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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Januar 2012
13. Jahrgang
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Von Prof. Dr. Ulrich Eisenberg, FU Berlin
1. Nach allgemeiner Auffassung muss die Bejahung strafrechtlicher Verantwortlichkeit einer vorsätzlichen Tötung nicht zur Folge haben, dass auch die objektive Verwirklichung eines Mordmerkmals als schuldhaft zu beurteilen ist (vgl. grundsätzlich etwa BGH v. 22. 8. 1984[3 StR 177/84] Rn. 11 f., MDR 1984, 979 f. bei Holtz = iuris), vielmehr kann es zu einem "Auseinanderklaffen" (MüKo-StGB/Schneider, 2003, § 211 Rn. 98 mit Nachw.) kommen. Auch wenn z. B. das Merkmal niedrige Beweggründe objektiv erfüllt ist, gebietet das Schuldprinzip die davon unabhängige Prüfung, ob bezüglich dieses Merkmals eine spezifische Motivationsbeherrschung vorlag. Die Prüfung dessen hat im materiellen Jugendstrafrecht grundsätzlich nicht anders zu geschehen als im allgemeinen Strafrecht, wohl aber sind alters- und reifegemäße Besonderheiten zu würdigen, die tendenziell eher zu einer Verneinung der mordmerkmalsspezifischen Motivationsbeherrschung führen werden als bei Erwachsenen.
In der hier zu besprechenden Entscheidung hat ein Nicht-Jugendgericht (§ 35 Abs. 2, §§ 36, 37[erg. § 34 Abs. 2]JGG e contr; krit. schon Dallinger/Lackner, JGG, 2. Aufl. 1965, § 33 Rn. 5), von dem z. B. auch nicht Kenntnisse gemäß Richtlinie Nr. 3 zu § 37 JGG zu erwarten sind, die diesbezügliche Würdigung der Jugendkammer beanstandet, obgleich diese bei ihrer Würdigung argumentativ ohne alters- und reifegemäße Umstände auskam (näher dazu unten II. 2.). Auch für Nicht-Jugendgerichte gilt aber, dass Eingriffe in die (jugend-)tatgerichtliche Beweiswürdigung nur in engen Grenzen zulässig sind. Insofern regt die Vielzahl auch sonstiger Beanstandungen des tatgerichtlichen Urteils schon deshalb zu einer Erörterung an, weil die Hauptverhandlung sechs Termine umfasste, und zwar im Zeitraum vom 15.11. bis zum 16.12.2010, d. h. nicht außergewöhnlich zeitfern von dem Tattag des 25. 2. 2010 stattfand. Zudem hat sich bereits das tatgerichtliche Urteil zu sämtlichen der im aufhebenden Urteil angeführten Rechtsfragen verhalten (mit Ausnahme des hier ohnehin nicht einschlägigen qualifizierenden Merkmals Mordlust), was das aufhebende Urteil indes nicht immer erkennen lässt. Auch hat das Tatgericht den R als uneingeschränkt schuldfähig beurteilt, obwohl die Feststellungen (vgl. näher unter II. 2.) zur selbst initiierten Kundgabe der Tatbegehung unmittelbar danach gegenüber einer Vielzahl von Personen, zur möglichen BAK und zu der Zäsur durch das Sich-Entfernen des S wie auch die Anzahl und Art der Messerstiche die Bejahung einer "tiefgreifenden Bewusstseinsstörung" nicht ausgeschlossen hätten (vgl. erg. etwa[betr. affektiven Gehalt]LG Düsseldorf v. 20. 4. 2011[17 Ks 10 Js 476/10 - 6/11]mit Bspr. Verf. DRiZ 2011, 596 ff.); ob eine zerebrale Untersuchung des R stattgefunden hat, lässt sich dem tatgerichtlichen Urteil nicht entnehmen.
Im Übrigen ist die Aufhebung des tatgerichtlichen Urteils deshalb bemerkenswert, weil sich die Angeklagten in der Hauptverhandlung zu den Tatvorwürfen nicht geäußert haben, und nur insoweit, als sie im Ermittlungsverfahren Angaben gemacht haben, diese inhaltlich durch Vernehmung der polizeilichen Zeugen in das Verfahren eingeführt wurden. Wie aber sollte die für die neue Verhandlung bestimmte Jugendkammer für den nicht unwahrscheinlichen Fall, dass die Angeklagten wiederum ihr Schweigerecht ausüben, trotz größerer zeitlicher Distanz zu dem Tattag zu zusätzlichen Erkenntnissen gelangen können?
