HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

April 2007
8. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen


Die "unwahre" Protokollrüge [1]

Von Prof. Dr. Christian Fahl, Rostock

I. Die bloße Protokollrüge

"Bloße Protokollrügen sind unbehelflich"[2] - dieses Verdikt wird gemeinhin damit erklärt, dass das Urteil nicht auf der falschen Protokollierung, sondern nur auf einem Verfahrensfehler beruhen könne.[3] Mit dem bloßen Hinweis auf einen sich aus dem Hauptverhandlungsprotokoll ergebenen Verfahrensfehler kann die Revision daher nicht begründet werden. Vielmehr muss der Verfahrensverstoß selbst als geschehen behauptet werden. Geschieht das nicht, so handelt es sich um eine bloße Protokollrüge.[4] Dass damit zugleich eine Vorkehrung gegen den "Missbrauch" der durch § 274 I 1 StPO eröffneten Möglichkeit geschaffen werden sollte, einen Verfahrensfehler zu rügen, der in Wahrheit nicht vorgekommen ist und lediglich durch das insoweit unrichtige Protokoll ausgewiesen wird, wird heute nicht mehr so häufig betont. Dabei hat der BGH in seiner Entscheidung vom 1.2.1955, die stets zitiert wird, nicht nur ausgesprochen, dass das Urteil niemals auf der falschen Protokollierung, sondern nur auf einem Verfahrensfehler beruhen könne, sondern diese Rspr. gerade damit begründet, sie sei nicht etwa formalistisch, sondern wolle "im Gegenteil einem Missbrauch rein formaler Möglichkeiten entgegenwirken", welche "sich zuweilen aus der ausschließlichen Beweiskraft der Hauptverhandlungsniederschrift nach § 274 StPO" ergäben.[5]

Das hat zur Folge, dass der Revisionsführer, der sich auf einen nicht geschehenen, aber im Protokoll enthaltenen Verfahrensfehler berufen will, "lügen" muss, wenn er seine Revision darauf stützen will. Der BGH geht davon aus, dass dies abschrecken werde. Doch man wird Schuler[6] einräumen müssen, dass die Rspr. im Ergebnis diejenigen skrupellosen Revisionsführer bevorzugt, die "den Mut besitzen, den Verfahrensfehler wirklich zu behaupten",[7] was häufig nur gegen besseres Wissen geschehen

kann, "während der wahrheitsliebende Beschwerdeführer diese Möglichkeit nicht ausnutzen kann". Diese Möglichkeit erkennt auch der BGH: "Allerdings kann das Revisionsgericht keinen Beschwerdeführer daran hindern, einen Verfahrensfehler, der durch die Niederschrift bewiesen wird, ohne Rücksicht auf die wirklichen Hergänge zu behaupten."[8] Dies hat dazu geführt, dass § 274 StPO insgesamt zu einem "Eldorado für unseriöse Verzeichnungen und Verfälschungen des Verfahrenshergangs im Wege verfahrensrechtlicher Beanstandungen" geworden ist.[9] Der BGH lässt allerdings offen: Ob ein Rechtsanwalt, der dies wider besseres Wissen tue, standeswidrig handele, sei hier nicht zu entscheiden. "Jedenfalls muss er vor seinem Gewissen und nach außen hin die Verantwortung für die Geltendmachung eines jeden Verfahrensmangels übernehmen, indem er ihn ernstlich behauptet… Zu dieser klaren eigenen Stellungnahme zwingt ihn die Rechtsprechung".[10]

Freilich fragt sich dann sogleich, ob es nicht klüger ist, die Sache einem erfahrenen Kollegen zu übergeben, der nur das Sitzungsprotokoll kennt, damit dieser die Revisionsrüge unbefangen erheben kann. Das setzt indes voraus, dass ein Revisionsspezialist, der selbst nicht an der Hauptverhandlung teilgenommen hat, das Vorliegen eines Verfahrensfehlers überhaupt noch mit der nötigen Bestimmtheit vortragen kann, wenn die Rspr. von ihm doch dieselbe "klare Stellungnahme" verlangt wie von einem Anwesenden. Dazu schreibt der BGH: "Ein Verteidiger, der erst nach der Hauptverhandlung hinzugezogen wird, die Sitzungsniederschrift liest und dabei den Beweis eines Verfahrensfehlers entdeckt, braucht nicht schon deshalb Bedenken zu tragen, den Verstoß mit Bestimmtheit zu behaupten, weil er selbst nicht an der Hauptverhandlung teilgenommen hat."[11] Versteht man es, zwischen den Zeilen zu lesen, so steht da nicht, dass er auch dann keine Bedenken hegen müsste, wenn er wissentlich falsch vorträgt, im Gegenteil, der BGH sagt: "Ob er sich zuvor bei dem Angeklagten oder etwaigen anderen Verteidigern erkundigt, muss seinem pflichtgemäßen Ermessen… überlassen bleiben."[12] Ihm ist daher anzuraten, über den Verlauf der Hauptverhandlung möglichst wenig in Erfahrung zu bringen.

Die Kenntnis von einem tatsächlich geschehenen, aber mit dem Protokoll nicht belegbaren Verfahrensfehler nützt ihm nicht (§ 274 I 1 StPO) - es sei denn, es ließe sich der Nachweis der Fälschung (§ 274 I 2 StPO) führen, die freilich kaum je in Betracht kommen wird - und die Kenntnis von dem umgekehrten Sachverhalt schadet nur: Zwar bleibt die Zulässigkeit der dennoch erhobenen Revisionsrüge nach dieser Judikatur davon unberührt, doch muss sich sein "Gewissen" regen. Es empfiehlt sich daher, nicht selbst nachzufragen bzw. wegzuhören, falls ein Verteidiger so unvorsichtig sein sollte, den Grund der Beauftragung eines mit der Sache bisher nicht befassten Anwalts zu nennen, und den Angeklagten zu bremsen, der unaufgefordert etwas ausplaudern will - das zeigt die ganze Bigotterie, dieses Ansatzes, von dem aus es ehrlicher wäre, dem Revisionsführer die Behauptung eines Verfahrensfehlers "inhalts des Protokolls" zu gestatten und genügen zu lassen. Nachweisbar dürfte ihm die Kenntnis, die nach dem BGH, nimmt man die Wendung ernst, sein "pflichtgemäßes Ermessen" ihm einzuholen umgekehrt auch gebieten kann (in welchen Fällen?), freilich ohnehin nicht sein, und ob die Verantwortung vor dem "Gewissen", auf die diese Rspr. setzt, um "Missbräuche" formal bestehender Möglichkeiten zu verhindern, heute noch die gleiche Kraft hat wie 1955, darf bezweifelt werden.

Doch wäre diese - schon vom RG begründete[13] - Rspr. unschädlich, wenn ihr nicht auch begründete Revisionen, in denen ein Verfahrensfehler tatsächlich geschehen und durch das Protokoll nachweisbar ist, zum Opfer fallen würden, deren Unbestimmtheit in der Formulierung lediglich auf Ungeschicklichkeit oder Unkenntnis zurückzuführen ist.[14] BGHSt 7, 162, 165 erkennt nur an, dass die "besondere Lage", in der sich ein Revisionsführer befindet, der selbst nicht bei der Hauptverhandlung zugegen war, bei der Auslegung zu berücksichtigen sein werde, "wenn der Wortlaut seiner Erklärung in der Revisionsrechtfertigung mehrdeutig ist und daher sinngemäß ausgelegt werden muss" - mit anderen Worten: ob er bestimmt genug behauptet hat, was er gar nicht bestimmt behaupten kann, weil er nicht anwesend war und seine Kenntnis nur aus zweiter Hand haben kann. Doch dieselbe Ungeschicklichkeit kann natürlich auch einem Verteidiger und dem Angeklagten zum Verhängnis werden, der an der Hauptverhandlung teilgenommen hat und weiß, dass ein Verfahrensfehler stattgefunden hat (und übrigens ist auch dies ein Fall, in dem man sich nicht scheut, dem Beschuldigten ein "Verschulden" seines Anwalts voll zuzurechnen). Die Rspr. schießt in diesem Fall weit über das selbst gesetzte Ziel der Abwehr "missbräuchlicher" Revisionen hinaus, was bei Anerkennung der (aus dem Rechtsmissbrauch folgenden) Unzulässigkeit "bewusst unwahrer Protokollrügen" überflüssig und unnötig wäre.

So muss die Rspr. in Fällen, in denen eine unwahre Tat-

sachenbehauptung fern liegt, eingestehen, dass die Formulierung "ausweislich des Protokolls" in einer Revisionsbegründung auch als Hinweis auf das geeignete Beweismittel verstanden werden kann, ohne dass dadurch die Ernsthaftigkeit der Tatsachenbehauptung in Frage gestellt wird.[15] Wie schwierig und - schon deshalb - fragwürdig die Abgrenzung ist, zeigt etwa die folgende Formulierung (in einem Urteil): "Die auf § 59 StPO gestützte Verfahrensrüge ist keine bloße Protokollrüge, sondern trotz der nicht unmissverständlichen Fassung noch in zulässiger Weise erhoben…"[16]

II. Die nachträgliche Protokollberichtigung als Verstoß gegen Treu und Glauben

1. Berichtigung von Amts wegen

a) Berichtigung auf übereinstimmende Aussagen beider Urkundspersonen hin

Ungeachtet der Frage, ob es einen "Missbrauch" der durch § 274 I 1 StPO eröffneten Möglichkeit darstellt, einen Verfahrensfehler zu rügen, der in Wahrheit nicht vorgekommen ist,[17] muss festgestellt werden, dass es jedenfalls ein "Missbrauch" der Möglichkeit der Protokollberichtigung wäre, einen wirklich vorgekommenen Verfahrensfehler zu korrigieren, nur damit ihn das Protokoll nicht mehr "ausweist". Das Wissen um das Geschehensein des Verfahrensfehlers allein würde dem Revisionsführer angesichts der Ausschließlichkeit seiner Beweisbarkeit durch das Protokoll (§ 274 I 1 StPO) nicht viel nützen, und der Nachweis der Fälschung - ganz abgesehen davon, ob dies eine solche wäre, wenn die Korrektur von den dazu an sich berufenen Personen vorgenommen würde[18] - kann misslingen (§ 274 I 2 StPO). Der Fall, dass die Urkundspersonen eine solche "unwahre Protokollberichtigung" vornehmen, um ein an sich noch so richtiges und gerechtes, aber verfahrensfehlerhaft zustande gekommenes Urteil "revisionsfest" zu machen, dürfte indes rein theoretischer Natur sein und in der Praxis unserer Gerichte nicht vorkommen.[19] Ein solches Vorgehen wäre trotz der dahinter stehenden "guten Absicht", die hier einmal unterstellt werden soll, unerhört. Es kann kein Zweifel bestehen, dass jedes Gericht dem entschieden entgegentreten würde.

Die Rspr. geht aber darüber weit hinaus und versagt auch einer an sich berechtigten - weil einen tatsächlich nicht geschehenen Verfahrensfehler aus dem insoweit falschen Protokoll tilgenden - nachträglichen Protokollberichtigung schon dann die Anerkennung, wenn sie einer bereits eingelegten Revision "die Grundlage" entziehen würde.[20] Anders im Zivilprozessrecht: Dort lässt § 164 I ZPO - bei im übrigen gleicher Beweiskraft des Protokolls[21] - "jederzeit" die Berichtigung von Unrichtigkeiten des Protokolls zu, und das soll nach der Rspr. auch dann gelten, wenn dadurch "einer auf die ursprüngliche Falschprotokollierung gestützten Verfahrensrüge im nachhinein der Boden entzogen wird"[22]. Dabei ist die Zulässigkeit der Protokollberichtigung im Allgemeinen auch im Strafprozessrecht anerkannt. Mit ihrer Zulassung "wird eine Lücke der Strafprozessordnung, die hierüber nichts sagt, ausgefüllt".[23] Eine Berichtigung des Sitzungsprotokolls ist danach, soweit es sich nicht um eine verlesene und genehmigte Niederschrift i.S. des § 273 III

StPO handelt,[24] auf Antrag eines Beteiligten (also sowohl der Staatsanwaltschaft wie auch der Verteidigung) oder von Amts wegen ohne zeitliche Beschränkung zulässig, auch noch nach Urteilsverkündung.[25] Einzige Voraussetzung ist, dass beide Urkundspersonen (§ 271 I 1 StPO) darin übereinstimmen, dass das Protokoll unrichtig ist.[26] Von der zeitlich unbegrenzten Zulässigkeit der Berichtigung ist jedoch die Frage zu unterscheiden, welche Fassung das Revisionsgericht seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat. Hier ist wiederum zu differenzieren zwischen der nachträglichen Protokollberichtigung zugunsten des Revisionsführers (in bonam partem) und der Protokollberichtigung zu Lasten desjenigen, der Revision eingelegt hat (in malam partem).

Während die nachträgliche Protokollberichtigung in bonam partem uneingeschränkt berücksichtigt wird, ist die Protokollberichtigung in malam partem nicht berücksichtigungsfähig. Das ergibt sich aus dem Satz, dass das Revisionsgericht eine Protokollberichtigung nicht berücksichtigen darf, "wenn sie einer erhobenen Verfahrensrüge nachträglich den Boden entziehen würde"[27] - d.h. es darf zwar berichtigt, die geänderte Fassung der Revisionsentscheidung aber nicht berücksichtigt werden.[28]

Bohne erklärt den von der Rspr. entwickelten Satz, dass der einmal eingelegten Revision nicht durch die nachträgliche Protokollberichtigung der Boden entzogen werden dürfe, mit dem "fundamentalen Satz von Treu und Glauben", der somit auch im Strafprozessrecht Anerkennung gefunden habe.[29] Auch Schmid sieht die "Beschränkung der Protokolländerungsbefugnis" - was freilich nicht ganz korrekt ist, da die Befugnis, das Protokoll zu ändern, bestehen bleibt - aus Treu und Glauben hergeleitet.[30] Roxin spricht treffend von dem "Verbot der Rügeverkümmerung",[31] das freilich zugunsten der Staatsanwaltschaft (wenn diese die Revision eingelegt hat) ebenso wirkt wie zugunsten des Beschuldigten.[32] Nach BGHSt 34, 11 gilt dies allerdings nur, wenn durch die Berichtigung einer "zulässigen Rüge" der Boden entzogen würde.

Gegen den Satz, dass der einmal eingelegten Revision durch die Protokollberichtigung nicht der Boden entzogen werden dürfe, hat sich Schuler für den Fall gewandt, dass die Sitzungsniederschrift falsch war und der Beschwerdeführer die Unrichtigkeit auch kannte oder kennen musste, weil der Rüge, der damit der Boden entzogen werde, dann keine "berechtigte Rüge", sondern nur scheinbar berechtigt gewesen sei.[33] Die Entziehung ihrer Grundlage nehme den Parteien deshalb kein Recht, das ihnen gewahrt bleiben müsste. Der von der Gegenmeinung betonte - zunächst bestechende - Einwand, dass der Beschwerdeführer auf den Fortbestand der Niederschrift als feste Grundlage für die Einlegung seiner Revision müsse vertrauen dürfen,[34] sei deshalb nicht folgerichtig und versage vollkommen, wenn der Beschwerdeführer die Unrichtigkeit kannte. Schließlich gestattet der BGH die Protokollberichtigung auch dann, wenn dadurch dem Beschwerdeführer eine nur angekündigte oder beabsichtigte Rüge entzogen wird.

Sei die Niederschrift noch berichtigt worden, bevor der Berichtigende Kenntnis von der (bereits eingelegten) Verfahrensrüge erhalten habe, so entfalle auch der Vorwurf, dass die Berichtigung durch die Einlegung der Revision veranlasst gewesen sein könnte. Die Einlegung einer Revision mit der Rüge eines Verfahrensverstoßes, der nicht stattgefunden hat, zu dem Zweck, die Hauptverhandlung neu aufzurollen und in der Hoffnung, dass Zeugen sich wegen der vergangenen Zeit nicht mehr erinnern oder andere Beweisnöte entstehen werden, die vorher nicht vorhanden waren, bezeichnet er als einen "insbesondere im Strafverfahren beliebten Missbrauch". Bezwecke die Verfahrensrüge nur, dass in der neuen Entscheidung der gleiche Sachverhalt, z.B. ein Indizien-

beweis, tatrichterlich anders beurteilt wird, so liege "auch darin ein Missbrauch des Revisionsverfahrens, weil es hierzu nicht bestimmt ist".[35] Communis opinio ist das nicht.[36] Aber man wird Schuler zugestehen müssen, dass diese Rechtsprechung - wie auch die zur Unbehelflichkeit der sog. Protokollrüge - im Ergebnis denjenigen Revisionsführer bevorzugt, der flink und "skrupellos" genug ist, seine Rüge anzubringen, bevor die zur Berichtigung berufenen Urkundspersonen ihren Fehler entdecken.

Die mittlerweile ständige Rspr. darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Rspr. geschwankt hat. Während schon das Preußische Obertribunal[37] und anfangs das RG[38] dieselbe Meinung vertrat wie heute die Rspr. und die Berichtigung nicht mehr zuließ, wenn dadurch der Rüge der Boden entzogen würde, zuletzt bestätigt im Beschluss der Vereinigten Strafsenate des RG,[39] hat der Große Senat des RG diese - heftig umkämpfte - Rspr. wieder aufgegeben.[40] Dieser Auffassung haben sich die Zivilsenate des RG angeschlossen.[41] Erst der OGH der Britischen Zone ist zur alten Rspr. zurückgekehrt,[42] und der BGH hat sie fortgesetzt.[43]

Für das RG stand bereits seit RGSt 2, 76 fest, dass ein Nachbessern des Hauptverhandlungsprotokolls zum Nachteil des Revisionsführers unzulässig sei.[44] Das Reichsmilitärgericht hat dem jedoch bereits frühzeitig entgegengehalten und in ständiger Rspr.[45] daran festgehalten: "Ein prozessuales Recht der Prozessbeteiligten, dass etwas nicht Geschehenes beurkundet oder etwas Geschehenes nicht beurkundet wird, gibt es nicht. Ebenso wenig besteht ein Recht der Prozessbeteiligten, dass das Sitzungsprotokoll mit seinem ursprünglichen Inhalte zu der Zeit, zu welcher es als abgeschlossen zu den Akten gebracht wird, bestehen bleibt."[46] Trotzdem hielten die Vereinigten Strafsenate des RG mit Entscheidung vom 13.10.1909 daran fest, dass "das Protokoll den Zwecken der Prozessbeteiligten dienen soll und diese daher berechtigt sein müssen, schon bei der Anfechtung des Urteils das Protokoll zur Richtschnur zu nehmen und sich für die Geltendmachung eines Prozessverstoßes auf den darin beurkundeten Sachverhalt zu berufen".[47] Dem Einwand, durch ein derartiges Gesetzesverständnis des § 274 StPO werde dem Revisionsführer ein Recht gewährt, "durch das Sitzungsprotokoll eine Unwahrheit zu beweisen", wurde entgegengehalten, es könne "sich nur um die Möglichkeit handeln, eine prozessrechtliche Befugnis zu tatsächlich wahrheitswidrigen Zwecken zu missbrauchen" - eine Möglichkeit, die indes auch bestehen würde, "wenn man im Protokoll Nachträge unbeschränkt für zulässig erklären wollte, und sie würde selbst dann nicht unbedingt ausgeschlossen sein, wenn das Gesetz einen Gegenbeweis gegen das Protokoll gestatten würde".[48] Die vom zweiten Strafsenat gestellte (und verneinte) Rechtsfrage lautete: "Erstreckt sich die Beweiskraft des Protokolls über die Hauptverhandlung auf seine Berichtigung auch dann, wenn die Revisionsbegründung einen bestimmten Mangel des Verfahrens behauptet und die darauf erfolgte Berichtigung die Unrichtigkeit dieser Behauptung bezeugt"?[49] Oder einfacher, wie im Leitsatz, ausgedrückt: "Ist die Berichtigung eines Hauptverhandlungsprotokolls vom Revisionsgerichte zu berücksichtigen, wenn sie nach erhobener Prozessrüge zu deren Ungunsten vorgenommen worden ist?"[50] Die Frage ist klar zu verneinen. Unglücklicherweise ist sie jedoch verquickt worden mit der Frage der Statthaftigkeit der sog. "unwahren" Protokollrüge. So kann die Entscheidung, was deren Zulässigkeit anbelangt, von der einen wie von der anderen Seite in Anspruch genommen werden.

Die Uneinigkeiten beginnen schon mit der Stellungnahme des Oberreichsanwalts. Der Oberreichsanwalt erklärte, "mit dem Anerkenntnisse dieser Forderung beuge sich die Rechtsauslegung des RG einer nicht ausschließlich auf staatliche Interessenverfolgung aufgebauten sozialen Ethik, erhebe die von Haus aus ethischen Begriffe von Treu und Glauben zu einem wesentlichen Bestandteil der Rechtsauslegung". Demgegenüber müssten "die Nachteile der Möglichkeit einer schikanösen Ausübung des dem Beschwerdeführer zustehenden Prozessrechts… zurücktreten."[51] - Diese Stellungnahme wird (zur Stützung seiner These von der Geltung des Grundsatzes von Treu und Glauben im Strafprozessrecht) zitiert von Schmid, wonach diese Ausführungen des Oberreichsanwalts unwidersprochen geblieben seien.[52] Auch Dallinger zitiert die Stelle, aber mit umgekehrten Vorzeichen. Danach ist das RG dem keinesfalls beigetreten, sondern habe im Gegenteil betont, dass von einem Rechte auf

Geltendmachung einer Unwahrheit nicht gesprochen werden könne; es könne sich vielmehr nur um einen Missbrauch einer prozessualen Befugnis handeln.[53]

Die damit angesprochene (oben bereits auszugsweise zitierte) Passage lautet im Wortlaut: "Dem Einwand, dass die Verneinung der Zulässigkeit solcher Protokollberichtigung auf die Gewährung eines Rechts hinauslaufe, durch das Sitzungsprotokoll eine Unwahrheit zu beweisen, vermag nicht durchzugreifen. Von einem Rechte auf Geltendmachung einer Unwahrheit kann hier nicht gesprochen werden; es kann sich nur um die Möglichkeit handeln, eine prozessrechtliche Befugnis zu tatsächlich wahrheitswidrigen Zwecken zu missbrauchen. Eine solche Möglichkeit würde auch dann bestehen, wenn man Protokollnachträge unbeschränkt für zulässig erklären wollte, und sie würde selbst dann nicht unbedingt ausgeschlossen sein, wenn das Gesetz einen Gegenbeweis gegen das Protokoll gestatten würde." Weiter heißt es: "Allerdings ist die Möglichkeit missbräuchlicher Ausnutzung prozessualer Befugnisse bei der Verneinung der Zulässigkeit von Protokollberichtigungen in erhöhtem Maße gegeben; aber hieraus allein ist noch kein zwingender Schluss darauf zu ziehen, dass die Verneinung - wenigstens bis zu einem gewissen Grade - nicht dem Willen des Gesetzes entsprechen könne."[54] Diese Fundstelle hat der These Nahrung verschafft, dass der Missbrauch prozessualer Rechte in bestimmtem Umfange "institutionell mit eingeplant" sein könne.[55]

Zuvor ist jedoch festzuhalten, dass die Entscheidung, deren Ausführungen ausschließlich der Beantwortung der Vorlagefrage dienen, den "Rechtsmissbrauch" in aller Klarheit beim Namen nennt. Davon, dass ein Rechtsmissbrauch - der in der Tat mit der Beantwortung der Vorlagefrage nur wenig zu tun hat, weil eine der Wahrheit zuwider erhobene Verfahrensrüge auch dann möglich bliebe, wenn die Protokollberichtigung aus anderen Gründen ausschiede (z.B. weil sich die Urkundspersonen nicht mehr an den Vorgang erinnern) und es dem Revisionsführer auch bei nachträglicher Tilgung des gerügten Verfahrensfehlers im Protokoll unbenommen bliebe, der Wahrheit zuwider einen Verfahrensfehler zu behaupten - zwingend hingenommen werden müsste, ist an keiner Stelle der Entscheidung die Rede. (Dass aus der mit der die Verneinung der Zulässigkeit von Protokollberichtigungen verbundenen Möglichkeit missbräuchlicher Ausnutzung prozessualer Befugnisse kein zwingender Schluss gezogen werden kann, dass die Unzulässigkeit von Protokollberichtigungen nicht dem Willen des Gesetzes entsprochen haben könne, besagt nicht, dass einem Missbrauch nicht entgegengetreten werden dürfte.) Im Gegenteil: Wenn das Gericht sagt, dass es sich bei der Ausnutzung dieser Möglichkeit nur um einen "Missbrauch" handeln könne, so bleibt die Frage der Reaktion auf einen solchen Missbrauch offen,[56] und wenn das Gericht den Hinweis auf die dann (aber eben nicht bloß in dieser Lage) gegebene Möglichkeit nicht als Gegenargument gelten lassen will, so deshalb, weil es augenscheinlich davon ausgeht, dass der "Missbrauch" eines Rechts anderweitig in den Griff genommen werden muss und dass dies auch gelingen kann.

Das RG selbst weist sogar darauf hin, dass bereits die Entstehungsgeschichte der Vorschrift mit der Befürchtung des Missbrauchs durch den Revisionsführer aufs engste verbunden ist, indem die Entwurfsbegründung ausführte, dass mit der Zulassung anderer Beweise als des Protokolls, "dem Angeklagten die Möglichkeit gegeben wäre, die Rechtsbeständigkeit des gegen ihn stattgehabten Verfahrens durch leere Ausflüchte auf geraume Zeit in Frage zu stellen".[57] Das RG meinte allerdings nur, dass "die zum Entwurf angeführten Gründe für den Ausschluss eines Gegenbeweises" auch für die jetzt erforderliche Auslegung des § 274 StPO "verwertet" werden könnten, ohne auf die Frage des Missbrauchs noch näher einzugehen.[58]

Zur Geltung von Treu und Glauben, auf die der Oberreichsanwalt hingewiesen hat, wird ausgeführt: Es sei davon auszugehen, "dass das Protokoll den Zwecken der Prozessbeteiligten dienen soll und diese daher berechtigt sein müssen, schon bei der Anfechtung des Urteils das Protokoll zur Richtschnur zu nehmen und sich für die Geltendmachung eines Prozessverstoßes auf den darin beurkundeten Sachverhalt zu berufen".[59] Das RG bejaht infolgedessen "ein prozessuales Recht auf unveränderte Beibehaltung der Grundlage seiner Rüge für die Revisionsinstanz" und dass "demzufolge auch der Revisionsrichter nicht berechtigt sein soll, Berichtigungen des Hauptverhandlungsprotokolls, durch die einer bereits erhobenen und durch das Protokoll bestätigten Rüge die Grundlage entzogen würde, zu berücksichtigen".[60] Das ist unrichtig. Bestünde in § 274 StPO wirklich ein "institutionell" eingeplantes Recht auf Beibehaltung des ursprünglichen Protokollinhalts, wie behauptet wird, dann müsste dieses wohl von Anfang an gelten und nicht erst mit der Erhebung der Prozessrüge, was dann jegliche Berichtigung ausschlösse.[61]

Darauf entgegnet das RG: "Die Eigenschaft des Hauptverhandlungsprotokolls als Grundlage für das Revisionsverfahren mag der Vornahme nachträglicher Berichtigungen insolange und insoweit nicht entgegenstehen, als die Beurkundungen des Protokolls noch nicht bestimmungsgemäß als Grundlage für die Anfechtung des Urteils in Anspruch genommen worden sind.[62] Ist aber eine Beschwerde bereits angebracht, so kann nach der vom Gesetze dem Protokolle für das gesamte Revisionsverfahren beigelegten Bedeutung eine dem Beschwerdeführer nachteilige Berichtigung nicht mehr zulässig sein

und keine Berücksichtigung mehr finden".[63] Richtig ist nur das letztere.[64] Das folgert es aus der Reziprozität, später auch "notwendiges Gegenstück"[65] genannt: Es könne "doch unmöglich dem Willen des Gesetzes entsprechen, dass zwar der Beschwerdeführer sich über die Anbringung oder Nichtanbringung einer Prozessrüge und die hierfür maßgebenden Tatsachen innerhalb der ihm gesetzten Frist Klarheit verschaffen und sie schlüssig machen müsste, den Urkundspersonen aber unbeschränkt - auch nach Ablauf jener Frist - gestattet sein sollte, einen im Protokoll beurkundeten Sachverhalt, nachdem sich der Beschwerdeführer für seine Zwecke bereits darauf berufen hat, noch mit Beweiskraft i.S. des § 274 StPO zu ändern"[66] - zumal, worauf Gollwitzer hingewiesen hat,[67] er wegen des Ablaufs der Revisionsbegründungsfrist umgekehrt gar nicht mehr in der Lage wäre, Verfahrensfehler, die erst das berichtigte Protokoll offenbar werden lässt, noch zu rügen. Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen.

