HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Aug./Sept. 2011
12. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Zur Auslegung des Waffenbegriffs in § 125a S. 2 Nr. 2 StGB

Zugleich eine Anmerkung zu Kammergericht, Urteil vom 06.07.2010 –
(2) 1 Ss 462/09 (3 / 10), 1 Ss 462/09 *

Von Wiss. Mit. Ass. jur. Dr. Milan Kuhli, M.A., Universität Frankfurt am Main

Der Beitrag nimmt zu einer Entscheidung des Kammergerichts vom 06.07.2010 Stellung, die sich mit verschiedenen Auslegungsfragen rund um §§ 125, 125a StGB beschäftigt. Zum einen geht es um die Reichweite der Subsidiaritätsklausel des § 125 Abs. 1 a.E. StGB, zum anderen um die Frage, ob ein gefährlicher Gegenstand (i.v.F. ein Kunststoff-Klappstuhl) unter den Begriff der Waffe i.S.d. § 125a S. 2 Nr. 2 StGB subsumiert werden kann bzw. inwieweit der Einsatz eines solchen gefährlichen Gegenstands einen unbenannten besonders schweren Fall nach § 125a S. 1 StGB begründet.

I. Sachverhalt (vereinfacht)

Am 01.05.2009 fand in Berlin die sogenannte "revolutionäre 1.-Mai-Demo" statt, an der sich auch der Angeklagte beteiligte. Um 21 Uhr erreichte der Demonstrationszug eine Straßenkreuzung, an der sich unter anderem eine Tankstelle befand. Diese war bereits in den Jahren zuvor jeweils am 1. Mai Ziel von Ausschreitungen geworden. Aus diesem Grunde befanden sich am 01.05.2009 auf dem Gelände der Tankstelle mehrere Polizeibeamte, die den Auftrag hatten, die Örtlichkeit vor Übergriffen vonseiten der Demonstrationsteilnehmer zu schützen.

Der Demonstrationszug bestand aus etwa 1000 Teilnehmern, die sich überwiegend friedlich verhielten. Allerdings befand sich an der Spitze der Menge eine zwanzig- bis dreißigköpfige Gruppe von Personen, die beabsichtigten, die Polizisten auf dem Tankstellengelände anzugreifen. Als der Demonstrationszug die genannte Straßenkreuzung erreichte, lösten sich die 20 bis 30 gewalttätigen Personen aus der Menge, schwärmten auf die umliegenden Bürgersteige aus und begannen, Steine und Glasflaschen in Richtung der auf dem Gelände der Tankstelle eingesetzten Polizeibeamten zu werfen. Unter den in dieser Weise randalierenden Personen befand sich auch der Angeklagte. Er ergriff einen Kunststoff-Klappstuhl, der neben einem Altglascontainer abgestellt war, und schleuderte ihn mit großer Wucht in Richtung der (etwa 15 Meter von ihm entfernt stehenden) Polizeibeamten. Diese waren teilweise ungeschützt, da sie gerade damit beschäftigt waren, ihre Schutzausrüstung anzulegen. Ob sie jedoch von dem Klappstuhl getroffen wurden, konnte letztlich nicht festgestellt werden. Allerdings hatte der Angeklagte bei seinem Wurf zumindest billigend in Kauf genommen, dass er durch den Wurf Menschen treffen und erheblich verletzen könnte.

Das Amtsgericht Berlin Tiergarten verurteilte den Angeklagten unter anderem wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung nach §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2, 22, 23 Abs. 1 StGB. Das Vorliegen eines besonders schweren Falles eines Landfriedensbruchs wurde abgelehnt. Nachdem eine Berufung der Staatsanwaltschaft vom Landgericht Berlin verworfen wurde, legte sie form- und fristgerecht Revision ein. Insoweit hatte sich das Kammergericht mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die Verneinung eines besonders schweren Falles eines Landfriedensbruchs durch die Vorinstanz zulässig war.

