HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 383
Bearbeiter: Holger Mann
Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 612/12, Beschluss v. 28.02.2013, HRRS 2013 Nr. 383
Die Beschlüsse des Landgerichts Saarbrücken vom 7. Dezember 2011 - II StVK 1086/11 - und des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 15. Februar 2012 - Vollz (Ws) 22/11 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Das Saarland hat dem Beschwerdeführer zwei Drittel seiner notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Versagung einer Ausführung eines Strafgefangenen zum Sterbebett seines Vaters.
1. Der strafgefangene Beschwerdeführer beantragte am 12. September 2011 bei der Justizvollzugsanstalt Saarbrücken, in der er damals inhaftiert war, ihn zu seinem auf der Intensivstation liegenden Vater auszuführen. Er erläuterte den Sachverhalt und legte dazu ein Schreiben vom 7. September 2011 vor, mit dem seine Mutter erklärte, ihr Ehemann befinde sich nach einigen Herzoperationen in einem Zustand, der seinen nahen Tod befürchten lasse. Seit zwei Wochen liege er auf der Intensivstation der Caritasklinik Saarbrücken und sei dort in ein künstliches Koma versetzt worden. Der Unterschrift der Mutter folgte der Satz "Die Richtigkeit der Angaben bezüglich des Zustandes von Herrn G. kann von hier bestätigt werden" (im Original mit nicht abgekürztem Namen des Vaters). Darunter befand sich ein Stempelaufdruck der Intensivstation der Caritasklinik St. Theresia, Saarbrücken, versehen mit einer mit einem großen "K" beginnenden, im Übrigen nicht leserlichen Unterschrift, sowie eine handschriftliche Datumsangabe "8.09.11".
Die Justizvollzugsanstalt lehnte den Antrag am 12. September 2011 mangels Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses mit hinreichender Aussagekraft ab.
2. a) Hiergegen stellte der Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt L., am 21. September 2011 Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 109 StVollzG) und beantragte zugleich, die Justizvollzugsanstalt im Wege der einstweiligen Anordnung (§ 114 StVollzG) zu verpflichten, ihm unverzüglich Ausgang, Ausführung oder Urlaub zum Besuch seines Vaters in der Klinik zu gewähren. Obwohl er der Justizvollzugsanstalt die Bescheinigung des behandelnden Arztes mit Stempel und Unterschrift im Original vorgelegt habe, sei sein Antrag mit der Begründung abgelehnt worden, die Bescheinigung reiche nicht aus. Es habe weder eine Überprüfung durch einen Telefonanruf stattgefunden, noch sei die ärztliche Bescheinigung in anderer Weise verifiziert worden.
Die Justizvollzugsanstalt nahm dahingehend Stellung, dass Außenlockerungen des Beschwerdeführers Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit entgegenstünden. Zudem handele es sich bei der vom Beschwerdeführer vorgelegten Bescheinigung um ein von seinem Rechtsanwalt vorformuliertes Schreiben der Mutter, und die dortigen Angaben seien lediglich durch einen Stempel der Klinik als richtig bestätigt worden, wobei sich die auf dem Stempel befindliche Unterschrift nicht habe entziffern lassen. Auf die Bedenken gegen die Authentizität der ärztlichen Erklärung sei der Beschwerdeführer sofort hingewiesen und aufgefordert worden, eine neue, von der Klinik stammende Bescheinigung vorzulegen. Auch sei dem Beschwerdeführer versichert worden, dass nach Vorlage der entsprechenden Bescheinigung unverzüglich erneut über seinen Antrag entschieden werde. Zudem habe sich der Rechtsanwalt des Beschwerdeführers, Herr L., im Rahmen eines am 13. September 2011 geführten Telefonats der Justizvollzugsanstalt gegenüber "einsichtig" gezeigt und angekündigt, dieser umgehend eine von der Klinik ausgestellte Bescheinigung per Fax zu übermitteln. Dies sei jedoch bis zum Tod des Vaters des Beschwerdeführers nicht erfolgt.