Entscheidend ist die Erkenntnis, dass es eben keinen Missbrauch, sondern im Gegenteil einen bestimmungsgemäßen, normzielkonformen Gebrauch der durch § 274 S. 1 StPO eröffneten Möglichkeit des Nachweises eines Verfahrensfehlers darstellt, sich in einem Punkt auf das Protokoll zu stützen, an den man keine (eigene) Erinnerung hat.[68] Deshalb handelte es sich auch nicht um eine unstatthafte "bloße Protokollrüge", wenn der Revisionsführer sich dabei auf das Protokoll beruft. Dieses Recht würde man dem Revisionsführer beschneiden und das schutzwürdige Vertrauen in den Fortbestand der Vertrauensgrundlage enttäuschen, wollte man die nachträgliche Protokolländerung für beachtlich halten. Dass die Veränderung der Grundlage der Revision dabei nur zu seinen Ungunsten und nicht auch zu seinem Vorteil einsetzbar wäre, lässt die Unvereinbarkeit einer solchen Berichtigung mit dem Gebot der Fairness[69] und den dafür grundlegenden Prinzipien von Treu und Glauben noch deutlicher hervortreten. Im Übrigen ist eine Rechtsordnung gut beraten - und damit gelangt man zu der eingangs erwähnten Möglichkeit zurück - es so einzurichten, dass schon der Anschein einer nachträglichen "Manipulation" und damit des Missbrauchs der Möglichkeit der Protokollberichtigung (durch das Gericht) vermieden wird. Nach Gollwitzer ist es diese Überlegung, die der Rechtsprechung, dass der einmal erhobenen Revision durch die Protokollberichtigung nicht der Boden entzogen werden darf, mindestens "unausgesprochen" zugrunde liegt.[70]

b) Initiative einer Urkundsperson

Hält eine der beiden Urkundspersonen das Protokoll für richtig, oder erinnert sie sich nicht mehr, so ist eine Berichtigung ausgeschlossen[71] - kann eine Übereinstimmung zwischen den beiden Urkundspersonen nicht erzielt werden, so ist diejenige Urkundsperson, welche das Protokoll für unrichtig hält, berechtigt und - nach Meinung vieler - sogar verpflichtet,[72] dies in den Akten zu vermerken. Eine solche einseitige Erklärung ist zwar keine Protokollberichtigung mit dem Effekt, dass nunmehr der darin festgestellte Inhalt an der vollen Beweiskraft des Protokolls teilnimmt, sie beseitigt aber die Beweiskraft des alten Protokolls, dessen Inhalt nicht mehr von den beiden Urkundspersonen übereinstimmend bestätigt wird.[73] Eine solche einseitige Erklärung kann aber nicht weiter gehen als eine Protokollberichtigung; sie ist daher ebenso wenig wie eine Berichtigung geeignet, einer bereits erhobenen Revision den Boden zu entziehen.[74] Soweit sie einer bereits erhobenen Verfahrensrüge den Boden entziehen würde, ist sie nicht unzulässig, sondern hat "unbeachtet"[75] zu bleiben, "findet keine Berücksichtigung".[76] Dies gilt natürlich erst recht dann, wenn die Urkundsperson (hier der Vorsitzende) nur erklärt, als dass der gerügte Fehler "seiner Erinnerung nach" nicht vorgekommen (und der Anklagesatz doch

verlesen worden) ist.[77]

Freilich ist dies mit einer Einschränkung zu versehen: Denn der Satz, dass der einmal eingelegten Revisionsrüge weder durch die (nachträgliche) Protokollberichtigung, noch durch die einseitige Erklärung einer Urkundsperson der Boden unter den Füßen weggezogen werden darf, gilt nur für den Fall, dass entsprechende Erklärungen nach Anbringung der Verfahrensrüge abgegeben werden (wie regelmäßig erst auf Anfrage des Revisionsgerichts hin, dem sich der Verdacht aufgedrängt hat, es handele sich um eine "unwahre" Protokollrüge). Diese sind "unbeachtlich".[78] Damit ist jedoch noch nicht entschieden, was wäre, wenn entsprechende Erklärungen (etwa auf einen Protokollberichtigungsantrag der Staatsanwaltschaft hin) vor Anbringung der Verfahrensrüge abgegeben worden wären. Sofern das Protokoll dann nach Anbringung der Verfahrensrüge geändert würde, würde es zwar einer bereits erhobenen Revision die Grundlage nehmen, das Vertrauen des Revisionsführers, sich auf den unveränderten Fortbestand der Revisionsgrundlage zu verlassen, wäre aber nicht schutzwürdig. Nach der hier vertretenen Ansicht, die auf den Grundsatz von Treu und Glauben abstellt und dabei das allgemeine Missbrauchsverbot berücksichtigt, dürfte das Protokoll hier nicht nur geändert werden - das darf es immer - sondern der geänderte Inhalt auch vom Revisionsgericht zu Grunde gelegt werden. Auch wenn das Protokoll nicht geändert würde, dürfte das Revisionsgericht die Erklärung der Urkundspersonen berücksichtigen, weil die Erklärung nicht einer bereits erhobenen Verfahrensrüge den Boden entzöge. Eine Rückausnahme ist allerdings zu machen, wenn die Rüge bereits angekündigt worden ist und daraufhin die Erklärung abgegeben wird, bevor die Revisionsrüge erhoben wird.[79]

Umgekehrt - zugunsten des Revisionsführers - eröffnet die einseitige Distanzierung einer Urkundsperson vom Protokollinhalt stets die Möglichkeit des Freibeweises, um der Revision zum Erfolg zu verhelfen. So hat der BGH z.B. die formelle Beweiskraft eines Protokolls mit der Begründung entfallen lassen, dass "der Vorsitzende in der dienstlichen Stellungnahme den Sachvortrag der Revision bestätigt hat und damit insoweit vom Inhalt des Protokolls… abgerückt ist".[80] Die Praxis kennt also durchaus Fälle, in denen sich die Urkundsperson auf eine Verfahrensrüge des Angeklagten hin vom Protokoll distanziert und so der Rüge erst auf die Sprünge geholfen hat.[81]

2. Protokollberichtigungsantrag

Die Protokollberichtigung erfolgt nicht ausschließlich von Amts wegen, sondern kann auch beantragt werden.[82] Neben dem Angeklagten und der Staatsanwaltschaft sind dazu auch andere Verfahrensbeteiligte berechtigt, wenn sie ein rechtliches Interesse dartun. Über den Antrag entscheidet der Vorsitzende nach Anhörung des Urkundsbeamten.[83] Wird die Protokollberichtigung abgelehnt, so ist hiergegen Beschwerde möglich (§ 304 StPO). Die Beschwerde hat jedoch nur Erfolg, wenn die Protokollierung oder Nichtprotokollierung auf einem Rechtsfehler beruht, etwa wenn der Vorsitzende den Vorgang rechtsirrig für nicht protokollierungspflichtig gehalten hat, nicht schon dann, wenn das Protokoll schlicht "falsch" ist, weil es etwas Geschehenes als nicht geschehen bekundet oder umgekehrt. Das Beschwerdegericht kann den Hergang der Hauptverhandlung nicht rekonstruieren oder darüber etwa selbst Beweis erheben (durch Vernehmung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft oder der Zuhörer oder dergleichen). Eine Beschwerde, die in diese Richtung zielte, wäre unzulässig.[84]

Enthält das Hauptverhandlungsprotokoll nicht die wesentliche Förmlichkeit der Entfernung des Angeklagten (bei einer Zeugenvernehmung) oder Mitangeklagten (bei der Vernehmung eines anderen Mitangeklagten), so kann die Revision wegen der "negativen Beweiskraft" des Protokolls[85] nicht darauf gestützt werden, der Angeklagte sei während eines Teils der Hauptverhandlung abwesend gewesen. Zwar ist das Protokoll falsch. Der Ablauf der Hauptverhandlung war aber, so wie sie durch das Protokoll ausgewiesen ist, rechtsfehlerfrei. Wird trotzdem Revision eingelegt und zugleich mit der Revision die Berichtigung des Hauptverhandlungsprotokolls beantragt, so würde einer bereits eingelegten Revision der Boden "entzogen", wenn zwar die Berichtigung dahingehend erfolgte, dass der (Mit-)Angeklagte entfernt wurde, wenn aber mit dieser Berichtigung das Protokoll zugleich dahin berichtigt würde, dass dabei alle Förmlichkeiten eingehalten wurden - einschließlich derer, deren Nichteinhaltung der Revisionsführer bereits gerügt hat. Die Rspr. hält das für zulässig.[86] Der Beschwerdeführer kann auch nach Einlegung der zulässigen Revision nicht verlangen, dass die Protokollierung dieser ebenfalls protokollierungspflichtigen Tatsachen unterbleibt und so ein Rechtsfehler ausgewiesen wird, der nicht stattgefunden hat, selbst wenn dadurch seiner Revision die Grundlage "ent-

zogen" wird.

Diese - richtige - Ansicht gründet darauf, dass die Revision eine Basis, die ihr entzogen werden könnte, nie gehabt hat:[87] Vor der Protokollberichtigung stand ihr die negative Beweiskraft des Protokolls entgegen, nach der Protokollberichtigung steht die positive Beweiskraft dem Erfolg der Revision im Wege. Einem derartigen Missbrauch (der Kombination von "unwahrer Protokollrüge" und Protokollberichtigungsantrag) braucht nicht Folge gegeben zu werden. Ein "Anspruch", so der BGH, bestehe "nur insoweit, als die Feststellung des Vorganges, wie er sich zugetragen hatte", unterblieben sei: "Die Revision muss daher die Berichtigung des Protokolls im ganzen gegen sich gelten lassen. Sie kann nicht dadurch, dass sie zu einem bestimmten Verfahrenshergange nur eine beschränkte, in dieser Beschränkung ihr allein günstige Berichtigung erstrebt…, einen Revisionsgrund schaffen, der nicht gegeben wäre, wenn eine ordnungsmäßige, den gesamten einheitlichen Hergang umfassende Richtigstellung vorgenommen würde".[88] Hätte der Satz, dass einer einmal eingelegten Revision der Erfolg nicht mehr abgeschnitten und nachträgliche Protokollberichtigungen vom Revisionsgericht nur in bonam partem und niemals in malam partem berücksichtigt werden dürften, allgemeine, vom Grundsatz von Treu und Glauben losgelöste Geltung und wäre das allgemeine Missbrauchsverbot außer Kraft gesetzt, so dürfte es diesen Fall eigentlich nicht geben: Der Beschwerdeführer hat Revision eingelegt. Er hat Anspruch darauf, dass das Protokoll berichtigt wird. Eine nachträgliche Protokollberichtigung dürfte nur zugunsten des Angeklagten berücksichtigt werden (Entfernung), nicht zu seinen Ungunsten (Einhaltung der Förmlichkeiten).

Dagegen ist es vom Prozessrecht her möglich und geboten, einer berechtigten Verfahrensrüge auf dem Umweg über die Protokollberichtigung erst zum Erfolg zu verhelfen, auch das besagt - im Gegenschluss - die Entscheidung: Danach besteht insoweit, wie sich der Vorgang tatsächlich ereignet hat, auch ein prozessualer Anspruch auf Berichtigung.[89] Wenn also beispielsweise der Angeklagte im obigen Beispiel tatsächlich entfernt und danach nicht nach § 247 S. 4 StPO über den wesentlichen Inhalt der in seiner Abwesenheit erstatteten Zeugenaussage belehrt worden wäre,[90] so hätte der Revisionsführer Anspruch darauf, dass das Hauptverhandlungsprotokoll dahingehend berichtigt würde, dass die Tatsache der Entfernung ("positive Beweiskraft"), nicht aber der Unterrichtung ("negative Beweiskraft") darin vermerkt würde. Man kann bei dieser Auslegung des § 274 StPO nicht sagen, dass sie "einseitig" zum Nachteil des revisionswilligen Beschuldigten oder der Verteidigung ausschlagen würde - ganz abgesehen davon, dass dies alles ganz ebenso für die Staatsanwaltschaft und jeden anderen Revisionsführer zu gelten hat. Es ist heute unbestritten und entspringt einem unbezweifelbaren praktischen Bedürfnis, dass der Beschwerdeführer die Berichtigung des Protokolls zu seinen Gunsten ohne zeitliche Begrenzung erreichen kann und die Berichtigung insoweit stets zulässig ist[91] - noch das RG hielt dies keinesfalls für selbstverständlich, sondern hielt eine nach Fertigstellung erfolgte Protokollberichtigung auch in bonam partem für nicht berücksichtigungsfähig.[92] Einen Anspruch auf die Erhaltung von Missbrauchsmöglichkeiten hat aber keine Seite.

Wenn in der Praxis Defizite angeprangert werden und gesagt wird, dass es "kaum etwas Aussichtsloseres" gebe als einen Protokollberichtigungsantrag,[93] dann treffen sie jedenfalls nicht das Prozessrecht. Mit Recht werden die Urkundspersonen sogar für verpflichtet gehalten, einen von ihnen erkannten Fehler in der Beurkundung richtig zu stellen, um spätere Rechtsnachteile Dritter zu verhüten.[94] Für manche stellt es allerdings schon einen "Missbrauch der absoluten Beweiskraft des Hauptverhandlungsprotokolls (§ 274 StPO)", wenn Standardfloskeln verwandt werden, wie z.B.: "Nach einer jeden Zeugenvernehmung wurde der Angeklagte befragt, ob er noch etwas zu erklären habe."[95] Dieser Meinung kann schon deshalb nicht beigepflichtet werden, weil kaum zu entscheiden ist, was häufiger vorkommt: dass die vorgeschriebene Frage entgegen der Standardformel im Protokoll unterlassen wurde oder die unbegründete Rüge, dass dem nicht so war.

Im Übrigen lässt sich nicht behaupten, dass die obergerichtliche Rspr. ihr Wächteramt zur Verhinderung von "Missbräuchen" seitens der Gerichte oder des Vorsitzenden hier etwa vernachlässigte. So hat das OLG Düsseldorf entschieden,[96] dass der Vorsitzende einen Antrag auf Protokollberichtigung (hier: der Vermerk, der

Vorsitzende habe die Urteilsformel - in einer Berufungshauptverhandlung - verlesen, wird gestrichen) erst dann ablehnen darf, wenn sich der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle schriftlich zu der behaupteten Unrichtigkeit geäußert hat und wenn er, bei eigener Nichterinnerung, weitere Erhebungen wie etwa die Befragung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft, durchgeführt hat, die geeignet sind, ihm den Vorgang möglicherweise ins Gedächtnis zurückzurufen.[97] Eine am Telefon mündlich eingeholte Erklärung soll dagegen, angeblich "im Interesse der Klarheit" und um auf diese Weise eine Überprüfung durch das Revisionsgericht zu ermöglichen (in Wahrheit aber wohl um einen möglichen Missbrauch des Ablehnungsrechts zu erschweren), nicht ausreichen.

3. Verstoß gegen Treu und Glauben oder Vorkehrung gegen prozessuale
"Arglist"?

Je nachdem, worauf sich der Satz stützt, dass der einmal eingelegten Revision nicht durch die Protokolländerung der Boden entzogen werden darf, ergeben sich Unterschiede in der Reichweite dieser Regel. Die Unterschiedlichkeit in der Betonung entweder des Grundsatzes von "Treu und Glauben" oder der Befürchtung von Missbräuchen der Protokolländerungsbefugnis hat deshalb Konsequenzen auch für die Frage, ab wann der Grundsatz eingreift, dass einer bereits erhobenen Revision "der Boden nicht mehr entzogen" werden darf. So kann man auf den Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels abstellen,[98] oder auf den Zeitpunkt des Eingangs bei Gericht.[99] Wer auf das Vertrauen des Revisionsführers in die Grundlagen seiner einmal eingelegten Revision abstellt, wird sagen, dass der Rechtsmittelführer sich bereits bei der Einlegung der Revision darauf verlassen können soll, dass eine etwaige Protokollberichtigung sein Rechtsmittel nicht mehr berühre. Wer dagegen eher dem "bösen Schein" einer mit prozessualer Arglist zur Ausmanövrierung der Revision vorgenommenen Protokollberichtigung und damit des Missbrauchs vorbeugen will, wird auf den späteren Zeitpunkt des Eingangs bei Gericht abstellen, weil vor diesem Zeitpunkt eine "Manipulation" (seitens des Vorsitzenden) zu Lasten der Revision ausgeschlossen werden kann. Alsberg/Nüse/Meyer versehen dies jedoch mit einer aufschlussreichen Einschränkung: Allerdings werde man nach der ausdrücklichen Ankündigung des Beschwerdeführers, er werde mit der Revision eine bestimmte Verfahrensrüge erheben, eine Protokollberichtigung für ebenso wirkungslos ansehen müssen wie in dem Fall, dass diese erst nach Eingang der Revision erfolge.[100]

Auch in dem Fall, dass die Revision nur angekündigt ist, muss der "Anschein" entstehen, dass durch die "Manipulation" des Protokollinhalts einer Rüge der Boden entzogen werden soll. Außerdem erscheint es als ein Gebot der prozessualen Fairness, einer angekündigten Prozesshandlung nicht den Erfolg abzuschneiden. Daraus ergibt sich die Anerkennung gewisser "Vorwirkungen" des Satzes, dass einer Revision nicht durch die Berichtigung des Hauptverhandlungsprotokolls der Boden entzogen werden darf, indem dieser Satz nicht nur auf die bereits "erhobene" sondern auch auf die nur "angekündigte" Revision bezogen werden kann. Wenn hier im Grundsatz für die zweite Meinung plädiert wird, so nicht deshalb, weil die Meinung vertreten würde, dass der Grundsatz von Treu und Glauben im Strafprozess nicht (niemals) anwendbar wäre[101] - zu berücksichtigen ist hier: Wollte man mit der ersten Meinung strikt an den Zeitpunkt der Revisionseinlegung anknüpfen, so wäre auch die oben beschriebene "Vorwirkung" nicht erreichbar. Denn die bloße Ankündigung einer noch einzulegenden Revision schafft noch kein schutzwürdiges Vertrauen in den Fortbestand der Revisionsgrundlage. Der Fall dürfte freilich selten praktisch relevant werden, in der Praxis scheint es sich vielmehr um einen "Wettlauf" mit der Zeit zu handeln, in dem es darum geht, wer den Fehler zuerst entdeckt: das Gericht, um noch rechtzeitig eine Protokollberichtigung herbeizuführen oder der Revisionsführer, um auf den Fehler die Revision zu stützen. Für Ankündigungen bleibt da kein Raum.

III. Der Status quo: Behandlung der "unwahren" Protokollrüge in Rechtsprechung und Literatur

1. Die Nachkriegsrechtsprechung

Durch die Anerkennung des Satzes, dass der einmal eingelegten Revisionsrüge durch die nachträgliche Protokollberichtigung "der Boden nicht mehr entzogen" werden darf, wird die sog. "unwahre" Protokollrüge[102] zwar nicht erst ermöglicht, aber doch begünstigt. Darunter wird der Fall verstanden, dass der Revisionsführer, sei er Verteidiger oder Staatsanwalt, einen Verfahrensverstoß rügt, von dem er weiß, dass er nicht stattgefun-

den hat. Die Möglichkeit, durch das Protokoll eine Unwahrheit zu beweisen, ergibt sich aus § 274 S. 1 StPO ebenso wie kehrseitig die Unmöglichkeit, einen in Wahrheit geschehenen Verfahrensverstoß zu beweisen, den das Protokoll nicht enthält. Gäbe es den Satz nicht, dass das Protokoll zwar berichtigt, das geänderte Protokoll aber vom Revisionsgericht nicht zum Nachteil der bereits erhobenen Revision berücksichtigt werden dürfte, so könnte zwar ein Verfahrensverstoß noch immer der Wahrheit zuwider behauptet werden, ein solches Vorgehen wäre aber wenig Erfolg versprechend, da mit der Berichtigung (Wiederherstellung der Übereinstimmung von prozessualer und wirklicher Wahrheit) auch die Möglichkeit entfiele, eine Unwahrheit zu beweisen.

Aber auch wenn man die Berücksichtigung der nachträglichen Protokolländerung in der Revisionsinstanz zuließe, bestünde die Möglichkeit, mit Hilfe des Protokolls eine Unwahrheit zu beweisen, noch immer dann, wenn eine Protokollberichtigung aus anderen Gründen nicht vorgenommen werden könnte, etwa weil sich die Urkundspersonen (im Unterschied zum Revisionsführer) nicht an den Vorgang erinnern[103] oder verstorben sind, und die Möglichkeit, mit Hilfe des falschen Protokolls die Unwahrheit zu beweisen, bestünde selbst dann, wenn das Gesetz den Gegenbeweis gegen die Richtigkeit des Protokolls (über § 274 S. 2 StPO hinaus) zuließe, aber die Beweise nicht ausreichten, um das Gericht von der Unrichtigkeit des Protokolls zu überzeugen. Auch in diesem Fall würde der Revisionsführer mit einer "unwahren Verfahrensrüge" durchdringen. Es kann sich dabei aber "nur um die Möglichkeit handeln, eine prozessrechtliche Befugnis zu tatsächlich wahrheitswidrigen Zwecken zu missbrauchen."[104]

Diese Stellungnahme des RG lässt nicht nur an die Möglichkeit der Rügeverwirkung wegen Arglist denken,[105] sondern bereits die Möglichkeit erahnen, die bewusst unwahre Protokollrüge als wegen Rechtsmissbrauchs unzulässig anzusehen. Angesichts der Einmütigkeit der Judikatur, die darin einen "Missbrauch" gesehen hat, ist es in der Tat wenig erstaunlich, dass die Entwicklung bei RGSt 43, 1 nicht stehen geblieben ist. Die schärfste Klinge gegen RGSt 43, 1 führte einer der großen Strafrechtslehrer seines Jahrhunderts, Ernst von Beling, er tritt der reichsgerichtlichen Rspr. mit den Worten entgegen, man würde dadurch "dem offensichtlich schikanösen Rechtsmittelwerber wider besseres Wissen beispringen und aller Gerechtigkeit und Prozessökonomie zum Trotz das völlig ordnungsgemäße Urteil der Vorinstanz aufheben" - weiter heißt es: "Das wäre nichts geringeres als eine Prämie für Lüge und Schwindel, für ein Handeln in fraudem legis".[106] Dennoch hat das RG in zahlreichen Entscheidungen[107] bis zur Entscheidung des Großen Senats v. 11.7.1936 an dieser - heftig umkämpften[108] - Rechtsauffassung festgehalten. In der erwähnten Entscheidung des Großen Senats[109] hat dieser die ältere Rspr. aufgeben, wenn auch mit zweifelhafter[110] Begründung: Die bisherige Rspr. erscheine "mit der Grundauffassung der Aufgaben des Strafverfahrens, die im Dritten Reich Allgemeingut geworden ist, nicht mehr vereinbar." - "Heute ist, mehr noch als früher, der Gedanke in den Vordergrund gerückt, dass es Aufgabe des Strafverfahrens ist, mit möglichster Beschleunigung der Wahrheit und der Gerechtigkeit zum Siege zu verhelfen. Hieraus ergibt sich für die Rechtsprechung die Pflicht, dem Fortgang des Verfahrens keine Hindernisse zu bereiten, die sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz ergeben".[111]

Dieser Auffassung haben sich die Zivilsenate des RG angeschlossen.[112] Nach dem Krieg bot sich ein uneinheitliches Bild, das zugleich "ein erhellendes Beispiel" für strafgerichtliche Vergangenheitsbewältigung abgibt.[113] Während das OLG Kassel zu den von den Vereinigten Strafsenaten in RGSt 43, 1 aufgestellten Grundsätzen zurückkehrte,[114] nahm das OLG Braunschweig[115] die Entscheidung des Großen Senats gegen den Vorwurf nationalsozialistischen Denkens in Schutz: "Die Entwicklung der reichsgerichtlichen Rechtsprechung zu der zur Erörterung stehenden Frage hat hiernach nichts mit der Beeinträchtigung der Rechte des Angeklagten zu tun, die in gewissen nationalsozialistischen Gesetzen ihren Niederschlag gefunden" habe, sondern sei "vielmehr ein Glied in der Kette" einer allgemeinen geistigen Entwicklung.[116]

Dass eine Entscheidung nationalsozialistisches Gedankengut enthält, macht die darin enthaltene Rechtsauffassung jedenfalls nicht per se unvertretbar. Auch Dallinger schreibt, die Entscheidung des Großen Senats sei "zwar bedauerlicherweise da und dort durch nationalsozialistische Floskeln verbrämt",[117] aber man dürfe Niethammer[118] vollen Glauben schenken, wenn er berich-

te, dass der Beschluss aufgrund sorgfältiger Abwägung zustande kam: "Maßgebend für die Entscheidung des Großen Senats waren Erfahrungen, die sich in den vergangenen Jahrzehnten angesammelt hatten und gebieterisch dazu drängten, die im Beschluss der Vereinigten Senate ausgesprochene Ansicht aufzugeben. Die starre Gebundenheit an den zur Zeit der Erhebung einer Verfahrensbeschwerde gegebenen Inhalt der Sitzungsniederschrift war von den Beschwerdeführern immer wieder missbraucht worden."

Der OGH der Britischen Zone ist aber - mit Urteil vom 1.2.1949 - zur alten Rspr. zurückgekehrt.[119] Die RGSt 70, 241 tragende Argumentation, so "bestechend" sie auch sei, nehme dem § 274 StPO "einen guten Teil seiner vom Gesetzgeber gewollten Bedeutung und Tragweite". Er argumentierte: "So kann auch der ärgste und offensichtlichste Verfahrensverstoß vom Revisionsgericht nur berücksichtigt werden, wenn er rechtzeitig in der vorgeschriebenen Form gerügt ist. Ist dies nicht geschehen, so ist der Fehler für das Revisionsgericht nicht vorhanden… Dass sich umgekehrt die Prozessbeteiligten auf einen Verfahrensfehler berufen dürfen, der nach dem Protokoll als vorhanden anzusehen ist, mag er auch in Wahrheit nicht bestehen, ist das notwendige Gegenstück".[120] Es sei "durchaus auch der Fall denkbar", dass der Beschwerdeführer "in gutem Glauben an die Richtigkeit des Sitzungsprotokolls" die Verfahrensrüge erhebe und dass die Urkundspersonen bei der Berichtigung einer "Täuschung" unterlägen.[121] - Weiter heißt es, wie zur Beruhigung eines unguten Gefühls mit dem Ergebnis der eigenen Auslegung: "Im Ergebnis ist jedoch nicht zu besorgen, dass die Gerechtigkeit Schaden leidet. Denn selbst bei missbräuchlicher Ausübung der Befugnis erreicht der Beschwerdeführer nur, dass der Sachverhalt nochmals unter gewissenhafter Beachtung aller sachlichen und verfahrensrechtlichen Vorschriften erörtert und gerecht entschieden wird".[122] Doch das ist ein allzu "schöngefärbtes" Bild. In Zeiten, in denen die "Konfliktverteidigung" auf Zermürbung und Abschluss des Verfahrens durch "Deal" setzt, wird das Prozessieren zum Selbstzweck. Außerdem muss dem OGH "entgegengehalten werden, dass die beträchtliche Verzögerung… und die dadurch bedingte Verwässerung der Beweismittel nicht unbeachtet bleiben darf",[123] und schließlich: "Diese Bemerkungen können nur dahin verstanden werden, dass die zwar auf das Protokoll gestützte, aber bewusst wahrheitswidrige Behauptung eines Verfahrensfehlers als Missbrauch angesehen wird".[124]

Der BGH hat sich bald nach seiner Einrichtung, schon im zweiten Band der Amtlichen Sammlung, mit dem bereits erwähnten Urteil vom 19.12.1951 dem OGH angeschossen.[125] Dort sagt er: "Die außergewöhnliche Beweiskraft der Sitzungsniederschrift hat zur Folge, dass kein Prozessbeteiligter sich auf einen tatsächlich unterlaufenen Verfahrensfehler mit Erfolg berufen kann, wenn er in ihr nicht enthalten ist. Der Beschwerdeführer hat so gut wie keine Möglichkeit, deren Berichtigung zu erzwingen. Umgekehrt muss aber dann auch dem Beschwerdeführer das Recht eingeräumt werden, einen aus dem Protokoll ersichtlichen - in Wahrheit nicht vorliegenden - Mangel zur Begründung seines Rechtsmittels zu verwerten …"[126] Das entspricht der Argumentation von der Reziprozität in RGSt 43, 1, 9 bzw. vom "notwendigen Gegenstück" in OGHSt 1, 277, 280, geht aber über jene Entscheidungen (scheinbar) hinaus, in deren Tradition sich das Gericht sieht.[127] Vom Missbrauch, wie in beiden genannten Entscheidungen, ist darin nicht mehr die Rede. Während es in der reichsgerichtlichen Entscheidung noch geheißen hatte, dass "von einem Rechte auf Geltendmachung einer Unwahrheit… nicht gesprochen werden" könne, es sich vielmehr nur um einen Missbrauch handeln könne,[128] spricht der BGH nunmehr von einem "Recht", einen "in Wahrheit nicht vorliegenden" Mangel zur Begründung des Rechtsmittels heranzuziehen. Warum der BGH von dieser zutreffenden Qualifikation abrückt, wird aus der Entscheidung nicht ersichtlich. Das zur Begründung angeführte Argument, dass der Beschwerdeführer "so gut wie keine Möglichkeit" habe, die Berichtigung des Protokolls zu erzwingen, ist jedenfalls falsch[129] und war schon damals unhaltbar angesichts einer Rspr., die dem Beschwerdeführer einen prozessualen Anspruch auf Protokollberichtigung gewährt[130] und die Urkundspersonen darüber hinaus sogar für verpflichtet hält, von sich aus einen von ihnen erkannten Fehler in der Beurkundung richtig zu stellen.