II. Problem

Ein gezielter (und nach dem Grundsatz in dubio pro reo fehlgegangener) Wurf mit einem Klappstuhl in Richtung einer Gruppe von Menschen dürfte regelmäßig eine versuchte gefährliche Körperverletzung darstellen. Dass ein derartiges Wurfgeschoss die Geeignetheit besitzt, erhebliche Verletzungen hervorzurufen, und demnach als gefährliches Werkzeug im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB einzuordnen ist, dürfte kaum einer näheren Erläuterung bedürfen. Schwieriger zu beantworten ist demgegenüber die Frage, ob dieselbe Handlung zugleich eine Strafbarkeit wegen eines besonders schweren Falles des Landsfriedensbruchs nach §§ 125, 125a StGB begründen kann.

1. Zum Vorliegen eines einfachen Landfriedensbruchs

Die Frage, ob der Angeklagte den Straftatbestand eines einfachen Landfriedensbruchs nach § 125 StGB verwirklicht hat, wird vom Kammergericht nicht näher erörtert. Immerhin deuten jedoch die umfangreichen Ausführun-

gen des Gerichts zur Einschlägigkeit eines besonders schweren Falles nach § 125a StGB darauf hin, dass das Kammergericht das Vorliegen eines einfachen Landfriedensbruchs nach § 125 StGB für gegeben hält – eine Ansicht, der beizupflichten ist.

Von den verschiedenen Varianten des § 125 StGB kommt insoweit diejenige des sogenannten gewalttätigen Landfriedensbruchs nach § 125 Abs. 1 Alt. 1 Nr. 1 StGB in Betracht. Diese Variante setzt nach ihrem Wortlaut voraus, dass sich der Angeklagte an "Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen[…], die aus einer Menschenmenge in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise mit vereinten Kräften begangen werden, als Täter oder Teilnehmer beteiligt". Unter Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen versteht man dabei jedes aggressive Tun von einiger Erheblichkeit, das unter Einsatz physischer Kraft erfolgt und unmittelbar gegen die körperliche Integrität einer Person oder die körperliche Substanz einer Sache gerichtet ist.[1] Zwar verwendet der Tatbestand hinsichtlich des Angriffsziels die Pluralform ("Menschen oder Sachen"), doch wird es überwiegend als ausreichend angesehen, dass ein einzelner Mensch oder eine einzelne Sache Adressat der Gewalttätigkeiten ist.[2] § 125 Abs. 1 Alt. 1 Nr. 1 StGB stellt dabei ein unechtes Unternehmensdelikt dar[3], sodass es für das Vorliegen von Gewalttätigkeiten nicht erforderlich ist, dass es tatsächlich zu einer vollendeten Körperverletzung oder Sachbeschädigung gekommen ist.[4] Allerdings verlangt der Tatbestand, dass die Einwirkung objektiv geeignet ist, die körperliche Integrität einer Person oder die körperliche Substanz einer Sache zu verletzen.[5] Diese Eignung dürfte vorliegend zu bejahen sein, und zwar sowohl hinsichtlich des Klappstuhls, der eigenhändig von dem Angeklagten geschleudert wurde, als auch im Hinblick auf die Steine und Glasflaschen, die von den anderen Personen eingesetzt wurden.[6] Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Tatbestand des § 125 Abs. 1 Alt. 1 Nr. 1 StGB ausreichen lässt, dass sich der Täter des Landfriedensbruchs an den Gewalttätigkeiten "als Täter oder Teilnehmer beteiligt". Es gilt also hier, zwischen der Beteiligung am Landfriedensbruch und derjenigen an den Gewalttätigkeiten zu unterscheiden.[7] Da der Wurf des Klappstuhls jedoch ohnehin als Gewalttätigkeit einzuordnen ist, kommt es hier nicht darauf an, ob der Angeklagte hinsichtlich der von den anderen Personen begangenen Gewalttätigkeiten beispielsweise als Mittäter (§ 25 Abs. 2 StGB), Anstifter (§ 26 StGB) oder Gehilfe (§ 27 StGB) eingeordnet werden kann. Die Geeignetheit des Stuhlwurfes zum Verursachen erheblicher Verletzungen ist vorliegend vor allem deshalb zu bejahen, weil die angegriffenen Polizisten noch keine vollständige Schutzkleidung trugen.

