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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
April 2011
12. Jahrgang
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1. Ein Gericht darf strafmildernd berücksichtigen, dass der Angeklagte selbst als Kind mit der Gewalt erzogen wurde, die er sein Kind gegenüber bei der Tat einsetzte, ohne sie schwer verletzen zu wollen. Es darf der Strafzumessung allerdings nicht zu Gunsten des Angeklagten zugrunde legen, dass er diese in seinem Heimatland übliche Form der Kindeserziehung seit frühester Kindheit als erlaubt verinnerlicht und sie so auch bei seinem eigenen Kind angewendet habe. Solche Vorstellungen eines aus einer ausländischen Rechtsordnung stammenden Täters können zwar grundsätzlich strafmildernd zu Buche schlagen (vgl. BGH NStZ 1996, 80). Dies liegt allerdings bei einem Täter wie dem Angeklagten, der seit vielen Jahren in Deutschland lebt, zwei Studiengänge erfolgreich abgeschlossen hat, in einem anerkannten Beruf arbeitet und die deutsche Rechtsordnung kennt, nicht auf der Hand. Es ist ohne Weiteres zu erwarten,
dass ein in Deutschland seit vielen Jahren lebender ausländischer Mitbürger die Ge- und Verbote der hier geltenden und ihm bekannten Rechtsordnung akzeptiert und insoweit in der Lage ist, sich von abweichenden Vorstellungen und Erfahrungen in seinem Heimatland freizumachen.
2. Der Versuch, sich der Strafverfolgung zu entziehen, darf zwar nicht straferschwerend zu Lasten eines Angeklagten herangezogen werden (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Nachtatverhalten 13, 17). Dazu zählt auch die bloße Spurenbeseitigung, selbst wenn sie kaltblütig ist (vgl. BGH StV 1995, 131). Anders ist dies allerdings, wenn das Nachtatverhalten neues Unrecht schafft oder der Täter Ziele verfolgt, die ein ungünstiges Licht auf ihn werfen. So aber liegt der Fall, wenn der Täter versucht, den Leichnam des von ihm getöteten Kindes auszugraben und in sein Heimatland zu verschiffen, um den Behörden ein Versterben des Kindes in diesem Land vorzutäuschen.
Zwar können Umstände, welche die Schuld erhöhen, zur Versagung der Strafrahmenmilderung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB führen, wenn sie die infolge der Herabsetzung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit verminderte Tatschuld aufwiegen. Dies kann bei einer alkoholbedingten Verminderung der Schuldfähigkeit dann der Fall sein, wenn sie auf einer selbst zu verantwortenden, verschuldeten Trunkenheit beruht, die dem Täter uneingeschränkt vorwerfbar ist. Dabei ist regelmäßig ohne Belang, ob der Angeklagte schon früher unter Alkoholeinfluss vergleichbare Straftaten begangen hat. Ein die Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigender Alkoholrausch ist aber dann nicht verschuldet, wenn der Täter alkoholkrank oder alkoholüberempfindlich ist. Eine Alkoholerkrankung, bei der schon die Alkoholaufnahme nicht als ein die Schuld erhöhender Umstand zu werten ist, liegt regelmäßig vor, wenn der Täter den Alkohol aufgrund eines unwiderstehlichen oder ihn weitgehend beherrschenden Hanges trinkt, der seine Fähigkeit, der Versuchung zum übermäßigen Alkoholkonsum zu widerstehen, einschränkt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 12. Juni 2008 - 3 StR 84/08).
Die Unterbringung nach § 64 StGB geht dieser dem Vollstreckungsverfahren vorbehaltenen Maßnahme gemäß § 35 BtMG vor; von der Anordnung der Unterbringung darf daher nicht abgesehen werden, weil eine Entscheidung nach § 35 BtMG ins Auge gefasst ist (st. Rspr.). Hieran hat sich durch die Neufassung des § 64 StGB durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 grundsätzlich nichts geändert. Zwar ist die Maßregel nach der Neufassung der Vorschrift nicht mehr zwingend anzuordnen. Das Gericht muss jedoch das ihm nunmehr in § 64 Satz 1 StGB eingeräumte Ermessen auch tatsächlich ausüben und dies in den Urteilsgründen kenntlich machen (vgl. BGH NStZ-RR 2008, 73 f.).