b) Am 21. September 2011 verstarb der Vater des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer erfuhr dies zwei Tage später.
c) Nachdem das Landgericht mit angegriffenem Beschluss vom 27. September 2011 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückgewiesen hatte, änderte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 29. September 2011 seinen Antrag auf gerichtliche Entscheidung in einen auf Feststellung, dass die Versagung der Ausführung rechtswidrig gewesen sei, gerichteten Fortsetzungsfeststellungsantrag (§ 115 Abs. 3 StVollzG) ab. Für den Beschwerdeführer auf die Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt erwidernd, erklärte der Rechtsanwalt des Beschwerdeführers, es treffe nicht zu, dass er am 13. September 2011 in der Justizvollzugsanstalt angerufen, sich "einsichtig" gezeigt und die behaupteten Angaben gemacht habe. Er habe in der Angelegenheit zu keinem Zeitpunkt mit der Justizvollzugsanstalt telefoniert und das Mandat erst am 14. September 2011 übernommen.
d) Mit angegriffenem Beschluss vom 7. Dezember 2011 verwarf das Landgericht den Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unzulässig. Die Voraussetzungen für ein nach Erledigung fortbestehendes Feststellungsinteresse lägen nicht vor. Eine konkrete Wiederholungsgefahr sei ebensowenig ersichtlich wie die Möglichkeit nachteiliger Auswirkungen auf künftige Entscheidungen oder diskriminierende Wirkungen.
3. a) Der Beschwerdeführer erhob Rechtsbeschwerde. Die Versagung der Ausführung sei rechtswidrig gewesen und habe ihn in seinen Rechten verletzt. Ein Feststellungsinteresse könne ihm entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht abgesprochen werden.
b) Das Oberlandesgericht verwarf mit angegriffenem Beschluss die Rechtsbeschwerde als unzulässig.
Zur Fortbildung des Rechts sei die Nachprüfung nicht geboten, da die Voraussetzungen für die Gewährung von Ausgang oder Ausführung aus wichtigem Anlass ebenso wie die Anforderungen an das nach § 115 Abs. 3 Halbsatz 2 StVollzG erforderliche Feststellungsinteresse geklärt seien. Ein Feststellungsinteresse sei zu bejahen bei Maßnahmen diskriminierenden Charakters und gegebenem Rehabilitierungsinteresse, bei konkret sich abzeichnender Wiederholungsgefahr und wenn die Feststellung für ein anderes Rechtsverhältnis präjudiziell sei und der Vorbereitung anderer Prozesse, namentlich der Geltendmachung von Amtshaftungs- und Schadensersatzansprüchen, dienen solle und der beabsichtigte Prozess nicht von vornherein aussichtslos sei. Schließlich komme nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein trotz Erledigung fortbestehendes Rechtsschutzinteresse in Fällen tiefgreifender Grundrechtseingriffe in Betracht.
