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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Aug./Sept. 2011
12. Jahrgang
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Von Prof. Dr. jur. Hendrik Schneider, Universität Leipzig; Dr. med. Erik Strauß, Kopfzentrum Leipzig
Etwa 50 % der niedergelassenen Fachärzte beteiligen sich ausweislich einer Untersuchung aus dem Jahr 2009 an so genannten Anwendungsbeobachtungen (nachfolgenden AWB), die sie auf vertraglicher Grundlage überwiegend entgeltlich für Pharmaunternehmen durchführen.[1]
Seit einer Richtungsänderung in der Rechtsprechung im Jahr 2010[2], deren höchstrichterliche Bestätigung noch aussteht, gehen nunmehr auch niedergelassene Vertragsärzte[3] das strafrechtliche Risiko ein, im Zusammenhang
mit AWB wegen eines Korruptionsdeliktes verfolgt und gegebenenfalls zur Verantwortung gezogen zu werden. Das Oberlandesgericht Braunschweig war im Februar 2010 in einem umstrittenen[4] obiter dictum erstmals davon ausgegangen, niedergelassene Vertragsärzte seien als Beauftragte der Krankenkassen taugliche Täter des Straftatbestandes der Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr gem. § 299 StGB. Auf der Grundlage dieses Beschlusses sahen sich in der Folgezeit immer mehr Staatsanwaltschaften dazu veranlasst, Ermittlungsverfahren gegen Mitarbeiter von Pharmaunternehmen und Vertragsärzte wegen des Verdachts der Bestechung/Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr (§ 299 StGB) einzuleiten. Seit Oktober 2010 kam es zu ersten, auf die Verwirklichung des § 299 StGB gestützten Verurteilungen [5], die teilweise rechtskräftig geworden sind. Im Mai 2011 oblag es sodann dem 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs, zu der Frage der Anwendung des § 299 StGB auf Vertragsärzte höchstrichterlich Stellung zu beziehen. [6] Anstatt des erwarteten Urteils in dem die Verordnung von Hilfsmitteln (§§ 33, 73 Abs. 2 Nr. 7 SGB V) betreffenden Fall, entschied sich der 3. Senat für einen Vorlagebeschluss gemäß § 132 Abs. 4 GVG, so dass nunmehr eine abschließende Klärung durch den Großen Senat aussteht. Nach Auffassung des 3. Senats ist der Vertragsarzt (zumindest bei der Verordnung von Hilfsmitteln) Amtsträger im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2c StGB und kann daher sogar wegen der schwerwiegenderen Amtsdelikte der §§ 331 ff. StGB zur Verantwortung gezogen werden. Auf die Revision eines Beschuldigten im Verfahren des LG Hamburg hat nunmehr auch der 5. Strafsenat mit Beschluss vom 20. Juli 2011 die Sache nach § 132 Abs. 4 GVG dem Großen Senat für Strafsachen zur Entscheidung vorgelegt. Der Senat, der über die Fallkonstellation einer Arzneimittelverschreibung zu entscheiden hat, stimmt "dem Ansatz des 3. Senats zu".[7] Er will durch die unterschiedliche Fallkonstellation eine Vertiefung der zu erörternden Rechtsfragen erreichen und die Entscheidung des Großen Senates in Strafsachen auf eine breitere Grundlage stellen.
Nach Auffassung der Verfasser schließt die freiberufliche Tätigkeit des Vertragsarztes die Amtsträgerstellung aus. Vertragsärzte sind nicht mit Amtsärzten oder Anstaltsärzten gleichzustellen und werden auch in der Bevölkerung nicht als Amtsträger wahrgenommen. [8] Zudem wäre die Subsumtion des niedergelassenen Vertragsarztes unter § 11 Abs. 1 Nr. 2c StGB nicht ohne Bruch mit der bisherigen Rechtsprechung möglich, die vom 5. Strafsenat insbesondere im so genannten Kölner Müllskandal [9] fortgeschrieben wurde. Neben diesen strafrechtsdogmatischen Hürden würde die Eröffnung des Anwendungsbereichs der §§ 331 ff. StGB die Rechtspraxis vor erhebliche Schwierigkeiten stellen. Insbesondere ist fraglich, wer für die sogenannte Dienstherrengenehmigung gemäß § 331 Abs. 3 StGB zuständig ist und unter welchen Voraussetzungen diese erteilt werden darf. Wie der Große Senat entscheiden wird, bleibt deshalb abzuwarten. Erst dann wird ggf. auch eine differenzierte Auseinandersetzung mit den insbesondere vom 3. Strafsenat angeführten Argumenten im Zusammenhang mit der Anwendung des § 11 Abs. 1 Nr. 2c StGB erforderlich sein. Für die Praxis ist allerdings offensichtlich, dass sich die Schlinge des Korruptionsstrafrechts um den Hals des Vertragsarztes allmählich zu zieht, so dass schon jetzt vorrangig die etablierten und wissenschaftlich notwendigen Kooperationsformen zwischen niedergelassenen Vertragsärzten und Unternehmen der Medizinprodukteindustrie im Hinblick auf ihre strafrechtlichen Risiken zu überprüfen sind.