1. Eine sicher zu vollstreckende Strafe durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union, die an innerstaatlichen Maßstäben gemessen gesamtstrafenfähig wäre, ist im Rahmen der allgemeinen Strafzumessung mit Blick auf das Gesamtstrafübel zu berücksichtigen (vgl. Senat, Beschluss vom 27. Januar 2010 - 5 StR 432/09, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 19).
2. Dies gilt auch, wenn auf eine Jugendstrafe zu erkennen ist, sofern die Jugendstrafe mangels kaum noch möglicher Erziehung des Angeklagten nicht – wie es § 18 Abs. 2 JGG an sich gebietet – an der Zeitdauer der erforderlichen erzieherischen Einwirkung ausgerichtet werden kann, sondern auf Schuldgesichtspunkte abzustellen ist. In einem solchen Fall ist auch bei der Bemessung einer Jugendstrafe Raum für die Berücksichtigung eines im allgemeinen strafzumessungsrechtlichen Sinne verstandenen Gesamtstrafübels.
1. Bis zur Erledigung des laufenden Anfrageverfahrens nach § 132 GVG zu den Auswirkungen der jüngeren EGMR-Rechtsprechung auf die Fortdauer von Unterbringungen in der Sicherungsverwahrung sind die Akten in gleichgelagerten Anfrageverfahren, die wegen möglicher gleicher Entscheidungserheblichkeit des Anfragegegenstandes bis zur Erledigung des Anfrageverfahrens zu ruhen haben, den vorlegenden Oberlandesgerichten zurückgegeben.
2. Dies gilt auch, soweit die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach § 67a Abs. 2 Satz 1 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus vollzogen wird, denn die Rechtsnatur der angeordneten Maßregel ändert sich durch die Überweisung in den Vollzug einer anderen Maßregel nicht.
Im Fall der nachträglichen Gesamtstrafenbildung sind Maßnahmen, auf die in der früheren Entscheidung erkannt war, aufrechtzuerhalten, soweit sie nicht durch die neue Entscheidung gegenstandslos werden (§ 55 Abs. 2 StGB). Darüber hinaus ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass ein Aufrechterhalten von Maßnahmen dann nicht in Betracht kommt, wenn die tatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen für ihre (weitere) Vollstreckung entfallen sind (vgl. BGHSt 42, 306, 308 m.w.N.; BGHR StGB § 55 Abs. 2 Aufrechterhalten 8).
1. Das Merkmal „Hang“ im Sinne des §§ 66 StGB verlangt einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Es wird definiert als eine auf charakterlicher Anlage beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung zu Rechtsbrüchen.
2. Die mögliche Geneigtheit zur Begehung einer aus einem bestimmten Konflikt resultierenden Vergeltungstat kann nicht ausreichen, um eine intensive Neigung zu Rechtsbrüchen zu begründen. Eine solche liegt nur bei einer über den einzelnen Konflikt hinausgehenden, überdauernden psychischen Grunddisposition vor.
3. Die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung kommt jedenfalls nicht in Betracht, wenn nicht ein hohes Maß an Gewissheit über die Gefahr besteht, dass der Verurteilte besonders schwere Straftaten begehen wird.
An eine bloße Verminderung der Einsichtsfähigkeit, die nicht zum Fehlen der Einsicht geführt hat, kann eine Maßregel nach § 63 StGB nicht geknüpft werden (BGHSt 34, 22, 26 f.; NStZ-RR 2007, 73).
Die Entscheidung, von der verhängten Freiheitsstrafe einen Monat wegen anderweitig entgangener Gesamtstrafenbildung für bereits vollstreckt zu erklären, steht im Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Der erforderliche Härteausgleich ist in derartigen Fällen nicht in Anwendung des Vollstreckungsmodells, sondern bei der Bemessung der (zeitigen) Freiheitsstrafe für die nunmehr abzuurteilende Tat vorzunehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 9. November 2010, 4 StR 441/10).