Die Rechtsbeschwerde sei auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen. Dieser Gesichtspunkt komme im Streitfall schon deshalb nicht zum Tragen, weil die Entscheidung der Justizvollzugsanstalt im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt, dem 12. September 2011, nicht rechtswidrig gewesen sei. Der Leiterin der Justizvollzugsanstalt sei durchaus bewusst gewesen, dass dem Beschwerdeführer im Fall einer lebensgefährlichen Erkrankung seines Vaters Ausgang oder eine Ausführung zu gewähren gewesen sei. Die Justizvollzugsanstalt habe den Antrag ohne Rechtsverstoß aufgrund nachvollziehbarer Zweifel an der Authentizität der vom Beschwerdeführer vorgelegten Bestätigungserklärung der Klinik abgelehnt. In tatsächlicher Hinsicht sei bei ärztlichen Zeugnissen, die Gefangene zwecks Gewährung von Ausgang oder einer Ausführung vorlegten, wegen der mit solchen Maßnahmen verbundenen gesteigerten Fluchtmöglichkeiten ein strenger Maßstab anzulegen. Die Möglichkeit des Missbrauchs und der Fälschung sei gerade bei Gefangenen, die langjährige Haftstrafen zu verbüßen hätten, im Blick zu behalten. Die Justizvollzugsanstalt habe vor dem Landgericht darauf hingewiesen, dass die Gewährung von Außenlockerungen aus Sicherheitsgründen derzeit nicht verantwortbar und die Authentizität des vom Beschwerdeführer vorgelegten Schreibens zweifelhaft sei. Weiter mache die Justizvollzugsanstalt darauf aufmerksam, dass eine ärztliche Bescheinigung der hier in Rede stehenden Art sehr ungewöhnlich sei. In der Tat sei es nicht die Regel, dass Ärzte oder Mitarbeiter einer Klinik eine nicht von der Behandlungsseite selbst stammende laienhafte Beschreibung des Gesundheitszustandes eines Patienten mit einem Richtigkeitsvermerk bestätigten. Ausweislich der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt sei der Beschwerdeführer auf die bestehenden Bedenken unter Versicherung, dass nach Vorlage einer hinreichenden Bescheinigung unverzüglich erneut über seinen Antrag entschieden werde, hingewiesen worden. Weiter sei davon auszugehen, dass sich der frühere anwaltliche Bevollmächtigte des Beschwerdeführers, bei dem es sich um Rechtsanwalt C. gehandelt habe, schon am Tag nach der ablehnenden Entscheidung mit der Justizvollzugsanstalt in Verbindung gesetzt habe. Hätte er entsprechend seiner bei diesem Gespräch erfolgten Ankündigung eine von der Klinik ausgestellte Bescheinigung per Fax vorgelegt, hätte der Beschwerdeführer mit hoher Wahrscheinlichkeit seinen Vater noch besuchen können. Der Vorwurf, die Justizvollzugsanstalt habe es unverständlicherweise unterlassen, ihre Zweifel durch ein unverzügliches Telefonat mit der Klinik zu klären, erscheine ex ante betrachtet nicht gerechtfertigt. Dabei könne nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Vater ausweislich des vom Beschwerdeführer vorgelegten Schreibens bereits zwei Wochen auf der Intensivstation gelegen habe und sich den Verantwortlichen der Justizvollzugsanstalt deshalb nicht der Eindruck habe aufdrängen müssen, dass der Eintritt des Todes des Vaters nur noch eine Frage von Stunden sei. Zwar wäre es möglich gewesen, die im Klinikstempel nicht enthaltene Telefonnummer der Klinik zu ermitteln. Jedoch sei aus Sicht der Justizvollzugsanstalt mit Blick auf die ärztliche Schweigepflicht mehr als fraglich gewesen, ob die Klinik ohne förmliche Entbindungserklärung auf wesentlich den aktuellen Gesundheitszustand des Vaters des Beschwerdeführers betreffende telefonische Fragen hin Auskunft erteilt hätte.
Auf die Rechtmäßigkeit der Versagung des Ausgangs komme es im Übrigen nicht entscheidend an. Von der Entscheidung des Landgerichts gehe keine Gefahr für die Einheitlichkeit der Rechtsordnung aus, da die Kammer weder die Voraussetzungen des § 35 StVollzG verkannt, noch ein berechtigtes Feststellungsinteresse "in einer die Wiederholungsgefahr begründenden Weise rechtsfehlerhaft verneint" habe. Insbesondere könne ein trotz Erledigung fortbestehendes Rechtsschutzinteresse wegen eines "tiefgreifenden Grundrechtseingriffs" nicht festgestellt werden. In Strafvollzugssachen sei dieser Gesichtspunkt in der Spruchpraxis insbesondere bei zeitweiliger menschenunwürdiger Unterbringung bedeutsam geworden. Demgegenüber habe die Rechtsprechung ein Feststellungsinteresse in Fällen der Ablehnung eines einmaligen, in dieser Art unwiederholbaren Vorgangs regelmäßig verneint. Ein Feststellungsinteresse habe das Landgericht auch nicht aus Gründen der Prozessökonomie bejahen müssen. Der Beschwerdeführer habe im Verfahren vor dem Landgericht weder vorgetragen, einen Amtshaftungsprozess zu beabsichtigen, noch sei eine solche Absicht sonst ersichtlich gewesen. Die bloß theoretische Möglichkeit eines Amtshaftungsprozesses genüge nicht.