Soweit der Anwendungsbereich der §§ 331 ff. StGB oder der §§ 299 f. StGB eröffnet wäre, stellt sich sowohl im Rahmen des § 299 StGB als auch bei §§ 331 ff. StGB die Frage, ob die auf der Grundlage gegenseitiger Verträge gezahlte Vergütung einer AWB einen tatbestandsmäßigen Vorteil darstellt. Die höchstrichterliche Rechtsprechung [10] bejaht auch diese Frage entgegen verschiedener Stimmen [11] im strafrechtswissenschaftlichen Schrifttum. Der Begriff des Vorteils wird zwar als Leistung definiert, auf die der Empfänger keinen Anspruch hat. [12] Dies schließt es nach der Rechtsprechung aber nicht aus, den Leistungsaustausch auf der Grundlage gegenseitiger Verträge in den Anwendungsbereich der Tatbestände des Korruptionsstrafrechts einzubeziehen. Denn diese Straftatbestände sollen nicht durch Vertragskonstruktionen ausmanövriert werden können. Daher sei bereits die Vertragsofferte als Vorteil zu klassifizieren. Schließlich habe der Vorteilsempfänger auf das Vertragsangebot keinen Anspruch.
Ob eine zulässige Kooperation oder eine strafbewehrte Beeinflussung des ärztlichen Verschreibungsverhaltens gegeben ist, unterliegt daher sowohl im Anwendungsbereich des § 299 StGB als auch bei § 331 StGB der Einschätzungsprärogative der zuständigen Staatsanwälte und Richter, die anhand einer Gesamtabwägung der festgestellten Umstände zu prüfen haben, ob eine so
genannte Unrechtsvereinbarung vorliegt. Bei dieser plastisch auch "Parallelvereinbarung"[13] genannten Abrede zwischen Vorteilsnehmer und Vorteilsgeber gehen die Parteien davon aus, dass der Vertrag über die Durchführung der AWB nur der "Tarnung" der eigentlichen Absprache dient, das Verschreibungs- oder Bestellverhalten des Vorteilsnehmers und damit die Diensthandlung bzw. die unlautere Bevorzugung des Vorteilsgebers im Wettbewerb zu honorieren. [14] Da ein derartiger "Vertrag neben dem Vertrag" außer im Fall eines Geständnisses oder bei Äußerungen der Beteiligten in der beschlagnahmten Korrespondenz bzw. bei abgehörten Telefonaten kaum direkt nachweisbar ist, spielen Indizien bei der Beweiswürdigung eine zentrale Rolle. In diesem Zusammenhang haben die Ermittlungsbehörden auch die wissenschaftliche Werthaltigkeit der Studien und die Angemessenheit der gezahlten Vergütung zu berücksichtigen und sind auf medizinischen Sachverstand angewiesen.