Für den BGH ist entscheidend, dass er "sich der nachträglichen Änderung" des in der Niederschrift dargelegten und für alle Beteiligten maßgeblichen Sachverhalts "widersetzen" können[131] und dass er "gegen eine nachträgliche Beseitigung des Mangels durch Protokollberichtigung gesichert sein" müsse.[132] Das ist aber

eine ebenfalls aus dem Gebot von Treu und Glauben, der Fairness und dem Rechtsmissbrauchsverbot - Missbrauch des in der StPO nicht erwähnten, aber durch Lückenfüllung zu schließenden[133] Rechts zur Berichtigung des Protokolls - begründbare Forderung, der mit dem BGH und der h.M. in der Lit. vorbehaltlos zugestimmt werden kann.[134] - "Andernfalls liefe die Regelung… auf eine Benachteiligung des Beschwerdeführers hinaus, die der Gesetzgeber nicht gewollt haben kann… Er wäre der Gefahr ausgesetzt, durch eine nachträgliche Änderung des Protokolls eine nach dessen Inhalt begründete und auch nach den tatsächlichen Vorgängen der Hauptverhandlung berechtigte Verfahrensrüge zu verlieren".[135] Das ist aber ein ganz anderer Aspekt. Über die arglistige Erhebung einer "unwahren" Protokollrüge besagt das Urteil, liest man es genau, nichts. Auch das "Recht", einen "aus dem Protokoll ersichtlichen - in Wahrheit nicht vorliegenden - Mangel zur Begründung seines Rechtsmittels zu verwerten" besagt, genau genommen, nichts Gegenteiliges. Denn es ist ja, worauf der OGH hingewiesen hat, "durchaus auch der Fall denkbar", dass der Beschwerdeführer "in gutem Glauben an die Richtigkeit des Sitzungsprotokolls"[136] einen Verfahrensmangel rügt, der in Wahrheit nicht vorliegt.

Es verbietet also nicht, dem Missbrauch des Rügerechts entgegenzutreten. Für das Gericht waren jenseits der missbräuchlichen Rüge liegende Gesichtspunkte wie "das Nachlassen des Gedächtnisses der Urkundspersonen und die damit verbundene Unsicherheit der Erkenntnis, was sich in der Hauptverhandlung wirklich ereignet hat", maßgebend.[137] So wird zu dem Einwand, dass das Revisionsgericht dann gezwungen sei, "seiner Entscheidung einen unzutreffenden Sachverhalt zugrunde zu legen",[138] ausgeführt: "Es steht eben dann nicht fest, was der Wirklichkeit entspricht." - "Im Regelfall lässt sich das auch nicht zuverlässig feststellen. Sehr häufig werden einander widersprechende Behauptungen - der anderen Seite - vorliegen, die es dem Revisionsgericht unmöglich machen, über die tatsächlichen Vorkommnisse ein klares Bild zu gewinnen."[139]

2. Die Literatur

Die Rspr. ist allerdings anders verstanden worden. So meint Kempf feststellen zu können, dass es "jedenfalls zwischenzeitlich einhellige Auffassung" ist, "dass die Rüge von Verfahrensverstößen, die sich aus dem Protokoll ergeben, sich in Wirklichkeit aber nicht zugetragen haben, zulässig ist";[140] Dahs meint, nach heute herrschender Auffassung brauche sich der Verteidiger davor "nicht zu scheuen",[141] und Hamm schreibt, dass man sich "getrost" auf einen solchen Verfahrensverstoß stützen dürfe.[142] In der Tat scheint die h.M. im Schrifttum davon auszugehen, dass die "bewusst" unwahre Protokollrüge weder "unzulässig" noch "standeswidrig" sein könne.[143] Das war nicht immer so, der mit Recht als ständige Rspr. des Bundesgerichtshofes[144] zu bezeichnende Satz, dass das Revisionsgericht eine Protokollberichtigung nicht berücksichtigen darf, wenn sie einer erhobenen Verfahrensrüge nachträglich die tatsächliche Grundlage entziehen würde, verdeckt auch hier eine bis heute nicht geklärte Kontroverse, in deren Mittelpunkt die Frage steht, ob der Anwalt "lügen" darf.[145]

Dahs meint, die Wahrheitspflicht des Verteidigers sei damit nicht nur "nicht verletzt", sondern sie werde "geradezu in ihr Gegenteil, nämlich die Verpflichtung zur Unwahrheit verkehrt": Für Dahs handelt es sich hier um einen Bereich "in dem der Verteidiger nach Herzenslust… lügen darf - und muss".[146] Als erster hat Cüppers den Charakter der unwahren Tatsachenbehauptung als "Lüge" in Zweifel zu ziehen versucht.[147] Das Gesetz zwinge den Anwalt wider besseres Wissen, das Gegenteil dessen zu behaupten, was sich zugetragen habe, da sonst seine Revision nicht durchdringe. Viele Anwälte

stünden hier vor einem "Gewissenskonflikt".[148] Cüppers sagt: "Es ist richtig, dass bei oberflächlicher Betrachtung diese Situation als moralisch in höchsten Maße bedenklich betrachtet werden kann". Aber er kommt zu dem Ergebnis, diese der Wahrheit nicht entsprechende Behauptung sei keine "Lüge" und derogiert damit den "angeblichen Gewissenskonflikt" gleich wieder: "Die Antwort ist: Ein solcher Konflikt besteht überhaupt nicht, da die Vorbringung einer sog. Verfahrensrüge, die der objektiven Wahrheit nicht entspricht, niemals eine Lüge ist",[149] weil § 274 StPO eine "praesumptio juris et de jure" oder - wenn man noch einen Schritt weiter gehen wolle - eine "gesetzliche Fiktion" aufstelle,[150] bei der die "Wahrheit" in dem Maße keine Rolle mehr spiele, in dem sie durch das Protokoll zur beweiskräftig feststehenden Wahrheit verändert werde. "Das Ergebnis ist also: wer eine verfahrensrechtliche Rüge erhebt, behauptet trotz des äußeren Anscheins nicht, dass der verfahrensrechtliche Verstoß tatsächlich begangen worden sei".[151] Aber das ist nicht richtig - es wäre nur dann richtig, wenn der gerügte Verfahrensfehler nicht mit Bestimmtheit als geschehen behauptet werden müsste. Das ist aber gerade nicht der Fall.[152] Es ist gerade die Unzulässigkeit der sog. "bloßen" Protokollrüge, die den "Gewissenskonflikt" heraufbeschwört und den Anwalt zu der Behauptung zwingt, "dass der verfahrensrechtliche Verstoß tatsächlich begangen worden sei". Die Rüge des - tatsächlich - vorgekommenen "Verfahrensfehlers", nämlich des falschen Eintrags im Protokoll, ist eben nicht genügend. Mit dieser Rspr. zur "bloßen" Protokollrüge setzt sich Cüppers in Widerspruch.[153]

Die apodiktische Behauptung, "die Vorbringung einer sog. Verfahrensrüge, die der objektiven Wahrheit nicht entspricht", sei keine Lüge, ist unhaltbar - dass sie "niemals eine Lüge" sei, ist nicht einmal bei Billigung des Ausgangspunktes aufrechtzuerhalten, so kann die Behauptung, ein (in Wahrheit entgegen dem Protokoll nicht) vereidigter Zeuge sei bereits wegen Hehlerei oder Begünstigung hinsichtlich der gegenständlichen Tat verurteilt worden, es habe also ein Vereidigungsverbot bestanden (§ 60 Nr. 2 StPO), selbstverständlich erlogen sein.[154] Zu Recht erteilt der ältere Dahs allen Versuchen eine Absage, "den Charakter der beanstandeten Unwahrheit als einer Lüge in Zweifel zu ziehen".[155] Dass das Revisionsgericht durch die von ihm vielfach vermutete Kenntnis des wahren Prozessgeschehens häufig nicht getäuscht werde, ändere daran nichts.[156] Cüppers argumentierte, dass der Revisionsrichter das Vorbringen nicht für "wahr" halten und der Rüge diese Bedeutung nicht beimessen müsse; "er weiß sogar möglicherweise aus eigener Anschauung, dass sie falsch ist, etwa weil er gerade bei dieser Verhandlung… als Zuhörer anwesend war".[157] Aber das ist irrelevant, da der Zwang, einen unrichtigen Sachverhalt zugrunde legen zu müssen, nicht durch die Erregung eines "Irrtums", sondern durch die Unwiderlegbarkeit der gesetzlichen Beweisregel ausgelöst wird.[158]

Schließlich ist es keinesfalls so, dass § 274 StPO die Kraft hätte, aus Unwahrheit "Wahrheit" zu machen. Bei § 274 StPO handelt es sich nicht um eine "Fiktion", sondern um eine "gesetzlichen Vermutung", eine Beweisregel (mit stark eingeschränkter Widerlegbarkeit), deren Wirkung nicht auf die Ebene der Tatsachen übertragen werden darf.[159] Der rechtliche "Mechanismus" der Beweisregel wird nur in Gang gesetzt, wenn eine entsprechende Behauptung aufgestellt wird.[160] Ob der Anwalt dies tut, hängt von ihm ab.[161] Häufig kann man nicht alles beweisen, was mit gutem Gewissen behauptet werden dürfte. Hier liegt es umgekehrt. Man kann u.U. mehr beweisen, als man mit gutem Gewissen behaupten darf.[162] Dallinger gibt zu bedenken, dass ein Gewissenskonflikt nur für denjenigen bestehe, der mit seiner Revision um jeden Preis durchdringen wolle, und hält folgende Weisheit für unverbrüchlich: "Sicherlich darf der Anwalt nicht alles tun, was ihm ermöglichen würde, mit einer Revision durchzudringen".[163] Kurz: "Der Zweck heiligt nicht die Mittel".[164] Das meinte auch Dahs.[165]

Auch wäre es falsch, zu behaupten, dass der Verfahrensablauf schon vor der Rüge unabänderlich feststehe. Das Sitzungsprotokoll kann schließlich von den Urkundspersonen noch mit für das Revisionsgericht beachtlicher Wirkung geändert - berichtigt - werden.[166] Die Möglichkeit hierzu geht, wie die Rspr. zu Recht erklärt hat, erst "in dem Augenblick verloren, in dem eine in tatsächlicher Beziehung durch das Sitzungsprotokoll gestützte Verfahrensrüge erhoben" wird. "Es ist schon ein Unterschied, ob sich der Verteidiger mit seiner Rüge auf den Boden verfahrensrechtlich bereits unverrückbar festliegender Tatsachen stellt oder ob er, der "objektiven Wahrheit" zuwider, diese Unverrückbarkeit erst schafft."[167] Der Meinung von Cüppers kann daher nicht beigepflichtet werden. Es müsste dem Unbefangenen in der Tat scheinen, als feiere, wie Dallinger es ausdrückte, der "Formalismus" Triumphe: "Das Sitzungsprotokoll ist, obwohl unrichtig, unwiderlegbar und kann nicht (mehr) geändert werden. Der Anwalt ist berechtigt, wenn nicht gar verpflichtet, einen gar nicht unterlaufenen Fehler zu rügen, an den weder er sonst noch jemand glaubt. So wird infolge eines geheimnisvollen juristischen Zaubers ein vollkommen ordnungsgemäßes Verfahren zunichte".[168]

Auch Eb. Schmidt erhebt im Lehrkommentar Bedenken: "Dass in obigem Fall der Anwalt… bewusst lügt, kann nicht geleugnet werden mit der Behauptung, das Protokoll schaffe die vom Anwalt behauptete Tatsache."[169] Doch die Frage, ob der Anwalt "lügen" darf,[170] ist in Wahrheit zweitrangig. Jescheck hält die wissentlich unwahre Protokollrüge aus diesem Grunde für "standeswidrig".[171] Doch das ist keine Lösung des Problems. Zwar wird im Regelfall der Anwalt Revision einlegen (§ 345 II StPO), doch kann auch der Beschuldigte selbst die Revision zu Protokoll der Geschäftsstelle anbringen - und dabei den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle "belügen" oder ihm die Wahrheit gestehen und dennoch auf die Erhebung der Rüge bestehen. Dann würde der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle "lügen", wenn er die entsprechende Rüge in der notwendigen Form (Bestimmtheit der Tatsachenbehauptung) anbringt. Schließlich kann auch die Staatsanwaltschaft Revision einlegen.

Die Frage ist nicht, ob der Anwalt oder der Beschuldigte oder der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle oder der Staatsanwalt "lügen" dürfen, sondern ob sie eine vom Prozessrecht ihnen gegebene Möglichkeit oder Befugnis (einen Verfahrensfehler zu behaupten und zu beweisen) zu einem dafür nicht vorgesehenen Zweck missbrauchen dürfen. Das behauptet die These, der zufolge der "Missbrauch" der Protokollrüge bei § 274 I StPO "institutionell mit eingeplant" sei.[172] Denn dass es sich um einen "Missbrauch" handelt, ist unbestreitbar.[173] Die Verfahrensrüge ist dazu da, geschehene Verfahrensfehler zu korrigieren. Sie ist nicht dazu geschaffen worden, Urteile aufgrund von Verfahrensfehlern zu kippen, die nicht vorgekommen sind. Auch § 274 I StPO hat nicht den Zweck, der Behauptung einer Unwahrheit in Form der "Rüge wider besseres Wissen" Vorschub leisten - das zu behaupten, wäre barer Hohn - allenfalls kann man sagen, dass diese Möglichkeit in § 274 I StPO um derentwillen in Kauf genommen wird, dass ein aus dem Sitzungsprotokoll ersichtlicher Verfahrensfehler auch dann gerügt und bewiesen werden kann, wenn der Revisionsführer sich an den Vorgang nicht erinnert und deshalb unwissentlich die Unwahrheit behauptet.

Auch Cüppers verwahrt sich als Kammervorstandsmitglied gegen den Vorwurf, dem "Missbrauch" das Wort reden zu wollen.[174] Nur versteht er darunter etwas anderes: Er betont "dass an keiner Stelle meines Aufsatzes die These verteidigt wäre, dass auch ein Missbrauch des formellen Rügerechts nicht standeswidrig sei". Er sei sogar ausdrücklich von dem Fall ausgegangen, dass "ein falsches Urteil, also ein ungerechtes Urteil" ergangen sei. "Wer, um der Gerechtigkeit zum Siege zu verhelfen, ein nur mit Mitteln des Prozessrechts bekämpfbares Urteil zur Aufhebung bringt, lügt weder, noch macht er sich einer Standeswidrigkeit schuldig, wer aber einen solchen verfahrensrechtlichen Rechtsbehelf dazu missbraucht, um unlautere Zwecke zu verfolgen, lügt zwar auch dann nicht, aber er macht sich ehrenrechtlich strafbar wegen unsauberer Machenschaften."[175] Ähnlich argumentiert Schneidewin: Man werde voraussetzen müssen, "dass es ihm wirklich darum zu tun ist, ein Urteil zu beseitigen, gegen das er ernste sachliche Bedenken hat"[176] - "nicht zu billigen" sei es dagegen, wenn er sich die Regelung des § 274 StPO "zur Verschleppung oder zu anderen nicht ganz lauteren Zwecken dienen ließe" - diese Einschränkung ist später verloren gegangen. Doch davon kann die Entscheidung auch sonst schon deshalb kaum abhängig gemacht werden, weil die Feststellung der Schuld des Angeklagten in allen Fällen dem Urteil überlassen bleiben muss, weil das prozessuale Recht ebenso für den Unschuldigen wie (vielleicht noch mehr) für den Schuldigen da ist und weil auch das Missbrauchsverbot den Angeklagten ohne Ansehung seiner Schuld trifft.

Zutreffend formuliert Dahs, dass diese "bequeme Ent-

schuldigungsformel" nicht "zieht".[177] Dennoch hat die Meinung weitere Anhänger im Schrifttum gefunden. Kalsbach äußert etwa zur selben Zeit: "Wann aber ein Missbrauch gegeben ist, das ist die Frage", er liege nicht schon darin, dass die Kraft des § 274 StPO für die Revision ausgenutzt werde.[178] Nach ihm kann ein "Missbrauch" der Protokollrüge einmal vorliegen, wo "außerhalb der Wirkungskraft des Protokolls liegende Vorgänge" unter Hinweis auf das Protokoll (das wird zwar nicht ausdrücklich gesagt, ist aber wohl so zu verstehen, wenn überhaupt eine Verbindung zum Protokoll gezogen werden soll, um dessen Missbrauch es immerhin geht, und es ist denkbar, weil nicht alle im Protokoll bezeichneten Vorgänge an der besonderen Beweiskraft teilnehmen) "bewusst wahrheitswidrig" behauptet würden, und zum zweiten dann, wenn die Rüge nicht dazu diene, der Gerechtigkeit zum Siege zu verhelfen, sondern nur dazu, Zeit zu gewinnen.[179] Diese Revision diene "nicht der materiellen Gerechtigkeit, sondern nur Eigeninteressen des Angeklagten" - insofern liege die Lage nicht anders "als in all den Fällen, in denen die Ausnutzung gesetzlicher Möglichkeiten nicht das Recht, sondern missbräuchlich… Eigeninteressen der Partei verwirklichen soll".[180]

Dagegen, sich auf die "materielle Gerechtigkeit" zurückzuziehen, hat sich zu Recht auch der jüngere Dahs gewandt. Zwar habe man versucht, die Befugnis zur Einlegung einer unwahren Protokollrüge auf den Fall zu begrenzen, dass der Verteidiger von der materiellen Unrichtigkeit des Urteils überzeugt ist und nur auf dem Umweg über die Verfahrensrüge zum Ziel kommen kann. Das hält Dahs aber für eine nicht folgerichtige Einschränkung[181] - und ist es wohl auch nicht, wie der Vergleichsfall zeigt, dass der Staatsanwalt bei der Einlegung der Revision oder die Urkundspersonen bei der Protokollberichtigung auf die Idee kämen, der "materielle Gerechtigkeit" mit der Behauptung einer Unwahrheit auf die Sprünge zu helfen. Der Fall wurde bereits oben als "unerhört" und abwegig bezeichnet. Doch es kommt noch ein Weiteres hinzu, worauf Dahs mit vollem Recht hinweist: Die Meinung des Anwalts von der Schuld oder Unschuld seines Mandanten kann falsch sein. Gegen eine Differenzierung, die daran ansetzt, ob die Verfahrensrüge dazu benutzt wird, ein materiell richtiges oder unrichtiges Urteil zu Fall zu bringen, haben sich auch Ranft und Jescheck ausgesprochen.[182]

Jescheck , Pfeiffer, Ranft und auch Kalsbach scheinen darin nur ein standesrechtliches Problem zu sehen,[183] es ist aber auch - und sogar vornehmlich[184] - ein strafprozessuales Problem,[185] von dem sich sogar vertreten ließe, dass die entsprechende Rüge, da die Rechtslage umstritten ist, zwar prozessual (wegen Missbrauchs) unzulässig, aber deswegen keineswegs auch schon standeswidrig sei - im Gegenteil: Sollte das zuständige Revisionsgericht, wie der Anwalt weiß, eine andere Meinung vertreten, so ist fraglich, ob der Anwalt, der selbst einer anderen Rechtsmeinung anhängt als das Revisionsgericht, dem Mandanten die Revisionsmöglichkeit bewusst vorenthalten darf, das kann man bezweifeln. Außerdem betrifft das Standesrecht nur den Rechtsanwalt, nicht den Beschuldigten selbst (bei Einlegung der Revision über den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle) oder den Staatsanwalt. Wäre es richtig, dass der "unwahren Protokollrüge" nur das Standesrecht der Rechtsanwälte (in bestimmten Fällen), prozessual aber nichts entgegenstünde, so müsste man sie auch dem Staatsanwalt, dem Privatkläger (§ 390 I, II StPO) und dem Nebenkläger gewähren, der zur Einlegung der Revision jedenfalls nach dem Wortlaut des § 401 StPO[186] nicht einmal eines Rechtsanwalts bedarf.

Ließe man die "Rüge wider besseres Wissen" beim Verteidiger zu, so wäre in der Tat die Konsequenz unausweichlich, dass man sie auch dem Neben-[187] oder Privatkläger[188] und dem Staatsanwalt geben müsste.[189] Diese Folgerung zu ziehen, fällt nach Dallinger "noch schwerer" als die Zulassung der falschen Protokollrüge beim Verteidiger.[190] So konsequent ist in der Tat Peters, er schildert folgenden Fall: Der Staatsanwalt hatte unter Hinweis auf § 274 StPO seine Revision damit begründet, dass nach der Sitzungsniederschrift der notwendige Verteidiger bei einer Augenscheinseinnahme während der Hauptverhandlung nicht zugegen gewesen sei. Der Verteidiger erklärte in der Revisionserklärung, dass er diese Revisionsbegründung für unerhört halte, zumal er sich während des Augenscheinstermins mit dem Staatsanwalt längere Zeit unterhalten habe. Der Generalstaatsanwalt

nahm daraufhin die Revision zurück.[191] Peters meint, notwendig sei das nicht gewesen: "Die Ausnutzung ist jedenfalls dann nicht pflichtwidrig, wenn Anlass für den Beschwerdeführer besteht, zu glauben, er werde einen gerechten Ausgang des Verfahrens erzielen… Das Revisionsgericht ist, gleichgültig ob der Verteidiger oder Staatsanwalt pflichtwidrig gehandelt hat oder nicht, an die Rechtslage gebunden. Eine etwaige Pflichtwidrigkeit des Anwalts hat nur Folgen für die Ehrengerichtsbarkeit."[192]

Wie das mit der Stellung einer an Wahrheit und Gerechtigkeit orientierten und zur Unparteilichkeit verpflichteten Staatsanwaltschaft vereinbar sein könnte, ist schwer begreiflich.[193] Richtigerweise ist auch hier zu unterscheiden zwischen der - möglicherweise zu selten genutzten - uneingeschränkt zulässigen (weil Protokoll und Wahrheit wieder zusammenführenden) Protokollberichtigung in bonam partem; der zwar ebenfalls (uneingeschränkt) zulässigen, aber nicht in allen Fällen (Treu und Glauben) berücksichtigungsfähigen Protokollberichtigung in malam partem und der diesen Grundsatz wiederum einschränkenden "prozessualen Arglist": Wenn Richter und Protokollführer sich auch bei Anstrengung aller zu Gebote stehenden Möglichkeiten nicht daran erinnern (und freilich nur dann), kann ein auf Änderung des (den Fehler nicht ausweisenden) Protokolls gerichteter Berichtigungsantrag in bonam partem abgelehnt werden. Dem Revisionsführer die Protokollrüge in Kenntnis der Unrichtigkeit des (den Fehler ausweisenden) Protokolls zu gestatten, hieße, wenn man konsequent ist und jeder "Arglist" die Bedeutung abspricht, auch das Gericht trotz Kenntnis des Fehlers nicht für verpflichtet zu halten, das Protokoll in bonam partem zu ändern.[194] Daran könnte selbst die Tatsache, dass Richter und Protokollführer unumwunden zugäben, dass das Protokoll einen tatsächlich unterlaufenen Fehler nicht ausweise, nichts ändern, und das würde selbst dann gelten, wenn die Ablehnung des Berichtigungsantrags einer bereits (freilich momentan noch ohne Erfolgsaussichten) eingelegten Rüge "den Boden entziehen" würde.[195]

Das kann nicht richtig sein. Vielmehr wird man umgekehrt in dem Maße, in dem man aus dem Grundsatz von Treu und Glauben, der "Fürsorgepflicht" oder aus dem Gebot der prozessualen "Fairness", das Gericht zur Tätigkeit für verpflichtet hält, statt untätig den Misserfolg der Revision abzuwarten,[196] "kehrseitig" auch den Missbrauch der faktisch und rechtlich bestehenden Möglichkeit für verboten - und zwar auch prozessrechtlich und nicht nur standesrechtlich verboten - halten, die Unrichtigkeit des Protokolls zu einer "unwahren" Protokollrüge wider besseren Wissens auszunutzen. Nach alledem besteht kein Grund, den (erkannten) "Missbrauch" einer prozessualen Möglichkeit durch eine (als solche erkannte) "unwahre" Protokollrüge wider besseren Wissens hier anders als sonst in Kauf zu nehmen.

IV. Die "verfrühte" Protokollrüge

Ein Fall, in dem auch die h.M. der wissentlich unwahren Protokollrüge den Erfolg versagt, ist die Behandlung der sog. verfrühten Protokollrüge. Die "verfrühte" Protokollrüge stellt einen Sonderfall in dem Streit um die Beachtlichkeit von Protokollberichtigungen dar, die der eingelegten Verfahrensrüge den Boden entziehen, in dem sich ein bemerkenswerter Meinungswandel vollzogen hat. Änderungen des noch nicht abgeschlossenen Protokolls sind grundsätzlich ohne Beschränkung möglich, unabhängig davon, ob der Verteidiger den noch nicht fertig gestellten Protokollentwurf bei den Akten eingesehen hat.[197] Der BGH hat jedoch gemeint, dass das Revisionsgericht eine nach Eingang der Revisionsbegründung vorgenommene Änderung der noch nicht fertig gestellten Niederschrift nicht berücksichtigen dürfe, wenn dadurch einer Verfahrensrüge der Boden entzogen werde und die von der Rspr. für die Berichtigung des abgeschlossenen Protokolls entwickelten Grundsätze für entsprechend anwendbar erklärt. Der BGH meinte, da dem Beschwerdeführer nur eine verhältnismäßig kurze Zeit für die Revisionsbegründung zur Verfügung stehe, müsse er sich auf die bei den Akten befindliche Niederschrift verlassen dürfen.[198]

Diese Auffassung ist vom Grundsatz von Treu und Glauben her und nach der Änderung der Rechtslage durch das StPÄG 1964 nicht mehr geboten,[199] und ihr sollte heute auch nicht mehr gefolgt werden.[200] Da das Urteil vor Fertigstellung des Protokolls nicht zugestellt werden darf (vgl. § 273 IV StPO), ist sichergestellt, dass dem Revisionsführer ausreichend Zeit zur Begründung der Revision (innerhalb der auf einen Monat verlängerten Frist, vgl. § 345 I 2 StPO) bleibt. Ein Bedürfnis, sich auf das - an der fehlenden Unterschrift - erkennbar unfertige, noch nicht abgeschlossene Protokoll zu stützen, ist somit nicht mehr vorhanden. Ein unwürdiger "Wettlauf" zwischen

dem Vorsitzenden, der das Sitzungsprotokoll vor der Unterschrift noch durchsehen muss, und dem Revisionsführer, wer den Fehler zuerst entdeckt, findet nicht mehr statt. Reicht der Beschwerdeführer vor Fertigstellung des Protokolls eine Revisionsbegründung ein, so ist sein Vertrauen, anders als bei der nachträglichen Protokollberichtigung, jedenfalls nicht schutzwürdig[201] und kein Grund ersichtlich, der "verfrüht" erhobenen Rüge zum Erfolg zu verhelfen, nur weil das unfertige Protokoll unrichtig war. Hielte man dagegen die "Vermeidung jeden Anscheins einer nur zur Ausmanövrierung des Rechtsmittels vorgenommenen Protokollkorrektur"[202] (als Forderung aus dem allgemeinen Missbrauchsverbot) "ohne Rücksicht auf die… Grenzen des Vertrauensschutzes" für beachtlich, so müsste man konsequenterweise eigentlich auch der verfrüht erhobenen Rüge dieselbe Kraft einräumen wie sonst der erhobenen (und sogar bereits der nur angekündigten) Verfahrensrüge.[203] Indes besteht dafür kein Anlass: Der bloße Anschein eines Missbrauchs (Ausmanövrierung der Revision) kann gegen einen wirklichen Missbrauch ("unwahre Protokollrüge") nicht ins Feld geführt werden.