§ 125 Abs. 1 Alt. 1 Nr. 1 StGB verlangt des Weiteren, dass die Gewalthandlungen mit vereinten Kräften begangen werden, worunter zwei kumulative Voraussetzungen zu fassen sind: Zum einen ist es erforderlich, dass mehrere[8] Personen die Handlungen gemeinschaftlich vornehmen.[9] Zum anderen muss die Begehung der Gewalttätigkeiten ihre Basis in einer entsprechenden, feindseligen Grundhaltung zumindest eines wesentlichen Teils der Menschenmenge finden.[10] Hinsichtlich der damit geforderten subjektiven Einstellung des wesentlichen Teils der Menschenmenge könnten vorliegend Zweifel existieren, da an der hier in Rede stehenden "revolutionären 1.-Mai-Demo" etwa 1000 Personen teilnahmen, die sich laut Sachverhalt überwiegend friedlich verhielten. Allerdings kommt es auf die Grundhaltung der friedlichen Teilnehmer dann nicht an, wenn ein Teil einer Menschenmenge gemeinsam Gewalttätigkeiten begeht und dieser Teil bereits für sich genommen die Merkmale einer Menschenmenge erfüllt.[11] Die zuletzt genannte Voraussetzung dürfte für die 20 bis 30 ausschwärmenden Personen um den Angeklagten zu bejahen sein. Unter einer Menschenmenge versteht man nämlich eine räumlich zusammengeschlossene Personenmehrheit, die eine solche Größe aufweist, dass die Anzahl der Beteiligten nicht sofort überschaubar ist und dass das Hinzukommen oder Weggehen Einzelner für den äußeren Eindruck unerheblich ist.[12] Eine bestimmte Mindestgröße lässt sich allgemein nicht festmachen[13], doch dürfte als Anhaltspunkt gelten, dass das Vorliegen einer Menschenmenge in der Rechtsprechung im Einzelfall bei einer Anzahl von etwa 25 Personen bejaht[14], hingegen bei einer Größe von nicht mehr als 10 Personen verneint wurde.[15] Insoweit dürfte das Vorliegen einer Menschenmenge im vorliegenden Fall für die 20 bis 30 gewalttätigen Personen um den Angeklagten zu bejahen sein. (Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die von dieser Gruppe gewählte Taktik des "Ausschwärmens" den räumlichen Zusammenschluss zwischen den einzelnen

Personen aufhob.) Da sich die Wurfattacken gegen außenstehende Personen – nämlich die Polizisten auf dem Tankstellengelände – richteten, wurden die Gewalttätigkeiten mit vereinten Kräften aus einer Menschenmenge heraus begangen.

Schließlich verlangt § 125 Abs. 1 Alt. 1 Nr. 1 StGB, dass die Gewalttätigkeiten in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise begangen werden. Dieses Merkmal ist in jedem Fall dann erfüllt, wenn infolge der Gewalttätigkeiten für eine unbestimmte Anzahl von Personen oder Sachen die Gefahr eines Schadens eintritt.[16] Vorliegend wurde eine Gruppe von Polizisten attackiert; auch kann es nicht ausgeschlossen werden, dass die Wurfgeschosse andere Sachen beschädigten – immerhin befanden sich die Polizeibeamten auf einem öffentlich zugänglichen Tankstellengelände. Die Gefahr eines Schadens für eine unbestimmte Anzahl von Personen oder Sachen dürfte mithin zu bejahen sein.

Wenn damit nach hier vertretener (und vom Kammergericht zumindest nicht ausgeschlossener) Ansicht das Vorliegen des Tatbestands eines Landfriedensbruchs nach § 125 Abs. 1 Alt. 1 Nr. 1 StGB zu bejahen ist, stellt sich sodann die Frage, ob dieser auch in einem besonders schweren Fall gegeben ist, ob also die Strafzumessungsregel[17] nach § 125a StGB vorliegt.

2. Zur Subsidiaritätsklausel nach § 125 Abs. 1 a.E. StGB

Die Beantwortung der Frage, ob der Landfriedensbruch einen besonders schweren Fall i.S.d. § 125a StGB darstellt, ist vorliegend nicht nur für die Beurteilung des Strafrahmens bedeutsam (Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bzw. Geldstrafe bei § 125 StGB / Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bei § 125a StGB), sondern überhaupt für die Frage einer Verurteilungsmöglichkeit wegen tateinheitlich begangenen Landfriedensbruchs. Nach der Subsidiaritätsklausel des § 125 Abs. 1 a.E. StGB wird ein Täter wegen Landfriedensbruchs nämlich nur bestraft, "wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist". Zum Teil wird diese Klausel einschränkend dahin gehend ausgelegt, dass § 125 StGB nur von solchen Straftatbeständen verdrängt wird, die eine zumindest ähnliche Schutzrichtung aufweisen.[18] Jedoch gestattet der Wortlaut der Subsidiaritätsklausel keine derartige einschränkende Auslegung zum Nachteil des Täters.[19] § 125 StGB tritt damit auf der Konkurrenzebene hinter sämtlichen tateinheitlich begangenen Delikten zurück, die eine schwerere Strafe vorsehen.