In der Praxis führt dies schon jetzt dazu, dass sich die mit Ermittlungsverfahren überzogenen Vertragsärzte von einem weitergehenden strafrechtlichen Verfolgungsrisiko durch die Zahlung einer Geldauflage nach § 153a StPO freikaufen, weil AWB pauschal als Marketinginstrumente ohne wissenschaftlichen Wert eingestuft werden, eine Position, die nicht nur von manchen Juristen, sondern bisweilen auch von Ärzten [15] eingenommen wird. Genährt wird diese Vorstellung von in der Praxis durchaus vorkommenden Fallkonstellationen, in denen Pharmaunternehmen hohe Honorare für vergleichsweise banale standardisierte Erhebungen zahlen, die nachweislich nur in der Finanzbuchhaltung der Pharmaunternehmen zusammen mit der Rechnung des Arztes verwahrt, nicht aber wissenschaftlich ausgewertet werden. [16] Andererseits sind AWB nach Auffassung der Autoren unverzichtbare Instrumente der wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung. Denn nicht nur im so genannten Contergan Skandal, sondern auch in zahlreichen anderen, weniger prominenten Fällen (z.B. dem Diabetes-Mittel Avandia, dem Schlankheits-Medikament Acomplia oder des der Senkung der Blutungsneigung dienenden Arzneimittels Trasylol) zeigten sich wesentliche Nebenwirkungen erst aufgrund von Untersuchungen nach der Zulassung eines Fertigarzneimittels, so dass die Produkte wieder vom Markt genommen werden mussten. Mit Blick auf die für eine zivilrechtliche Haftung des Arzneimittelherstellers maßgebliche Produktbeobachtungspflicht (vgl. § 84 AMG) wird man sogar von einer Obliegenheit ausgehen müssen, die in den Verkehr gebrachten Medikamente fortgesetzt im Hinblick auf mögliche Nebenwirkungen durch AWB zu überprüfen.[17] Eine pauschale Kriminalisierung von AWB widerspricht schließlich der Wertentscheidung des Gesetzgebers, der in § 67 Abs. 6 AMG im Anschluss an europarechtliche Vorgaben[18], die jüngst präzisiert worden sind[19], arzneimittelrechtliche Voraussetzungen für die Durchführung derartiger Studien postuliert.[20] Im Ergebnis ist daher eine differenzierende Betrachtung erforderlich, die Medizinern und Juristen eine zuverlässige Grenzziehung zwischen rechtlich problematischen und rechtssicheren AWB ermöglicht.
Das Arzneimittelgesetz unterscheidet zwischen klinischen Prüfungen[21] und nichtinterventionellen Prüfungen, die in der Praxis nichtinterventionelle Studien (NIS) genannt werden. In der Fachliteratur wird der Begriff der AWB, den das Arzneimittelgesetz in § 67 Abs. 6 S. 1 AMG verwendet, teilweise als Synonym für nichtinter-
ventionelle Studien gebraucht. [22] Teilweise werden AWB auch als Unterfälle von NIS angesehen. [23]
Klinische Prüfungen (in der Humanmedizin) sind in § 4 Abs. 23 AMG legaldefiniert als
"am Menschen durchgeführte Untersuchung, die dazu bestimmt ist, klinische oder pharmakologische Wirkungen von Arzneimitteln zu erforschen oder nachzuweisen oder Nebenwirkungen festzustellen oder die Resorption, die Verteilung, den Stoffwechsel oder die Ausscheidung zu untersuchen, mit dem Ziel, sich von der Unbedenklichkeit oder Wirksamkeit der Arzneimittel zu überzeugen".
Die Voraussetzungen der klinischen Prüfung sind in den §§ 40 ff. AMG geregelt. Die klinische Prüfung, bei der zwischen drei Phasen[24] unterschieden wird, ist eine Zulassungsvoraussetzung für zulassungspflichtige Arzneimittel und fällt daher in der Regel in den Zeitraum vor der Zulassung.
Eine nichtinterventionelle Prüfung ist gemäß § 4 Abs. 23 S. 2, 3 AMG demgegenüber
"eine Untersuchung, in deren Rahmen Erkenntnisse aus der Behandlung von Personen mit Arzneimitteln anhand epidemiologischer Methoden analysiert werden; dabei folgt die Behandlung einschließlich der Diagnose und Überwachung nicht einem vorab festgelegten Prüfplan, sondern ausschließlich der ärztlichen Praxis; soweit es sich um ein zulassungspflichtiges oder nach § 21a Absatz 1 genehmigungspflichtiges Arzneimittel handelt, erfolgt dies ferner gemäß den in der Zulassung oder der Genehmigung festgelegten Angaben für seine Anwendung".