4. Mit seiner rechtzeitig eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer, nun nicht mehr anwaltlich vertreten, seine Grundrechte aus Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 und 2 GG seien verletzt. Die von ihm vorgelegte Bescheinigung sei ausreichend gewesen, da sie mithilfe eines Anwalts erstellt gewesen sei, die nötigen Informationen enthalten habe und durch den Anwalt per Fax an die Justizvollzugsanstalt übermittelt worden sei. Auf die Äußerung seines Wunsches, an der Beerdigung teilzunehmen, sei ihm geantwortet worden, dass es "hier im Saarland keine Ausführungen zum Begräbnis" gebe. Die Justizvollzugsanstalt behaupte zu Unrecht, der Beschwerdeführer sei gefährlich. Wie von seinem Verteidiger dargestellt, habe er sich stets bemüht, die Auflagen des Vollzugsplanes zu erfüllen. Die angegriffenen Entscheidungen seien diskriminierend. Das Oberlandesgericht habe zudem den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt. Die Justizvollzugsanstalt und die Gerichte hätten die Möglichkeit einer Fesselung nach § 90 StVollzG nicht einmal erwogen. Die Verletzung seiner Grundrechte sei tiefgreifend.
5. Das saarländische Ministerium der Justiz hat von einer Stellungnahme abgesehen. Die Akten des fachgerichtlichen Verfahrens haben der Kammer vorgelegen.
Soweit die Verfassungsbeschwerde sich gegen den Beschluss des Landgerichts vom 27. September 2011 richtet, mit dem über den Eilantrag des Beschwerdeführers entschieden wurde, wird sie nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie insoweit nicht fristgemäß (§ 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG) erhoben wurde und deshalb keine Aussicht auf Erfolg hat (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>).
Im Übrigen nimmt die Kammer die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr in dem im Tenor bezeichneten Umfang statt, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung (§ 93c Abs. 1 BVerfGG) liegen vor. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Grundsätze sind durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt. Danach ist die Verfassungsbeschwerde im genannten Umfang zulässig und in einem die Kammerzuständigkeit begründenden Sinne (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG) offensichtlich begründet.