2. Jugendstrafrechtlich und jugendkriminologisch ist das Verfahren aufschlussreich, weil beide Angeklagte nicht vorbestraft waren - ein Ermittlungsverfahren gegenüber R wegen Verstoßes gegen das WaffenG (betreffend einen Wurfstern), das auf Anzeige der Mutter des späteren Tatopfers hin eingeleitet wurde, war zum Zeitpunkt der Verurteilung noch nicht abgeschlossen, ein Ermittlungsverfahren gegen S wegen Ladendiebstahls war gemäß § 45 Abs. 1 JGG eingestellt worden. R war zum Tatzeitpunkt 18 Jahre und 3 ½ Monate alt, S 14 Jahre und 10 Monate alt. Die tatgerichtlichen Feststellungen bezüglich R und S erlauben eine gewisse Einordnung des Rollenverhältnisses bei der Tatbegehung:
R hatte zum Zeitpunkt der Tat keine konkreten Pläne mehr, wie er seine berufliche Zukunft weiter gestalten sollte. Er hatte einen manifesten Alkoholmissbrauch entwickelt - seit Sommer 2009 habe er nach eigenen Angaben täglich - an anderer Stelle heißt es zeitweise - eine halbe bis eine ganze Flasche Wodka getrunken. Nach der beratenden Beurteilung des jugendpsychiatrischen Sachverständigen, die insoweit (nach der Wiedergabe im tatgerichtlichen Urteil) indes kaum etwas über das Tatgeschehen Hinausgehendes enthält, sei eine deutliche Tendenz zu aggressivem Verhalten und zu "narzisstischer Selbstdarstellung oder -aufblähung" zu erkennen - d ie Zuschreibung des primär psychoanalytischen Konstrukts "narzisstisch" weist allerdings - grundsätzlich nicht anders als die Kategorie "narzisstische Persönlichkeitsstörung", die mangels Validität bisher nicht in das ICD-10 aufgenommen ist (zur klinischen und wissenschaftlichen Ungeklärtheit etwa Fiedler, Persönlichkeitsstörungen, 6. Aufl., S. 202) - kaum überwindbare Abgrenzungsschwierigkeiten auf. Hinsichtlich der Schuldfähigkeit liege allenfalls eine sogen. "akzentuierte", d. h. wegen geringerer Ausprägung nicht als "Störung" zu beurteilende "Persönlichkeitsentwicklung" mit gefühlsarmen, empathiearmen, "narzisstischen" und verdeckt aggressiven Momenten vor, die die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit aber noch nicht aufgehoben oder erheblich vermindert habe. Der Sachverständigen hat indessen ausgeführt, dass die Tendenz zu "narzisstischer Selbstdarstellung" maßgeblich dazu beigetragen haben mag, dass sich bei R mit der Zeit ein äußerst massiver Handlungsdruck aufgebaut habe. Seit seiner Festnahme am 25. 2. 2010 befand R sich in U-Haft.
S sei in der Schule wegen Übergewichts und seiner roten Haare gehänselt worden. Seit seiner Festnahme am 25. 2. 2010 war S zunächst in U-Haft, wo er von Mitgefangenen drangsaliert und kahlgeschoren worden sei. Sodann wurde er vorläufig in einem Landesjugendheim untergebracht, von wo aus er die Realschule besuche und anstrebe, die Mittlere Reife zu erwerben.
Das Tatgericht hat das Mordmerkmal der Heimtücke geprüft, dessen Vorliegen jedoch verneint. Es hat weder einen hinterlistigen Angriff festgestellt, noch dass eine Arglosigkeit und dadurch bedingte Wehrlosigkeit des Tatopfers ausgenutzt wurde. Das aufhebende Urteil bezieht sich bezüglich der Beanstandung dessen auf andere Entscheidungen, denen zufolge trotz "offen feindseligen" Entgegentretens die Voraussetzungen dann erfüllt sein können, wenn "die Zeitspanne" zwischen der Gefahrerkennung und dem unmittelbaren Angriff so kurz sei, dass keine Möglichkeit verbleibe, dem Angriff "irgendwie" zu begegnen (Rn. 23). Indes war der vorausgegangene Geschehensablauf in den beiden in Bezug genommenen Entscheidungen anders als in dem vorliegenden Fall.