Im Falle einer versuchten gefährlichen Körperverletzung nach §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2, 22, 23 Abs. 1 StGB droht das Gesetz eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren an (bzw. für den Fall der Strafmilderung nach § 23 Abs. 2 StGB i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3 StGB eine Freiheitsstrafe bis zu 7 Jahren und 6 Monaten). Der einfache Landfriedensbruch sieht demgegenüber lediglich eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren vor, würde also von der versuchten gefährlichen Körperverletzung verdrängt.

Grundlegend anders stellt sich die Situation demgegenüber dar, wenn ein besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs gegeben ist. Zwar gilt die Subsidiaritätsklausel des § 125 Abs. 1 a.E. StGB auch für § 125a StGB.[20] Dies folgt bereits daraus, dass § 125a StGB eine bloße Strafzumessungsregel und keinen eigenständigen Straftatbestand darstellt.[21] Zudem nimmt § 125a StGB ausdrücklich auf den Tatbestand des § 125 Abs. 1 StGB Bezug und verweist damit letztlich auch auf die Klausel des § 125 Abs. 1 a.E. StGB.[22] Allerdings ist im Falle des Vorliegens eines besonders schweren Falles des Landfriedensbruchs für den von der Subsidiaritätsklausel vorausgesetzten Vergleich der Strafandrohungen der Strafrahmen von § 125a StGB maßgeblich, mithin nicht derjenige des § 125 StGB.[23] § 125a StGB sieht in der Rechtsfolge eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren vor. Erfolgt bei §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2, 22, 23 Abs. 1 StGB eine Strafmilderung nach § 23 Abs. 2 StGB, so sieht § 125a StGB einen höheren Strafrahmen vor; wird keine entsprechende Strafmilderung vorgenommen, so entsprechen sich der Strafrahmen der §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2, 22, 23 Abs. 1 StGB und derjenige des § 125a StGB. Da die Subsidiaritätsklausel eine Bestrafung nach § 125 StGB (i.V.m. § 125a StGB) vorsieht, "wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist", ergibt der Umkehrschluss, dass im Falle der Gleichwertigkeit beider Strafrahmen § 125 StGB (i.V.m. § 125a StGB) nicht verdrängt wird. Zu dieser Feststellung kommt auch das Kammergericht, wobei es in seinen Ausführungen sogar ausschließlich auf den gesenkten Strafrahmen der §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2, 22, 23 Abs. 1 StGB i.V.m. § 23 Abs. 2 StGB abstellt. Ob dieser Ansicht angesichts der Fakultativität der Strafmilderungsmöglichkeit des § 23 Abs. 2 StGB gefolgt werden kann, braucht vorliegend nicht entschieden zu werden, da beide Ansichten hier zu demselben Ergebnis führen. Nach dem oben Gesagten führt die Subsidiaritätsklausel des § 125 Abs. 1 a.E. StGB auch im Falle des nicht gemilderten Strafrahmens der §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2, 22, 23 Abs. 1 StGB nicht zu einer Verdrängung der §§ 125, 125a StGB auf Konkurrenzebene.

Die Frage der Einschlägigkeit des § 125a StGB ist jedoch nicht nur für das Konkurrenzverhältnis von Bedeutung, sondern erweist sich auch als inhaltlich problematisch. Aus dem Regelbeispielskatalog des § 125a S. 2 StGB kommt einzig Nr. 2 – das Beisichführen einer Waffe in

Verwendungsabsicht – in Betracht. Für den Fall, dass dieses Regelbeispiel nicht gegeben sein sollte, ist zu fragen, ob ein unbenannter besonders schwerer Fall nach § 125a S. 1 StGB vorliegt. Die Beantwortung dieser Fragen bildete den Schwerpunkt der hier erörterten Entscheidung.

