Alle Ausgaben der HRRS, Aufsätze und Anmerkungen ab dem Jahr 2000.
HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Dezember 2007
8. Jahrgang
PDF-Download
Sehr geehrte Leserinnen und Leser,
in der letzten Ausgabe der HRRS 2007 stehen die "Terrorlisten" der UN und der EU im Mittelpunkt. In einem umfassenden Beitrag von Meyer/Macke wird dargestellt, welche weitreichenden Rechtsfolgen dieses "Blacklisting" auch aber nicht nur im Strafrecht auslöst. Der Beitrag widmet sich dabei vor allem auch den Strategien, die heute in der Beratungspraxis wirksam verfolgt werden können, um die Rechtsfolgen sinnvoll zu begrenzen oder zu verhindern. Eschelbach widmet sich in einem weiteren Beitrag der problematischen Verwendung fremdsprachlicher Urkunden in öffentlichen Klagen. Insgesamt sind vier Rezensionen aufgenommen. Eine Dokumentation wurde zu den jüngeren Verfahren zu Art. 36 WÜK aufgenommen.
Aus den aufgenommenen 125 Entscheidungen ist die Entscheidung der Großen Kammer des EGMR zur Selbstbelastungsfreiheit bei der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten hervorzuheben. Ebenso ragt die Entscheidung des 3. Strafsenats zur Einschränkung des Begriffs der terroristischen Vereinigung heraus. Weitere insbesondere strafverfahrensrechtliche und wirtschaftsstrafrechtliche Entscheidungen lohnen den Blick in die aktuelle Ausgabe.
Mit freundlichen Grüßen für die Redaktion
Dr. Karsten Gaede
1. Nicht jeder offene Zwang, der auf eine aktive Selbstbelastung durch den Betroffenen gerichtet ist, verletzt Art. 6 EMRK. Die bestimmenden Faktoren zur Prüfung einer Verletzung sind der Entscheidung Jalloh zu entnehmen. Bei seiner Prüfung konzentriert sich der EGMR danach auf die Art und das Ausmaß des Zwanges, der zur Erlangung der Beweise eingesetzt wurde, auf bestehende relevante verfahrensrechtliche Schutzinstrumente und auf die Verwendung des derart erlangten Beweismittels.
2. Zur Anwendung auf die Verfolgung von Verkehrsordnungswidrigkeiten.
1. Es ist grundsätzlich verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Fachgerichte im Rahmen des § 113 Abs. 3 StGB von einem eingeschränkten Rechtmäßigkeitsmaßstab ausgehen und nicht verlangen, dass alle in dem jeweiligen in Bezug genommenen Rechtsgebiet normierten Anforderungen an die Rechtmäßigkeit der Diensthandlung erfüllt sein müssen. Soweit es sich um Maßnahmen im Schutzbereich eines Grundrechts wie der Versammlungsfreiheit handelt, dürfen strafrechtliche Sanktionen allerdings nur unter Berücksichtigung des Schutzgehalts des Grundrechts verhängt werden.
2. Die Strafgerichte haben bei der konkretisierenden Auslegung und Anwendung des strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffes im Rahmen des § 113 Abs. 3 StGB die Bedeutung und die Tragweite der grundrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit zu beachten. Dazu gehört auch die Wahrung wesentlicher Förmlichkeiten und der pflichtgemäßen Prüfung von Eingriffsvoraussetzungen.
3. Werden von dem Amtsträger ohne Weiteres erkennbare rechtliche Voraussetzungen seiner Befugnisse nicht beachtet, überwiegt das in einem Rechtsstaat wichtige Interesse des Bürgers, darauf vertrauen zu dürfen, dass die Amtsträger die allgemeinen Anforderungen an ein rechtmäßiges Verhalten kennen und beachten. Werden entsprechende grundlegende rechtliche Anforderungen an Grundrechtseingriffe verletzt, darf der auf die Möglichkeit zur Ausübung seines Grundrechts gerichtete Widerstand des Grundrechtsträgers gegen die Diensthandlung – für den kein Anlass bestanden hätte, wenn ein verständiger Amtsträger die entsprechenden rechtlichen Voraussetzungen eines solchen Grundrechtseingriffs beachtet und ihn deshalb unterlassen hätte – nicht nach § 113 Abs. 1 StGB mit einer strafrechtlichen Sanktion geahndet werden.
4. Eine Versammlung i.S.d. Art. 8 GG stellt eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung dar (vgl. BVerfGE 104, 92, 104). Der Schutz des Grundrechts besteht unabhängig davon, ob die Versammlung anmeldepflichtig und angemeldet war.
5. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Maßnahmen gegen einen Versammlungsteilnehmer ist auf den Zeitpunkt des Beginns der Maßnahmen gegen ihn abzustellen.
6. Der Schutz der Versammlungsfreiheit bleibt grundsätzlich erhalten, wenn nur einzelne Demonstranten oder eine Minderheit im Verlauf der Versammlung Ausschreitungen begehen (vgl. BVerfGE 69, 315, 361).
Weder aus Art. 103 Abs. 1 GG noch aus anderen Verfassungsbestimmungen kann abgeleitet werden, dass ein Verstoß gegen die Hinweispflicht des § 406h Abs. 1 StPO zu einer Anschluss- und Rechtsmittelberechtigung des Nebenklageberechtigten auch nach rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens führt.