In dem vom 1. Strafsenat entschiedenen Fall (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 3 = iuris) hatten der Angeklagte und das spätere Tatopfer zuvor "ein freundschaftliches Gespräch" geführt" (Rn. 2), zu dem vom 5. Strafsenat entschiedenen Fall (BGHSt 37, 397 = JR 1992, 118 mit Anm. Grasnick) ist wiedergegeben, der Angeklagte habe, bevor er mit einem Gewehr in den Raum zurückkehrte, "mit dem Vorwand getäuscht", ein Schriftstück zu holen (Rn. 3, 9). Ob im vorliegenden Fall das vorausgegangene Verhalten des R indes dahingehend interpretiert werden darf, dass bei dem späteren Tatopfer "Vertrauen aufgebaut" wurde und er "in Sicherheit gewiegt" wurde (so das aufhebende Urteil Rn. 24), ist schon deshalb eher zu verneinen, weil R, ohne dass das aufhebende Urteil es hier berücksichtigt hätte, mehr oder weniger oft alkoholisiert war und im Zeitpunkt der Tatbegehung eine BAK von nicht ausschließbar 1,8‰ hatte. Auch ist im tatgerichtlichen Urteil die Bekundung des Zeugen F. O. wiedergegeben, er habe selbst einmal gehört, dass der R etwa sechs Wochen vor der Tat dem späteren Tatopfer ein Schreiben aus dem bereits erwähnten Verfahren wegen Verstoßes gegen das WaffenG "vor die Nase gehalten" und gedroht habe, er werde ihn "aufschlitzen", wenn er bei der Polizei gegen ihn aussage. Weiterhin ist die Schilderung der Zeugen D, H und C über einen Vorfall enthalten, bei dem das spätere Tatopfer und R sich geprügelt hätten, das spätere Tatopfer schon am Boden gelegen und R sich zu ihm heruntergebeugt habe, um ihn weiter zu schlagen, bis die drei Zeugen die Streitenden getrennt hätten. Zudem betrafen die beiden in Bezug genommenen Entscheidungen das allgemeine Strafrecht, ohne dass das aufhebende Urteil eine im Jugendstrafrecht ggfs. zu berücksichtigende Relevanz von Spontanverhalten zwischen Jugendlichen und Heranwachsenden erörtert hätte, obgleich bei der Gesetzesauslegung (zumindest im Sinne teleologischer Reduktion) etwaige altersbezogene Umstände zu würdigen sind (§ 2 Abs. 2 JGG, Grundsätze).
a) Ausführlich hat sich das Tatgericht mit der Frage befasst, ob die Tat als Mord aus niedrigen Beweggründen zu beurteilen ist. Als Motiv komme einerseits die Tötung als Vergeltung für die Anzeige bei der Polizei in Betracht, andererseits habe sich aufgrund der "narzisstischen Persönlichkeitsstruktur" ein massiver innerer Druck aufgebaut, diese Drohungen wahr zu machen, um sich Respekt zu verschaffen und endlich ernst genommen zu werden. Auch angesichts des Verhaltens nach der Tat sei dieser Drang nach Respekt das bestimmende Motiv gewesen. Im Einzelnen ist im tatgerichtlichen Urteil ausgeführt, dass R von Gleichaltrigen seit langem als "Schwätzer" beurteilt, "nicht für voll genommen" und "verlacht" wurde, weil er sich mit unzutreffenden Behauptungen über Kontakte zur "Unterwelt" brüstete und sonstige Geschichten erfand, die ihn wichtig erscheinen lassen sollten, etc. Dementsprechend sei er von Gleichaltrigen auch verlacht worden, als er wiederholt angekündigt habe, er werde das spätere Tatopfer wegen der Strafanzeige umbringen. Mit zunehmendem Zeitablauf sei der "Handlungsdruck" gewachsen, sich nunmehr endlich Respekt zu verschaffen, wogegen ein Rachebedürfnis dem späteren Tatopfer gegenüber "immer mehr in den Hintergrund" getreten sei. Dazu heißt es bezüglich des Nachtatverhaltens im tatgerichtlichen Urteil, dass R zunächst den Mitangeklagten S zu Hause aufsuchte, ihm unter Vorzeigen seiner blutverschmierten Hände von der