Das Gesagte wirft freilich noch ein weiteres Licht auf die bislang h.M. zur "unwahren Protokollrüge". Denn ein unwürdiger "Wettlauf" findet nach h.M. dann statt, wenn es darum geht, einen nicht vorgekommenen Fehler noch zu rügen, bevor das fertig gestellte Protokoll entsprechend berichtigt wird.[204] Das ist nicht weniger bedenklich und führt im übrigen auch zu einer gespaltenen Revisionsgrundlage, wenn der eine Mitangeklagte seine Rüge noch rechtzeitig angebracht hat und der andere nicht, es sei denn man "belohnt" über § 357 StPO auch den Mitangeklagten, der "zu spät" gekommen ist. (Denkbar ist dies, weil eine Mindermeinung den Anwendungsbereich dieser Vorschrift auch auf Aufhebungen infolge verfahrensrechtlicher Fehler erstrecken will.[205] Zwar ist die Revisionserstreckung grundsätzlich nur auf Mitangeklagte anwendbar, die nicht Revision eingelegt haben, doch wird man diesen Fall gleichstellen müssen, weil der zu spät gekommene Mitangeklagte sonst nichts besseres tun könnte, als seine Revision zurückzunehmen.[206]) Daraus ergibt sich: Von vier Mitangeklagten, von denen einer wegen des vollkommen ordnungsgemäßen Ablaufs nur die allgemeine Sachrüge erhebt,[207] ein anderer wegen des als falsch erkannten Protokolls unter Berufung auf eben dieses sich nur zu einer sog. "bloßen" Protokollrüge durchringt, ein dritter eine "unwahre Protokollrüge" anbringt, mit deren Erhebung er aber zur Überwindung von Skrupeln noch zögerte, und ein vierter sofort die entsprechende unwahre Rüge erhebt, hat derjenige am meisten Aussichten auf Erfolg, der sich als der skrupelloseste von allen erweist, ein bedenkliches Ergebnis.

V. Urteilsberichtigung

Einen allgemeinen Grundsatz, dass einer eingelegten Rüge durch Berichtigungen nicht die Grundlage entzogen werden dürfte, gibt es nicht. Er muss sich schon was die Berichtigung der Sitzungsniederschrift anbelangt Ausnahmen gefallen lassen. Das gilt für den eben genannten Fall einer "verfrühten" (weil auf ein unfertiges Protokoll gestützten) Revision ebenso wie für den weiter oben angesprochen Fall einer unzulässigen Revision,[208] bei der es erlaubt sein soll, ihr durch die Berichtigung des Sitzungsprotokolls noch die Basis zu entziehen, bevor sie (in nachgebesserter Form) erneut eingelegt wird, und vor allem außerhalb des Revisionsrechts.[209] Der vielfach mit Treu und Glauben erklärte Grundsatz, dass die Berichtigung einer bereits eingelegten Revision nicht "der Boden entziehen" dürfe, gilt merkwürdigerweise auch nicht für die Urteilsberichtigung.[210]

Das BayObLG hat dies jüngst für die Urteilsergänzung bestätigt, die einer Rechtsbeschwerde den Boden entzieht. Das AG hatte den Betroffenen wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit verurteilt und ein Fahrverbot angeordnet, wobei es wegen einschlägiger Vorahndungen von einer beharrlichen Pflichtverletzung ausging. Die relativ geringfügige Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit allein hätte die Anordnung eines Fahrverbots nicht gerechtfertigt. Da die Urteilsgründe den Zeitpunkt der Rechtskraft der Vorahndungen nicht angaben, konnte von der Rechtsmittelinstanz nicht geprüft werden, ob diese im Zeitpunkt der Hauptverhandlung noch verwertbar waren und entbehrte die Annahme der Beharrlichkeit der tragfähigen Urteilsgrundlage. Das BayObLG hielt die diesbezügliche Ergänzung des Urteils jedoch für zulässig: "Unerheblich ist, dass durch den Ergänzungsbeschluss der Rechtsbeschwerde der Boden entzogen wird".[211] Die Lage ist insoweit ähnlich wie bei der Protokollberichtigung: Es wird einer Rüge, die ohne die Änderung zum Erfolg

geführt hätte, durch die Berichtigung der Boden entzogen. Dem Betroffenen, so das BayObLG, werde erst durch die förmliche Zustellung des Ergänzungsbeschlusses das vollständige Urteil in der vom erkennenden Gericht gewollten Fassung zur Kenntnis gebracht; erst zu diesem Zeitpunkt werde er in den Stand versetzt, zu dem Urteil in dieser Fassung eine Rechtfertigung seines Rechtsmittels abzugeben und - zum Ausgleich dafür - die entsprechende Begründungsfrist erst zu diesem Zeitpunkt in Gang gesetzt.[212] Das ist freilich ein schwacher Ausgleich. Da der gerügte Mangel durch die Berichtigung rückwirkend entfällt, bleibt dem Betroffenen meist nichts anderes, als das Rechtsmittel zurückzunehmen oder andernfalls den Misserfolg des Rechtsmittels zu gewärtigen (von den kostenrechtlichen Folgen einmal ganz abgesehen).

Etwas anderes soll aber dann gelten, wenn keine Berichtigung in Rede steht, sondern ein unterschriebenes Urteil zunächst ohne Gründe den Dienstbereich des Gerichts verlassen hat, was nach § 77b OWiG in bestimmten Fällen (ähnlich dem "abgekürzten" Urteil nach § 267 IV StPO) zulässig ist, und nun auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hin mit Gründen versehen wird.[213] Hier hat das OLG Celle die Ergänzung des Urteils um die fehlenden Urteilsgründe mit dem Argument abgelehnt und diese Urteilsgründe bei der Rechtsbeschwerde unberücksichtigt gelassen, die deshalb erfolgreich war, dass es gefestigter Rspr. und verbreiteter Meinung in der Lit. entspreche, "dass die nachträgliche Ergänzung eines Urteils im Straf- und Bußgeldverfahren grundsätzlich nicht zulässig ist, und zwar auch nicht innerhalb der Urteilsabsetzungsfrist des § 275 I 2 StPO, wenn es aus dem inneren Dienstbereich des Gerichts herausgegeben worden ist".[214] Das BayObLG hat in einem solchen Fall sogar an dem Satz festgehalten, dass die nachträgliche Ergänzung schon deshalb unzulässig sei, "weil durch die nachträgliche Ergänzung der Urteilsgründe dem bereits eingelegten Rechtsmittel des Betroffenen die Grundlage entzogen würde". Infolge der Unzulässigkeit der Urteilsergänzung sei für den Senat nur die ursprüngliche, nicht mit Gründen versehene Urteilsfassung maßgebend, aufgrund derer der Senat aber nicht prüfen könne, ob die Zulassungsvoraussetzungen des § 80 OWiG vorlägen, weshalb die Rechtsbeschwerde zuzulassen und für zulässig und begründet zu erklären sei.[215] Dem hat der BGH allerdings widersprochen.[216] Schon vorher hat er es für zulässig erklärt, innerhalb der Frist des § 275 I 2 StPO ein aus dem inneren Dienstbereich herausgegebenes Urteil auf eine von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsbeschwerde hin um die fehlenden Urteilsgründe zu ergänzen. Zwar existiere eine verbreitete Meinung, dass die nachträgliche Ergänzung eines Urteils im Straf- und Bußgeldverfahren grundsätzlich unzulässig sei - worauf das OLG Celle sich bezieht - aber das gelte nicht ausnahmslos.[217] Dem stehe weder der Grundsatz der Unabänderlichkeit des Urteils noch das Argument entgegen, dass durch spätere Änderungen des Urteils dem Rechtsmittel des Beschwerdeführers nicht die Grundlage entzogen werden darf. - Auch dem Einwand des Generalbundesanwalts, durch deren Gestattung würden dem Tatrichter "Missbrauchsmöglichkeiten" eröffnet, mochte der BGH nicht folgen. Wollte man dem Gedanken überhaupt näher treten, dass der Tatrichter bereit sei, bewusst gegen das Gesetz zu verstoßen, um sich Arbeit zu ersparen, so sei dies hier jedoch nicht ernsthaft zu befürchten. Die nachträgliche Begründung eines Urteils entziehe dem Rechtsmittel im übrigen "nicht den Boden", sondern sie bereite ihn erst vor. Erfolgreiche sachlich-rechtliche Angriffe gegen das Urteil seien nur möglich, wenn das Urteil Rechtsfehler enthalte. Fehle die Urteilsbegründung völlig, so könne ein Rechtsfehler nicht festgestellt und damit auch nicht gerügt werden. Daher bestehe die Gefahr, dass das Gericht das Urteil aufgrund der Rechtsmittelschrift so ergänze, dass Rügen leer liefen, nicht.[218]

Grundsätzlich können falsche Urteile nach Abschluss ihrer Verkündung (§ 268 StPO) nicht mehr berich-

tigt werden.[219] Allerdings sind bei einem Widerspruch zwischen mündlichen und schriftlichen Urteilsgründen die schriftlichen Gründe maßgebend und können in dieser Phase bis zur Abfassung des Urteils (§ 275 I 3 StPO) sprachliche Verbesserungen, z.B. einer ungeschickten Ausdrucksweise, uneingeschränkt vorgenommen werden.[220] Auch nach Abfassung des schriftlichen Urteils können nach Ansicht der Rspr. ausnahmsweise "offensichtliche Schreib- und Fassungsfehler" noch berichtigt werden.[221] Eine "nachträgliche sachliche Berichtigung" ist dagegen unzulässig. Zulässig ist nur eine Berichtigung von "Schreibfehlern und ähnlichen Versehen".[222] Verschreibt sich der Richter zum Beispiel (Verurteilung wegen "26" statt wegen der tatsächlich abgeurteilten "36" Fälle), so darf ein solcher Fehler berichtigt werden, wenn er "für alle Verfahrensbeteiligten offensichtlich ist und seine Behebung darum auch nicht den entfernten Verdacht einer inhaltlichen Änderung des Urteils begründen kann".[223] Die nachträgliche Berichtigung eines schriftlichen Urteils sei nur bei offenbaren Versehen nichtsachlicher Art möglich. "Sachliche Fehler sind auch dann nicht berichtigungsfähig, wenn sie offensichtlich sind".[224] Der BGH hat diese anfänglich strengen Grenzen jedoch im Laufe der Zeit immer weiter ausgedehnt und lässt die Berichtigung inzwischen auch dann zu, wenn sich die Unrichtigkeit nicht aus dem Urteil selbst, wo das Versehen "mit anderen Worten schon ohne die Berichtigung offensichtlich" ist,[225] sondern erst aus anderen Umständen ergibt[226] - jedoch müsse die Möglichkeit, dass sich hinter der Berichtigung eine sachliche Änderung "verbirgt", unter allen Umständen ausgeschlossen sein.[227]

Die Lit. folgt der Rspr.[228] Maßgeblich dafür ist weniger der aus Treu und Glauben abgeleitete Schutz des Vertrauens des Revisionsführers in den Erfolg seiner Revision und - damit verbunden - den Fortbestand der Revisionsgrundlage als vielmehr das allgemeine Missbrauchsverbot. Der BGH hat dazu in einer Leitentscheidung[229] ausgeführt: "Die in § 267 StPO vorgeschriebenen schriftlichen Urteilsgründe müssen die Ergebnisse der Hauptverhandlung so, wie sie bei der für die Verkündung des Urteils grundlegenden Beratung gesehen und gewürdigt wurden, vollständig und wahrheitsgetreu wiedergeben". Allein aus diesem Erfordernis sei die Folgerung zu ziehen, "dass es auch ohne eine ausdrückliche Vorschrift in der Strafprozessordnung möglich sein muss, bei der Abfassung der schriftlichen Begründung unterlaufene Versehen, die diese Übereinstimmung in Frage stellen, durch einen nachfolgenden Beschluss… zu beseitigen".[230] Diese Möglichkeit könne allerdings "nicht unbeschränkt gegeben" sein. "Sie muss jedenfalls dort ihre Grenze finden, wo Zweifel auftreten können, ob es sich tatsächlich um eine Berichtigung eines Versehens oder um eine sachliche Änderung handelt, die eben nicht die Übereinstimmung mit dem aufgrund der maßgeblichen Beratung Gewollten herstellen würde …, sondern darauf hinausliefe, einer nachträglichen Meinungsänderung des erkennenden Gerichts in unzulässiger Weise Geltung zu verschaffen… Denn es wäre mit den Grundsätzen einer geordneten Rechtspflege schlechthin unverträglich, wenn auch nur der entfernte Verdacht einer nachträglichen Änderung und damit einer Verfälschung des Urteils aufkommen könnte". Dabei sei "natürlich besondere Zurückhaltung geboten, wenn die Berichtigung sich nicht auf Nebensächlichkeiten wie etwa das Verschreiben eines Namens bezieht, sondern, wie im gegebenen Fall auf Tatsachen, die für die Anwendung des Strafgesetzes wesentlich sind, so dass durch eine solche Berichtigung zugleich ein dem Urteil in der ursprünglichen Fassung scheinbar anhaftender rechtlicher Mangel beseitigt und damit u.U. einem bereits eingelegten Rechtsmittel die Grundlage entzogen wird".[231] Hier habe die Rspr. nach anfänglicher Ablehnung jeglicher Berichtigung[232] "nur bei gesondert gelagerten Ausnahmen" eine Berichtigung als statthaft angesehen. Ein solcher Ausnahmefall liege vor, wenn aufgrund der "für alle Verfahrensbeteiligten offenkundigen und urkundlich festliegender Umstände" jeder Zweifel daran ausscheide, dass die durch den Ergänzungsbeschluss dem Urteil eingefügten Tatsachen lediglich "infolge eines bloßen Versehens in den Urteilsgründen unerwähnt blieben", sowie daran, "dass sie so, wie sie inhaltlich durch den Berichtigungsbeschluss angefügt wurden, Grundlage der Urteilsfindung gewesen sind".[233] Das zeigt, worin der Unterschied zur nachträgli-

chen Protokollberichtigung zu finden ist:[234] Da dort Streit darüber aufkommen kann, ob etwas Protokolliertes in Wahrheit nicht geschehen oder etwas nicht Protokolliertes doch geschehen ist, kann ein Verfahrensbeteiligten darauf vertrauen, dass das Protokollierte richtig ist. Der Vertrauensschutz gebietet, es bei dem Protokollierten zu belassen, sobald sich der Beteiligte darauf eingerichtet hat. Da die Urteilsberichtigung aber von vornherein nur in dem Maße zulässig ist, in dem ein Zweifel an der Unrichtigkeit des Urteils unter den Beteiligten nicht aufkommen kann,[235] verdient sein Vertrauen keinen Schutz. Unter diesen Umständen bestehen auch keine Bedenken daran, solche Umstände mit einzubeziehen, die sich nicht aus dem Urteil selbst, sondern aus seinen Begleitumständen ergeben, solange nur für einen gewissenhaften Rechtsmittelführer erkennbar war, dass der gerügte Fehler in Wahrheit nicht aufgetreten ist. Es ist offensichtlich, dass damit (nicht nur, aber auch und vor allem) der "unwahren" Rüge der Boden von der Rspr. entzogen wird.

So wie ein Gericht missbräuchlich handelt, das die ihm eingeräumte Befugnis zur nachträglichen Urteilsberichtigung hinsichtlich offensichtlicher Schreib- und Fassungsfehler dazu benutzte, einen dem Urteil tatsächlich anhaftenden rechtlichen Mangel zu beseitigen, indem dessen in der ursprünglichen Fassung erkennbaren Spuren gleichsam ausgemerzt werden, um damit einer (zukünftigen oder bereits eingelegten) Revision den Boden zu entziehen, so handelt auf der anderen Seite auch ein Beschwerdeführer rechtsmissbräuchlich (und verdient keinen Schutz vor nachträglicher Veränderung seiner Revisionsgrundlage), der eine Rüge wissentlich auf einen in Wahrheit nicht vorgekommenen Verfahrensfehler stützt, der sich lediglich aus der Urteilsfassung oder dem Hauptverhandlungsprotokoll (oder dem Widerspruch zwischen beiden) ergibt.

In BGH, Urt. v. 20.2.1985 - 2 StR 746/84 - erkennt der BGH nur das erste an, verkennt aber das zweite.[236] Das LG hatte beschlossen, dass die Urteilsgründe "wegen eines offensichtlichen Schreibfehlers" dahingehend berichtigt würden, dass es statt "der Sachverhalt steht fest aufgrund… der verlesenen Aussage des H.S." darin heißt "aufgrund der durch den Zeugen B. (Vernehmungsbeamter) in die Hauptverhandlung eingeführten Aussage des H.S." und außerdem statt "der H.S. hat zu seiner verlesenen Aussage angegeben" zukünftig heiße "der H.S. hat zu seiner durch den Zeugen B. (Vernehmungsbeamter) in die Hauptverhandlung eingeführten Aussage angegeben". Der BGH gab der auf die Verletzung des § 261 StPO gestützten Revisionsrüge statt, da die Strafkammer ihre Entscheidung auf die verlesene Aussage "des von ihr nicht vernommenen Zeugen H.S. gestützt hat, obwohl die Niederschrift über diese Aussage, wie durch das Verhandlungsprotokoll bewiesen ist (§ 274 StPO), in der Hauptverhandlung nicht verlesen wurde. Denn damit hat die Strafkammer zur Aufklärung des Sachverhalts insoweit auf den Akteninhalt zurückgegriffen und ihre Überzeugung entgegen § 261 StPO nicht ausschließlich aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpft…". "Der Berichtigungsbeschluss des LG v. 11.9.1984, nach dem der Zeuge B die Aussage des Zeugen H.S. in die Hauptverhandlung eingeführt hatte, ist nicht geeignet, der am 20.7.1984 erhobenen Rüge den Boden zu entziehen. Denn insoweit hat das LG nicht, was allein nach der Rspr. des BGH zulässig wäre, ein offensichtliches Schreibversehen berichtigt…, sondern das Urteil inhaltlich abgeändert".[237]

Das Urteil ist, soweit man dies anhand der Auszüge beurteilen kann, falsch. Aus der (schon in der ursprünglichen Urteilsfassung enthaltenen) Wendung "der H.S. hat zu seiner verlesenen Aussage angegeben" muss man entnehmen, dass die Kammer den Zeugen H.S. tatsächlich vernommen hat. Auf die Frage der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der nachträglichen Urteilsberichtigung, kommt es deshalb nicht an. Handelte es sich um einen "offensichtlichen Fassungsfehler", was bei den Vergleichsfällen[238] immerhin begründbar wäre, wenn auch ein solcher "Fassungsfehler" trotz der geringen phänotypischen Unterschiede zwischen einem "Verlesen" und einer durch Vorhalt[239] bzw. Vernehmung des Vernehmungsbeamten - unter entsprechendem Vorhalt - in die Hauptverhandlung eingeführten Aussage, einem Vorsitzenden Richter freilich nicht unterlaufen sollte, so dürfte nach h.M. (anders als bei der Protokollberichtigung) der Revisionsrüge dadurch durchaus der Boden entzogen werden. Nur wenn der Zeuge nicht vernommen und seine Aussage tatsächlich nicht durch Vorhalt, sondern "nur" durch Verlesung des (nichtrichterlichen) Vernehmungsprotokolls der früheren Aussage vor dem Vernehmungsbeamten in den Prozess eingeführt worden sein sollte, läge ein Fehler vor,[240] den die Kammer nicht einfach durch nachträgliche Urteilskosmetik "heilen" und damit der Revision den Boden entziehen dürfte. Dafür spricht aber das Urteil schon in seiner bisherigen Fassung nicht.

Sofern der BGH meint, durch das Hauptverhandlungsprotokoll sei bewiesen, dass der Zeuge H.S. nicht vernommen wurde, besteht zwischen dem Urteil (in seiner ursprünglichen Fassung) und dem Sitzungsprotokoll ein Widerspruch. Wäre tatsächlich das Protokoll (und nicht das Urteil) falsch, so käme eine entsprechende Protokollberichtigung in Betracht, die freilich nach h.M. insoweit keine Berücksichtigung mehr finden dürfte, als sie der bereits erhobenen Revision den Boden entziehen würde. Es ergäbe sich aber auch dann, dass die Rüge auf einen in Wahrheit nicht vorgekommenen Verfahrensfehler gestützt worden wäre, was die Frage aufkommen ließe,

ob einer solchen Rüge unter allen Umständen stattgegeben werden muss.[241]

VI. Eigene Meinung: Einordnung
der "unwahren" Protokollrüge als Fall des "Rechtsmissbrauchs"

Die bislang herrschende - zugegebenermaßen durch missverständliche Stellungnahmen der Rspr. in die Irre geleitete - Ansicht von der Zulässigkeit der "unwahren Verfahrensrüge" unterliegt zwei kardinalen Irrtümern. Der erste gründet auf die Annahme, der Satz, dass der einmal eingelegten Revision nicht nachträglich der Boden unter den Füßen weggezogen werden dürfe, verbiete es dem Gericht, der wissentlich unwahren Protokollrüge entgegenzutreten.[242] Der zweite Irrtum besteht in der Verwechslung von strafprozessualer Unzulässigkeit und Standeswidrigkeit. Soweit die Frage der "unwahren Protokollrüge" bisher häufig nur unter dem Gesichtspunkt der Standeswidrigkeit betrachtet wurde, liegt dem die schon bei der Frage der Geltung von "Treu und Glauben" im Strafprozessrecht für falsch erkannte Vorstellung von der Trennung von Recht und Moral zugrunde. Für diese Auffassung steht bereits fest, dass nicht das Recht, sondern allenfalls die Moral der Erhebung der Rüge entgegensteht. Doch das ist ein verqueres Bild. Abgesehen davon, dass es sich auch umgekehrt verhalten kann und eine Rüge zwar prozessual unzulässig, aber nicht standeswidrig ist, wäre es auch merkwürdig, man würde dem Verteidiger die "Waffe" der unwahren Protokollrüge erst reichen, um sie ihm dann "auf dem Umweg über das Standesrecht wieder aus der Hand" zu schlagen.[243]

Man hat aber nicht nur die Frage der prozessualen Unzulässigkeit und der Standeswidrigkeit auseinander zu halten, auf die, da sie das Thema nicht betrifft, hier nicht weiter eingegangen zu werden braucht, sondern auch die historisch bedingte unheilvolle Verquickung der Frage der Zulässigkeit von unwahren Protokollrügen mit der Frage der Beachtlichkeit oder Unbeachtlichkeit von nachträglichen Protokollberichtigungen aufzulösen, wenn man der Antwort einen Schritt näher kommen will. Dabei gründet der Satz, dass der einmal eingelegten Revision nicht durch die nachträgliche Berichtigung des Sitzungsprotokolls ihre rechtliche Grundlage entzogen werden darf, weniger auf dem Grundsatz von Treu und Glauben - wiewohl auch mit der Einhaltung eines Mindestmaßes an prozessualer "Fairness" zu erklären[244] und auch durch das Fehlen berechtigten Vertrauens begrenzt[245] - als vielmehr auf dem allgemeinen Missbrauchsverbot.

Zwar ist es kein Missbrauch (verstanden als die zweckwidrige Ausübung der prozessualen Möglichkeit der Protokollberichtigung), wenn beide Urkundspersonen durch die Berichtigung nur die Übereinstimmung von tatsächlicher und prozessualer Wahrheit wiederherstellen, doch soll - wie anderswo,[246] so auch hier - schon der bloße "Anschein" einer zur "Ausmanövrierung" der Revision vorgenommenen Berichtigung vermieden und dem auch hier denkbaren Missbrauch (durch Beurkundung einer Unwahrheit, um dadurch der Rüge den Boden zu entziehen) durch die Urkundspersonen vorgebeugt werden. Darum hat der Satz, dass einer eingelegten Rüge durch eine nachträglich erfolgte Berichtigung nicht die Grundlage entzogen werden darf, auch keine allgemeine Anerkennung gefunden, z.B. nicht bei der Beschwerdeentscheidung und auch nicht bei der Urteilsberichtigung, wo die Rspr. eine - mit Treu und Glauben vereinbare - Einschränkung dahingehend vorgenommen hat, dass der bereits erhobenen Revision durch die nachträgliche Änderung ihrer Grundlage der Boden entzogen werden darf. Dennoch bleibt der Missbrauch der Befugnis zur "Berichtigung" des Urteils (durch Vornahme sachlicher Änderungen) auch dort verboten.[247] Der Satz ist aber nicht Selbstzweck und beansprucht deshalb dort keine Geltung, wo (wie bei der Berichtigung von klar zu Tage tretenden Fehlern im Urteil) schon der Anschein eines Missbrauchs von vornherein ausgeschlossen werden kann. Bedenkt man dies nur recht, so erscheint es völlig ausgeschlossen, dass derselbe Grundsatz, der einerseits auf einer Vorkehrung gegen Missbrauch durch das Gericht - bei der Urteilsberichtigung - bzw. durch den Vorsitzenden bei der Protokollberichtigung gründet, andererseits zur Hinnahme des Rechtsmissbrauchs durch den Verteidiger (oder den Staatsanwalt) bei der sog. "unwahren Protokollrüge" nötigen sollte.