1. Der Beschluss des Landgerichts vom 7. Dezember 2011 verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG.
a) Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet die Effektivität des Rechtsschutzes. Das Rechtsmittelgericht darf ein in der jeweiligen Rechtsordnung eröffnetes Rechtsmittel daher nicht ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer "leer laufen" lassen. Hiervon muss sich das Rechtsmittelgericht auch bei der Antwort auf die Frage leiten lassen, ob im jeweiligen Einzelfall ein Rechtsschutzinteresse besteht (vgl. BVerfGE 117, 244 <268> m.w.N.). Die Anforderungen an das Rechtsschutzinteresse dürfen nicht in einer der Effektivität des Rechtsschutzes zuwiderlaufenden Weise überspannt werden (vgl. BVerfGE 120, 274 <300> m.w.N.). Mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes ist es zwar prinzipiell vereinbar, die Rechtsschutzgewährung von einem fortbestehenden Rechtsschutzinteresse abhängig zu machen. Daher ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn die Fachgerichte bei Erledigung des Verfahrensgegenstandes einen Fortfall des Rechtsschutzinteresses annehmen. Ausnahmsweise kann aber das Interesse des Betroffenen an der Feststellung der Rechtslage auch noch nach Erledigung in besonderer Weise schutzwürdig sein (vgl. BVerfGE 104, 220 <232 ff.>). Dies betrifft nicht nur die vom Landgericht angesprochenen Fälle der drohenden Wiederholungsgefahr (vgl. BVerfGE 81, 138 <140>; 117, 71 <122>; stRspr), der fortbestehenden Beeinträchtigung (vgl. BVerfGE 81, 138 <140>; 110, 77 <85 f.>; stRspr) und des Rehabilitationsinteresses im Falle fortbestehender diskriminierender Wirkungen einer rechtsverletzenden Maßnahme (vgl. BVerfGE 110, 77 <86>). Unter anderem ist bei gewichtigen Eingriffen ein Feststellungsinteresse trotz zwischenzeitlicher Erledigung des ursprünglichen Rechtsschutzanliegens dann anzuerkennen, wenn die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene gerichtlichen Rechtsschutz kaum erlangen kann, das ursprüngliche Rechtsschutzanliegen sich also typischerweise vor Erlangbarkeit gerichtlichen Rechtsschutzes erledigt (vgl. BVerfGE 96, 27 <39 f.>; 110, 77 <86>; 117, 71 <122 f.>; 117, 244 <268>; stRspr). Die Anforderungen an das Gewicht des Grundrechtseingriffs dürfen dabei nicht überspannt werden mit der Folge, dass Rechte - und insbesondere Grundrechte - in bestimmten Konstellationen in rechtsstaatlich unerträglicher Weise systematisch ungeschützt bleiben. Gewichtig im hier maßgeblichen Sinne können daher neben Grundrechtseingriffen, die das Grundgesetz ihres besonders hohen Gewichts wegen unter Richtervorbehalt gestellt hat (vgl. BVerfGE 96, 27 <40>; 104, 220 <233>; 117, 244 <269>) auch Eingriffe in andere Grundrechte sein (vgl. BVerfGE 110, 77 <86>; für den Bereich des Haftvollzuges BVerfGK 11, 54 <59>; BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 25. November 2010 - 2 BvR 2111/09 -, juris, vom 3. August 2011 - 2 BvR 1739/10 -, juris, vom 7. März 2012 - 2 BvR 988/10 -, StraFo 2012, S. 129 <130>, und vom 28. Oktober 2012 - 2 BvR 737/11 -, juris).
b) Die daraus sich ergebenden Erfordernisse der Rechtsschutzgewährung hat das Landgericht in seinem Beschluss vom 7. Dezember 2011 verkannt. Es hat den Antrag des Beschwerdeführers als mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig verworfen, ohne zu prüfen, ob die oben genannten Voraussetzungen für ein nach Erledigung des ursprünglichen Rechtsschutzziels fortbestehendes Rechtsschutzinteresse vorlagen. Eine solche Prüfung hätte sich dem Gericht aufdrängen müssen.
Die wertentscheidende Grundsatznorm des Art. 6 Abs. 1 GG (vgl. nur BVerfGE 103, 242 <257>; 105, 313 <342>) stellt Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Dieser verfassungsrechtliche Schutzauftrag gilt auch für den Haftvollzug (vgl. BVerfGE 42, 95 <101>; 89, 315 <322>; BVerfGK 8, 36 <43 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 31. August 1993 - 2 BvR 1479/93 -, NStZ 1994, S. 52) und bezieht sich auch auf das Verhältnis zwischen Eltern und ihren volljährigen Kindern (vgl. BVerfGE 57, 170 <178>; 80, 81 <91>).