Tötung mittels Messerstichen erzählte und ihn zu der Leiche führte. Weiterhin ist tatgerichtlich festgestellt, dass R "kurz vor 20:00 Uhr den Zeugen G anrief", den er gleichfalls zur Leiche führte, nachdem er ihm und dem zufällig vorbeikommenden Zeugen M "freudig erregt" berichtet habe, er habe das Tatopfer getötet, und "zum Beweis präsentierte er das blutverschmierte Seil und die Handschuhe". Anschließend habe R noch den Zeugen R aufgesucht und "erzählte diesem gleichfalls, er habe jemanden umgebracht und erbot sich, den Zeugen zur Leiche zu führen und ihm die Tatwerkzeuge zu zeigen". Gegen 21:30 Uhr habe er den Zeugen B getroffen "und führte auch diesen zur Leiche", wobei er angegeben habe, er habe "den geschlitzt", er "in auffallend guter Laune" gewesen sei "sich mehrfach geradezu euphorisch ins Fäustchen lachte". Hiernach ist das Verhalten des R unmittelbar nach der Tat und im weiteren Verlauf des Abends am Tattag von einem extremen Bestreben gekennzeichnet, seine Täterschaft triumphierend kundzutun und unter Beweis zu stellen.
Insbesondere hat das Tatgericht erörtert, dass in subjektiver Hinsicht der Täter sich bei der Tat der Umstände bewusst sein müsse, die seine Beweggründe als niedrig erscheinen lassen. Soweit es sich um gefühlsmäßige oder triebhafte Regungen handelt, müsse der Täter sie gedanklich beherrschen und willensmäßig unter Kontrolle haben, wozu das Tatgericht sich auf zwei Entscheidungen des 5. Strafsenats des BGH bezogen hat (vgl. BGHSt 47, 128 Rn. 18 = JZ 2002, 566 mit Anm. Otto = JR 2002, 470 mit Anm. Neumann = StV 2003, 19 mit Bspr. Saliger StV 2003, 38 ; BGH NStZ 2004, 497 Rn. 6 mit krit. Anm. Trück). Kommen mehrere Motive für die Tat in Betracht, dann könne ein Mord aus niedrigen Beweggründen nur dann bejaht werden, wenn hinsichtlich des Hauptmotivs niedrige Beweggründe zu bejahen sind - hierzu hat das Tatgericht auf eine Entscheidung des 4. Strafsenats des BGH verwiesen (NStZ-RR 2007, 111 Rn. 9 = HRRS 2007 Nr. 89: "der Tat ihr Gepräge gibt") -, oder wenn jeder der in Frage kommenden Beweggründe als niedrig anzusehen ist, wozu sich das Tatgericht auf eine Entscheidung des 1. Strafsenats des BGH bezogen hat (BGH NStZ 2006, 166 Rn. 20 = HRRS 2005 Nr. 896). In der abschließenden Würdigung gelangt das Tatgericht zur Verneinung, weil nicht ausgeschlossen werden könne, dass die Persönlichkeitsstruktur des R, insbesondere die ihm eigene Tendenz zu "narzisstischer Selbstaufblähung", ihm auch die Einsicht versperrt hat, aus niedrigen Beweggründen heraus zu handeln. Das gelte nach Entscheidungen des BGH auch für solche Persönlichkeitsmängel, die - wie bei R - nicht das Ausmaß einer Persönlichkeitsstörung haben und keine erheblich verminderte Schuldfähigkeit i. S. der §§ 20, 21 StGB begründen, wozu sich das Tatgericht auf Entscheidungen des 5. Strafsenats sowie des 4. Strafsenats des BGH bezogen hat (BGH NStZ-RR 2004, 44; NStZ 2004, 620 f. = HRRS 2004 Nr. 529). Damit fehle es bei dem bestimmenden Tatmotiv an den subjektiven Voraussetzungen für einen Mord aus niedrigen Beweggründen. - Relevant für die Frage, ob R zu einer mordmerkmalsspezifischen Motivationsbeherrschung in der Lage war, könnte zudem sein, dass R nach den tatgerichtlichen Feststellungen, wie bereits erwähnt, zum Tatzeitpunkt nicht ausschließbar eine BAK von 1,8 ‰ hatte, und dass zudem eine Zäsur dadurch eingetreten ist, dass S, der nach den tatgerichtlichen Feststellungen psychische Beihilfe leistete, sich vom Tatort entfernte.