Von nichtinterventionellen Prüfungen, für die die einschränkenden Voraussetzungen der §§ 40 ff. AMG nicht gelten, spricht man daher nur bei Studien, die nach der Zulassung des Arzneimittels durchgeführt werden.[25] Abgrenzungsschwierigkeiten bestehen insofern aber zwischen NIS und klinischen Prüfungen der Phase IV (so genannte Post-Authorisation Safety Study (PASS), die in § 42b Abs. 2 AMG als "klinische Prüfung mit einem bereits zugelassenen oder für das Inverkehrbringen genehmigten Arzneimittel" erfasst sind. Das zentrale Abgrenzungskriterium zwischen den klinischen Prüfungen der Phase IV und den der Fallgruppe der nichtinterventionellen Prüfungen zuzuordnenden nichtinterventionellen Sicherheitsstudien (NISS) besteht gemäß § 4 Abs. 23 S. 2 AMG im methodischen Ansatz der empirischen Untersuchung: Die nichtinterventionelle Prüfung verwendet keinen Prüfplan und ist in der Regel auch nicht als Vergleichsgruppenuntersuchung ausgerichtet, bei der Patienten bestimmten Behandlungsarmen systematisch zugeordnet werden, sondern sie bedient sich epidemiologischer Methoden. Hierunter fallen insbesondere Querschnittsstudien, Längsschnitts- bzw. Kohortenstudien, deren gemeinsame Rahmenbedingungen in der Registrierung und Dokumentation von Erfahrungen mit dem Einsatz des Medikaments in der Population bestehen und weder von der Diagnostik, noch von der therapeutischen Intervention her über diejenigen Maßnahmen hinausgehen, die für die Behandlung des Patienten erforderlich und üblich sind. Sie sind gemäß § 67 Abs. 6 S. 1 AMG dazu bestimmt " Erkenntnisse bei der Anwendung zugelassener oder registrierter Arzneimittel zu sammeln" und können gem. § 22 Abs. 3 AMG im Rahmen des Zulassungsverfahrens eines anderen Arzneimittels als "anderes wissenschaftliches Erkenntnismaterial" verwendet werden. Gleichwohl gibt es Überschneidungen zwischen NISS und klinischen Prüfungen im Sinne des § 42b Abs. 2 AMG, die den Pharmaunternehmen Entscheidungsspielräume belassen, ob eine bestimmte Untersuchung nach der Zulassung des Arzneimittels arzneimittelrechtlich als klinische Prüfung oder als nichtinterventionelle Prüfung ausgestaltet werden soll.
Ein wesentlicher Indikator für das Vorliegen einer strafrechtlich unbedenklichen AWB besteht zunächst im Vorliegen der in § 67 Abs. 6 AMG genannten formellen Voraussetzungen für die Durchführung der Untersuchung. Die dort postulierten Meldepflichten werden durch die Hinweise der in § 67 Abs. 6 AMG genannten Adressaten konkretisiert. Der GKV Spitzenverband hält auf seiner Homepage ein Meldeformular vor, das seitens des die AWB planenden Pharmaunternehmens bei der Neuanlage und bei einer Änderung oder Erweiterung der AWB genutzt werden soll [26] und in dem unter anderem der Zeitraum der AWB, ihr Ziel, die Anzahl der Patienten, die teilnehmenden Ärzte sowie der Beobachtungsplan anzufügen sind. Der Meldung ist ein Mustervertrag mit den teilnehmenden Ärzten beizufügen.
Der an der AWB teilnehmende Arzt ist gut beraten, sich vor der Ausführung der Studie eine Kopie der entsprechenden Meldungen vorlegen zu lassen. Er kann sich hierdurch versichern, dass die formellen Voraussetzungen für die Durchführung der AWB eingehalten wurden. Außerdem wird durch die Meldepostulate des § 67 Abs. 6 AMG den allgemeinen Präventionsprinzipen Rechnung getragen, deren Einhaltung in der Praxis ein gewichtiges
Indiz gegen die Unrechtsvereinbarung darstellt. Die bei der Meldung erforderlichen Angaben sichern die notwendige Transparenz der Vertragsbeziehung zwischen Arzt und Pharmaunternehmen. Da die Meldung schriftlich erfolgt, wird gleichzeitig dem Dokumentationsprinzip Rechnung getragen.