Bei genauerem Hinsehen erweist es sich dann auch als falsch, dass bei § 274 StPO der Missbrauch mit einkalkuliert oder gar "institutionell eingeplant" sei, bzw. dass eine missbräuchliche Ausnutzung des Revisionsrechts in diesem Punkte toleriert werde.[248] Entscheidend ist die Erkenntnis, dass es eben kein Missbrauch, sondern ein bestimmungsgemäßer, normzielkonformer Gebrauch der durch § 274 S. 1 StPO geschaffenen Möglichkeit des Nachweises eines Verfahrensfehlers ist, sich in einem Punkt auf das Protokoll zu verlassen, an den man

keine eigene Erinnerung (mehr) hat.[249] Das bedeutet aber nicht, dass die "Rüge wider besseres Wissen", die "unwahre Protokollrüge", hingenommen werden müsste. Richtigerweise muss die Frage der Zulässigkeit einer - missbräuchlichen bzw. gegen Treu und Glauben verstoßenden - nachträglichen Protokollberichtigung einerseits und die einer - ebenfalls missbräuchlichen (gegen Treu und Glauben verstoßenden) - "unwahren Protokollrüge" auseinander gehalten werden.[250] Daraus ergibt sich die Antwort auf die Frage, die Hamm stellt,[251] von selbst: "Darf der Verteidiger, der die tatrichterliche Hauptverhandlung selbst miterlebt hat, einen Verfahrensfehler rügen, der nach seiner Erinnerung nicht geschehen ist, dessen Vorliegen aber wegen der absoluten Beweiskraft des Protokolls (§ 274 StPO) vom Revisionsgericht angenommen werden müsste?" Die Frage ist klar mit "Ja" zu beantworten, enthält aber bis dahin auch noch keinen Anhaltspunkt für "Missbrauch" ("Arglist") seitens des Verteidigers.[252] Er will die Frage jedoch auch für den Fall bejahen, dass der Verteidiger genau weiß, dass ordnungsgemäß verfahren worden ist. Das ist aber etwas ganz anderes, und der einschlägigen Rspr. ist mit keinem Satz zu entnehmen, dass auch dieser "Missbrauch" hingenommen werden müsste, im Gegenteil. Das RG hat nie gezögert, das Kind beim Namen zu nennen, und die wechselvolle Geschichte der reichsgerichtlichen Rspr. mag in der Tat als ein Beleg dafür zu deuten sein, dass "der Missbrauch" in den folgenden knapp dreißig Jahren seit der ersten Entscheidung der Vereinigten Strafsenate "überhand genommen" hat.[253]

Man wird auf Dauer von keinem Gericht der Welt erwarten können, dass es vor massenhaft auftretendem Missbrauch die Augen verschließt, aber das ist nur eine statistische Erklärung. Es ist auch im Sinne des Dienstes "am Recht" keinem Revisionsgericht zumutbar, einen klar erkennbaren - oder sogar offen zugegebenen - Rechtsmissbrauch sehenden Auges hinzunehmen.[254] Wenn dadurch einer bereits eingelegten Verfahrensrüge "der Boden entzogen" wird, so ist dies unbedenklich, weil der Rüge, der damit der Boden entzogen wird, keine berechtigte, sondern nur scheinbar berechtigt gewesen ist.[255] Da es der förmlichen Protokollberichtigung, die nach absolut herrschender Ansicht zwar vorgenommen, aber im Revisionsrechtszug nicht in malam partem berücksichtigt werden darf, zur Klärung der hier in Bezug auf die Missbräuchlichkeit (war das Protokoll falsch? behauptet der Revisionsführer bewusst die Unwahrheit?) relevanten Fragen nicht bedarf, sie diese nicht einmal aufklären kann, ist ein Widerspruch zu dem dort im Grundsatz anerkannten Satz, dass der einmal erhobenen Verfahrensrüge durch die Protokollberichtigung nicht die Grundlage genommen werden dürfe, nicht zu befürchten - ganz zu schweigen davon, dass der bloße Anschein eines Missbrauchs der - im Gesetz zwar nicht ausdrücklich erwähnten, aber von der Rspr. im Wege der Lückenfüllung geschlossenen - Befugnis zur Protokollberichtigung (Manipulation an der Sitzungsniederschrift) gegen einen wirklichen Missbrauch (unwahre Protokollrüge) nicht ins Feld geführt werden kann.[256]

In den Fällen, in denen sich der Beschwerdeführer gutgläubig auf einen durch das Sitzungsprotokoll ausgewiesenen Verstoß beruft, ist für die Annahme von Missbrauch kein Raum. Dasselbe gilt, wenn man ihm das Gegenteil - freibeweislich - nicht nachweisen kann. Bestehen aber Anhaltspunkte dafür und gewinnt das Revisionsgericht die Überzeugung, dass der Beschwerdeführer (sei er Verteidiger, Beschuldigter oder Staatsanwalt) "arglistig" handelt, so braucht es diesem Missbrauch keinen Erfolg zu geben.

Sollten die Urkundspersonen (nicht das Revisionsgericht) irrtümlich von der Falschheit des Protokolls ausgehen, so stellt das ebenso wenig ein Problem dar, wie wenn sogar Verteidiger, Angeklagter oder auch der Staatsanwalt den Versuch unternähmen, diese Personen darüber zu täuschen (ihnen also einredeten, das Protokoll enthalte der Wahrheit zuwider einen Verfahrensfehler, der tatsächlich geschehen ist).[257] Denn es käme lediglich auf die Missbräuchlichkeit der Verfahrensrüge und damit auf den Revisionsführer an, für den das Protokoll unabhängig davon streitet, was die Urkundspersonen in Bezug auf dessen Richtigkeit meinen. Selbst wenn die Täuschung Erfolg hätte, so ist der bekundete Verfahrensfehler dennoch geschehen, und der Revisionsführer darf sich darauf auch dann stützen, wenn er keine Erinnerung mehr an den Vorgang hat oder wenn er selbst infolge der Täuschung nunmehr meinte, das Protokoll sei unrichtig. Die Unrichtigkeit des Protokolls allein reicht für sich genommen ebenso wenig hin, um einen Missbrauch anzunehmen,

wie die Überzeugung, die Unwahrheit zu behaupten. Da das Revisionsgericht die Täuschung durchschaut und da der Verfahrensfehler tatsächlich geschehen ist, ist das Revisionsgericht nicht daran gehindert, der Rüge stattzugeben.[258] Man sieht: Mit der Forderung nach "Redlichkeit" im Strafverfahren hat das nichts zu tun, ein "redlicher" Revisionsführer dürfte einen Verfahrensfehler, an den er selbst nicht (mehr) glaubt, möglicherweise nicht rügen. Damit würde man die Verteidigung überfordern, wollte man verlangen, "dass ein Verteidiger, der sich zunächst gutgläubig die unrichtige Darstellung des Protokolls zu eigen gemacht hat, dann aber im weiteren Verlauf des Revisionsverfahrens seinen Irrtum erkennt, seinerseits die Rüge fallen lasse oder sich doch für ihre Zurücknahme einsetze".[259] Das ist aber vom Rechtsmissbrauchsverbot her auch nicht gefordert. Ein Rechtsmissbrauch liegt nicht schon dann vor, wenn der Revisionsführer subjektiv nicht an das glaubt, was er als geschehen rügt,[260] sondern nur dann, wenn tatsächlich nicht geschehen ist, was er rügt, und er dies im Zeitpunkt der Rechtsausübung auch weiß.

Schwieriger zu entkräften ist das Argument, ließe man die unwahre Protokollrüge "wider besseren Wissens" des Verteidigers nicht zu, so könne dem Angeklagten nur geraten werden, sich einen anderen Verteidiger zu wählen, "der nur das Protokoll sieht und von der Erinnerung des bisherigen Verteidigers nichts weiß".[261] Das ist in der Tat die Konsequenz aus der "Waffengleichheit" und der Tatsache, dass sich auch die Staatsanwaltschaft als Behörde verschiedener Personen zur Sitzungsvertretung und zur Einlegung der Revision bedienen kann. Dahs schrieb zu der Frage, ob "der Anwalt der Tatsacheninstanz nach Einsicht des Protokolls den Mandanten an einen gutgläubigen Anwalt abgeben" dürfe, diese Frage werde auch der "gewissenhafte Anwalt" nach Lage des Einzelfalls ggf. bejahen und so manchmal den Ausweg finden dürfen". Er setzt jedoch hinzu: "Aber auch hier ist Vorsicht geboten".[262]

Spätestens seit BGHSt 7, 162 ff. steht fest, dass ein Verteidiger, der erst nach der Hauptverhandlung hinzugezogen wird, die Sitzungsniederschrift liest und dabei den Beweis eines Verfahrensfehlers entdeckt, "nicht schon deshalb Bedenken zu tragen braucht, den Verstoß mit Bestimmtheit zu behaupten, weil er selbst nicht an der Hauptverhandlung teilgenommen hat."[263] Unproblematisch ist der Fall, dass der Verteidiger aus dem Protokoll ersichtliche Verfahrensverstöße rügen darf, wenn er keine Zweifel daran haben muss, dass sich die gerügten Verfahrensverstöße tatsächlich zugetragen haben, gleiches gilt, wenn er solche Zweifel zwar haben musste, aber tatsächlich nicht gehabt hat, und selbst wenn er Zweifel tatsächlich gehegt hat, verbietet ihm der BGH nicht, die Verfahrensrüge zu erheben, sondern überlässt es seinem "pflichtgemäßen Ermessen", ob "er sich zuvor bei dem Angeklagten oder etwaigen anderen Verteidigern erkundigt".[264] Auch vom Standpunkt des Rechtsmissbrauchsverbots aus ist die Rüge bei Zweifeln an der Richtigkeit der aufgestellten Behauptungen nicht verboten, da nur die "wissentlich unwahre Protokollrüge" einen Rechtsmissbrauch bedeutet. Man wird dem Angeklagten also zu empfehlen haben, "die Sache an einen guten Revisionsanwalt abzugeben und" - das ist aber gerade entscheidend - "diesen im guten Glauben zu belassen".[265] Bei allzu offenkundiger Unwahrheit der Behauptung wird das Revisionsgericht freilich zu der Überzeugung gelangen, dass auch der Anwalt, der an der Hauptverhandlung nicht teilgenommen hat, dieses Wissen erlangt hat. Dass man dazu die (freibeweisliche) Beweisaufnahme "auf die subjektiven Vorstellungen des Revisionsführers erstrecken müsste",[266] ist kein Gegenargument, das ist in Missbrauchsfällen häufig so und schließlich auch bei der Rügeverwirkung infolge prozessualer Arglist kein Problem.[267]

Bei der Staatsanwaltschaft wird man noch einen Schritt weiter gehen und annehmen, dass die Rüge ihren Charakter nicht dadurch verändert, dass der eine Staatsanwalt innerhalb der Behörde die Rüge an einen anderen Staatsanwalt weitergibt, der kein eigenes Wissen von der Hauptverhandlung hat. Weiß das Revisionsgericht oder kann es freibeweislich klären, dass dies der Fall war, so wird das Revisionsgericht auch dieses Vorgehen als "Missbrauch" bezeichnen und der entsprechenden Rüge keinen Erfolg geben dürfen (immer vorausgesetzt, es erkennt außerdem dafür, dass der gerügte Verfahrensfehler tatsächlich nicht stattgefunden hat). - Nun ist aber nicht einzusehen, warum das anders sein sollte, wenn der Angeklagte selbst so verfährt. Lediglich wenn der Angeklagte selbst keine Erinnerung mehr an den Vorgang hätte und er von seinem früheren Verteidiger zu dem neuen Verteidiger geschickt würde, der ebenfalls keine Kenntnis von den wahren Vorgängen hätte, stellte sich dann noch die Frage, ob die böse Absicht des alten Verteidigers dem Angeklagten bzw. dem neuen Verteidiger noch irgendwie zugerechnet werden könnte, bzw. ob es darauf überhaupt ankäme. Ich meine, dass von einem "Missbrauch" (durch den Beschwerdeführer) dann nicht mehr gesprochen werden kann. In der Tat bietet sich so für einen "gewitzten" Verteidiger - aber nicht für die Staatsanwaltschaft - die Möglichkeit, der Rüge auf diese

Weise doch noch zum Erfolg zu verhelfen, aber das kann eben nur gelingen, indem auch der "Missbrauch" verschwindet.[268] Das ist letztlich eine Konsequenz des § 274 StPO, den zu ändern dem Gesetzgeber vorbehalten ist,[269] aber man kann mit Dallinger bei dieser Lage gewiss nicht sagen, dass unsere Auslegung des § 274 StPO "einseitig" zum Nachteil der Verteidigung ausschlägt.[270]

VII. "Ersatzstrategien" der Rspr.

1. Verneinen der Beruhensfrage

Die neuere Rspr. tendiert wieder in Richtung darauf, erkannten "Missbräuchen" einen Riegel vorzuschieben.[271] Miebach/Sander raten daher zukünftig zur Vorsicht.[272] So hat es der 3. Senat jüngst dahin stehen lassen, "ob mit der im Schrifttum als herrschend bezeichneten Auffassung auch eine Verfahrensrüge, die von einem in der Hauptverhandlung anwesenden Verteidiger auf eine - gemessen am tatsächlichen Verfahrensablauf - wissentlich unwahre Behauptung gestützt wird, im Rahmen der Wirkungen des § 274 StPO trotz der einem Verteidiger obliegenden Wahrheitspflicht[273] als zulässig behandelt werden muss oder ob nicht vielmehr der Gegenmeinung, die sich auf erwägenswerte Gründe stützen kann, zu folgen ist".[274] - Für die erste Meinung zitiert der Senat Beulke.[275] Wenn der Senat für die Gegenmeinung Dünnebier[276] mit dem Hinweis anführt, dass dieser "allerdings die standeswidrig erhobene Rüge für prozessual wirksam hält", so gibt er damit zu erkennen, dass er sie auch für prozessual unwirksam halten würde.[277] Das geht aber nur mit dem allgemeinen Rechtsmissbrauchsverbot.

Gerügt wurde die Verletzung nahezu sämtlicher den Gang des Verfahrens betreffender Vorschriften des § 243 StPO (nämlich: Unterbleiben der Verlesung des Anklagesatzes, der Belehrung über die Aussagefreiheit sowie der Vernehmung zur Sache), welche nach dem Sitzungsprotokoll, auf das sich die Verteidiger zum Beweis ihrer Behauptungen beriefen, vorgekommen waren. Der BGH verwunderte sich über die "Häufung der verfahrensrechtlichen Unterlassungen, die dann geschehen und auch noch von zwei erfahrenen Strafverteidigern und dem Staatsanwalt widerspruchslos hingenommen worden sein müssen"[278] - ließ dann aber alle entscheidenden Fragen unentschieden. So ließ er offen, ob nicht bei einem so lückenhaften Protokoll die Beweiskraft i.S. des § 274 StPO entfalle[279] und ob die dienstlichen Stellungnahmen des Vorsitzenden, des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft und der Protokollführerin, wonach die geltend gemachten Verfahrensverstöße "eindeutig nicht geschehen" seien, im Freibeweisverfahren nicht doch berücksichtigt werden dürften. Statt dessen verneinte er - ohne weitere Begründung - das "Beruhen" des Urteils auf den gerügten Verfahrensfehlern, welches "unter den besonderen Umständen des Falles" mit Sicherheit auszuschließen sei.[280]

Den damit für die Zukunft angedeuteten Rechtsprechungswandel hat der Senat in Wahrheit längst vollzogen, wenn er, wie hier, in unhaltbarer Weise das "Beruhen" auf den angeblichen Verfahrensverstößen verneint. Unhaltbar ist dies deshalb, weil, wären die gerügten Verstöße tatsächlich vorgekommen, das "Beruhen" darauf unmöglich verneint werden könnte: Es wäre geradezu

grotesk anzunehmen, das Urteil beruhte nicht darauf, dass die Anklage nicht verlesen,[281] der Angeklagte nicht über seine Aussagefreiheit belehrt wurde und so fort.[282] Wenn es dem Senat möglich erscheint, das "Beruhen" des Urteils auf diesen Verstößen zu verneinen, dann doch nur deshalb, weil er sich davon überzeugen konnte, dass die gerügten Verfahrensverstöße in Wahrheit nicht vorgekommen waren, und damit hat er bereits die dienstlichen Stellungnahmen des Vorsitzenden, des Staatsanwalts und der Protokollführerin freibeweislich herangezogen und zugleich gesagt, dass § 274 StPO dem nicht entgegensteht. Das ist wiederum unabhängig davon, wie schlecht und lückenhaft das Protokoll aufs Ganze gesehen ist, denn die Überzeugung davon, dass ein gerügter Verstoß nicht vorgekommen ist, ist unabhängig von der Offensichtlichkeit der Lückenhaftigkeit des Protokolls: Auch der aus einem nicht offensichtlich lückenhaften Protokoll hervorgehende Verfahrensverstoß kann zur Überzeugung des Revisionsgerichts bewusst der Wahrheit zuwider behauptet worden sein.

Dass der Rügende selbst an der Hauptverhandlung teilgenommen hat, kann kein tragfähiges Abgrenzungskriterium sein, obwohl der Senat dies anzudeuten scheint. Erstens kann auch den, der selbst anwesend war, die Erinnerung trügen, weshalb ihm die Berufung auf das Protokoll, das dazu da ist, diese Unsicherheit zu beseitigen, nicht pauschal verwehrt werden kann, es sei denn, das Revisionsgericht hält dafür, dass bewusst die Unwahrheit behauptet wurde. Ist aber die bewusste Behauptung der Unwahrheit entscheidend, so kommt es nicht darauf an, ob der Behauptende in der Hauptverhandlung anwesend war, denn die Kenntnis von der Wahrheit kann er auch auf andere Weise erhalten, beispielsweise indem der frühere Verteidiger den neuen einweiht, an den er die Sache zum Zwecke der Geltendmachung der unwahren Protokollrüge übergeben hat. Je offensichtlicher die Unwahrheit des den Fehler enthaltenen Protokolls ist, desto sicherer ist nicht nur der Schluss auf das "Bewusstsein" der Unwahrheit bei dem Verteidiger, der selbst in der Hauptverhandlung anwesend war, sondern auch bei demjenigen, an den die Sache übergeben wurde. Vorauszusetzen aber auch genügend ist danach im einen wie im anderen Fall die Überzeugung beim Revisionsgericht von dem Bewusstsein der Unwahrheit der Behauptung.

Entgegen Docke/Döllen/Momsen wird man auch aus der "Häufung" der gerügten Verstöße ein "Indiz" - freilich nicht mehr[283] - dafür entnehmen können, dass das Protokoll nicht den wahren Verfahrenshergang widerspiegele. Einzuräumen ist, dass sich die Unwahrheit der Behauptung dann schon aus der Rüge selbst ergeben kann, ohne dass "das Protokoll überhaupt nur aufgeschlagen werden müsste".[284] Allerdings ist es auch sonst nicht ausgeschlossen, dass sich die Unwahrheit schon ohne Rückgriff auf das Protokoll aus der Rüge selbst ergibt - man denke nur an den Fall, dass der Revisionsführer sich nicht dazu durchringen kann, die "Verantwortung" für seine Behauptungen zu übernehmen, oder sogar unumwunden einräumt, dass der Verfahrensfehler sich zwar nicht zugetragen habe, er sich aber dennoch zur Erhebung solcher Rüge für berechtigt halte. Die Ansicht, dass sich ein Verteidiger nun "ab einer gewissen Häufung sicherheitshalber" dafür entscheiden müsste, nicht alle Verfahrensverstöße zu rügen,[285] trifft nur zu, wenn es sich um tatsächlich nicht geschehene Verfahrensverstöße handelt. Tatsächlich vorgekommene Verfahrensverstöße können immer bedenkenlos gerügt werden. Kommt der Verteidiger, der an der Hauptverhandlung selbst nicht teilgenommen hat, infolge der Häufung der im Protokoll enthaltenen Verfahrensfehler allerdings selbst zu dem Schluss, dass es sich so nicht zugetragen haben kann, dann kann das Anlass für die "pflichtgemäße" Prüfung sein, ob er nicht eigene Erkundigungen einziehen sollte, um die bestimmte Behauptung, es habe sich so zugetragen, noch "verantworten" zu können.[286]

Schon in der nächsten veröffentlichten Entscheidung des Senats zum Thema entscheidet dieser wieder anders,[287] und die nächste Entscheidung des Senats besteht nur aus einem knappen Satz, mit dem sich der Senat den Ausführungen des Generalbundesanwalts anschließt, der zu der auf die Verletzung des § 258 StPO gestützten Verfahrensrüge, mit welcher der Angeklagte geltend macht, ihm sei das letzte Wort nicht erteilt worden,[288] ausgeführt hat:

"Dieser Vortrag ist durch die Niederschrift über die Hauptverhandlung, die jedenfalls keine offensichtliche Lücke aufweist, bewiesen (§ 274 StPO). Die im Senatsbeschluss v. 14.4.1999 - 3 StR 70/99 - erörterten Bedenken bestehen hier nicht, weil Verfasser der Revisionsbegründung in der Hauptverhandlung nicht anwesend war und ihm mögliches Wissen seines Mitverteidigers nicht zugerechnet werden kann… Nach gefestigter Rspr. des BGH kann eine Protokollberichtigung nicht dazu führen, dass einer zulässigen Verfahrensrüge nachträglich der Boden entzogen wird."[289] - Diese Stelle besagt leider nicht, ob die Bedenken deshalb nicht bestehen, weil dem Revisionsanwalt, der selbst nicht an der Hauptverhandlung teilgenommen hat, das Wissen eines anwesenden Verteidigers (oder auch des Angeklagten, wenn dieser ihn eingeweiht hat), nicht - niemals - zugerechnet werden kann, oder ob ihm dieses Wissen nur in diesem Fall "nicht", grundsätzlich aber doch zugerechnet werden könnte - richtig wäre nur das letztere.[290]

Um diese Unsicherheiten zu vermeiden hat der 5. Senat jüngst erwogen, ob nicht doch "eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass eine wirksame Protokollberichtigung nach Eingang der Revisionsrechtfertigung nicht mehr möglich ist, wenn damit einer zulässigen Verfahrensrüge die Tatsachengrundlage entzogen wird" für Fälle "eines zweifelsfrei vom protokollierten Hergang abweichenden Sachablaufs in Betracht kommt". Eine solche Lösung habe "den Vorteil, dass ein Verteidigerwechsel… für den Erfolg derartiger Rügen unmaßgeblich wäre, da es auf die Frage der Wissentlichkeit unrichtigen Revisionsvorbringens nicht ankäme…".[291] Aber das ist nicht möglich. Der Grundsatz, dass einer erhobenen Revisionsrüge nicht nachträglich der Boden entzogen werden darf, ist, wie oben gezeigt, neben einer Vorkehrung gegen Missbrauch (durch die Urkundspersonen), welcher in einem solchen Fall ausscheiden dürfte, auch ein Gebot der prozessualen Fairness als Ausprägung von Treu und Glauben, das einer Ausnahme nur insoweit zugänglich ist, als das Vertrauen des Revisionsführers in den Fortbestand der Revisionsgrundlage nicht schutzwürdig erscheint. Das ist aber nur dann der Fall, wenn der Revisionsführer weiß, dass der durch das Protokoll ausgewiesene Fehler tatsächlich nicht vorgekommen ist, aber nicht dann, wenn er keine Erinnerung mehr an den betreffenden Vorfall hat. Abgrenzungsschwierigkeiten bleiben also auf die eine oder andere Weise immer bestehen.

2. Schreibfehler, Lücken und Widersprüche

Eine weitere (in einigen der genannten Entscheidungen bereits angesprochene) "Ersatzstrategie", auf die sich die Rspr. seit langem verlegt, um "unwahren Protokollrügen" den Wind aus den Segeln zu nehmen, besteht darin, die Beweiskraft des Protokolls bezüglich des angeblich geschehenen Verfahrensfehlers zu relativieren. Das gilt zunächst für bloße Schreibversehen. In BGH, Beschl. v. 12.1.2000 - 5 StR 617/99, hatte die Revision behauptet, an einem bestimmten Verhandlungstag habe nicht die sonst anwesende Übersetzerin "Krause" teilgenommen, sondern eine unbekannte Dolmetscherin "Krüger", die (mangels Existenz) weder vereidigt worden sei, noch sich auf eine allgemeine Beeidigung berufen habe. Obwohl dies dem ursprünglich fertig gestellten Protokoll entsprach, scheiterte die Revision. Bei offensichtlichen Namensverwechslungen sei auch eine nachträgliche Protokollberichtigung, die dem Revisionsvorbringen die Grundlage entzieht, unbeschränkt zulässig.[292]

Im Übrigen schließt die dem Hauptverhandlungsprotokoll verliehene (positive wie negative) Beweiskraft zwar die Benutzung anderer Beweismittel zum Nachweis der relevanten Verfahrensvorgänge aus, nicht aber die Heranziehung von anderen Erkenntnisquellen zur Auslegung des Protokolls.[293] Im genannten Fall hatte die richtige Dolmetscherin "Krause" Abrechnungen zu den Akten gereicht, die unzweifelhaft belegten, dass sie auch an jenem Tag tätig gewesen war.[294]

In einem anderen Fall versagte der BGH einer Revision des Angeklagten den Erfolg, der die Nichtgewährung des letzten Wortes nach Wiedereintritt in die Hauptverhandlung und erneuter Schließung der Beweisaufnahme rügte, im Anschluss an welche das Protokoll vermerkte: "Der Staatsanwalt, der Verteidiger und der Angeklagte bleiben bei ihren Anträgen." Zwar sei die dienstliche Erklärung des Vorsitzenden, aus der sich ergab, dass dem Angeklagten das letzte Wort doch gewährt worden war, nicht zu berücksichtigen, derartige Protokollvermerke seien

indes auslegungsfähig. Die nicht sehr geschickte Fassung des betreffenden Vermerks ergebe "immerhin noch genügend deutlich, dass der Angeklagte als letzter der Beteiligten" gesprochen habe.[295]

Schließlich darf die Sitzungsniederschrift auch keine offensichtlichen Lücken oder Widersprüche enthalten.[296] Vom Schweigen des Protokolls zu einem verfahrensrelevanten Vorgang, dessen Fehlen die Revision begründen würde, ist mithin die Lückenhaftigkeit des Protokolls zu unterscheiden. Während das Schweigen des Protokolls die negative Beweiskraft entfaltet, dass der betreffenden Verfahrensvorgang nicht stattgefunden hat,[297] vermag die Annahme einer "offensichtliche Lücke" das Gegenteil. Sie hebt die Beweiskraft des Protokolls insoweit auf. Die Abgrenzung ist naturgemäß schwierig, zumal derartige Fehler nicht voraussetzen, dass ein Widerspruch im strengen logischen Sinne eines gegenseitigen Ausschlusses vorliegt. Vielmehr soll genügen, dass es angesichts der Lebenserfahrung ausgeschlossen erscheint, dass der Vorgang sich wie protokolliert abgespielt hat, oder dass ein protokolliertes Geschehen auf einen unprotokollierten Vorgang hindeutet, ohne dass es darauf ankommt, dass jener andere Vorgang logisch zwingend stattgefunden haben muss.[298]

Es ist offensichtlich, dass damit einer unwahren Revisionsrüge, mit der ein Fehler gerügt und auf das Protokoll gestützt wird, der tatsächlich nicht stattgefunden hat (das Protokoll schweigt zu einem Erfordernis, dessen Fehlen die Revision begründen würde), der Boden "entzogen" werden kann. Dasselbe gilt auch im umgekehrten Fall (das Protokoll weist widersprüchlich und unklar einen Vorgang aus, dessen Vorhandensein die Revision begründen würde).[299] Folge solcher Unklarheiten oder Widersprüche im Protokoll ist nicht etwa, dass nunmehr das Vorbringen des Beschwerdeführers (unabhängig von seiner Richtigkeit) als wahr unterstellt werden müsste.[300]

Folge ist vielmehr auch hier nur, dass der wahre Verfahrensablauf im Freibeweisverfahren in freier Beweiswürdigung vom Rechtsmittelgericht geklärt wird,[301] wozu sich die dienstlichen Erklärungen der Richter und des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft anbieten.[302] Selbst wenn sich der wahre Verfahrenshergang dadurch nicht aufklären lässt, muss die Revision nach dem Grundsatz, dass ihr nur erwiesene Verfahrensfehler zum Erfolg verhelfen können, verworfen werden.[303]

In einem vom RG bereits im Jahre 1930 entschiedenen Fall enthielt das ursprüngliche Sitzungsprotokoll nur die Tatsache, dass der Angeklagte (nach Schluss der Beweisaufnahme und dem Plädoyer seines Verteidigers) selbst einen (Hilfs-)Beweisantrag gestellt hatte, die Angabe des Beweismittels (Sachverständigenbeweis), aber nicht das Beweisthema. In den Urteilsgründen wird dieser Antrag wegen Bedeutungslosigkeit mit der Begründung abgelehnt, dass es nicht darauf ankomme, ob ein Hanomagwagen imstande sein, eine geschlossene Eisenbahnschranke zu heben. Der gleiche Beweissatz wurde im Wege der nachträglichen Berichtigung in das Protokoll eingefügt. Dagegen wird in der vorher erhobenen Revision behauptet, der Sachverständige sei zu einem ganz anderen Beweisthema benannt worden, welches für die Entscheidung durchaus von Bedeutung war (dass der Angeklagte nicht zu schnell gefahren sei). Da der Revision "ohne weiteres der Boden entzogen" wäre, wenn der nachträglichen Protokollberichtigung Beweiskraft i.S. des § 274 StPO zukäme, erwägt das Reichsgericht, "ob in dem hier gegebenen Falle die Grundsätze der Entschei-

dung der Vereinigten Strafsenate in RGSt 43, 1… anzuwenden" seien,[304] und kommt zu dem Schluss, auch hier müsse der Grundsatz gelten, "dass dem Beschwerdeführer ein prozessuales Recht auf unveränderte Beibehaltung der Grundlage seiner Rüge für die Revisionsinstanz eingeräumt" sei.[305]