b) Die Beanstandung des aufhebenden Urteils hierzu wird damit begründet, das Tatgericht habe das Vortat- und Nachtatverhalten nicht mit einbezogen. Diese Kritik trifft indes eher das aufhebende Urteil selbst, das diejenigen Feststellungen, die das vom Tatgericht als bestimmend beurteilte Tatmotiv belegen und das Spezifikum des Falles ausmachen, außen vor gelassen hat. Stattdessen beschränkt das aufhebende Urteil die Würdigung des Vortatverhaltens auf die Tatplanung und des Nachtatverhaltens auf - objektiv betrachtet untaugliche - Bemühungen, die Tat nicht den Ermittlungsbehörden bekannt werden zu lassen. Diese Umstände besagen zwar Wesentliches für den Tötungsvorsatz und das Normbewusstsein, haben jedoch mit der Frage nach dem in Rede stehenden spezifischen Beherrschungsvermögen nichts zu tun.
Auch der Verweis auf eine Entscheidung des 5. Strafsenats (BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 27 Rn. 14 = NJW 1994, 395), der zufolge es auf die Selbstbewertung des Täters nicht ankomme, kehrt sich inhaltlich gegen die Argumentation des aufhebenden Urteils. Denn in dieser Entscheidung ist zuvor erörtert worden, ob Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Angeklagte bei seinem Handeln aus dieser Motivation "von gefühlsmäßigen oder triebhaften Regungen bestimmt gewesen" ist, die er gedanklich nicht hätte beherrschen und willensmäßig nicht hätte steuern können, und hierzu heißt es darin sodann verneinend, "nach den Urteilsfeststellungen war er sich seiner Beweggründe, die ihm das Bezirksgericht bei der Strafzumessung uneingeschränkt angelastet hat … wie der Umstände, die ihre Niedrigkeit aus-
machen, klar bewusst" (Rn. 14). Eben hierin unterscheidet sich der vorliegende Fall, denn das Tatgericht hat gegenüber R zwar bei der Beurteilung der Schwere der Schuld ausgeführt, "s eine innere Haltung und sein eigenes Selbstwertgefühl waren davon bestimmt, dass er durch die Tat um jeden Preis als eine Persönlichkeit dastehen wollte, der andere Respekt erweisen müssen". Jedoch hat das Tatgericht dies auf den Totschlag bezogen, d. h. es berührt nicht die tatgerichtliche Überzeugung, nicht ausschließen zu können, dass die Persönlichkeitsstruktur des R, insbesondere seine Tendenz zu "narzisstischer Selbstaufblähung", ihm die Einsicht versperrt habe, aus niedrigen Beweggründen zu handeln. Vergleichbare Feststellungen finden sich in der vorgenannten Entscheidung des 5. Strafsenats gerade nicht.
Der Hinweis an die nunmehr zuständige Jugendkammer, auch die mordqualifizierenden Merkmale "grausame Begehungsweise" sowie "Handeln aus Mordlust" (Rn. 40) durch R zu prüfen, steht ohne Begründung eher vage im Raum.
Bereits das Tatgericht hatte geprüft, ob d ie Tatbegehung durch R mittels minutenlanger Strangulation und anschließend 30 Messerstichen gegen den Hals, die objektiv als besonders brutal und qualvoll erscheine, das Mordmerkmal der grausamen Tatbegehung erfüllt. Es hat dies jedoch abgelehnt, weil es ebenfalls eine spezifische innere Haltung des Täters voraussetzt. Diese als besonders unbarmherzig beurteilte Gesinnung hat das Tatgericht konsequent nicht bejaht, weil die "narzisstisch geprägte Persönlichkeitsstruktur" des R ihm die Einordnung der konkreten Tatbegehungsweise als grausam und deshalb besonders verwerflich verstellt habe.