Hinsichtlich der methodischen Vorgehensweise bei der Durchführung von AWB ergeben sich wertvolle Hinweise aus den "Gemeinsamen Empfehlungen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte und des Paul-Ehrlich-Instituts zur Planung, Durchführung und Auswertung von Anwendungsbeobachtungen".[27]
Dort wird hervorgehoben, dass Anwendungsbeobachtungen eine eindeutige wissenschaftliche Fragestellung zugrunde liegen muss. Aufgrund des Wortlauts des § 67 Abs. 6 AMG wäre daher zumindest anzugeben, welche Erkenntnisse bei der Anwendung des Arzneimittels gesammelt werden sollen (z.B. Akzeptanz und Patienten-Compliance oder Adhärenz, Feststellung bestimmter unerwünschter Wirkungen, bei Generika Feststellung der Wirkäquivalenz zum Original oder zu anderen Anbietern, Evaluation der Wirkungen bei einem Wechsel bestimmter Therapieformen usw.). Gegebenenfalls ist als Ausgangspunkt der gegenwärtige Forschungsstand anzugeben. Aus der Fragestellung können sodann die maßgeblichen Forschungshypothesen abgeleitet werden, deren Variablen zu operationalisieren sind. Ferner sind die in die Untersuchung einbezogene Population und die Dauer der Datenerhebungsphase eindeutig anzugeben und in einem "Beobachtungs- oder Studienplan" schriftlich zu fixieren.
Um den arzneimittelrechtlichen Vorgaben gerecht zu werden, muss die Verordnung des Arzneimittels ferner von der Entscheidung über den Einbezug des Patienten in die Studie abgekoppelt werden. Allerdings ist es nach Auffassung der Verfasser nicht erforderlich, nur solche Patienten in das Sample einzubeziehen, die schon vor Studienbeginn mit dem betreffenden Arzneimittel behandelt wurden. Dies gilt insbesondere für wissenschaftliche Fragestellungen, welche sich mit expliziten Fragen zum Therapiebeginn, einer in der medikamentösen Behandlung häufig kritischen Phase, auseinandersetzen. Dem Trennungsprinzip kann aber dadurch Rechnung getragen werden, dass die Therapieentscheidungen streng an der Indikation festgemacht werden und erst dann die Entscheidung fällt, den Patienten für die Studie zu rekrutieren. Ein Indikator für diese Unabhängigkeit der Therapiewahl von der Studienteilnahme besteht in der Analyse des Verordnungsverhaltens vor und während der Studie bzw. dem Vergleich mit der Fachgruppe. Steigt die Verordnungshäufigkeit einer Substanz während der AWB an, wäre dies ein Hinweis für eine Beeinflussung des Arztes.
Dem an der Studie teilnehmenden Arzt sind Ansprechpartner für die Datenauswertung, Berichts- und Meldewege sowie die geplante Vorgehensweise bei der Datenauswertung vor Studienbeginn in einem "Auswertungsplan" mitzuteilen. Die Ergebnisse der AWB sind an geeigneter Stelle zu publizieren, damit diese transparent und dem wissenschaftlichen Diskurs zugänglich sind. Es ist zu empfehlen, in den Verträgen über AWB auch die Verpflichtung des Pharmaunternehmens aufzunehmen, dem Arzt derartige Publikationen nach ihrem Erscheinen zukommen zu lassen.
Eine Achillesferse bei der strafrechtlichen Bewertung wird insbesondere die Adäquanz der Vergütung darstellen. Nach § 67 Abs. 6 S. 3 AMG sollen Art und Höhe der Vergütung so bemessen werden, dass kein Anreiz für eine bevorzugte Verschreibung oder Empfehlung bestimmter Arzneimittel entsteht. Derartige Formulierungen finden sich auch in den Kodices der Pharmabranche, vgl. § 19 Abs. 7 FSA Kodex Fachkreise und § 18 Abs. 5 AKG Verhaltenskodex. Ob eine Vergütung einen Anreiz darstellt oder nicht, wird aber von den finanziellen Verhältnissen des jeweiligen Arztes und seiner "work-life-balance" abhängen und nicht ausschließlich von der Höhe des vereinbarten Stundensatzes. In jedem Fall eröffnen AWB dem Vertragsarzt die Möglichkeit, außerhalb des GKV Budgets Einkommen zu erzielen, so dass immer ein gewisser Anreiz bestehen dürfte, möglichst viele Patienten in die AWB einzubeziehen und die durch das Gebührenrecht stark reglementierten und limitierten Einkommensmöglichkeiten auszuweiten.