III. Lösung des Kammergerichts

1. Zum Vorliegen des Regelbeispiels nach § 125a S. 2 Nr. 2 StGB

Allgemein begründen die Regelbeispiele des § 125a S. 2 StGB im Falle des Vorliegens ihrer Voraussetzungen eine – im Einzelfall widerlegbare – Indizwirkung für das Eingreifen des erhöhten Strafrahmens nach § 125a StGB. Liegen die Voraussetzungen eines der Regelbeispiele nach S. 2 vor, kommt es daher für die Annahme eines besonders schweren Falles zusätzlich darauf an, dass das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente, der Täterpersönlichkeit und des Nachtatverhaltens des Täters vom Durchschnitt der gewöhnlich vorkommenden Fälle eines Landfriedensbruchs in einem solchen Maße abweicht, dass die Anwendung des Strafrahmens nach § 125a StGB geboten ist.[24] Ergibt eine solche Gesamtbetrachtung kein Abweichen im eben genannten Sinne, so ist trotz Vorliegens der Voraussetzungen des jeweiligen Regelbeispiels kein besonders schwerer Fall eines Landfriedensbruchs gegeben.

Von den Regelbeispielen des § 125a S. 2 StGB kommt vorliegend einzig dasjenige der Nr. 2 in Betracht. Danach liegt ein besonders schwerer Fall in der Regel vor, wenn der Täter eine "andere" (also nicht unter den Begriff der Schusswaffe fallende) Waffe bei sich führt, um diese bei der Tat zu verwenden. Abweichend von dem Merkmal der Gewalttätigkeiten, bei denen nach § 125 Abs. 1 Alt. 1 Nr. 1 StGB die Beteiligung als Täter oder Teilnehmer ausreichend ist, verlangt § 125a S. 2 Nr. 2 StGB ein eigenhändiges Beisichführen der Waffe durch den Täter.[25] Für diese Auslegung lässt sich bereits der Wortlaut des § 125a StGB ins Feld führen, der einzig vom "Täter" und nicht etwa wie § 113 Abs. 2 Nr. 1 StGB vom "Täter" oder einem anderen "Beteiligten" spricht[26]; darüber hinaus trägt die restriktive Auslegung, nach der eine Eigenhändigkeit erforderlich ist, dem Umstand Rechnung, dass es sich beim Landfriedensbruch um ein Massendelikt handelt, bei dem – vor allem im Hinblick auf den Strafrahmen des § 125a StGB – eine Eingrenzung des Täterkreises von besonderer Bedeutung ist.[27]

Hinsichtlich der Waffeneigenschaft äußert sich das Kammergericht eindeutig:

"Der Plastikstuhl ist[…]keine Waffe im Sinne dieser Vorschrift[also i.S.d. § 125a S. 2 Nr. 2 StGB], weil ihm bei bestimmungsgemäßem Gebrauch die Eignung fehlt, erhebliche Verletzungen zuzufügen und ein gefährliches Werkzeug nicht einer Waffe im technischen Sinn gleichzusetzen ist. Da der Gesetzgeber ausdrücklich davon abgesehen hat, das Mitführen von gefährlichen Werkzeugen bzw. anderen gefährlichen Gegenständen als Regelbeispiele für einen besonders schweren Fall des Landfriedensbruchs in das Gesetz aufzunehmen, ist der Begriff der ‚Waffe’ in dieser Regelung nicht in einem weiteren, über den umgangssprachlichen Gebrauch hinausgehenden Sinne zu verwenden, da dies dem Analogieverbot zuwiderliefe" (Kammergericht, Urteil vom 06.07.2010).