Indes gelte die ausschließliche Beweiskraft des Protokolls bei offensichtlicher Unvollständigkeit der Protokollierung eines Prozessvorgangs nicht für die erkennbaren Lücken und "gewinnt… durch eine solche Unvollständigkeit des Protokolls der Beschwerdeführer nicht ein Recht, dass seine Behauptungen hinsichtlich der Ergänzung der Lücke schlechthin als wahr anzunehmen sind". Es würde zu weit gehen und sei auch durch den oben angesprochenen Grundsatz nicht gedeckt, "wenn die Ausfüllung der Lücke nur durch die (scil.: hier offensichtlich unwahren) Behauptungen der Revision erfolgen dürfte, diese also als unwiderleglich gelten müssten".[306] Vielmehr habe das Gericht zu klären, wie es sich in Wahrheit verhalten habe, und dabei könnten auch "nachträgliche Erklärungen der Mitglieder des erkennenden Gerichts oder der Urkundsperson, selbst wenn die letzteren der Form nach sich als eine Ergänzung des Protokolls darstellen".[307]

Nach Docke/Döllen/Momsen soll es revisionsrechtlichem "common sense" entsprechen, dass bei der Entscheidung, ob "offensichtliche Lücken" bestehen und damit über den Fortfall der absoluten Beweiskraft des Protokolls, dienstliche Erklärungen der Richter "nicht mehr vom Revisionsgericht berücksichtigt werden dürfen, wenn sie erst abgegeben werden, nachdem die Verfahrensrüge wirksam erhoben worden ist"[308] - vielmehr müsse das Revisionsgericht zuerst prüfen, ob die Beweiskraft des Protokolls infolge Lückenhaftigkeit weggefallen sei, und dürfe erst dann im Rahmen des Freibeweisverfahrens die dienstlichen Erklärungen verwerten. Daran ist richtig, dass es von der logischen Reihenfolge her nahe läge, zuerst die Lücke festzustellen, bevor man sie stopft und nicht anhand des Füllmaterials festzustellen, ob eine Lücke besteht. Doch auch in dieser Erwartung wurden sie vom BGH enttäuscht. Der "common sense" des 3. Senats scheint diesem - in der besprochenen Entscheidung - ein anderes Vorgehen nahe zu legen.[309] Hingegen hat der Satz, dass der einmal eingelegten Revision nicht nachträglich der Boden entzogen werden dürfte, auf den sie offenbar anspielen, ohnehin keine allgemeine Gültigkeit.[310]

Hatte RGSt 63, 408 eine "Lücke" angenommen, um der unwahren Verfahrensrüge den Boden zu entziehen, so operiert BGHSt 16, 306 mit einem - offensichtlichen - Widerspruch: "Die Revision irrt…, wenn sie meint, durch das Protokoll… werde auf Grund der Beweiskraft, die ihm in § 274 StPO eingeräumt sei, unwiderleglich bewiesen, dass die Strafkammer an diesem Tage an Stelle… des C. mit… B. als zweitem beisitzenden Richter besetzt gewesen sei. Die gerichtliche Niederschrift über den Verlauf einer Hauptverhandlung bildet, auch wenn sich diese über mehrere Tage erstreckt hat, eine Einheit und kann daher nur als Ganzes behandelt und beurteilt werden… Hier enthält das Protokoll abweichende Angaben über die Besetzung des Gerichts, indem es an einer Stelle B. und im übrigen …C. als zweiten beisitzenden Richter aufführt. Darin liegt, da das Gesetz einen Wechsel in der Person der an einer Hauptverhandlung mitwirkenden Richter… nicht zulässt und dieses Verbot auch schlechthin beachtet wird, ein offensichtlicher Widerspruch, der soweit er sich erstreckt, der Niederschrift die ihr nach § 274 StPO zustehende Beweiskraft entzieht… Deshalb ist es zulässig und geboten, im Wege freier Beweiswürdigung zu ermitteln, wie die Besetzung der Strafkammer… tatsächlich gewesen ist".[311]

Das ist schon eine erstaunliche Begründung. Weil das Gesetz es nicht vorsieht, soll der Fehler nicht vorgekommen sein! Dass das Gesetz ansonsten beachtet wird, bedeutet eben nicht, dass es nicht in diesem Fall doch verletzt worden sein könnte. Wenn der Senat dennoch zu einem "Widerspruch" gelangt, der auch noch "offensichtlich" sein soll, so deshalb, weil die Rüge offensichtlich

"unwahr" ist. Diese Argumentation scheint sich trotz ihrer offensichtlichen Unhaltbarkeit unter den Strafsenaten des BGH so festgesetzt zu haben, dass der zweite Senat inzwischen sogar den Rechtssatz aufstellen kann, obwohl die Rüge durch das Protokoll belegt zu werden "scheine", sei doch anerkannt, dass dessen Beweiskraft entfalle, wenn es "an bestimmten inhaltlichen Mängeln" - aus sich selbst nicht lösbare Widersprüche, unerklärliche Auslassungen (Lücken) und Unklarheiten - leide: "Um solche offensichtlichen Mängel handelt es sich nach der neueren Rspr. auch dann, wenn die Sitzungsniederschrift Vorgänge beurkundet, die sich nach aller Erfahrung so nicht zugetragen haben können."[312]

Der in StV 1999, 189[313] mitgeteilte Sachverhalt ist gleich in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich, was die Behandlung des "Missbrauchs" anbelangt. Die erste der beiden Rügen lässt den Senat die Frage diskutieren, ob nicht die Rüge, der Angeklagte sei phasenweise unverteidigt gewesen, als "verwirkt" anzusehen wäre, weil sich der Verteidiger absichtlich kurzzeitig entfernt hatte. Er diskutiert dies jedoch nicht aus, sondern hält die Rüge "auch" für unbegründet, weil der Vorsitzende einen Entpflichtungsantrag des weiterhin anwesenden ursprünglichen Verteidigers, den der Angeklagte zuvor verbal angegriffen hatte, zu Recht abgelehnt habe.[314] Ohne Erfolg blieb auch die zweite Rüge, die den vorliegenden Kontext betrifft: Der Verteidiger rügte, das Gericht habe bei der Überzeugungsbildung nach § 261 StPO nicht alles verwertet, was Gegenstand der Hauptverhandlung gewesen sei, namentlich die Einlassung des Angeklagten zur Sache, welche im Hauptverhandlungsprotokoll mit den Worten angesprochen sei: "Der Zeuge sagte weiter zur Sache aus. Der Angeklagte sagte weiter zur Sache aus…". In Wahrheit hatte der Angeklagte, wie ebenfalls im Hauptverhandlungsprotokoll steht, von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht (und lediglich eine an den Zeugen gerichtete Frage seines Verteidigers konkretisiert).[315] Nachdem die Berufsrichter der Strafkammer zu dieser Verfahrensrüge eine dienstliche Erklärung abgegeben hatten, erwiderte der Verteidiger: Selbst wenn das Hauptverhandlungsprotokoll objektiv unrichtig wäre, so sei dies für die Begründetheit der Revision unerheblich, nach seiner Einschätzung dürfte es "herrschende Meinung sein, dass sich der Verteidiger trotz seiner Kenntnis, dass einwandfrei verfahren worden ist, auf einen fehlerhaft protokollierten Verfahrensverstoß stützen darf".[316]

Das ist, abgesehen von dem Fall der "bloßen" Protokollrüge, bei dem ein Verfahrensverstoß nicht bestimmt behauptet wird, was von der Aufstellung unwahrer Tatsachenbehauptungen abschrecken soll, aber offensichtlich nur als eine Aufforderung zur noch nachdrücklicheren Behauptung der Unwahrheit verstanden wird, eine durchaus zutreffende Wiedergabe des Meinungsbildes zum Thema "unwahre Protokollrüge". Allerdings sollte man sich nicht darauf verlassen, dass die Rspr., derart "offen" herausgefordert, den Missbrauch länger hinnehmen wird.[317] Der Senat behalf sich auch hier mit der "Zweckkonstruktion", derzufolge das Protokoll einen Verfahrensfehler, auf den sich der Verteidiger berufen könnte, gar nicht enthielt, sondern "unklar und missverständlich" sei, weil die erstmalige Äußerung zu Sache ("weiter zur Sache") eine zu protokollierende wesentliche Förmlichkeit der Hauptverhandlung gewesen wäre,[318] zu der das Protokoll aber nichts enthalte, weshalb der BGH den wahren Verfahrensablauf im Freibeweisverfahren klären könne - was der Senat daraufhin tat und fand, dass an der Rüge (natürlich) nichts dran sei.

3. Umfang der Protokollierungspflicht

Damit verlegt sich der BGH auf "Nebenkriegsschauplätze", auf denen er häufig mehr Schaden anrichtet als Nutzen stiftet. Ob die Tatsache der erstmaligen Äußerung zur Sache in der Hauptverhandlung eine protokollierungspflichtige wesentliche Förmlichkeit i.S. des § 273 I StPO ist, hat beispielsweise derselbe dritte Senat zuvor gegenteilig entschieden und ausgesprochen: "Ob ein Angeklagter im Rahmen seines Erklärungsrechts gem. § 257 I StPO erstmalig in der Hauptverhandlung Angaben zur Sache gemacht hat, gehört nicht zu den wesentlichen Förmlichkeiten der Verhandlung und ist deshalb nicht protokollierungspflichtig."[319] - Interessanterweise lag dem eine ganz ähnliche Verfahrensrüge zugrunde: Der Verteidiger hatte eine Verletzung des § 261 StPO gerügt und damit begründet, dass sich der Angeklagte "ausweislich der Urteilsgründe" - freilich zur Überzeugung des LG in Form einer widerlegten Schutzbehauptung - zur Sache eingelassen habe. Tatsächlich habe

der Angeklagte aber nicht zur Sache ausgesagt, weshalb der gerichtlichen Überzeugungsbildung die Grundlage fehle. Auf den Einwand des Generalbundesanwalts, der Angeklagte könne die Äußerungen im Rahmen des § 257 I StPO gemacht haben, erwiderte der Beschwerdeführer, dies sei zwar denkbar, zu einer solchen Äußerung sei es aber "ausweislich" des (dazu schweigenden) Hauptverhandlungsprotokolls nicht gekommen. Der BGH stellte sich - offenbar ebenfalls mit dem Ziel, einer vermeintlich unwahren Protokollrüge den Boden zu entziehen - auf den Standpunkt, die betreffenden Urteilserwägungen ließen sich unschwer mit der vom Generalbundesanwalt angesprochenen Möglichkeit erklären, da solche Äußerungen nicht protokollierungspflichtig seien.[320] Umgekehrt verhielt es sich in BGH, Beschl. v. 23.2.2000 - 5 StR 382/99. Die Verfahrensrüge nach § 261 StPO, das Urteil sei von einem schweigenden Angeklagten ausgegangen, während durch das Protokoll bewiesen sei, dass er sich zur Sache eingelassen habe, verwarf der BGH mit der Begründung, dass (obwohl das Hauptverhandlungsprotokoll weder lückenhaft noch widersprüchlich sei) die Äußerungen sich "nahe liegend" mit einer Zwischenbemerkung des Angeklagten im Rahmen der Vernehmung des Sachverständigen erklären ließen.[321]

Der Vorsitzende Richter am BGH Schäfer meint, das vom Gesetz aufgestellte Erfordernis, dass es sich um eine "wesentliche Förmlichkeit" gem. §§ 273 I 1, 274 StPO handeln müsse, gebe einen Beurteilungsspielraum, bei dem auch die "ziemlich ungewöhnliche" Konsequenz berücksichtigt werden dürfe, dass Sachverhalte, von denen aufgrund der Beweiskraft des Protokolls auszugehen ist, nicht der wahren Sachlage zu entsprechen brauchen, um sich so die Möglichkeit zu verschaffen, "ohne Bindung an den Inhalt des Protokolls im Wege des Freibeweises zu einem materiell gerechten Ergebnis zu gelangen".[322] Er beruft sich dafür auf BGHSt 36, 354, 358, wo das Auseinanderfallen von wahrem und aufgrund der formellen Beweiskraft der Sitzungsniederschrift gem. § 274 StPO unwiderlegbar zu vermutenden Sachverhalt (mit unverhohlener Sympathie für Eb. Schmidt, der die Vorschrift "ziemlich außergewöhnlich" genannt hat,[323] und Beling, der sie für einen "gesetzgeberischen Missgriff" gehalten habe) als "eine bedenkliche Konsequenz der Vorschrift des § 274 StPO" bezeichnet und hinzugefügt wird, es sei "nach den Erfahrungen des Senats weder für das berechtigte Verteidigungsinteresse noch für die Rechtspflege ein Nachteil, wenn die Frage, ob eine gerichtskundige Tatsache Gegenstand der Hauptverhandlung war, im Wege des Freibeweises ihre Klärung findet".[324] Doch der Entscheidung BGHSt 36, 354 ist bereits von Meyer-Goßner entgegengehalten worden, dass sich "die Eigenschaft als wesentliche Förmlichkeit" nicht "wegen der unerwünschten Konsequenz des § 274 StPO" verneinen lasse.[325]

Dass sich unberechtigten Revisionen auf diese Weise vorzüglich der Boden entziehen lässt, ist nicht zu leugnen. So entscheidet der 5. Senat, protokollierungsbedürftig sei lediglich ein im Verhältnis zum vorangegangenen Sitzungstag eingetretener Wechsel des Dolmetschers, weshalb die Rüge erfolglos blieb, der Angeklagte sei - was das Freibeweisverfahren als falsch erbracht hatte - ohne Dolmetscher gewesen (§ 338 Nr. 5 StPO).[326] Auch der 1. Senat hat sich - unter Berufung auf den Beitrag von Schäfer - im folgenden Fall auf die fehlende Protokollierungspflicht berufen: Der Beschwerdeführer machte geltend, die Verhandlung sei erst am Tatort und sodann auf der Polizeistation fortgesetzt worden, ohne dass - wie sich aus dem Schweigen des Hauptverhandlungsprotokoll ergebe - entsprechende Hinweise an den jeweils vorhergehenden Verhandlungsorten ausgehängt worden seien (§ 338 Nr. 6 StPO, § 169 GVG).[327] Aus der eingeholten dienstlichen Erklärung des Vorsitzenden ergab sich, dass solche Aushänge sowohl im Gerichtsgebäude als auch am Tatort und an der Polizeistation angebracht worden waren. Der BGH verwertete dies im Freibeweisverfahren, die negativen Beweiskraft des § 274 StPO bestehe nur für Vorgänge in der Hauptverhandlung selbst.[328]

Dass es sich auch bei dem oben zuerst genannten, in StV

1994, 468 abgedruckten Fall um den Versuch handelte, mit einer "unwahren Protokollrüge" durchzudringen, ergibt sich aus einem weiteren Urteil, nämlich aus BGH - 4 StR 72/95, das die Protokollierungspflicht der späteren Äußerung zur Sache in der Hauptverhandlung nach anfänglichem Schweigen wiederum ausdrücklich bejaht und der auf § 261 StPO gestützten Rüge - Widerspruch zwischen der Beweiswürdigung im Urteil und der durch Protokoll bewiesenen Nichteinlassung des Angeklagten zur Sache - stattgibt.[329] Aus der Entscheidung BGH StV 1994, 468, so heißt es darin, folge nichts anderes, allerdings könne sie zu "Missverständnissen" Anlass geben: In jenem Verfahren habe sich der Angeklagte, was aus den Gründen des Beschlusses allerdings nicht zu erkennen sei, zur Äußerung bereit erklärt; es sei (entgegen den Angaben des Verteidigers) nur fraglich gewesen, wann - nicht: ob - der Angeklagte Angaben zur Sache gemacht habe: "Damit erwies sich das Protokoll der Hauptverhandlung als unvollständig…".[330]

Die Beispiele für Rspr., die ohne diesen (wechselnden) Hintergrund gar nicht verständlich wäre, ließen sich mehren. So meint der 5. Senat, ob die Verfahrensbeteiligten im Sinne des § 33 StPO angehört worden seien, stelle keine protokollierungspflichtige wesentliche Förmlichkeit i.S. der §§ 273, 274 StPO dar,[331] mit dem - gewünschten - Effekt, dass ein diesbezügliches Schweigen des Protokolls mithin nicht beweist, dass ein Verfahrensfehler geschehen (z.B. der Beteiligte nicht angehört worden) ist. Dem lag die (vermeintlich) unwahre Protokollrüge zugrunde, weder der Angeklagte noch der Verteidiger seien vor Erlass eines bestimmten Beschlusses des LG (nämlich nach § 247 StPO zu verfahren) gehört worden. Der Senat konnte die Rüge so für unbegründet ansehen und viel sagend offen lassen, ob sie nicht schon deshalb unzulässig sei, weil der Beschwerdeführer dabei wesentliche Teile der vorangegangenen Hauptverhandlung unterschlagen und nicht vorgetragen hatte, aus denen sich ergab, dass über den vorangegangenen Antrag der Nebenklägerin verhandelt (und die Sitzung daraufhin auf Antrag des Verteidigers sogar unterbrochen worden war) und somit vieles dafür sprach, dass der Angeklagte und sein Verteidiger in Wahrheit doch dazu gehört worden waren.[332]

Durch die damit demonstrierte Unwichtigkeit von Protokollinhalten relativiert die Rspr. nicht nur den - ohnehin schon - geringen Wert der Sitzungsniederschrift und verführt die Tatrichter nur zu noch mehr Nachlässigkeit bei der Protokollaufnahme,[333] die relative Beliebigkeit der Entscheidung, je nachdem, ob sie tunlich erscheint, um einer "unwahren Protokollrüge" den Boden unter den Füßen wegzuziehen, trägt auch nicht gerade zu Voraussehbarkeit und Rechtssicherheit bei. Zwar stellt sich das gewünschte Ergebnis ein, dass denjenigen Beschwerdeführern, die sich nicht davor scheuen, das Mittel der "unwahren Protokollrüge" aus der Hand geschlagen wird. Zugleich wird aber dadurch die Nachweisbarkeit von Verfahrensfehlern so erschwert, dass gerade diejenigen Revisionsführer, die zu einem solchen Mittel niemals greifen würden, davon abgeschreckt werden, Revisionen zu erheben. Statt die Krankheit zu heilen, kuriert der BGH die Symptome - freilich mit Nebenwirkungen für den gesamten Organismus.

4. Aufweichen absoluter Revisionsgründe

Zu den "Nebenkriegsschauplätze" der unwahren Protokollrüge, auf denen echte "Stellvertreterkriege" ausgefochten werden, gehört auch die Frage der Angabe von Gründen bei Beschlüssen, durch die die Öffentlichkeit vom Verfahren ausgeschlossen wird (§ 174 I 3 GVG), die hier pars pro toto dafür angeführt werden soll, dass die Veränderungen des Prozessrechts mit dem Ziel der Ausschließung "unwahrer Protokollrügen" nicht einmal vor den Prozessgrundsätzen halt machen. Da jeder Richter und auch der Staatsanwalt (der ebenfalls auf die Einhaltung drängen wird) um die Bedeutung der Vorschriften über die Öffentlichkeit und den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 6 StPO weiß, ist es heute extrem unwahrscheinlich, dass ein die Öffentlichkeit ausschließender Beschluss bei seiner Verkündung nicht begründet worden ist, zumal der Ausschlussgrund vor dem Ausschluss der Öffentlichkeit unter den Verfahrensbeteiligten diskutiert und besprochen zu werden pflegt und sich regelmäßig schon aus dem auf die Ausschließung der Öffentlichkeit gerichteten Antrag eines Verfahrensbeteiligten ergeben wird. Das lässt vermuten, dass die meisten diesbezüglich erhobenen Revisionsrügen heute "unwahre Protokollrügen" sind, mit denen ein Verfahrensverstoß gerügt wird, der sich in Wahrheit nicht zugetragen hat. Das hat dazu geführt, wenn schon nicht die Missbräuchlichkeit eines solchen Vorgehens erneut zu thematisieren, so doch wenigstens die Anforderungen an die Begründung so weit herabzuschrauben, dass das diesbezügliche Schweigen des Protokoll einen Mangel nicht beweist. Das sind indes Strategien, die im Ergebnis dazu führen, den Öffentlichkeitsgrundsatz "auszuhöhlen". So soll das Schweigen des Protokolls zu den Ausschlussgründen des Beschlusses dann unschädlich sein, wenn der Ausschlussgrund für alle Verfahrensbeteiligten (und die ausgeschlossene Öffentlichkeit selbst) "auf der Hand" lag oder wenn der Revisionsführer den Ausschluss der Öffentlichkeit sogar "selbst beantragt" hat.[334] Am Anfang stand jedoch auch für den BGH noch fest: Der Beschluss, "die Öffentlichkeit wird während der Dauer der Vernehmung (des Zeugen) ausgeschlossen", verstößt gegen § 174 I 3 GVG, weil die Begründung, die aus sich selbst heraus verständlich sein muss, nicht erkennen lässt, auf welchen Grund die Ausschließung gestützt werden sollte.[335]

Zuerst ließ der 5. Senat wissen, er neige dazu, "für die Angabe des Ausschlussgrundes (im Falle des § 171b GVG) eine Bezugnahme auf einen in öffentlicher Hauptverhandlung hinreichend begründeten Antrag auf Ausschließung der Öffentlichkeit ausreichen zu lassen" und nahm die weitere Entwicklung mit den Worten vorweg, es bedürfe keiner Klärung, "ob der Mangel, dass eine ausdrückliche Begründung für den Ausschluss der Öffentlichkeit fehlt, in Abkehr von bisheriger Rspr.ausnahmsweise als unschädlich anzusehen ist, wenn der Ausschlussgrund nach Verfahrensgegenstand und Verfahrensablauf auf der Hand liegt".[336]

Mit Beschluss vom 20.10.1998 hat der 1. Senat gem. § 132 III GVG bei den anderen Strafsenaten angefragt, ob deren Rspr. einer Entscheidung entgegenstehe, dass kein Verstoß gegen § 174 I 3 GVG vorliege, wenn der Ausschließungsgrund (es handelte sich um die Vorführung eines vom Täter selbst mitgeschnittenen Videos einer Vergewaltigung) "des Schutzes der Privatsphäre des Opfers (§ 171b GVG) oder der Gefährdung der Sittlichkeit (§ 172 Nr. 1 GVG) oder beide zusammen" für die Verfahrensbeteiligten und die Öffentlichkeit "durch den sich aus dem Beschluss selbst ergebenden Hinweis auf den Verfahrensabschnitt zweifelsfrei erkennbar" sei.[337] Dass es sich bei der zugrunde liegenden Verfahrensrüge, mit der der Revisionsführer die Verletzung der Vorschriften über die Öffentlichkeit rügte (§ 338 Nr. 6 StPO), um eine "unwahre" Protokollrüge handelte, ergibt sich mittelbar aus dem Verweis auf eine angebliche "Tendenz der Rechtsprechung", die bemüht sei, das Fehlen einer Begründung als unschädlich anzusehen, wenn "unzweifelhaft ist, dass sich hinter dem Begründungsdefizit kein Verfahrensfehler verbergen kann".[338] Der Senat verweist dazu u.a. auf die Entscheidung BGH NStZ 1993, 500. Dort ließ der BGH viel sagend offen, ob die Rüge nicht schon deshalb unzulässig sei, weil der Beschwerdeführer bei seiner Rüge wesentliche Teile der vorangegangenen Hauptverhandlung unterschlagen habe, aus denen sich ergab, dass der gerügte Verfahrensverstoß nicht vorgekommen war und die vorgeschriebene Anhörung i.S. des § 33 StPO in Wahrheit doch stattgefunden hatte.[339] Dafür, dass auch im vorliegenden Verfahren kein Verfahrensfehler vorgekommen war, sprach die im Revisionsverfahren eingeholte dienstliche Erklärung des Vorsitzenden, die angab, dass das Hauptverhandlungsprotokoll in diesem Punkt "unvollständig" und der Ausschließungsgrund in dem mündlich verkündeten Beschluss entgegen dem Hauptverhandlungsprotokoll unter Nennung der Vorschrift (§ 171b GVG) begründet und die Verfahrensbeteiligten dazu auch angehört (§ 33 StPO) worden seien. - Erklärt eine der Urkundspersonen, wie hier der Vorsitzende, den Inhalt der Sitzungsniederschrift für unrichtig, so entfällt die Beweiskraft grundsätzlich auch ohne formelle Berichtigung, weil das Protokoll insoweit, als ihm widersprochen ist, nicht mehr von beiden Urkundspersonen gedeckt ist.[340] Dies gilt jedoch ebenso wie bei der nachträglichen Protokollberichtigung dann nicht, wenn damit, wie hier, einer bereits erhobenen Verfahrensrüge der Boden entzogen würde.[341]

Die Antwortbeschlüsse des 2.,[342] 3.,[343] 4.[344] und 5. Senats des Bundesgerichtshofs[345] stimmten der beabsichtigten Entscheidung mit unterschiedlichen Begründungen, teils "unter Aufgabe" etwaiger entgegenstehender Rspr.,[346] teils indem sie grundsätzlich an der bisherigen Rspr. festhielten,[347] zu.

Noch mit Beschl. v. 1.12.1998 war der 4. Senat anderer Meinung in einem Fall, in dem das Protokoll im Anschluss an den Antrag der Nebenklägerin (als der Geschädigten einer Vergewaltigung) und Gelegenheit zur Stellungnahme der Verfahrensbeteiligten lediglich vermerkte, dass auf Anordnung des Vorsitzenden die anwesenden Zuschauer sodann den Sitzungssaal verließen: "Damit ist - da das Protokoll weder lückenhaft noch widersprüchlich ist und deshalb auch keine andere Deutung zulässt - bewiesen (§ 274 S. 1 StPO), dass der nach § 174 I 2 GVG zwingend vorgeschriebene Beschluss des Gerichts nicht ergangen… ist" - "ganz abgesehen davon, dass die Anordnung nicht einmal den Ausschlussgrund erkennen lässt und deshalb auch nicht den Mindestanforderungen an die nach § 174 I 3 GVG vorgeschriebene Begründung genügt. Schon dieser Verfahrensmangel begründet den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 6 StPO".[348] Dabei drängte sich auch hier auf, dass das

Protokoll insoweit unrichtig und die entsprechende Rüge "unwahr" war, zumal das Protokoll auch nicht die Wiederherstellung der Öffentlichkeit auswies, obwohl an diesem Verhandlungstag außer der Nebenklägerin noch vier weitere Zeugen vernommen worden waren (worin der Senat konsequenterweise ebenfalls einen Verstoß gegen die Vorschriften über die Öffentlichkeit sah).[349]

Mit Urteil v. 9.6.1999 hat der 1. Senat wie beabsichtigt judiziert.[350] Die in § 174 I 3 GVG normierte Begründungspflicht diene der Selbstkontrolle des Gerichts, der Unterrichtung der Öffentlichkeit und der späteren Nachprüfbarkeit der Entscheidung durch das Revisionsgericht. Alle diese Zwecke seien aber unter den gegebenen Umständen erfüllt, dies ändere "zwar nichts daran, dass ein Verstoß gegen die gesetzlichen vorgeschriebene Begründungspflicht vorliegt". "Angesichts des Zwecks der Begründungspflicht nach § 174 I 3 GVG" sei der Verstoß aber "nicht so schwer, dass deshalb der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 6 StPO zu bejahen wäre".[351]

Aber dagegen spricht, dass die absoluten Revisionsgründe viel von ihrer gesetzlich gewollten Durchschlagskraft verlören, wenn diese Auffassung Schule machte.[352] Nach dem Revisionsgrund des § 338 Nr. 8 StPO, dem nach der Rspr. schon lange "keine absolute Bedeutung" mehr zukommen soll,[353] soll dies nun offenbar auch für den "absoluten" Revisionsgrund des § 338 Nr. 6 StPO insofern gelten, als nicht mehr jeder entsprechende Verstoß auch die Revision begründen soll.[354] Die absoluten Revisionsgründe setzen aber gerade keine Prüfung des "Beruhens" voraus, welches bei Einhaltung sämtlicher mit den Vorschriften, die sie absichern sollen, verbundener Zwecke möglicherweise zu verneinen wäre, und kennen auch kein Kriterium der "Schwere" des Verstoßes. Auf diese Weise ließe sich jeder absolute Revisionsgrund in einen relativen Revisionsgrund umdeuten, was der Gesetzgeber nicht gewollt haben kann.[355] Zwar werden die absoluten Revisionsgründe häufig mit den besonders schwerwiegenden Verstößen identifiziert, aber erstens ist dies unrichtig, weshalb aus der fehlenden "Schwere des Verstoßes" noch kein Kontraindiz gegen das Durchgreifen eines absoluten Revisionsgrundes entnommen werden kann, und zweitens würde, wenn es richtig wäre, der Gesetzgeber mit der Einführung des Katalogs des § 338 StPO gerade angeordnet haben, welche Verstöße ihm, dem Gesetzgeber, so schwer erschienen sind, dass er daran die Folge der Urteilsaufhebung geknüpft hat. Für eine andere Bewertung durch das Revisionsgericht ist dann kein Raum.