Unter einem strafrechtlichen Blickwinkel kommt es insbesondere darauf an, ob die Höhe der Vergütung, die für die AWB gezahlt wird, ein Indiz für die Unrechtsvereinbarung im Sinne der §§ 299, 331 StGB darstellt. Daher greift hier nicht die marktwirtschaftliche Preisbildungstheorie, nach der die Vergütung eine Funktion aus Angebot und Nachfrage nach dem Produkt "wissenschaftliche Dienstleistung im Rahmen der Durchführung einer AWB" darstellt, sondern es kommt auf die Vergleichbarkeit mit den Honoraren für ähnliche Tätigkeiten an. Ist diese Vergleichbarkeit gewahrt, ist dies ein Indiz gegen die Unrechtsvereinbarung, denn es liegt nahe, dass ausschließlich die Dienstleistung im Zusammenhang mit der AWB und nicht das Verschreibungsverhalten honoriert wurde. Fällt die Vergütung demgegenüber deutlich höher aus, als die Einnahmemöglichkeiten für vergleichbare ärztliche Tätigkeiten, kann dies demgegenüber ein Indiz für die Unrechtsvereinbarung darstellen. Aus diesen Gründen ist es sinnvoll, die Vergütung für AWB an der ärztlichen Gebührenordnung zu orientieren, wie dies auch in den Kodices und einschlägigen Veröffentlichungen empfohlen wird. Das Ausfüllen des Dokumentationsbogens und die sonstigen Dienstleistungen im Zusammenhang mit einer AWB sind vergleichbar mit "schriftlichen gutachterlichen Äußerungen" im Sinne von GOÄ-Nr. 80, die mit 17,49 Euro (1-fach) – 40,22 Euro (2,3-fach, max.3,5-fach) vergütet werden und bei denen ein Zeitaufwand von 15-20 Minuten zugrunde gelegt
wird.[28] Bei höherem Zeitaufwand kann auf GOÄ-Nr. 85 zurückgegriffen werden, die je angefangene Stunde Arbeitszeit 29,14 Euro (1-fach) – 67,03 Euro (2,3-fach) vorsieht. Zudem können entsprechend GOÄ-Nr. 9 Schreibgebühren von je angefangener DIN A 4-Seite 3,50 Euro bzw. Kosten für Kopien in Höhe von 0,17 Euro berechnet werden.
Vertragsärzte werden zunehmend in das Visier der Ermittlungsbehörden kommen. Dem Umfang der Ermittlungstätigkeit werden Grenzen vor allem durch die Ressourcen der auf Medizinstrafrecht spezialisierten Einheiten der Polizei und Staatsanwaltschaft gesetzt und es wird in der Praxis vom Zufall (whistle-blowing eines Wettbewerbers oder Kollegen usw.) abhängen, ob sich Pharmaunternehmen und Ärzte gegenüber Korruptionsvorwürfen rechtfertigen müssen. Deshalb kommt der Präventivverteidigung eine besondere Bedeutung zu. Insbesondere die mit den strafrechtlichen Risiken des Berufs wenig vertrauten Vertragsärzte aber auch Justiziare und Leitungspersonen in Kliniken sollten vor Aufnahme einer Kooperation mit der Medizinprodukteindustrie die einschlägigen Rechtsgrundlagen sorgfältig prüfen oder prüfen lassen. Bei AWB ist eine fächerübergreifende Beurteilung der Rechtmäßigkeit und strafrechtlichen Unbedenklichkeit erforderlich. Denn die wissenschaftliche Werthaltigkeit der Untersuchung, die Kohärenz von Fragestellung, Erhebungs- und Auswertungsmethode wird der Jurist nicht zuverlässig einzuschätzen wissen, während für die hier angesprochenen Fragen des Arzneimittelrechts und des Strafrechts wiederum der Mediziner nicht ausgewiesen ist.
Derartige Präventionsmaßnahmen sind aufwändig und erzeugen Reibungsverluste. Sie sind aber erforderlich, um dem Zugriff des hypertrophierenden Strafrechts zu begegnen und Arzt und Pharmaunternehmer bzw. den verantwortlichen Vertriebsmitarbeiter rechtlich abzusichern. Ob die geschilderte Entwicklung und die sich abzeichnende Ausweitung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Vertragsärzte allerdings zu einem besseren Gesundheitswesen führt oder "harte Vertriebskorruption" wirksam eindämmt, mag bezweifelt werden.