Mit dieser Entscheidung, in der die Voraussetzungen des Regelbeispiels des § 125a S. 2 Nr. 2 StGB im vorliegenden Fall abgelehnt werden, vollzieht das Kammergericht eine Abkehr von der älteren Rechtsprechung, die im Einklang mit einer Ansicht in der Literatur unter § 125a S. 2 Nr. 2 StGB nicht nur sogenannte Waffen im technischen Sinne fasste (also solche Gegenstände, die nur bei bestimmungsgemäßem Gebrauch zur Verletzung von Menschen geeignet sind), sondern auch solche Objekte, bei denen sich die Geeignetheit zur Verursachung erheblicher Verletzungen bereits aus der objektiven Beschaffenheit und der beabsichtigten Art der konkreten Verwendung ergibt.[28] Zur Stützung seiner Auffassung beruft sich das Kammergericht auf einen Kammerbeschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 01.09.2008[29], in dem der Senat in Bezug auf das (mit § 125a S. 2 Nr. 2 StGB im hier interessierenden Teil gleichlautende) Regelbeispiel des § 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 StGB feststellte, dass ein Kraftfahrzeug

"[…]nicht als Waffe angesehen werden[kann], da es weder von der Zweckbestimmung noch von einem typischen Gebrauch her zur Bekämpfung anderer oder zur Zerstörung von Sachen eingesetzt wird. Die Ansicht in Rechtsprechung und Lehre, nach welcher der Begriff der Waffe in § 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 StGB in einem ‚nichttechnischen’, gefährliche Werkzeuge und insbesondere bei entsprechender Verwendung auch Kraftfahrzeuge umfassenden Sinne zu verstehen sein soll[…], lässt sich mit dem im Wortlaut der Vorschrift zum Ausdruck gekommenen gesetzgeberischen Willen nicht in Einklang bringen" (BVerfG, Beschluss vom 01.09.2008).

Der Ansicht des Kammergerichts und des Bundesverfassungsgerichts ist zuzustimmen. § 125a S. 2 Nr. 2 StGB (wie auch § 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 StGB) spricht ausschließlich von einer "Waffe" und nicht etwa wie § 244

Abs. 1 Nr. 1 lit. a StGB von einer Waffe und einem gefährlichen Werkzeug. Insoweit ist mit dem Bundesverfassungsgericht hervorzuheben, dass das Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG nicht nur für Straftatbestände gilt, sondern auch für Strafzumessungsregeln. Art. 103 Abs. 2 GG fordert gesetzliche Bestimmtheit der "Strafbarkeit", woraus zu folgern ist, dass das nulla-poena-Prinzip nicht auf den Straftatbestand beschränkt ist.

2. Zum Vorliegen eines unbenannten besonders schweren Falles nach § 125a S. 1 StGB

Abgesehen von dem eben genannten Wortlautargument ist festzustellen, dass auch kein praktisches Bedürfnis existiert, Gegenstände wie einen Klappstuhl unter den Begriff der Waffe zu subsumieren. So sieht § 125a S. 1 StGB ohnehin die Möglichkeit eines unbenannten besonders schweren Falles vor. Voraussetzung für die Annahme eines solchen ist es, dass das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der gewöhnlich vorkommenden Fälle in einem Maße abweicht, dass die Anwendung des Strafrahmens nach § 125a StGB geboten ist.[30] Zu Recht verneint das Kammergericht einen unbenannten besonders schweren Fall vorliegend auch nicht deshalb, weil das Regelbeispiel des § 125a S. 2 Nr. 2 StGB ausdrücklich auf Waffen beschränkt ist, während Qualifikationstatbestände wie § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB bzw. der genannte § 244 Abs. 1 Nr. 1 lit. a StGB Waffen in gleichberechtigter Weise neben gefährlichen Werkzeugen erfassen. Es ist insoweit nicht ersichtlich, dass das Beisichführen von gefährlichen Werkzeugen in Verwendungsabsicht nach dem Willen des Gesetzgebers völlig aus dem Anwendungsbereich des § 125a StGB verbannt sein sollte. Im Gegenteil liegt ein unbenannter besonders schwerer Fall regelmäßig gerade dann vor, wenn die betreffende Tathandlung zwar nicht vom Wortlaut eines Regelbeispiels erfasst ist, jedoch gleichwohl dem Unrechtsschweregehalt eines solchen entspricht. So schreibt das Kammergericht:

"Wenn auch das Analogieverbot dazu führt, dass der Waffenbegriff in § 125a[S. 2]Nr. 2 StGB nicht mehr auf gefährliche Werkzeuge ausgedehnt werden darf, so kommt den Regelbeispielen dennoch eine Analogiewirkung zu. Dies bedeutet nicht[…], dass bereits das Beisichführen einer Waffe im untechnischen Sinn bzw. eines gefährlichen Werkzeugs in Verwendungsabsicht nun stets zur Annahme eines unbenannten Strafzumessungsgrundes führte; vielmehr müssen weitere, die Gefährlichkeit des Handelns erhöhende Umstände hinzu kommen. Denn das Analogieverbot steht nicht der grundsätzlichen Möglichkeit entgegen, auf den konkreten Fall bezogen ein Beisichführen von gefährlichen Werkzeugen in Verwendungsabsicht oder dessen Verwenden als einen unbenannten Fall zu werten" (Kammergericht, Urteil vom 06.07.2010).