Mit der Versagung der Ausführung zu seinem im Sterben liegenden Vater, gegen die der Beschwerdeführer sich gewandt hatte, stand ein gewichtiger Eingriff in das - für die vorliegende Fallgestaltung einfachgesetzlich durch § 35 Abs. 1 StVollzG konkretisierte - Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG in Rede. Der Beschwerdeführer hatte mit der Vorlage des Schreibens seiner Mutter ausdrücklich geltend gemacht, dass der Vater sich in einem Zustand befinde, der seinen nahen Tod befürchten lasse. Nachdem diese Befürchtung sich bewahrheitet hatte, hat das Gericht zutreffend angenommen, dass damit das auf Gewährung der Ausführung gerichtete Rechtsschutzbegehren durch den Tod des Vaters gegenstandslos geworden war, sich also im Rechtssinne erledigt hatte. Bei der Entscheidung darüber, ob dem Beschwerdeführer unter diesen Umständen ein fortbestehendes Interesse an der Klärung der Rechtmäßigkeit des geltend gemachten Eingriffs zuzubilligen war, hat es jedoch verkannt, dass die prozessualen Folgen einer Erledigung des ursprünglichen Rechtsschutzbegehrens so bestimmt werden müssen, dass eine systemische Verkürzung des Rechtsschutzes in der Hauptsache vermieden wird. Die hierauf zielende Regel, nach der bei gewichtigen Grundrechtseingriffen in Fallgestaltungen, in denen eine gerichtliche Entscheidung vor Erledigung typischerweise nicht erlangt werden kann, von einem auch nach Erledigung fortbestehenden Rechtsschutzinteresse auszugehen ist (s.o. unter III.1.a)), hat das Landgericht nicht berücksichtigt. Im vorliegenden Fall, in dem geltend gemacht worden war, dass der Tod des Vaters nah bevorstehe, und der Vater tatsächlich innerhalb eines Zeitraums verstarb, in dem gerichtlicher Rechtsschutz in der Hauptsache typischerweise nicht zu erlangen ist, hätte die Anwendung dieser Regel zur Anerkennung eines Feststellungsinteresses führen müssen.
Etwas anderes gilt hier nicht deshalb, weil der Beschwerdeführer zum Beleg dafür, dass sein Vater im Sterben liege, nur ein entsprechendes Schreiben seiner Mutter mit einem mit Stempel und weitgehend unleserlicher Unterschrift versehenen Bestätigungsvermerk der Intensivstation der Klinik vorgelegt hatte, auf dessen Echtheit sich die Justizvollzugsanstalt nicht verlassen wollte. Ob die Justizvollzugsanstalt den Beschwerdeführer in der gegebenen Situation, in der zumindest Anhaltspunkte dafür bestanden, dass sein Vater jederzeit versterben könnte, zu Recht darauf verwiesen hat, dass er zunächst eine verlässlichere schriftliche Bestätigung der Klinik unter klinikeigenem Briefkopf beibringen möge, oder ob nicht im Interesse rechtzeitiger Entscheidung über die begehrte Ausführung die Justizvollzugsanstalt gehalten gewesen wäre, zumindest den Versuch zu machen, ihre Zweifel auf andere Weise, etwa durch einen eigenen Anruf oder mithilfe eines von ihr überwachten Anrufs des Beschwerdeführers auf der Intensivstation der Klinik, auszuräumen (vgl. Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, 11. Aufl. 2008, § 35 Rn. 1; Ullenbruch, in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, StVollzG, 5. Aufl. 2009, § 35 Rn. 3; Köhne/Lesting, in: Feest/Lesting, AK-StVollzG, 6. Aufl. 2012, § 35 Rn. 13; Arloth, StVollzG, 3. Aufl. 2011, § 35 Rn. 2), ist gerade die Frage, die das Landgericht auf den Fortsetzungsfeststellungsantrag des Beschwerdeführers hin zu klären gehabt haben würde und deren Klärung es sich durch die Behandlung dieses Antrages als unzulässig in grundrechtswidriger Weise entzogen hat.