Außerdem lässt sich gegen die Ausnahme - gerade weil die revisionsrechtlichen Konsequenzen der Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes eindeutig sind und jeder Vorsitzende weiß, dass er sich mit dem Öffentlichkeitsausschluss auf revisionsanfälligem Terrain bewegt und deshalb mit größter Sorgfalt vorgehen muss - einwenden, was der BGH schon von Anbeginn seiner Rspr. an betont hat, dass nämlich vom Gericht mit der Angabe des Grundes nicht zuviel verlangt werde, weil es ein Leichtes sei und das Verfahren weder unnötig verzögere noch erschwere, den Grund in dem Beschluss anzugeben, damit werde "nichts schwer Erfüllbares oder die Hauptverhandlung besonders Erschwerendes" verlangt.[356] Das ist umso wichtiger als die beiden hier in Betracht kommenden Ausschlussgründe, nämlich § 171b GVG (Schutz der Privatsphäre) und § 172 Nr. 1 GVG (Gefährdung der Sittlichkeit), auch ganz unterschiedliche rechtliche Konsequenzen haben (vgl. § 174 III 1 GVG), die unklar blieben, wollte man auf die genaue Bezeichnung des Grundes verzichten.[357] Darum hat der BGH, auch der 1. Senat, bisher stets vertreten, dass es der genauen Angabe des Grundes bedürfe.[358] Zwar spricht die ratio legis des Zwangs zur Angabe des Grundes nicht unbedingt gegen die vom BGH jetzt gemachte Einschränkung. Doch lag es, wie der BGH früher durchaus zutreffend bemerkte, "fast durchweg so, dass sich der Grund der Ausschließung der Öffentlichkeit für jeden Beteiligten aus dem Sachzusammenhang oder aus früheren Beschlüssen oder Anträgen deutlich ergab".[359]

Es mag als "unnötige Förmelei" erscheinen, daran festzuhalten, dass der Grund benannt werde, wenn dieser doch für alle Beteiligten "auf der Hand" liegt. Indes hat der Gesetzgeber in § 338 Nr. 6 StPO, was ein Leichtes gewesen wäre, nicht auf den materiell zu Recht oder zu Unrecht erfolgten Ausschluss der Öffentlichkeit abge-

stellt, sondern ausdrücklich auf die verfahrensrechtlichen Vorschriften Bezug genommen (vgl. § 338 Nr. 6 StPO: "…auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit verletzt sind"). Beim Öffentlichkeitsgrundsatz handelt es sich um eine der wesentlichsten Errungenschaften unseres Strafprozesses, ihn zu beschneiden ist schädlicher und hat weit reichendere Konsequenzen für alle Revisionsführer, als die Anerkennung der unwahren Prozessrüge als "rechtsmissbräuchlich" hätte. Zwar hat der 3. Senat für den Fall, dass der Angeklagte sogar selbst den Ausschluss der Öffentlichkeit (zum Schutz seines eigenen persönlichen Lebensbereichs) beantragt hat, darüber nachgedacht, "ob die Rüge rechtsmissbräuchlich erhoben worden ist",[360] was, wie die zitierte Entscheidung des 5. Senats[361] auch, der sich der Senat anschließt, weit über die Problematik der "unwahren Protokollrüge" hinausginge, weil es auch den Fall erfasste, dass ein Grund tatsächlich und unzweifelhaft nicht angegeben worden ist.


[1] Auszug aus Fahl, Rechtsmissbrauch im Strafprozess, 2004, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung des C.F.Müller Verlages. Das Thema ist durch das aktuelle Volageverfahren - BGH NJW 2006, 3082 m. Anm. Widmaier (Vorlagebeschl.); NStZ-RR 2006, 112 (Anfragebeschl.) = StV 2006, 287 m. Anm. Fezer = JR 2006, 162 m. Anm. Jahn/Widmaier = JA 2006, 578 m. Bespr. Bosch - in den Mittelpunkt des Interesses weiter Kreise der Fachöffentlichkeit gerückt.

[2] Gollwitzer, JR 1980, 518, 519.

[3] Etwa Beulke, Strafprozeßrecht, 9. Aufl., 2006, Rn. 565; Haller/Conzen, Das Strafverfahren, 2. Aufl., 1999, Rn. 789; KK-Kuckein, 5. Aufl., 2003, § 344 Rn. 60; Kühne, Strafprozeßrecht, 6. Aufl., 2003, Rn. 972 a.E.; Krause, Die Revision im Strafverfahren, 5. Aufl., 2001, Rn. 91; LR-Hanack, StPO, 25. Aufl., 1997-99, § 344 Rn. 86; Mutzbauer, in: Bockemühl (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts Strafrecht, 2000, Teil C/2 Rn. 85; Ott, Die Berichtigung des Hauptverhandlungsprotokolls im Strafverfahren und das Verbot der Rügeverkümmerung, 1970, S. 15; Roxin, Strafverfahrensrecht, 25. Aufl., 1998, § 49 Rn. 12; Sarstedt/Hamm, Die Revision in Strafsachen, 6. Aufl., 1998, Rn. 238; Schäfer, Die Praxis des Strafverfahrens, 6. Aufl., 2000, Rn. 1813; Ziegert, in: Grundlagen der Strafverteidigung, 2000, S. 405; s. auch Schmid, DtRpfl 1962, 301, 304.

[4] Abweichend davon versteht HK-Temming, 3. Aufl., 2001, § 344 Rn. 20 unter der "Unzulässigkeit der Protokollrüge" den Fall, dass ein vorschriftswidrig nicht aufgenommener Verfahrensverstoß gerügt werde; ähnl. Schmid, DtRpfl 1962, 301, 304 - wie hier Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, 6. Aufl., 1999, Rn. 881; KK-Kuckein (Fn. 3), § 344 Rn. 21, 60; Meyer-Goßner, 48. Aufl., 2005, § 344 Rn. 26.

[5] BGHSt 7, 162, 163 = NJW 1955, 641 (betr. die Wendung: "inhalts des Protokolls" "scheine" das LG keinen Beschluß über die Vereidigung gefaßt zu haben); dazu Schäfer, 50 Jahre BGH-FS/Prax, S. 707, 726; vgl. noch Jescheck, GA 1956, 97, 119: "weil dem Missbrauch rein formaler Anfechtungsmöglichkeiten entgegengetreten werden müsse"; schönes Beispiel zum Zusammenhang von bloßer Protokollrüge und unwahrer Protokollrüge bei Joachimski/Haumer, S. 201.

[6] Schuler, NJW 1955, 1258, 1262.

[7] Mit den Worten "zugunsten des Angeklagten" sei "davon auszugehen", dass er seine Aussagefreiheit nicht gekannt habe, ist der Rechtsfehler nicht bestimmt genug behauptet, fand BGH, Beschl. v. 15.12.1999 - 3 StR 513/99 = bei Kusch, NStZ-RR 2000, 290, zu dessen Überzeugung im übrigen auf Grund von Indizien feststand, dass der Angeklagte seine Aussagefreiheit gekannt hatte, und ließ die Revision an § 344 II 2 StPO scheitern; krit. Weiler, Meyer-Goßner-FS, S. 571, 590, Fn. 94; zust. Sander, NStZ-RR 2002, 1.

[8] BGHSt 7, 162, 164.

[9] Ventzke, StV 1999, 190.

[10] BGHSt 7, 162, 164; vgl. auch Schmid, DtRpfl 1962, 301, 304: Das Gesetz bzw. genauer die Rspr. zwinge damit den Beschwerdeführer, "Farbe zu bekennen; er muß vor seinem Gewissen (und vor seinen Standesgenossen) die Verantwortung für diese Rügen übernehmen!"

[11] BGHSt 7, 162, 164; AK-Maiwald, StPO, Bd. 3, 1996, § 344 Rn. 18 meint, für ihn sei eine "Ausnahme" hinsichtlich der Unzulässigkeit der Protokollrüge zu machen - nach BGH StV 1999, 585 sollen in diesem Fall nicht einmal Bedenken gegen die Zulässigkeit einer sog. "unwahren" Verfahrensrüge bestehen.

[12] BGHSt 7, 162, 164.

[13] Vgl. RGSt 42, 168, 170 f.; 48, 288; 53, 50, 51; RG JW 1932, 2437; RG HRR 1940, Nr. 343 (danach ist das Hauptverhandlungsprotokoll "nicht dazu bestimmt, den Prozeßbeteiligten das Heraussuchen von Verfahrensverstößen zu ermöglichen").

[14] Das ist auch gegen die Rspr. einzuwenden, die vom Rechtsanwalt bei § 345 II StPO die Übernahme der "Verantwortung" für die Revisionsbegründung fordert, s. dazu s. dazu Fahl (Fn. 1), S. 609 ff.

[15] Vgl. BGH StV 1997, 515; BGH StV 1982, 4, 5 m. Anm. Peters (entgegen der Meinung des Generalbundesanwalts keine "unzulässige Protokollrüge", vielmehr ergebe "sich aus den Revisionsbegründungen eindeutig, dass nicht ein bloßer Fehler des Hauptverhandlungsprotokolls, sondern ein tatsächlich vorgekommener Verfahrensverstoß gerügt werden" solle); Meyer-Goßner (Fn. 4), § 344 Rn. 26; LR-Hanack (Fn. 3), § 344 Rn. 86.

[16] OLG Karlsruhe, JR 1980, 517 m. Anm. Gollwitzer: der Beschwerdeführer beanstande damit "inzident" die (angebliche) Nichtvereidigung einer Zeugin; s. zu diesem Urteil noch unten.

[17] Bejahend: BGHSt 7, 162, 163; vgl. schon RG JW 1932, 2437 Nr. 28 - offen lassend BGH NJW 2001, 3794 = wistra 2001, 471 = NStZ 2002, 270, 272 m. Anm. Fezer (obiter dictum): "Es bedurfte hier auch keiner Entscheidung darüber, ob eine mit dem Wissen eines Verteidigers unvereinbare Rügebehauptung sich als Rechtsmissbrauch darstellt und zur Unzulässigkeit führt"; BGHR § 274 StPO Beweiskraft 24: "ob sie wegen Rechtsmissbräuchlichkeit bereits unzulässig ist, weil sie von dem in der Hauptverhandlung mitwirkenden Verteidiger wider besseres Wissen erhoben wurde".

[18] Bejahend Kühne (Fn. 3), Rn. 975.

[19] Schäfer, 50 Jahre BGH-FS/Prax, S. 707, 717 weist zu Recht darauf hin, in der ganzen Diskussion werde "ein gewisses Misstrauen gegen die Redlichkeit der Urkundspersonen" spürbar. Beling, ZStW 38 (1918), 612, 633 meinte noch davon absehen zu können, dass die "Berichtigung" ausnahmsweise einmal wahrheitswidrig sein könne.

[20] Vgl. BGHSt 2, 125 = NJW 1952, 432 = JZ 1952, 280; JZ 1957, 587 m. Anm. Bohne; s. auch BayObLG, Rpfleger 1957, 16; offen lassend, ob dies "stets" der Fall sein müsse BGH NJW 1982, 1057 = StV 1982, 100; aus der Lit. Alsberg/Nüse/Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozeß, 5. Aufl., 1983, S. 886 f.; Dahs (Fn. 4), Rn. 884; Hamm, in: Brüssow/Gatzweiler/Krekeler/Mehle (Hrsg.), Strafverteidigung in der Praxis, 1. Aufl., 1998, § 10 Rn. 120; HK-Julius (Fn. 4), § 271 Rn. 15; KK-Engelhardt (Fn. 3), § 271 Rn. 26; KK-Kuckein (Fn. 3), § 344 Rn. 60; Meyer-Goßner (Fn. 4), § 271 Rn. 26; Kramer, Grundbegriffe des Strafverfahrensrechts, 4. Aufl., 1999, Rn. 286; LR-Gollwitzer StPO, 24. Aufl., 1987-89, § 271 Rn. 55 m.w.N. (auch zur Gegenansicht des älteren Schrifttums in Fn. 104); Meurer, Strafprozeßrecht, 3. Aufl., 1991, S. 142 f.; Pfeiffer, 5. Aufl., 2005, § 271 Rn. 8; Peters, Strafprozeß, 4. Aufl., 1985, § 22 II, S. 156; Ranft, JuS 1994, 785, 787; Rieß, in: Strafverteidigung in der Praxis, 2. Aufl., 2000, § 13 Rn. 244; Roxin (Fn. 3), § 49 Rn. 10; Sarstedt/Hamm (Fn. 3), Rn. 241; Schmid, Die "Verwirkung" von Verfahrensrügen im Strafprozeß, 1967, S. 310; Eb. Schmidt, Lehrkommentar zur StPO, § 271 Rn. 19; SK-Schlüchter, StPO, 1. Aufl., 1986 ff., § 271 Rn. 26; Volk, § 17 Rn. 28; Werner, DRiZ 1955, 180, 183; krit. etwa Schäfer (Fn. 3), Rn. 1814 (sollte "überprüft" werden); abl. Schuler, NJW 1955, 1258, 1261; Niethammer, DRZ 1949, 451.

[21] Vgl. den § 274 StPO fast wörtlich entsprechenden § 165 ZPO.

[22] BGHR § 164 I ZPO Protokollberichtigung 1 (darauf weist auch Schäfer, 50 Jahre BGH-FS/Prax, S. 707, 718 hin); ebenso, für den Verwaltungsprozeß, BVerwG, MDR 1981, 166.

[23] BGHSt 2, 125; so schon RGSt 43, 1, 4; vgl. auch Nr. 161 RiStBV. Vorschläge, die Zulässigkeit des Berichtigungsverfahrens gesetzlich zu regeln, sind nie umgesetzt worden, vgl. Werner, DRiZ 1955, 180.

[24] Zum Protokollierungsantrag und dem Missbrauch des Rechts auf wörtliche Protokollierung siehe Fahl (Fn. 1), S. 603 ff.

[25] Vgl. nur Meyer-Goßner (Fn. 4), § 271 Rn. 23; abw. Kühne (Fn. 3), Rn. 976: nur bis zur Zustellung des Urteils (§ 273 IV StPO), weil dem vom Urteil Betroffenen nicht zugemutet werden könne, sich und seine (kostspieligen) Rechtsanwälte (und Staatsanwälte?) mit Revisionsfragen zu beschäftigen, ohne zu wissen, ob nicht wesentliche Revisionsgrundlagen durch spätere Protokollierungen "abgeschnitten" werden.

[26] Meyer-Goßner (Fn. 4), § 271 Rn. 23; LR-Gollwitzer (Fn. 20), § 271 Rn. 44.

[27] BGHSt 34, 11, 12 - unter Verweis auf die mittlerweile st. Rspr., vgl. (außer den o.g. Fundstellen) noch BGHSt 10, 145, 147; BGH NStZ 1984, 521; 1986, 374; 1995, 200, 201; wistra 1985, 154 = StV 1985, 135. Die Entwürfe bis 1920 wollten diesen Rechtssatz ausdrücklich im Gesetz verankern (vgl. Schafheutle, DJ 1936, 1300, 1301; Werner, DRiZ 1955, 180, 183), der Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuch ausdrücklich das Gegenteil bestimmen, s. Glanzmann, Verh. des 41. DJT, 1955, Bd. 2, G 35.

[28] Vgl. nur Glanzmann (Fn. 27), G 33; Meyer-Goßner (Fn. 4), § 271 Rn. 26; Ott (Fn. 3), S. 1; Schäfer, 50 Jahre BGH-FS/Prax, S. 707, 716 m.w.N. auch zur vereinzelt vertretenen Gegenmeinung, wonach schon die Berichtigung unzulässig sein soll.

[29] Bohne, JZ 1957, 588, 589; ders., SJZ 1949, 760; vgl. auch Mattil, GA 77 (1933), 7.

[30] Schmid (Fn. 20) S. 310; vgl. schon S. 3: Das Strafverfahrensrecht sei dem Satz von Treu und Glauben und damit dem Missbrauchsverbot nicht überhaupt unzugänglich, vielmehr sei die rechtsbegründende und rechtsvernichtende Auswirkung des Satzes von Treu und Glauben auch im Strafprozeßrecht längst anerkannt, und zwar nicht nur für die Tatsacheninstanz, sondern auch im Revisionsrechtszug, etwa was das zugunsten des Revisionsführers entwickelte Verbot der nachträglichen Protokolländerung angehe.

[31] Roxin (Fn. 3), § 49 Rn. 10; vgl. auch Krause (Fn. 3), Rn. 110.

[32] Vgl. Ott (Fn. 3), S. 221 ff. - Schäfer, 50 Jahre BGH-FS/Prax, S. 707, 716 bemerkt freilich zu Recht, dass die Frage überwiegend nur für den Beschuldigten diskutiert wird.

[33] Schuler, NJW 1955, 1258, 1261; vgl. auch Glanzmann (Fn. 27), G 34: es bedürfe "ernsthafter Überlegung", ob es richtig sei, der Berichtigung die Wirkung zu versagen, der dies aber im Grundsatz für richtig hält und schon 1955 meinte, es sei nicht zu erwarten, dass sich die Rspr. noch wandele; in diese Richtung - obiter dictum - aber jetzt BGH, Beschl. v. 12.1.2000 - 5 StR 617/99 = NStZ 2000, 216, 217.

[34] Bohne, JZ 1957, 588, 589.

[35] Schuler, NJW 1955, 1258, 1261.

[36] Entschieden a.A. Schmid (Fn. 20), S. 323: das sei das "gute Recht" des Revisionsführers; zur Frage des "Rechtsmissbrauchs", wenn durch die Revision nur Zeit geschunden werden soll, s. Fahl (Fn. 1), S. 663 ff.

[37] PrObTrib, GA 17 (1869), 796 f.; s. dazu Ott (Fn. 3), S. 45: In diesem Fall stützte sich die Beschwerdeführerin darauf, dass ein Dolmetscher nicht zugezogen worden sei, obwohl sie der deutschen Sprache nicht mächtig sei, das Protokoll wurde daraufhin dahingehend geändert, dass es die Anwesenheit des Dolmetschers auswies. Das Gericht sah die Protokollberichtigung als "nachträgliche Bescheinigung" an, die zum Beweis wesentlicher Förmlichkeiten nicht tauge.

[38] RGSt 2, 76, 77 f.

[39] RGSt 43, 1.

[40] RGSt 70, 241 = JW 1936, 2654 m. Anm. Jonas, JW 1936, 3009.

[41] RGZ 164, 359 - entgegen RGZ 148, 151 = JW 1935, 2812; JW 1936, 1603, die der alten Rspr. des RG in Strafsachen folgten.

[42] OGHSt 1, 277 = NJW 1949, 434 = SJZ 1949, 794.

[43] BGHSt 2, 125 = NJW 1952, 432; zur Entwicklung Schuler, NJW 1955, 1258, 1260; Ventzke, StV 1999, 190, 192 f.

[44] RGSt 3, 47; 5, 451, 453; 12, 119, 121; RG JW 1890, 189; ausführlich Ott (Fn. 3), S. 47 ff.

[45] RMGE 15, 281 f.; 17, 151, 153 - zur Rspr. des Reichsmilitärgerichts auch Ott (Fn. 3), S. 61 f.

[46] RMGE 9, 35, 42; zust. Beling, ZStW 38 (1918), 612, 633.

[47] RGSt 43, 1, 6.

[48] RGSt 43, 1, 6 f.

[49] RGSt 43, 1.

[50] RGSt 43, 1.

[51] Wiedergegeben in RGSt 43, 1, 2 f. - Beling, ZStW 38 (1918), 612, 634 gesteht dazu, dass er ein "ganz anderes Billigkeitsempfinden" habe.

[52] Schmid (Fn. 20), S. 311.

[53] Dallinger, NJW 1951, 256, 258.

[54] RGSt 43, 1, 7.

[55] Beulke , Der Verteidiger im Strafverfahren, 1980, S. 237.

[56] Ebenso wohl auch Dallinger, NJW 1951, 256, 258.

[57] So wiedergegeben in RGSt 43, 1, 5.

[58] RGSt 43, 1, 5.

[59] RGSt 43, 1, 6.

[60] RGSt 43, 1, 9.

[61] Beling, ZStW 38 (1918), 612, 634.

[62] Der Satz ist insofern missverständlich als der "Missbrauch" gerade keinen "bestimmungsgemäßen Gebrauch" darstellen würde, was auch das RG erkennt.

[63] RGSt 43, 1, 8.

[64] Siehe oben.

[65] OGHSt 1, 277, 280; Docke/Döllen/Momsen, StV 1999, 583, 585; dazu auch Ventzke, StV 1999, 190, 192 f.

[66] RGSt 43, 1, 9.

[67] LR-Gollwitzer (Fn. 20), § 271 Rn. 55.

[68] Zur Frage, ob ein Rechtsanwalt, der an der Hauptverhandlung nicht teilgenommen hat, sich auf das Protokoll berufen darf, noch unten Fn. 268.

[69] BGH, Beschl. v. 8.8.2001 - 2 StR 504/00 = NJW 2001, 3794 = wistra 2001, 471= StraFo 2001, 410 = JuS 2002, 198 m. Anm. Martin = NStZ 2002, 270, 272 m. Anm. Fezer = StV 2002, 525 m. Anm. Köberer: "Der von der Rspr. entwickelte Grundsatz, dass… einer zulässig erhobenen Verfahrensrüge nicht nachträglich der Boden entzogen werden darf, basiert letztlich auf Erwägungen, die mit dem Grundsatz eines für den Angeklagten fairen Verfahrens zusammenhängen. Fraglich ist allerdings, ob aus dem Gebot des fairen Verfahrens auch folgt, dass das Revisionsgericht sehenden Auges einen Verfahrensvorgang unterstellen muß, der so nicht geschehen ist, nur weil das Geschehene sich für den Beschwerdeführer ungünstig auswirkt. Aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens muß dies jedenfalls dann nicht folgen, wenn der behauptete Verfahrensverstoß in der Sphäre des Angeklagten liegt."

[70] Vgl. Gollwitzer, JR 1980, 518, 519: "dass schon der Anschein einer nachträglichen Manipulation des Protokollinhalts zu Lasten einer Revisionsbehauptung vermieden werden sollte", "Vermeidung jeden Anscheins einer nur zur Ausmanövrierung des Rechtsmittels vorgenommenen Protokollkorrektur"; LR-Gollwitzer (Fn. 20), § 271 Rn. 55: "Um schon den Anschein einer Manipulation zu vermeiden, soll von vornherein jede Möglichkeit ausgeschlossen werden, eine begründete Rüge durch eine nachträgliche Änderung des Protokolls zu Fall zu bringen".

[71] Meyer-Goßner (Fn. 4), § 271 Rn. 23; LR-Gollwitzer (Fn. 20), § 271 Rn. 47.

[72] Glanzmann (Fn. 27), G 34; LR-Gollwitzer (Fn. 20), § 271 Rn. 49.

[73] Vgl. Glanzmann (Fn. 27), G 33; HK-Julius (Fn. 4), § 271 Rn. 7; LR-Gollwitzer (Fn. 20), § 271 Rn. 49; ders., JR 1980, 518, 519; Pfeiffer (Fn. 20), § 271 Rn. 7; Rieß (Fn. 20), § 13 Rn. 243; Volk, § 17 Rn. 27; BGHSt 4, 364; BGH GA 1963, 19; 1970, 240; BayObLG, MDR 1979, 160; krit. etwa Roxin (Fn. 3), § 49 Rn. 9 sowie Ranft, JuS 1994, 785, 787, wonach (was nicht von der Hand zu weisen ist) § 274 StPO hierdurch in weitem Umfang leerliefe.

[74] So richtig LR-Gollwitzer (Fn. 20), § 271 Rn. 49; s. auch Schäfer, 50 Jahre BGH-FS/Prax, S. 707, 719; aus der Rspr.: BGHSt 8, 283; 10, 342, 343; 13, 53, 59; BGHR § 274 StPO Beweiskraft 3, 8, 11 = NStZ 1992, 49 = StV 1992, 1.

[75] BGHR § 274 I StPO Protokollauslegung 1.

[76] BGH NStZ 1983, 375; zum uneinheitlichen Sprachgebrauch Schäfer, 50 Jahre BGH-FS/Prax, S. 707, 719.

[77] BGH, Beschl. v. 7.12.1999 - 1 StR 494/99 = NStZ 2000, 214.

[78] BGH, NStZ 1986, 39 - ebenso wie die Erklärung des Staatsanwalts im konkreten Fall, der zwar nicht zu den Urkundspersonen gehört, auf deren Erklärungen es insoweit allein ankommt, der aber selbstverständlich (wie die Urkundspersonen) verpflichtet ist, während der Hauptverhandlung und danach auf die Übereinstimmung des Protokolls mit dem wahren Verfahrenshergang hinzuwirken, notfalls durch einen Protokollberichtigungsantrag, der sich - überflüssig zu betonen - selbstverständlich auch zugunsten der bereits eingelegten Revision des Angeklagten auswirken kann.

[79] Siehe dazu unten 3.

[80] BGH StV 1988, 45 (s. dazu Schäfer, 50 Jahre BGH-FS/Prax, S. 707, 719) für eine Verfahrensrüge des Angeklagten. Dasselbe müßte aber auch für die Verfahrensrüge der Staatsanwalt gelten, gleichviel ob diese zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten eingelegt ist.

[81] Schäfer, 50 Jahre BGH-FS/Prax, S. 707, 717.

[82] OLG Hamburg, NJW 1971, 1326; Ott (Fn. 3), S. 156; Rieß (Fn. 20), § 13 Rn. 244 (zulässig und bescheidungspflichtig).

[83] LG Osnabrück, StraFo 1997, 309; OLG Düsseldorf, NStZ 1998, 477, das sogar eine schriftliche Äußerung des Urkundsbeamten voraussetzt (dazu unten).

[84] Zum Ganzen: Ranft, JuS 1994, 785, 786 f.

[85] Dazu Beulke (Fn. 3), Rn. 393.

[86] BGHSt 1, 259; s. Ott (Fn. 3), S. 57 f. m.w.N. aus der Rspr. schon des RG.

[87] Richtig gesehen von BGHSt 1, 259, 261 - der Revisionsführer spekuliert darauf, dass die beantragte "Protokollberichtigung" seiner Revision erst zu ihrem "Boden" verhelfen wird.

[88] BGHSt 1, 259, 261.

[89] BGHSt 1, 259, 261.

[90] Zur Notwendigkeit der Beurkundung der Tatsache der Unterrichtung (nicht ihres Inhalts) in der Sitzungsniederschrift vgl. Meyer-Goßner (Fn. 4), § 247 Rn. 17.

[91] Dallinger, NJW 1951, 256, 257.

[92] RGSt 8, 141, 143; 17, 346, 348; s. Ott (Fn. 3), S. 50 f.

[93] Schneidewin, MDR 1951, 193, 194: Eine "jahrzehntelange ständige Bearbeitung von Revisionen" belehre darüber, "dass es kaum etwas Aussichtsloseres gibt als einen Antrag auf Berichtigung des Sitzungsprotokolls im Sinne einer geplanten… Verfahrensbeschwerde"; Dahs (Fn. 4), Rn. 884: habe kaum Aussichten; Ziegert (Fn. 3), S. 405: in der Praxis selten Erfolg. - Das mag früher durchaus zutreffend gewesen sein, vgl. etwa KG JR 1960, 28 m. Anm. Dünnebier, das den Versuch, den Vermerk, die Hauptverhandlung habe öffentlich stattgefunden, durch einen Protokollberichtigungsantrag zu beseitigen, kurzerhand unter Hinweis auf die vom Ermessen des Vorsitzenden abhängige Beurkundungstätigkeit ablehnte (krit. dazu Schmid, GA 1962, 353, 355: öffne "Missbräuchen Tür und Tor"); s. auch BGHSt 2, 125, 127, wonach der Angeklagte "so gut wie keine Möglichkeit" habe, die Berichtigung des Protokolls zu erzwingen.