Da die Gründe des mit der Revision angegriffenen vorinstanzlichen Urteils des Landgerichts nach Auffassung des Kammergerichts eine ausreichende Gesamtwürdigung des Vorliegens eines unbenannten besonders schweren Falles vermissen ließen, wurde das Strafverfahren vom Kammergericht an das Landgericht zurückverwiesen. Für den weiteren Verlauf des Verfahrens sei dabei zu berücksichtigen – so das Kammergericht –, dass die attackierten Polizisten von dem Angriff überrascht worden waren, teilweise keine Schutzausrüstung trugen und infolge der von dem Angeklagten und den anderen etwa 20 bis 30 Personen verübten Taktik gleichzeitig mehreren von verschiedenen Seiten verübten Einzelangriffen ausgesetzt waren. Darüber hinaus hebt das Kammergericht in diesem Zusammenhang ausdrücklich den Gesichtspunkt der Generalprävention hervor – ein Hinweis, der deshalb an­gebracht erscheint, da die besagte Tankstelle bereits bei vorangegangenen 1.-Mai-Demonstrationen beschädigt worden war. Ob ein besonders schwerer Fall hier gegeben ist, bleibt letztlich eine Tatfrage, die vom Landgericht zu entscheiden ist. Unter Berücksichtigung der vom Kammergericht aufgezählten Umstände erscheint es aber nicht abwegig, eine Eröffnung des Strafrahmens des § 125a S. 1 StGB zu bejahen.

IV. Bewertung

Die Entscheidung stellt eine wünschenswerte Klarstellung zur Auslegung des Waffenbegriffs bei Regelbeispielen dar, der im Ergebnis und in weiten Teilen der Begründung zuzustimmen ist. Es bleibt abzuwarten, ob sich die vom Kammergericht vertretene Auffassung einer restriktiven Auslegung des Waffenbegriffs bei § 125a S. 2 Nr. 2 StGB durchsetzen wird.


* Die Entscheidung ist veröffentlicht unter: NStZ-RR 2011, 107.

[1]  OLG Köln NJW 1970, 260; OLG Düsseldorf NJW 1993, 869; Fischer, StGB, 58. Aufl. (2011), § 125 Rn. 4.

[2]  RGSt 55, 101, 102; Wolter NStZ 1985, 245, 251; Fahl, in: Satzger/Schmitt/Widmaier, StGB, 1. Aufl. (2009), § 125 Rn. 2. – Zweifelnd: Brause NJW 1983, 1640.

[3]  Wolter NStZ 1985, 245, 251; Fischer (Fn. 2 ), § 125 Rn. 4.

[4]  RGSt 47, 178, 179 f.; RGSt 52, 34 f.; OLG Karlsruhe NJW 1979, 2415, 2416; BayObLG NStZ 1990, 37, 38; Wolter NStZ 1985, 245, 251.

[5]  OLG Düsseldorf NJW 1993, 869.

[6]  Vgl. hierzu auch: RGSt 47, 178, 179 f.; Arzt JA 1982, 269, 270.

[7]  Vgl. BGH StV 2008, 639 = HRRS 2008 Nr. 948.

[8]  Str. ist, ob insoweit auch schon zwei Personen ausreichen (so: Rudolphi/Stein, in: Systematischer Kommentar StGB, Stand: 61. Lieferung, 7. Aufl. [September 2004], § 125 Rn. 11; a.A. Ostendorf, in: Nomos Kommentar StGB, 3. Aufl.[ 2010 ], § 125 Rn. 21).

[9] Abweichend[Handeln einer einzelnen Person ausreichend]: SSW/Fahl (Fn. 3 ), § 125 Rn. 5.

[10]  Vgl. AG Berlin-Tiergarten NJW 1988, 3218, 3219; Lampe ZStW 106 (1994), 683, 684; Meyer GA 2000, 459, 469.