Das qualifizierende Merkmal Mordlust scheidet nach den tatsächlichen Feststellungen von vornherein aus, weil hierfür Voraussetzung wäre, dass der Tod der einzige Zweck der Handlung gewesen ist (vgl. nur BGHSt 34, 59 Rn. 7; NJW 1994, 2629 Rn. 6; vgl. auch SK-StGB/Sinn, Lfg. Okt. 2010, § 211 Rn. 11), und dass das Tatopfer gewissermaßen austauschbar gewesen ist, woran es im vorliegenden Fall unbeschadet dessen fehlt, dass ein Vergeltungsmotiv in den Hintergrund getreten ist.
Was die Wendung in dem aufhebenden Urteil anbetrifft, eine Prüfung von Heimtücke durch Unterlassen hätte "nahe gelegen", wobei unter Hinweis auf Umstände des Vortat- und Nachtatgeschehens hinzugefügt wird, es wäre "nicht fernliegend", dass S schon zu dem Zeitpunkt, als R ihn abholte, gewusst habe, dass dieser das Opfer töten werde, so fehlt es für diesen Eingriff in die tatgerichtliche Würdigung an einer tragfähigen Begründung. Noch mehr trifft dies für den anschließenden Satz zu, unter diesen Voraussetzungen "erkannte er auch das Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit durch R und schloss sich dessen Handeln an" (Rn. 33).
Das Tatgericht hat geprüft, ob der Totschlag durch Unterlassen von "niedrigen Beweggründen" motiviert war, die Frage jedoch verneint. Es hat, beraten durch den jugendpsychiatrischen Sachverständigen, festgestellt, S sei nicht (mehr) durch Wut oder Hass motiviert gewesen, vielmehr sei ihm das Tatopfer als Person und dessen Schicksal vollkommen gleichgültig gewesen. Gleichgültigkeit aber könne schon per se kein niedriger Beweggrund sein, weil es dann gerade an einer besonderen Motivation über den Tötungsvorsatz hinaus fehlt.
Die Beanstandung in dem aufhebenden Urteil dazu, aus dem Internet-Eintrag von S unmittelbar nach Rückkehr von dem Tatort mit dem Wortlaut "Stadt heute war geil" könnte der "mögliche Schluss" gezogen werden, dass S "sich über die Tötung freute", eine solche Freude aber wäre als niedriger Beweggrund "in seiner Person" anzusehen (Rn. 30), kommt einer Spekulation nahe, zumal zumindest eine Erörterung altersbezogener Umstände und Ausdrucksweisen ("geil") notwendig gewesen wäre (Rn. 32). Ähnliches gilt für die ergänzende Bezugnahme auf eine SMS, soweit - unter Hinweis auf eine Entscheidung des 2. Strafsenats (NStZ-RR 2010, 175= HRRS 2010 Nr. 255 ), die schon nach Deliktsart wie Täterpersönlichkeit mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar ist - ausgeführt wird, aus dieser "könnte zu entnehmen sein", dass S sich das Motiv einer Sanktionierung der Strafanzeige "zu eigen machte" (Rn. 31). Zu der hinzugefügten Erwägung, S habe meinen können, "nach eigenem Gutdünken über das Leben des Opfers verfügen zu können", findet sich eine Bezugnahme auf Entscheidungen des 5. Strafsenats bzw. des 2. Strafsenats (BGHSt 47, 128 Rn. 16 = JZ 2002, 566 mit Anm. Otto = JR 2002, 470 mit Anm. Neumann = StV 2003, 19 mit Bspr. Saliger StV 2003, 38 bzw. BGHR StGB § 211 niedrige Beweggründe 44, Rn. 10), denen es wiederum an einer Vergleichbarkeit mit dem vorliegenden Fall fehlt.
In dem tatgerichtlichen Urteil heißt es entgegen der in der Anklage zum Ausdruck gebrachten Auffassung der StA, "Das Gericht konnte dagegen nicht feststellen, dass S schon vorher den Tod des Tatopfers herbeiführen wollte oder gar, dass er gemeinsam mit R als Mittäter geplant hätte, ihn an diesem Tag umzubringen". Abwägend hat das Tatgericht seinerseits ausgeführt, es könne nicht ausschließen, dass es sich bei der Darstellung von S anlässlich der polizeilichen Vernehmungen um Schutzbehauptungen oder um prozessuale Taktik gehandelt habe. Die Verneinung einer Mittäterschaft ist aber mit mehreren tatsächlichen Feststellungen begründet.