[1] Lieb/Brandtönies Dtsch Ärztebl Int 2010, 392, 394.
[2] OLG Braunschweig NStZ 2010, 392 ff. = StV 2010, 198 ff. = wistra 2010, 280 ff.
[3] In Krankenhäusern tätige Ärzte sind je nach Trägerschaft des Krankenhauses Amtsträger im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2c StGB (bzw. bei verbeamteten Ärzten gem. § 11 Abs. 1 Nr. 2a StGB) oder als Angestellte des geschäftlichen Betriebs "Krankenhaus" taugliche Täter des Tatbestands des § 299 StGB. Letzteres gilt auch für die in MVZ angestellten, in die vertragsärztliche Versorgung einbezogenen Ärzte; vgl. hierzu umfassend Schneider, in: Boemke/Schneider, Korruptionsprävention im Gesundheitswesen, 1. Aufl. (2011), S. 31 ff. Diese Ärzte konnten sich schon nach bisheriger Rechtslage wegen eines Korruptionsdeliktes strafbar machen, näher Schneider , in: Schneider u.a. (Hrsg.), Festschrift für Manfred Seebode ( 2008), S. 331 ff.
[4] Schneider HRRS 2010, 241 ff.; ders. StV 2010, 366 ff.; Steinhilper MedR 2010, 499 ff.; Dieners PharmR 2010, 232 ff.; Dannecker GesR 2010, 281 ff.; Brockhaus/Dann/Teubner/Tsambikakis wistra 2010, 234 ff.; Kölbel NStZ 2011, 195 ff. Insgesamt werden bei juris 34 Urteilsanmerkungen und Besprechungsaufsätze zitiert, die dem obiter dictum des OLG Braunschweig, wie der 3. Strafsenat des BGH hervorhebt, überwiegend kritisch gegenüber stehen.
[5] AG Ulm, Urt. v. 26. Oktober 2010, 3 Cs 37 Js 9933/07; LG Hamburg GesR 2011, 164 ff.
[6] BGH, Beschl. v. 05. Mai 2011, 3 StR 458/10.
[7] BGH, Beschl. v. 20. Juli 2011, 5 StR 115/11, S. 9.
[8] Tsambikakis, in: Leipold/Tsambikakis/Zöller, AnwaltKommentar StGB, 1. Aufl. (2011), § 11 Rn. 42. Zu dem für die teleologische Auslegung nach Auffassung der Rechtsprechung im Rahmen einer "Gesamtwürdigung" beachtlichen Kriterium der "Wahrnehmung durch die Bevölkerung", vgl. BGHSt 49, 214 ff. = HRRS 2004 Nr. 800; BGH NJW 2007, 2932 ff. = HRRS 2007 Nr. 561.
[9] BGH NJW 2006, 925 ff. = HRRS 2006 Nr. 123.
[10] BGH NStZ-RR 2003, 171 ff. = StV 2003, 500 ff.
[11] Schneider a.a.O. (Fn. 3), S. 347 ff.; Lüderssen JZ 1997, 112 ff.; ders., Die Zusammenarbeit von Medizinprodukteindustrie, Krankenhäusern und Ärzten – strafbare Kollusion oder sinnvolle Kooperation? (1998), S. 39.
[12] Ständige Rechtsprechung, vgl.: BGHSt 47, 295, 304; OLG Karlsruhe NJW 2001, 907; OLG Köln MedR 2002, 413, 414.
[13] Geiger A&R 2009, 203, 210.
[14] Die Branchenkodices sehen deshalb explizit ein Verbot so genannter Scheinverträge vor, vgl. § 18 Abs. 1 Nr. 2 FSA Kodex Fachkreise (vgl. hierzu eingehend Geiger A&R 2008, 196 f.; ders. PharmR 2007, 364, 371 f.) sowie § 17 Abs. 2 AKG-Verhaltenskodex; vgl. nur Bienert/Hein, Auf einen Blick. Pharma-Verhaltenskodex in der Praxis. Ein alphabetischer Leitfaden (2009), S. 105ff.
[15] Bausch Dtsch Ärztebl Int 2010, 390.