1. Die Voraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins des Untergebrachten müssen auch beim Vollzug der Maßregel erhalten bleiben. Kann aufgrund der besonderen Verhältnisse in einem bestimmten psychiatrischen Krankenhaus den Anforderungen, die sich aus der Pflicht zum Schutz der Menschenwürde ergeben, einem Untergebrachten gegenüber nicht entsprochen werden, so ist dieser in ein anderes Krankenhaus zu verlegen.
2. Die gemeinsame Unterbringung von bis zu drei Personen in einem Raum im Maßregelvollzug ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
1. Die Frage nach den Standards, deren Unterschreitung eine Missachtung der Menschenwürde des Betroffenen bedeuten und diese verletzen würde, kann, soweit es um die Sicherung eines Minimums an materiellen Voraussetzungen menschenwürdiger Existenz geht, insbesondere bei der Untersuchungshaft nicht ohne Berücksichtigung der allgemeinen - auch wirtschaftlichen - Verhältnisse beantwortet werden (vgl. BVerfGE 87, 153, 170; 91, 93, 111).
2. Bei einer Zuweisung eines Haftraums als Einzelhaftraum verletzt die fehlende Abtrennung der Toilette vom übrigen Raum nicht den Anspruch des Gefangenen auf Achtung seiner Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG).
3. Der Gefangene, in dessen Haftraum die Toilette nicht mit ausreichendem Sichtschutz versehen ist, hat insoweit
Anspruch auf besondere Rücksichtnahme durch das Personal.
4. Eine Anbringung von Sichtblenden vor dem Fester stellt keinen Verfassungsverstoß dar, wenn diese aufgrund einer besonderen baulichen Situation der Anstalt zur Vermeidung unerwünschter Kommunikation zwischen untereinander getrennt zu haltenden Untersuchungsgefangenen und außenstehenden Personen erforderlich ist und die Anbringung im Abstand von 15 cm vor dem Haftraumfenster und die Möglichkeit der Durchsicht durch den oberen Teil eine hinreichende Licht- und Luftzufuhr sowie ein – wenn auch eingeschränkter – Blick ins Freie gewährleistet ist.
5. Die Justizvollzugsanstalt und der mit der Briefkontrolle befasste Haftrichter sind verpflichtet, eine auch im Falle fristgebundener Schriftsätze an Gerichte für erforderlich gehaltene Briefkontrolle so zügig wie möglich durchzuführen und die mit der Kontrolle verbundenen Verzögerungen möglichst - etwa durch eine Übermittlung des Schreibens per Telefax - gering zu halten.
6. Auf eine den grundrechtlichen Anforderungen nicht genügende Ausgestaltung des Vollzuges kann es hindeuten, wenn internationale Standards mit Menschenrechtsbezug, wie sie in den im Rahmen der Vereinten Nationen oder von Organen des Europarates beschlossenen einschlägigen Richtlinien und Empfehlungen enthalten sind, nicht beachtet beziehungsweise unterschritten werden (vgl. BVerfGE 116, 69, 90).
1. Jede Maßnahme, die mit einem Grundrechtseingriff verbunden ist, bedarf einer Ermächtigungsgrundlage, aus der sich in einer dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entsprechenden Weise die Eingriffsvoraussetzungen und der Umfang der erlaubten Eingriffe ergeben (vgl. BVerfGE 65, 1, 44; 113, 29, 50). Anlass, Zweck und Grenzen des Eingriffs müssen in der Ermächtigung bereichsspezifisch, präzise und normenklar festgelegt werden (vgl. BVerfGE 65, 1, 44 ff.; 113, 348, 375). Diese Anforderung gilt allgemein und unabhängig von den guten oder sogar zwingenden sachlichen Gründen, die für den Eingriff sprechen mögen; eingreifende Maßnahmen im Straf- und im Maßregelvollzug sind von ihr nicht ausgenommen (vgl. BVerfGE 116, 69, 80).
2. Aus dem Umstand, dass sachgerechte Behandlung Spielräume erfordert, die der gesetzlichen Normierbarkeit und gerichtlichen Kontrolle des therapeutischen Vorgehens Grenzen setzen, folgt nicht, dass dieser Spielraum unbegrenzt sein und der Gesetzgeber sich daher jeder näheren Normierung der Voraussetzungen und Grenzen eingreifender Behandlungsmaßnahmen enthalten müsste und dürfte.
3. Zu einem Fall der Verkennung der maßgeblichen Kriterien des § 116 Abs. 1 StVollzG im Rahmen einer Rechtsbeschwerde.
1. Die Voraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins müssen auch in der Haft erhalten bleiben. Indessen kann die Frage nach den Standards, deren Unterschreitung eine Missachtung bedeuten und die Menschenwürde der Betroffenen verletzen würde, soweit es um die Sicherung eines Minimums an materiellen Voraussetzungen menschenwürdiger Existenz geht, hier wie sonst nicht ohne Berücksichtigung der allgemeinen - auch wirtschaftlichen - Verhältnisse beantwortet werden (vgl. BVerfGE 87, 153, 170; 91, 93, 111).
2. Ein Verfassungsverstoß liegt nicht schon darin, wenn die verschiedentlich von Rechtsprechung und Schrifttum geforderten Mindestmaße von 16 m3 Luftraum und 6 bis 7 m2 Bodenfläche pro untergebrachtem Gefangenen in einem Haftraum geringfügig unterschritten werden und eine Unterbringung im offenen Vollzug mit ausreichend Rückzugsmöglichkeiten vorliegt.