2. Auch der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts vom 15. Februar 2012 verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG.
a) Zwar fordert Art. 19 Abs. 4 GG keinen Instanzenzug. Eröffnet das Prozessrecht aber eine weitere Instanz, so gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG dem Bürger auch insoweit eine wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfGE 40, 272 <274 f.>; 54, 94 <96 f.>; 122, 248 <271>; stRspr). Die Rechtsmittelgerichte dürfen ein von der jeweiligen Rechtsordnung eröffnetes Rechtsmittel nicht durch die Art und Weise, in der sie die gesetzlichen Voraussetzungen für den Zugang zu einer Sachentscheidung auslegen und anwenden, ineffektiv machen und für den Rechtssuchenden "leer laufen" lassen; der Zugang zu den in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanzen darf nicht in einer durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 96, 27 <39>; 117, 244 <268>; 122, 248 <271>; stRspr).
Der rechtsuchende Bürger muss zudem erkennen können, welches Rechtsmittel für ihn in Betracht kommt und unter welchen rechtlichen Voraussetzungen es zulässig ist (vgl. BVerfGE 49, 148 <164>; 54, 277 <292 f.>; 87, 48 <65>; 107, 395 <416>; 108, 341 <349>; BVerfGK 2, 213 <218>; 6, 72 <76>). Er darf nicht mit einem für ihn nicht übersehbaren "Annahmerisiko" und dessen Kostenfolgen belastet werden (vgl. BVerfGE 49, 148 <164>; 54, 277 <293>; BVerfGK 6, 72 <76>; 16, 362 <366>).
b) Nach diesem Maßstab ist der Beschluss des Oberlandesgerichts mit Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar.
Mit der Annahme, die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung sei weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten (§ 116 Abs. 1 StVollzG), weil die Voraussetzungen für die Gewährung von Ausgang oder Ausführung aus wichtigem Anlass sowie die Anforderungen an das Feststellungsinteresse nach § 115 Abs. 3 StVollzG geklärt seien und das Landgericht ein berechtigtes Feststellungsinteresse des Beschwerdeführers nicht "in einer die Wiederholungsgefahr begründenden Weise rechtsfehlerhaft verneint" habe, hat das Oberlandesgericht die Anforderungen an die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde überspannt. Die Rechtsbeschwerde war zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, weil der landgerichtliche Beschluss erkennbar von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (zur Bedeutung einer solchen Abweichung für die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde vgl. OLG Celle, Beschluss vom 7. Juli 2006 - 1 Ws 288/06 <StrVollz> -, juris) wie auch von der obergerichtlichen Rechtsprechung zum Fortbestand des Rechtsschutzinteresses (OLG Koblenz, Beschluss vom 14. Juli 2003 - 1 Ws 293/03 -, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 13. Januar 2004 - 1 Ws 27/03 -, juris) abwich (s. o., III.1.).
Zwar hat das Oberlandesgericht seine Entscheidung zusätzlich auf die Annahme der Rechtmäßigkeit der vollzugsbehördlichen Entscheidung gestützt. Auch dieser Teil der Entscheidungsbegründung ist jedoch nach den obigen Maßstäben nicht tragfähig. Das Oberlandesgericht hat sich insoweit auf Feststellungen zum Sachverhalt gestützt, für die eine Grundlage im Beschluss des Landgerichts fehlte. Unter anderem hat es darauf abgestellt, dass der frühere Rechtsanwalt des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt C., in einem Telefonat mit der Justizvollzugsanstalt die Beibringung einer weiteren Bescheinigung der lebensgefährlichen Erkrankung des Vaters des Beschwerdeführers angekündigt habe. Eigene Tatsachenfeststellungen sind wegen der revisionsähnlichen Ausgestaltung des Rechtsbeschwerdeverfahrens nach herrschender Auffassung, von engen Ausnahmen abgesehen, dem Rechtsbeschwerdegericht verwehrt (vgl. etwa OLG Rostock, Beschluss vom 6. Februar 2012 - I Vollz <Ws> 3/12 -, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 11. November 2003 - 1 Vollz <Ws> 194/03 -, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 11. April 2002 - 3 Ws 53/02 -, juris; vgl. auch Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, 11. Aufl. 2008, § 119 Rn. 2; Schuler/Laubenthal, in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, StVollzG, 5. Aufl. 2009, § 116 Rn. 9 m.w.N.; Kamann/Spaniol, in: Feest/Lesting, AK-StVollzG, 6. Aufl. 2012, § 116 Rn. 14). Unabhängig von der Frage, unter welchen Voraussetzungen es danach dem Rechtsbeschwerdegericht überhaupt gestattet ist, seine Entscheidung auf Annahmen zum Sachverhalt zu stützen, die in der Entscheidung des Tatsachengerichts keine Grundlage finden, ist jedenfalls nicht nachvollziehbar, wie das Oberlandesgericht seiner Entscheidung die Annahme zugrundelegen konnte, Rechtsanwalt C. habe sich in Vertretung des Beschwerdeführers telefonisch auf die geforderte Beibringung einer weiteren Bescheinigung der Klinik eingelassen. Denn nach der im Verfahren vor der Strafvollstreckungskammer abgegebenen Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt war das betreffende Telefongespräch nicht mit einem Rechtsanwalt C., sondern mit Rechtsanwalt L. geführt worden. Angesichts dieser Äußerung der Justizvollzugsanstalt hätte selbst das zur Aufklärung des Sachverhalts berufene Landgericht (vgl. BVerfGK 2, 318 <324 f.>; 9, 390 <395>; 9, 460 <464>; 13, 487 <493 f.>; 17, 429 <430 f.> jew. m.w.N.) seiner Entscheidung nicht ohne weiteres die Annahme zugrundelegen dürfen, von der das Oberlandesgericht Gebrauch gemacht hat. Soweit das Oberlandesgericht zudem anführt, aus der Sicht der Justizvollzugsanstalt sei mit Blick auf die ärztliche Schweigepflicht fraglich gewesen, ob die Klinik auf telefonische Nachfrage Auskunft erteilt haben würde, kann dies schon dem Aussagegehalt nach nicht als Beitrag zur Rechtfertigung des Verhaltens der Justizvollzugsanstalt verstanden werden. Zu der Frage, ob die Sicht der Justizvollzugsanstalt berechtigt war und ob nicht Möglichkeiten der schnellen telefonischen Informationsbeschaffung verfügbar waren und hätten erwogen werden müssen, die ein Problem der Schweigepflicht nicht aufwarfen (s.o., III.1.b)), wird damit nicht Stellung genommen. Ob auch insoweit die Grenzen der Befugnis eines Rechtsbeschwerdegerichts überschritten wären, wenn denn eine Feststellung mit potentiell rechtfertigender Bedeutung vorläge, ist daher ohne Belang.
Der Beschluss des Landgerichts vom 7. Dezember 2011 und der Beschluss des Oberlandesgerichts vom 15. Februar 2012 beruhen auf dem festgestellten Grundrechtsverstoß. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass diese Beschlüsse zumindest im Ergebnis alternativlos waren und die Verfassungsbeschwerde daher nicht zur Entscheidung anzunehmen ist, weil der Beschwerdeführer auch im Fall einer stattgebenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts mit seinem Rechtsschutzbegehren vor den Fachgerichten letztlich keinen Erfolg haben könnte (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>). Von einer Aussichtslosigkeit der weiteren Rechtsverfolgung vor den Fachgerichten ist insbesondere nicht deshalb auszugehen, weil im Ergebnis feststünde, dass die Justizvollzugsanstalt berechtigt war, den Beschwerdeführer auf die Einholung einer andersartigen als der vorgelegten Bescheinigung zu verweisen (s. unter III.1.b)).
1. Die Beschlüsse des Landgerichts vom 7. Dezember 2011 und des Oberlandesgerichts vom 15. Februar 2012 sind nach alledem gemäß § 93c Abs. 2, § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben, und das Verfahren ist an das Landgericht zurückzuverweisen.
2. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 383
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2013, 225
Bearbeiter: Holger Mann