[16] Zum Zusammenhang zwischen der Anzahl der Anwendungsbeobachtungen und dem Preis der Medikamente, vgl. Böse/Mölders MedR 2008, 585 ff. Nicht zum Gegenstand dieses Aufsatzes gehören neuerdings am Markt zu beobachtende Strategien, nach denen Pharmaunternehmen so genannte "Gesundheitsökonomische Erhebungen" durchführen und den Arzt gegen Entgelt über sein Verordnungsverhalten befragen oder ihm hospitieren. Eine Sonderstellung nehmen ferner so genannte "Therapieregister" ein. Bei diesen wird der Arzt gegen Entgelt gebeten, Informationen über die Verträglichkeit des Medikaments und über die Vigilanz bzgl. wesentlicher Forderungen der Zulassung in ein Online-Portal einzugeben. Derartige Informationen sind für beide Seiten und letztlich auch für die Patientensicherheit von Vorteil. Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass dieser neuere Weg insbesondere deshalb eingeschlagen wird, um die strengeren Vorschriften der AWB (§ 67 Abs. 6 AMG) nicht beachten zu müssen.
[17] Sickmüller/Breitkopf Pharm. Ind 2009, 764, 766.
[18] Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 06. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel, ABl. L 311 vom 28. November 2001.
[19] Richtlinie 2010/84/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2010 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel hinsichtlich der Pharmakoviglianz.
[20] § 67 Abs. 6 AMG lautet: "D er pharmazeutische Unternehmer hat Untersuchungen, die dazu bestimmt sind, Erkenntnisse bei der Anwendung zugelassener oder registrierter Arzneimittel zu sammeln, den kassenärztlichen Bundesvereinigungen, dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen sowie der zuständigen Bundesoberbehörde unverzüglich anzuzeigen. Dabei sind Ort, Zeit, Ziel und Beobachtungsplan der Anwendungsbeobachtung anzugeben sowie gegenüber der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen die beteiligten Ärzte namentlich zu benennen. Entschädigungen, die an Ärzte für ihre Beteiligung an Untersuchungen nach Satz 1 geleistet werden, sind nach ihrer Art und Höhe so zu bemessen, dass kein Anreiz für eine bevorzugte Verschreibung oder Empfehlung bestimmter Arzneimittel entsteht. Sofern beteiligte Ärzte Leistungen zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbringen, sind bei Anzeigen nach Satz 1 auch die Art und die Höhe der an sie geleisteten Entschädigungen anzugeben sowie jeweils eine Ausfertigung der mit ihnen geschlossenen Verträge zu übermitteln; hiervon sind Anzeigen gegenüber den zuständigen Bundesoberbehörden ausgenommen."
[21] Zu der Problematik der von pharmazeutischen Unternehmen finanzierten Arzneimittelstudien, vgl. Schott/Pachl/Limbach/Gundert-Remy/Ludwig/Lieb Dtsch Ärztebl Int 2010, 279 ff.
[22] Böse/Mölders MedR 2008, 585.
[23] Diener/Klümper PharmR 2010, 433, 434; § 19 Abs. 1 FSA Kodex Fachkreise: " Nichtinterventionelle Studien, zu denen auch Anwendungsbeobachtungen gehören, sind prospektive Untersuchungen, in deren Rahmen Erkenntnisse aus der Behandlung von Patienten mit Arzneimitteln gemäß den in der Zulassung festgelegten Angaben für seine Anwendung gewonnen werden (z.B. zur Unbedenklichkeit oder Wirksamkeit von Arzneimitteln)".
[24] Schneider a.a.O. (Fn. 3), S. 72; Albus, Die Zusammenarbeit zwischen Industrie und Ärzten an medizinischen Hochschuleinrichtungen – unter dem Verdacht der Vorteilsannahme und Bestechlichkeit gem. §§ 331, 332 StGB (2007), S. 30.
[25] Vgl. auch § 18 Abs. 1 AKG Verhaltenskodex: "Anwendungsbeobachtungen sind wissenschaftliche Untersuchungen in den genehmigten Anwendungsgebieten nach der Zulassung oder Registrierung eines neuen Arzneimittels ...".
[26] http://www.gkv-spitzenverband.de/upload/Erläuterung_zum_Meldeformular122009_10485.pdf.
[27] Eine Entwurfsfassung der "Gemeinsamen Empfehlungen" ist veröffentlicht in KliFoRe 2007, 95 ff.
[28] Diener/Klümper PharmR 2010, 433, 438.