So ist in dem tatgerichtlichen Urteil der Text einer von S verfassten SMS vom 23. 2. 2010 des Inhalts wiedergegeben "ich mach mir doch nich die finger an den schmutzig…ich nich!!...". Das aufhebende Urteil erörtert dies ebenso wenig wie die tatgerichtliche Feststellung, dass der Zeuge G berichtet hat, R habe nach der Tötung zu ihm gesagt, S sei auch dabei gewesen, er habe aber "nur zugeschaut und nichts gemacht", eine Aussage, die das
Tatgericht ausdrücklich als glaubhaft gewürdigt hat. Weiterhin wird im tatgerichtlichen Urteil - gleichfalls im aufhebenden Urteil nicht erörtert - u. a. auf Aussagen der Zeugen O, M-K und K. R. des Inhalts hingewiesen, dass S, als die Gruppe kam, um ihn abzuholen, zunächst gar nicht habe aus seiner Wohnung rauskommen wollen, vielmehr erst habe überredet werden müssen. Auch enthält das tatgerichtliche Urteil Anhaltspunkte dafür, dass R nicht der körperlichen Unterstützung durch S bedurfte. So ist, wie bereits unter II. 2. erwähnt, die Schilderung der Zeugen D, H und C über einen Vorfall wiedergegeben, bei dem das spätere Tatopfer und R sich geprügelt hätten. Das spätere Tatopfer habe schon am Boden gelegen und R habe sich zu ihm heruntergebeugt, um ihn weiter zu schlagen.
Zudem ist festgestellt, dass der wuchtige Faustschlag des R in das Gesicht des Tatopfers besonders kräftig gewesen ist, denn unter Bezugnahme auf die Ausführungen des rechtsmedizinischen Sachverständigen anhand der gefertigten Lichtbilder ist ausgeführt, dass die rechte Hand des R Hautabschürfungen und Rötungen im Knöchelbereich aufwies, und dass "diese Verletzungen" an der Hand des R zu einem kräftigen Fausthieb gegen das Gesicht des Tatopfers passen. In diesem Zusammenhang ist auch festgestellt, dass eine erhebliche Einblutung am Augapfel des Tatopfers nicht anders als durch den Faustschlag entstanden sein kann. Diese rechtsmedizinischen Befunde, die den Schluss zumindest auf eine die Wehrunfähigkeit bedingende Benommenheit des Tatopfers nahe legen, finden in dem aufhebenden Urteil keine Erwähnung.
Die Gesamtheit der tatgerichtlichen Feststellungen entkräftet die zunächst als gewichtig erscheinende Beanstandung in dem aufhebenden Urteil hinsichtlich des Fehlens von Abwehrspuren an dem Leichnam. Auch handelt es sich, soweit der rechtsmedizinische Sachverständige ausgeführt hat, es sei "kaum anzunehmen" - im aufhebenden Urteil modifiziert in "ist davon auszugehen" (Rn. 35) -, dass eine der Strangulierung ausgesetzte Person sich nicht nach Kräften zu befreien versuche, nicht um einen allgemeinen Erfahrungssatz; das Gleiche gilt für die im tatgerichtlichen Urteil wiedergegebene Einschätzung des Sachverständigen, er erachte es eher als wahrscheinlich, dass der Angriff auf das Tatopfer, um ihn zu Boden zu bringen oder dort zu halten, durch mehrere Personen erfolgt sei und einer der Angreifer Abwehrversuche unterbunden habe, etwa durch Festhalten der Beine des Tatopfers. Objektive Spuren für den Nachweis eines solches Zusammenwirkens hat der Sachverständige nicht befinden können. Entgegen dem aufhebenden Urteil muss die Feststellung im tatgerichtlichen Urteil, dass das Tatopfer, als S sich entfernte, " noch röchelte und mit den Füßen zappelte ", nicht bedeuten, dass es bei Bewusstsein war, zumal im tatgerichtlichen Urteil die Aussagen der Zeugen KHK R und KHK L zu den Vernehmungen des S dergestalt wiedergegeben sind, dieser habe zweimal berichtet, dass das Tatopfer nur noch "zuckte" (nicht einmal heißt es hier "zappelte"). Im Übrigen könnten hinsichtlich des Bewusstseins bzw. einer Benommenheit wie aber auch Entkräftung des Tatopfers Unterschiede zwischen dem Zeitpunkt unmittelbar nach dem Faustschlag und dem Zeitpunkt nach der Strangulierung, d. h. als S sich entfernte, nicht auszuschließen sein.