[11]  Vgl. hierzu: Kuhli, in: Matt/Renzikowski, StGB (im Erscheinen), § 125 Rn. 9; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. (2010), § 125 Rn. 10.

[12]  Vgl. BGHSt 33, 306, 308; BGH NStZ 1993, 538; AG Berlin-Tiergarten NJW 1988, 3218, 3219; Schäfer, in: Münchener Kommentar StGB, 1. Aufl. (2005), § 124 Rn. 10 i.V.m. § 125 Rn. 10. – Vgl. aber: LG Frankfurt StV 1983, 463 f.

[13]  Vgl. Kostaras, Zur strafrechtlichen Problematik der Demonstrationsdelikte (1982), S. 85; MünchKomm/Schäfer (Fn. 13 ), § 124 Rn. 10 i.V.m. § 125 Rn. 11.

[14]  So z.B.: OLG Naumburg NJW 2001, 2034.

[15]  So z.B.: BGH NStZ 2002, 538 [Ausnahmen zulassend]; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1976, 167; OLG Düsseldorf NJW 1990, 2699, 2700; LG Nürnberg-Fürth StV 1984, 207.

[16]  Vgl. näher: Matt/Renzikowski/Kuhli (Fn. 12 ), § 125 Rn. 10.

[17]  Vgl. BGH NJW 1995, 2643, 2644; BGH NStZ 2000, 194; Matt/Renzikowski/Kuhli (Fn. 12 ), § 125a Rn. 1.

[18]  Vgl. Rudolphi JZ 1998, 471, 472; Krauß, in: Leipziger Kommentar StGB, 12. Aufl. (2009), § 125 Rn. 106.

[19]  BGHSt 43, 237, 238 = NJW 1998, 465, 466. – Vgl. Matt/Renzikowski/Kuhli (Fn. 12 ), § 125 Rn. 37.

[20]  BGHR § 125a Konkurrenzen 1; MünchKomm/Schäfer (Fn. 13 ), § 125a Rn. 47; Fischer (Fn. 2 ), § 125a Rn. 11.

[21]  SK/Rudolphi/Stein (Fn. 9 ), § 125a Rn. 19; NK/Ostendorf (Fn. 9 ), § 125a Rn. 10.

[22]  Vgl. Matt/Renzikowski/Kuhli (Fn. 12 ), § 125a Rn. 3.

[23]  Schönke/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben (Fn. 12 ), § 125a Rn. 18; SSW/Fahl (Fn. 3 ), § 125a Rn. 7.

[24]  Vgl. BGH NStZ 2000, 194 f.

[25]  Vgl. BGHSt 27, 56, 58 = NJW 1977, 304; BGH StV 1981, 74; BGH NStZ 2000, 194, 195; BayObLG NStZ-RR 1996, 101, 103; OLG Schleswig bei Lorenzen/Thamm SchlHA 1993, 222; SSW/Fahl (Fn. 3 ), § 125a Rn. 6; NK/Ostendorf § 125a (Fn. 9 ), Rn. 8. – Abweichend: OLG Karlsruhe StV 1998, 252, 255; Eisele, Die Regelbeispielsmethode im Strafrecht (2004), S. 351; Schönke/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben (Fn. 12 ), § 125a Rn. 6; SK/Rudolphi/Stein (Fn. 9 ), § 125a Rn. 15. – Offen gelassen in BGHSt (GrS) 48, 189, 194 f. = NStZ 2003, 435, 436.

[26]  Kindhäuser, StGB. Lehr- und Praxiskommentar, 4. Aufl. ( 2010 ), § 125a Rn. 2.

[27]  Vgl. BGHSt 42, 368, 370 = NJW 1997, 1083.

[28]  Vgl. BayObLG JR 1987, 466 (mit zust. Anm.: Dölling JR 1987, 467, 468); LG Berlin NStZ 1992, 37; Harnischmacher/Heumann, Die Staatsschutzdelikte in der Bundesrepublik Deutschland (1984), S. 119.

[29]  Veröffentlicht unter anderem in: NJW 2008, 3627; NStZ 2009, 83; HRRS 2008 Nr. 830.

[30]  Vgl. BGH NStZ 2000, 194 f.; BayObLG JR 1987, 466, 467.