweicht.
7. Will das Beschwerdegericht die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde (auch) damit begründen, dass die Entscheidung der Justizvollzugsanstalt rechtmäßig gewesen sei, so ist dies mit Art. 19 Abs. 4 GG nur vereinbar, wenn das Beschwerdegericht keine – im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht gestatteten – eigenen Sachverhaltsfeststellungen trifft, sondern sich allein auf Tatsachen stützt, die in der Entscheidung des Tatsachengerichts eine Grundlage finden.
1. Die gegen den Widerruf einer Gnadenentscheidung gerichtete Verfassungsbeschwerde genügt den Substantiierungsanforderungen nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG, soweit sich aus ihr hinreichend klar ergibt, dass der Beschwerdeführer sich dadurch in willkürlicher und rechtsstaatswidriger Weise in seiner Freiheit und seinen Rechtsschutzmöglichkeiten beschränkt sieht, dass die Widerrufsentscheidung nach seiner Auffassung nicht mehr in dem rechtlich gebotenen zeitlichen Zusammenhang mit dem Ende der Bewährungszeit erfolgt ist.
2. Betrifft eine Verfassungsbeschwerde eine Entscheidung, die nach einer Aufhebung und Zurückverweisung durch das Bundesverfassungsgericht ergangen ist (hier: Folgeentscheidung zu BVerfG, Beschluss vom 27. September 2012 – 2 BvR 1766/12 – [= HRRS 2012 Nr. 1005]), so ist den Substantiierungsanforderungen genügt, wenn die maßgeblichen Unterlagen im ersten Verfassungsbeschwerdeverfahren vorgelegt worden sind.
3. Entscheidungen über den Widerruf einer Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung – gleich ob nach allgemeinem Strafrecht oder im Gnadenwege – sind an dem nach Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleisteten Freiheitsgrundrecht und dem aus dem Rechtsstaatsprinzip herzuleitenden Vertrauensschutzgebot zu messen. Der Verurteilte kann sich danach darauf vertrauen, dass die Strafaussetzung nicht unvorhersehbar und nur in den gesetzlich vorgegebenen Grenzen – insbesondere unter Beachtung der zeitlichen Beschränkungen – widerrufen wird.
4. Ein schutzwürdiges Vertrauen des Verurteilten ergibt sich allerdings nicht bereits daraus, dass die Strafaussetzung nicht während oder unmittelbar nach Ablauf der Bewährungszeit widerrufen worden ist. Vielmehr hat ein unter Bewährung Stehender grundsätzlich damit zu rechnen, dass Straftaten innerhalb der Bewährungszeit zum Widerruf der Strafaussetzung führen können. Dies gilt jedenfalls innerhalb der Jahresfrist des § 56g StGB, dessen Wertung auch im Gnadenverfahren zu berücksichtigen ist.
5. Jedoch ist ein Widerruf nach Ablauf der Bewährungszeit aus Gründen des Vertrauensschutzes nur innerhalb einer angemessenen Frist zulässig, auch wenn eine solche nicht gesetzlich bestimmt ist. Für die Angemessenheit der Frist ist neben dem Zeitablauf als solchem insbesondere auf etwaige ungebührliche Verfahrensverzögerungen sowie auf Schwere und Häufigkeit der neuerlichen Taten abzustellen.
6. Eine ungebührliche Verfahrensverzögerung liegt nicht darin, dass die Vollstreckungsbehörde vor einer Widerrufsentscheidung die Rechtskraft einer Folgeverurteilung nicht nur hinsichtlich des Schuldspruchs, sondern auch in Bezug auf das Strafmaß abwartet.
7. Ein von Verfassungs wegen schutzwürdiges Vertrauen kann entstehen, wenn der Verurteilte nicht darauf hingewiesen worden ist, dass die Vollstreckungsbehörde noch die Rechtskraft einer Folgeverurteilung abwartet. Dies gilt allerdings nur dann, wenn ein solcher Hinweis aufgrund bestimmter Umstände zu erwarten war, wie dies etwa aufgrund Nr. 34.2 der Gnadenordnung oder bei einer entsprechenden Verwaltungspraxis der Fall ist.