Das Tatgericht hat keine schädlichen Neigungen festgestellt, und dazu vorweg ausgeführt, dass S in der Vergangenheit weder durch Gewaltdelikte noch durch sonst aggressives Verhalten aufgefallen ist, vielmehr bisher nur einmal wegen eines Ladendiebstahls "ermahnt" wurde. Das Tatgericht hat auch die zuletzt ordentlichen schulischen Leistungen des nach dem jugendpsychiatrischen Gutachten überdurchschnittlich intelligenten S anerkannt und im Übrigen festgestellt, dass sein bisheriger Werdegang "in der Gesamtschau unauffällig verlaufen" ist. Zu seinen Gunsten hat die Jugendkammer bezüglich der Anlasstat angenommen, dass er seine Mitwirkung am Tatgeschehen nicht von langer Hand geplant hatte, sondern durch den deutlich älteren R erst kurz vor der Tat aufgefordert worden ist, mitzuwirken und dass er "erst aufgrund der vorausgegangenen Demütigung" durch das spätere Tatopfer und die übrigen Jugendlichen, die ihn ausgelacht haben, dazu veranlasst worden ist. Zwar sei bei seiner Tat das - "insbesondere unter Jugendlichen als nachvollziehbar hingenommene" - Maß einer Vergeltung bei weitem überschritten worden. Jedoch seien, wie auch der das Tatgericht beratende jugendpsychiatrische Sachverständige dargelegt habe, offen aggressive oder dissoziale Züge nicht festzustellen. S sei ohne weiteres in der Lage einzusehen, dass man einen Menschen nicht töten und der Tötung auch nicht tatenlos zusehen dürfe, ohne selbst einzugreifen oder Hilfe zu holen. Es sei dem Sachverständigen lediglich eine ausgeprägte Gleichgültigkeit und Empathielosigkeit aufgefallen, so dass S in emotionaler Hinsicht noch einer erheblichen Nachreifung bedürfe. Die Tötung durch Unterlassen sei zwar "rechtlich als täterschaftliche Tötung (Beschützergarant) anzusehen", sie habe jedoch "mit Blick auf den Tatbeitrag und die Tatherrschaftsgesichtspunkte" für S in einer "wertenden Parallelbetrachtung" mit dem Sanktionsrahmen für einen Erwachsenen (§§ 13 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB) nur ein Gewicht, das zu einer Festsetzung von Jugendstrafe im unteren Bereich einer möglichen Jugendstrafe führt.
Hiernach steht der an die nunmehr zuständige Jugendkammer gerichtete Hinweis in dem aufhebenden Urteil, bezüglich S erscheine die Verneinung der Voraussetzung des § 17 Abs. 1 S. 1 JGG "weniger naheliegend", ohne Begründung eher vage im Raum. Dies gilt auch deshalb, weil für die Bejahung schädlicher Neigungen bei einer Tat, die unter dem Einfluss eines Tatbeteiligten begangen wurden, besonders gewichtige tatsächliche Feststellungen erforderlich sind (vgl. BGH NStZ 2010, 280 Rn. 9 = HRRS 2009 Nr. 637 ), und weil die Voraussetzungen auch im Zeitpunkt der letzten tatgerichtlichen Hauptverhandlung vorliegen müssen (allgemeine Auffassung, insbesondere auch stg. Rspr. der Senate des BGH), das aufhebende Urteil die Entwicklung des S während des knapp 10-monatigen Verlaufs seit dem Tattag jedoch unerwähnt lässt.
[*] Die Aufhebungsentscheidung profiliert eine Verböserungstendenz eines Nicht-Jugendgerichts zum Nachteil Jugendlicher und Heranwachsender, wozu der Revisionsverwerfungsbeschluss im sogen. "Brunner-Verfahren" (BGH v. 20. 9. 2011[1 StR 326/11]= HRRS 2011 Nr. 1137 mit Bspr. Verf. ZKJ 2012, H 2) gewissermaßen einen Zwilling abgibt.