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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Januar 2008
9. Jahrgang
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1. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll der Tatrichter bei der Sicherungsverwahrung die Möglichkeit haben, sich ungeachtet der festgestellten Gefährlichkeit des Täters zum Zeitpunkt der Urteilsfällung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass sich dieser die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt. Damit kann der Tatrichter dem Ausnahmecharakter der beiden Vorschriften Rechnung tragen, der sich daraus ergibt, dass Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 - im Gegensatz zu Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 - eine frühere Verurteilung und eine frühere Strafverbüßung des Täters nicht voraussetzen. Die Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs sowie die mit dem Fortschreiten des Lebensalters erfahrungsgemäß eintretenden Haltungsänderungen sind deshalb im Rahmen der § 66 Abs. 2, § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB wichtige Kriterien, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Rahmen der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen sind (BGH NStZ 2004, 438 m.w.N.). Es besteht freilich keine Vermutung dafür, dass langjährige Strafverbüßung zu einer Verhaltensänderung führen wird. Die Entscheidung des Tatrichters ist (wie jede Prognose) vom Revisionsgericht nur im begrenzten Umfang nachprüfbar (BGH NStZ 2005, 211, 212).
2. Wenn der Angeklagte etwa erst nach umfangreichen Angaben von Belastungszeugen ein Geständnis abgelegt hat, so handelt es sich um ein zulässiges Verteidigungsverhalten, das auch bei der Entscheidung über die Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt werden darf (vgl. BGH, Beschl. vom 25. Juni 2002 - 5 StR 202/02 - m.w.N.).
1. Allein die Diagnose „dissoziale Persönlichkeitsstörung“ lässt für sich genommen eine Aussage über die Frage der Schuldfähigkeit eines Täters nicht zu (vgl. BGHSt 44, 338, 342; 49, 45, 52). Selbst die Diagnose einer schweren Persönlichkeitsstörung ist nicht gleichbedeutend mit derjenigen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB. Eine solche Störung kann immer auch als - möglicherweise extreme - Spielart menschlichen Wesens einzuordnen sein, die sich noch innerhalb der Bandbreite des Verhaltens voll schuldfähiger Menschen bewegt (vgl. BGHSt 42, 385, 388; BGHR StGB § 63 Zustand 24).
2. Der sachverständig beratene Tatrichter muss daher prüfen, ob die Persönlichkeitsstörung Symptome aufweist, die in ihrer Gesamtheit das Leben eines Angeklagten vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen stören, belasten oder einengen wie krankhafte seelische Störungen (vgl. BGH NStZ-RR 1999, 77, 78; BGHR StGB § 63 Zustand 34 m.w.N.).
3. Bei der gebotenen normativen Bewertung ist weiter zu beachten, dass auf der Grundlage der Diagnose „dissoziale Persönlichkeitsstörung“ ein so schwer wiegender Eingriff, wie ihn die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darstellt, nur unter engen Voraussetzungen und nur dann gerechtfertigt ist, wenn feststeht, dass der Täter aus einem mehr oder weniger unwiderstehlichen Zwang heraus gehandelt hat (vgl. BGHSt 42, 385, 388; BGH NStZ-RR 2003, 165, 166; StV 2005, 20; BGHR StGB § 21 Seelische Abartigkeit 36).
Einer ausdrücklichen Darlegung, dass sich der Tatrichter der Möglichkeit der Ermessensausübung gemäß § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB bewusst war, bedarf es nur dann, wenn die Anwendung dieser Ausnahmevorschrift nahe. Dies ist bei Serienstraftaten (vgl. BGH, Beschluss vom 17. April 1996 – 5 StR 93/96) und bei anderen im Wesentlichen gleich gelagerten Taten (vgl. BGH NStZ-RR 2002, 264) regelmäßig nicht der Fall (vgl. BGHR StGB § 53 Abs. 2 Nichteinbeziehung 3). Etwas anderes gilt dann, wenn sich aufgrund besonderer Umstände des Falles eine einheitliche Gesamtfreiheitsstrafe als das schwerere Übel erweist, weil erkennbar erst die Einbeziehung der Geld-
strafen zur Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe führte, deren Höhe keine Strafaussetzung mehr zuließ (vgl. BGHR StGB § 53 Abs. 2 Einbeziehung, nachteilige 6; BGH NStZ-RR 2002, 264; jeweils m.w.N.).
Bei der Gefährlichkeitsprognose nach § 63 StGB ist nicht nur darauf abzustellen, ob möglicherweise nur ein eingeschränkter Personenkreis überhaupt geschädigt werden kann, sondern auch darauf, ob diesbezüglich potentiell Geschädigte einem solchen Schadenseintritt vorbeugen können und damit Straftaten letztendlich mit verhindern können. Ob in Betrugsfällen, in denen die Geschädigten selbst durch Unterlassung einer ansonsten üblichen Prüfung der Kontendeckung die Begehung von Straftaten erst ermöglichen, der Bestand der Rechtsordnung und damit auch die öffentliche Sicherheit überhaupt bedroht sind, lässt der Senat offen.
Leidet ein Angeklagter unter einer schweren Erkrankung, die regelmäßig zu einer deutlich herabgesetzten Lebenserwartung führt, kann ihn die Freiheitsstrafe besonders hart treffen und ein Ausgleich der Schuld auch durch eine geringere als die sonst schuldangemessene Strafe erreicht werden (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 3, 7, 13).
Bei Aufhebung einer Gesamtstrafe durch das Revisionsgericht und Zurückverweisung an das Tatgericht ist die Gesamtstrafenbildung in der neuen Verhandlung nach Maßgabe der Vollstreckungssituation zum Zeitpunkt der ersten tatrichterlichen Verhandlung vorzunehmen, weil dem Angeklagten ein einmal erlangter Rechtsvorteil nicht genommen werden darf.