[94] OGHSt 1, 277, 278; Dallinger, NJW 1951, 256, 257 - von sich aus wie auf Antrag; so schon Oetker, JW 1927, 918; zum Vermerk eines einseitigen Widerspruchs einer Urkundsperson gegen die Richtigkeit des Protokolls siehe oben II.1.b).

[95] Hamm, Vom unmöglichen Zustand des Strafrechts, 1995, S. 367, 383.

[96] OLG Düsseldorf, NStZ 1998, 477 = StV 1999, 201 (Leitsatz); vgl. auch schon dass., StV 1985, 359, 360.

[97] Vgl. zu letzterem auch SK-Schlüchter (Fn. 20), § 271 Rn. 27 m.w.N.; nach LG Bielefeld, Beschl. v. 10.10.2000 - Qs 546/00 IV = StV 2002, 532 kann die Ablehnung eines Antrags auf Berichtigung des Hauptverhandlungsprotokolls mit der Beschwerde (§ 304 StPO) angegriffen werden, wenn der Vorsitzende den Berichtigungsantrag ablehnt, ohne weitere Erhebungen zu veranlassen, die den Vorgang möglicherweise ins Gedächtnis der beiden Urkundspersonen zurückrufen könnten. Zu diesem Zweck seien "alle denkbaren Quellen, die zur Auffrischung des Gedächtnisses der Urkundspersonen dienen könnten", auszunutzen, insbesondere die Anhörung in der Hauptverhandlung anwesender Verfahrensbeteiligter.

[98] So z.B. Ranft, JuS 1994, 785, 787.

[99] So etwa LR-Gollwitzer (Fn. 20), § 271 Rn. 56; SK-Schlüchter (Fn. 20), § 271 Rn. 26; jetzt auch Alsberg/Nüse/Meyer (Fn. 20), S. 887 f. (entgegen der Voraufl., S. 447); Schäfer, 50 Jahre BGH-FS/Prax, S. 707, 717; zum Streitstand: LR-Gollwitzer (Fn. 20), § 271 Rn. 58.

[100] Alsberg/Nüse/Meyer, S. 888; dagegen will LR-Gollwitzer (Fn. 20), § 271 Rn. 58 das "Vertrauen" des Revisionsführers auf den unveränderten Fortbestand des Protokolls bis zum Eingang der Rüge bei Gericht offenbar auch insoweit nicht für "schutzwürdig" halten, wie sich a.a.O. (Rn. 58) aus der Verweisung auf die Behandlung der "verfrühten" Protokollrüge in Rn. 40 ergibt.

[101] Ausführlicher Fahl (Fn. 1), S. 79 ff.

[102] Terminologie uneinheitlich: Seibert, JR 1951, 678 spricht von "unwahrer Verfahrensrüge"; so auch Dahs, AnwBl 1951, 90; Dahs (Fn. 4), Rn. 885 ff.

[103] RGSt 43, 1, 5 spricht von der "Unsicherheit des menschlichen Erinnerungsvermögens im allgemeinen" und "desjenigen solcher viel und gleichartig beschäftigter Urkundspersonen im besonderen".

[104] So richtig RGSt 43, 1, 6; s. auch Tepperwien, Meyer-Goßner-FS, S. 595, 601 f.: "muß jedoch betont werden, dass eine solche Rüge letztlich einen Rechtsmissbrauch darstellt".

[105] So nunmehr tatsächlich BGH StV 1999, 189 m. Anm. Ventzke.

[106] Beling, JW 1925, 2790; s. schon dens., ZStW 38 (1918), 612, 632 ff.

[107] RGSt 59, 429; 63, 408, 410.

[108] Vgl. etwa Mannheim, JW 1925, 2818 f.; Niethammer, SJZ 1948, 191, 194; ders., DRZ 1949, 451; Oetker, JW 1927, 918; Schuler, NJW 1955, 1258, 1260 - weiter Nachw. bei LR-Gollwitzer (Fn. 20), § 271 Rn. 55, Fn. 104.

[109] RGSt 70, 241 = JW 1936, 2654 m. Anm. Jonas, JW 1936, 3009 = DJ 1936, 1299 m. Anm. Schafheutle.

[110] Ventzke, StV 1999, 190, 193.

[111] RGSt 70, 241, 242 f.

[112] RGZ 164, 359.

[113] So jedenfalls Ventzke, StV 1999, 190, 193.

[114] OLG Kassel, SJZ 1947, 443 = HESt 1, 118.

[115] OLG Braunschweig, SJZ 1948, 210 - dazu Niethammer, SJZ 1948, 191 ff.

[116] OLG Braunschweig, SJZ 1948, 210 f.; s. auch Tepperwien, Meyer-Goßner-FS, S. 595, 609: zweifellos "nicht Ausdruck speziell nationalsozialistischen Gedankenguts".

[117] Dallinger, NJW 1951, 256, 258.

[118] Niethammer, DRZ 1949, 451 f.

[119] OGHSt 1, 277 = NJW 1949, 434 = SJZ 1949, 794.

[120] OGHSt 1, 277, 279 f.

[121] OGHSt 1, 277, 280 - gemeint ist wohl: einem Irrtum unterliegen. Denn wer sollte sie schon (arglistig?) täuschen, etwa die Staatsanwaltschaft?

[122] OGHSt 1, 277, 282.

[123] Zutreffend Dallinger, NJW 1951, 256, 257.

[124] Dallinger, NJW 1951, 256, 258.

[125] BGHSt 2, 125, 126 = NJW 1952, 432 = JZ 1952, 280 - schon in BGHSt 1, 259, 260 findet sich ein Hinweis auf OGHSt 1, 277, ohne dass die Kritik indes verstummte, vgl. Schuler, NJW 1955, 1258, 1260.

[126] BGHSt 2, 125, 127 - dagegen nennt BGHSt 36, 354, 358 dies eine "bedenkliche Konsequenz", wörtlich: "Sachverhalte, die auf Grund der formellen Beweiskraft der Sitzungsniederschrift unwiderlegbar zu vermuten sind, brauchen der wahren Sachlage nicht zu entsprechen. Das ist eine bedenkliche Konsequenz der Vorschrift des § 274 StPO…".

[127] Beide Entscheidung werden in BGHSt 2, 125, 126 angeführt.

[128] RGSt 43, 1, 6; dagegen sprechen Docke/Döllen/Momsen, StV 1999, 583, 585 von einem "Recht der Verteidigung zur unwahren Verfahrensrüge", das noch dazu "sakrosankt" sein soll - eine Auffassung, die nach Schäfer, 50 Jahre BGH-FS/Prax, S. 707, 726, Fn. 136 "einer weiteren Erörterung nicht bedarf".

[129] Schäfer, 50 Jahre BGH-FS/Prax, S. 707, 717 ("sehr zweifelhaft").

[130] BGHSt 1, 259, 261; siehe dazu oben II.2.

[131] BGHSt 2, 125, 126; so bereits RGSt 43, 1, 9.

[132] BGHSt 2, 125, 127.

[133] Vgl. dazu ebenfalls BGHSt 2, 125, 125 und RGSt 43, 1, 4; ausf. Ott (Fn. 3), S. 130 ff.

[134] Siehe dazu bereits oben II.

[135] BGHSt 2, 125, 127.

[136] OGHSt 1, 277, 280.

[137] Vgl. BGHSt 2, 125, 128.

[138] BGHSt 2, 125, 127 a.E.

[139] BGHSt 2, 125, 128.

[140] Kempf , in: Strafverteidigung in der Praxis, 2. Aufl., 2000, § 1 Rn. 60; ebenso Grüner, Über den Missbrauch von Mitwirkungsrechten und die Mitwirkungspflichten des Verteidigers im Strafprozeß, 2000, S. 56; einschränkend Rieß (Fn. 20), § 13 Rn. 241 ("derzeit noch").

[141] Dahs (Fn. 4), Rn. 886.

[142] Hamm (Fn. 20), § 10 Rn. 121.

[143] Für Zulässigkeit: Beulke (Fn. 55), S. 156 f.; ders., Die Strafbarkeit des Verteidigers, 1989, Rn. 114 f., 291; ders., Roxin-FS, S. 1173, 1193 f.; Cüppers, NJW 1950, 930 ff.; ders., NJW 1951, 259; Dahs/Dahs, Rn. 490; Dahs (Fn. 4), Rn. 885 ff.; ders., StraFo 2000, 181, 185; Docke/Döllen/Momsen, StV 1999, 583, 584 f.; Glanzmann (Fn. 27), G 35; Hamm (Fn. 20), § 10 Rn. 121; Kalsbach, AnwBl 1951, 110; ders., Cüppers-FS, S. 179, 242 ff.; Kempf (Fn. 140), § 1 Rn. 60 a.E.; KK-Laufhütte (Fn. 3), vor § 137 Rn. 13 (prozessual auf jeden Fall wirksam und auch standesrechtlich zulässig); Krekeler, NStZ 1989, 146, 15; Pfeiffer, DRiZ 1984, 341, 347; Rieß (Fn. 20), § 13 Rn. 145; Schäfer (Fn. 3), Rn. 1814; ders., 50 Jahre BGH-FS/Prax, S. 707, 725 ff. (der sich letztlich gegen die Errichtung einer "Rügebarriere" ausspricht); Schlothauer, StraFo 2000, 289, 293; Schmid, DtRpfl 1962, 301, 304; Tepperwien, Meyer-Goßner-FS, S. 595, 601; Ziegert (Fn. 3), S. 405; tendenziell befürwortend auch Schneidewin, MDR 1951, 193 ff.; Seibert, JR 1951, 678 f.; Ventzke, StV 1999, 190, 192 f.; Peters (Fn. 20), § 75 III 3b, S. 654, der die Rüge in das Ermessen des Beschwerdeführers stellen will - unter Berufung auf Sarstedt/Hamm (Fn. 3), Rn. 177; skeptisch Eb. Schmidt (Fn. 20), vor § 137 Rn. 26; die Zulässigkeit verneinend: Dahs, AnwBl 1951, 90; Dallinger, NJW 1951, 256 ff.; vgl. auch Jescheck, GA 1956, 97, 119 sowie Ranft, JuS 1994, 867 f.: standeswidrig; a.A. Feuerich/Braun, § 43a BRAO Rn. 42; Henssler/Prütting-Eylmann, § 43a BRAO Rn. 96.

[144] So BGHSt 34, 11, 12; zuletzt BGH, Beschl. v. 21.7.1999 - 3 StR 268/99 = StV 1999, 585.

[145] Siehe dazu (kurz) Fahl (Fn. 1), S. 89 f.

[146] Dahs , StraFo 2000, 181, 185; abl. Tepperwien, Meyer-Goßner-FS, S. 595, 602.

[147] Cüppers, NJW 1950, 930 mit Erwiderung Dallinger, NJW 1951, 256 ff. und Schneidewin, MDR 1951, 193 ff. - Schon der Titel "Gesetzlicher Zwang zur Lüge?" scheint andeuten zu wollen, dass das, was das Gesetz verlange, keine "Lüge" sein könne.

[148] Dabei erkannte doch schon Binding, DJZ 1909, 161, 163, dass ein Gewissen, das zur Lüge nötigt, das Gegenteil eines Gewissens ist.

[149] Cüppers, NJW 1950, 930, 931; ähnl. Kalsbach, AnwBl 1951, 110; ders., Cüppers-FS, S. 179, 243; in diesem Sinne auch Dahs, StraFo 2000, 181, 185, der den "absoluten" mit dem "prozessualen" Wahrheitsbegriff kontrastiert, die Wahrheit des Revisionsverfahrens sei eine "Rechts-Wahrheit"; zust. Ventzke, StV 2001, 101, 103; vgl. auch Schlothauer, StraFo 2000, 289, 293 ("hier maßgebliche prozessuale Wahrheit") - Ranft, JuS 1994, 867, 868 nennt das "höchst bedenklich".

[150] Cüppers, NJW 1950, 930, 932; ähnlich Schmid, DtRpfl 1962, 301, 304; Dahs, StraFo 2000, 181, 185 spricht von einer "virtuellen" Existenz des Verfahrensvorgangs.

[151] Cüppers, NJW 1950, 930, 932.

[152] Dahs, StraFo 2000, 181, 185 schreibt, die Revisionsgerichte bestraften "derartige Relikte von Wahrheitsliebe mit unnachsichtiger Strenge".

[153] Wie hier Dallinger, NJW 1951, 256, 257; Pfeiffer, DRiZ 1984, 341, 347; Tepperwien, Meyer-Goßner-FS, S. 595, 598 - skeptisch zu diesen "Kunstgriff", "der erst die Verbindung zwischen unwahrer Prozeßrüge und standesrechtlichem Lügeverbot" herstelle, Grüner (Fn. 140), S. 56.

[154] Vgl. auch schon Schneidewin, MDR 1951, 193.

[155] Dahs, AnwBl 1951, 90; ebenso Beulke (Fn. 55), S. 157.

[156] Dahs, AnwBl 1951, 90, 91.

[157] Cüppers, NJW 1950, 930, 932.

[158] So auch Dahs, AnwBl 1951, 90, 91.

[159] Dallinger, NJW 1951, 256, 257; vgl. auch Dahs, AnwBl 1951, 90: keine "Fiktion"; Kühne (Fn. 3), Rn. 973 ("Beweisregel") - siehe aber auch RGSt 43, 1, 6: Indem das Protokoll "vollen und unwiderleglichen Beweis" liefere, werde "gewissermaßen ein Sachverhalt geschaffen, der Kraft gesetzlicher Vorschrift als Tatsache zu behandeln ist"; (zust.) zit. u.a. bei Grüner (Fn. 140), S. 56.

[160] So Dallinger, NJW 1951, 256, 257; Schneidewin, MDR 1951, 193, Fn. 1: Für die einzelne Beurkundung werde also die Vorschrift "erst in dem Augenblick lebendig", in dem eine ihren Gegenstand betreffende Rüge erhoben werde.

[161] Dallinger, NJW 1951, 256, 257 mit dem Bemerken, er wird daher "zu prüfen haben, ob er die Behauptung verantworten" könne.

[162] Dallinger, NJW 1951, 256, 257.

[163] Dallinger, NJW 1951, 256, 256.

[164] Dallinger, NJW 1951, 256, 257. - Kalsbach, AnwBl 1951, 110, 112 wehrt sich dagegen, dass hier der Zweck ein unlauteres Mittel heilige: "Das Mittel ist nicht unlauter, seine Anwendung ist durch die Wahrheit schaffende Kraft des Gesetzes richtig und erlaubt."

[165] Dahs, AnwBl 1951, 90, 91; anders Dahs (Fn. 4), Rn. 885 ff.; ders., StraFo 2000, 181, 185.

[166] Darauf weisen auch Dallinger, NJW 1951, 256, 257 und Schneidewin, MDR 1951, 193 hin.

[167] So richtig Schneidewin, MDR 1951, 193.

[168] Dallinger, NJW 1951, 256.

[169] Eb. Schmidt (Fn. 20), vor § 137 Rn. 26.

[170] Docke/Döllen/Momsen, StV 1999, 583, 585 entnehmen der Rspr., dass der Verteidiger im Rahmen des § 274 StPO "nicht der Wahrheitspflicht unterliegt"; ähnl. Beulke (Fn. 55), S. 157: Ausnahme.

[171] Jescheck, GA 1956, 97, 119 im Anschluß an Dallinger, NJW 1951, 256 ff.

[172] Beulke (Fn. 55), S. 237; in diesem Sinne auch Schäfer, 50 Jahre BGH-FS/Prax, S. 707, 727: "das Gesetz… nimmt es hin" - Grüner (Fn. 140), S. 59 nennt die Wendung vom "institutionell eingeplanten" Missbrauch zumindest "problematisch".

[173] Vgl. nur RG JW 1932, 2437 Nr. 28; RGSt 43, 1, 6; BGHSt 7, 162, 163.

[174] Cüppers, NJW 1951, 259 (in seiner Erwiderung auf Dallinger, NJW 1951, 256).

[175] Cüppers, NJW 1951, 259.

[176] Schneidewin, MDR 1951, 193, 194.

[177] Dahs, AnwBl 1951, 90: da allen Verteidigeraktivitäten letztlich "die Herstellung der materiellen Gerechtigkeit als letztes Prozeßziel immanent" sei.

[178] Kalsbach, AnwBl 1951, 110, 111; ders., Cüppers-FS, S. 179, 245.

[179] Kalsbach, AnwBl 1951, 110, 111 - nach Beulke (Fn. 143), Rn. 113, 289 hingegen erlaubt; ebenso Pfeiffer, DRiZ 1984, 341, 345.

[180] Kalsbach, AnwBl 1951, 110, 112; ders., Cüppers-FS, S. 179, 246.

[181] Dahs (Fn. 4), Rn. 886; vgl. auch Tepperwien, Meyer-Goßner-FS, S. 595, 600.

[182] Ranft, JuS 1994, 867, 868; Jescheck, GA 1956, 97, 119 ("standeswidrig" selbst dann, "wenn der Rechtsanwalt damit ein Urteil bekämpft, das er aus anderen Gründen für ungerecht hält").

[183] Jescheck, GA 1956, 97, 119; Kalsbach, AnwBl 1951, 110; ders., Cüppers-FS, S. 179, 242 ff.; Pfeiffer, DRiZ 1984, 341, 347; Ranft, JuS 1994, 867, 868; so wohl auch Kramer (Fn. 20), Rn. 347.

[184] A.A. Tepperwien, Meyer-Goßner-FS, S. 595, 597 ff., 601, die nach wie vor "gegen eine Verknüpfung von Standeswidrigkeit und Unzulässigkeit der Rüge" ist.

[185] Richtig erkannt von BGH NStZ 1999, 424 = StV 1999, 582 m. abl. Anm. Docke/Döllen/Momsen, StV 1999, 583, 584, die das offenbar leugnen wollen.

[186] Zur Frage der Anwendbarkeit des Rechtsgedankens der §§ 345 II, 390 II StPO auf ihn siehe Fahl (Fn. 1), S. 619 ff.

[187] So in der Tat Ott (Fn. 3), S. 225.

[188] Vgl. Ott (Fn. 3), S. 227.

[189] Insbesondere, wenn man es mit Docke/Döllen/Momsen, StV 1999, 583, 585 für ein Gebot der "Waffengleichheit" hielte - zu dem Begriff Kühne (Fn. 3), Rn. 174 -, dem Verteidiger ein "Recht" auf "unwahre Verfahrensrüge" zu gewähren; vgl. Dahs, AnwBl 1951, 90, Fn. 1, der eigens hervorhebt: "Alle Ausführungen gelten auch für den Staatsanwalt"; s. auch Beulke (Fn. 55), S. 157: "alle Beteiligten, also auch der Verteidiger".

[190] Dallinger, NJW 1951, 256, 257, Fn. 20.

[191] Peters (Fn. 20), § 29 V 7, S. 240 (Fall 36); dazu, dass Staatsanwälte offenbar seltener "unwahre Verfahrensrügen" erheben, Tepperwien, Meyer-Goßner-FS, S. 595, 597.

[192] Peters (Fn. 20), § 29 V 7, S. 241.

[193] Nach Ott (Fn. 3), S. 223 mit der Stellung der Staatsanwaltschaft als "objektivste Behörde der Welt" unvereinbar.

[194] Hierin und nicht in der Tatsache, dass ein durch das Protokoll nicht ausgewiesener, aber tatsächlich geschehener Verfahrensfehler nicht bewiesen werden kann, liegt das "notwendige Gegenstück" zur unwahren Protokollrüge. Das verwechseln Docke/Döllen/Momsen, StV 1999, 583, 585.

[195] Vgl. zum umgekehrten Fall, dass arglistig eine Protokollberichtigung beantragt wird, die der Rüge erst zu ihrem "Boden" verhelfen soll, siehe oben Fn. 87.

[196] Siehe dazu oben OLG Düsseldorf, NStZ 1998, 477; LG Bielefeld, StV 2002, 532.

[197] LR-Gollwitzer (Fn. 20), § 271 Rn. 39.

[198] BGHSt 10, 145, 147 = NJW 1957, 798 = JR 1957, 302 = JZ 1957, 587 m. Anm. Bohne.

[199] Siehe BGH, Beschl. v. 24.10.2001 - 1 StR 163/01 = StV 2002, 532 = NStZ 2002, 160 = StraFo 2002, 83 = wistra 2002, 26.

[200] Wie hier LR-Gollwitzer (Fn. 20), § 271 Rn. 40; Meyer-Goßner (Fn. 4), § 271 Rn. 22: "überholt"; Alsberg/Nüse/Meyer (Fn. 20), S. 888; SK-Schlüchter (Fn. 20), § 271 Rn. 14; dies, Rn. 591, Fn. 664; vgl. OLG Karlsruhe, JR 1980, 517 m. zust. Anm. Gollwitzer; a.A. KMR-Müller, StPO, 8. Aufl., 1990 ff., § 271 Rn. 8, 30; zweifelnd HK-Julius (Fn. 4), § 271 Rn. 15.

[201] So auch LR-Gollwitzer (Fn. 20), § 271 Rn. 40.

[202] Siehe dazu oben II.

[203] Vgl. zu dieser - interessanten - Überlegung auch Gollwitzer, JR 1980, 518, 519, auf den die Zitate im Text zurückgehen.

[204] Vgl. Oetker, JW 1927, 918, 919: Nicht einmal die Tatsache, dass schon vor der Rüge die Berichtigung beantragt war, findet Beachtung.

[205] Vgl. zum Überblick Meyer-Goßner (Fn. 4), § 357 Rn. 11.

[206] Vgl. dazu Meyer-Goßner (Fn. 4), § 357 Rn. 7.

[207] Wie für den Fall empfohlen wird, dass der Verteidiger die nötige "Verantwortung" für das Rügevorbringen nicht übernehmen kann oder will, s. dazu Fahl (Fn. 1), S. 619 ff.

[208] Vgl. dazu BGHSt 34, 11; Roxin (Fn. 3), § 49 Rn. 10

[209] Siehe nur LR-Gollwitzer (Fn. 20), § 271 Rn. 63; SK-Schlüchter (Fn. 20), § 271 Rn. 26 a.E. zur Entscheidung des Beschwerdegerichts ohne Bindung an § 274 StPO als Fall einer wirksamen nachträglichen Protokollberichtigung, obwohl hierdurch der Beschwerde der Boden entzogen wird (!); s. dazu auch OLG Bremen, JR 1951, 693; OLG Hamm, JMBl. NRW 1952, 86; offen lassend OLG Hamm, JMBl. NRW 1956, 8.

[210] BGH NJW 1952, 797 = LM Nr. 4 zu § 268 StPO; NJW 1954, 730 = LM Nr. 8 zu § 268 StPO = MDR 1954, 245; BGHSt 12, 374 = NJW 1959, 899; KG JR 1962, 69, 70; BayObLG, NStZ-RR 1999, 140; LR-Gollwitzer (Fn. 20), § 268 Rn. 52; KK-Engelhardt (Fn. 3), § 267 Rn. 46; Eb. Schmidt (Fn. 20), § 268 Rn. 24; SK-Schlüchter (Fn. 20), § 267 Rn. 84 und § 268 Rn. 24; Seibert, NJW 1964, 239.

[211] BayObLG, Beschl. v. 8.10.1998 - 2 ObOWi 523/98 = NStZ-RR 1999, 140, 141 - unter allerdings fälschlicher Berufung auf BGH bei Miebach/Kusch, NStZ 1991, 121 (dort wird, im Anschluß an das auszugsweise wiedergegebene Urteil des 1. Senats v. 3.5.1990 - 1 StR 154/90, lediglich nochmals ein Auszug der älteren Entscheidung BGHSt 12, 374 wiedergegeben).

[212] BayObLG, NStZ-RR 1999, 140, 141 im Anschluß an BGHSt 12, 374, 375; vgl. auch die weiteren Nachweise in BGH NStZ 1991, 195; a.A. aber KMR-Paulus (Fn. 200), § 268 Rn. 16, der wegen der Offenkundigkeit des Versehens entgegen der h.M. auch für den Revisionsführer einen erneuten Beginn der Revisionsbegründungsfrist ablehnt.

[213] Ein Urteil, das den inneren Geschäftsbereich des Gerichts noch nicht verlassen hat, darf - ohne dass Bedenken hiergegen bestünden - innerhalb der Urteilsabsetzungsfrist des § 275 I 2 StPO geändert oder ergänzt werden, vgl. BGHSt 43, 22, 25; RGSt 54, 21; BayObLGSt 1981, 84.

[214] OLG Celle, Beschl. v. 17.5.1999 - 211 Ss 202/98 (OWi) = NStZ-RR 2000, 180 - unter Berufung auf BGHSt 43, 22; OLG Köln, VRS 56, 149; BayObLG, NStZ 1991, 342 = wistra 1991, 275 sowie auf die nachfolgende Entscheidung BayObLG, VRS 78, 464; zum Ganzen: Göhler, OWiG, 13. Aufl., 2002, § 77b Rn. 5 ff., 8 m.w.N.

[215] BayObLG, Beschl. v. 17.1.1990 - 1 ObOWi 458/89 = DAR 1990, 267 = VRS 78, 464 = wistra 1990, 244 - unter Berufung auf BayObLGSt 1977, 137 = VRS 53, 441; 1981, 84; OLG Celle, VRS 75, 461 und auf die Entscheidung BGHSt 12, 374, welche freilich die Urteilsberichtigung zugelassen hat; zust. KK-OWiG-Senge, 2. Aufl., 2000, § 77b Rn. 8.

[216] BGHSt 42, 187 ff. (auf Vorlage gem. § 79 III OWiG).

[217] BGHSt 43, 22, 26 = NJW 1997, 1862 = MDR 1997, 682 = DAR 1997, 316 = NZV 1997, 315 = NStZ 1998, 454 = JR 1998, 74 m. zust. Anm. Gollwitzer.

[218] BGHSt 43, 22, 30 f.

[219] BGH NJW 1953, 155 = LM Nr. 6 zu § 268 StPO m. Anm. Kohlhaas.

[220] Vgl. nur SK-Schlüchter (Fn. 20), § 268 Rn. 24 - zur Versuchung, einen in dieser Phase zwischen Urteilsverkündung und ‑abfassung erkannten Fehler, z.B. in der Strafzumessung, durch nachträgliche Veränderung der Begründung in den schriftlichen Gründen im Gegensatz zu der verkündeten Urteilsbegründung noch zu "heilen" Fahl, JuS 1998, 748, 750; LR-Gollwitzer (Fn. 20), § 267 Rn. 8; vgl. auch Schmid, Maurach-FS, S. 535, 544: hier sei "die Gefahr von Missbräuchen" besonders groß.

[221] BGHSt 5, 5, 7 = NJW 1953, 1926 = LM Nr. 7 zu § 268 StPO m. Anm. Jagusch; BGH NJW 1953, 155, 156 = LM Nr. 6 zu § 268 StPO im Anschluß an RGSt 61, 388; OLG Zweibrücken, NStZ-RR 1997, 10; aus der Lit.: Beulke (Fn. 3), Rn. 508; Roxin (Fn. 3), § 51 Rn. 2; Schlüchter, Das Strafverfahren, 2. Aufl., 1983, Rn. 587; Vent, JR 1980, 400, 403; Schönfelder, JR 1962, 368, 369.

[222] BGHSt 2, 248 = NJW 1952, 675.

[223] BGH NStZ 2000, 386; speziell zu "Zählfehlern": BGH, Urt. v. 27.6.1957 - 4 StR 252/57 (Abtreibung in 21 Fällen statt in 20 Fällen); BGH, Beschl. v. 25.10.1963 - 1 StR 400/63 (72 vollendete und 5 versuchte statt 71 vollendete und 6 versuchte Fälle); Seibert, NJW 1964, 239.

[224] BGHSt 3, 245 = NJW 1953, 76.

[225] So BGHSt 7, 75, 76 = NJW 1955, 510.

[226] Vgl. BGHSt 12, 374, 378 - Schlüchter (Fn. 221), Rn. 587, Fn. 657 nennt dies "eine bedenkliche Ausweitung der Berichtigung".

[227] Vgl. BGHR § 267 StPO Berichtigung 2 = NStZ 1991, 195 = NJW 1991, 1900; vgl. schon BGHSt 3, 245, 247: "auch darf sich unter der "Berichtigung" keine sachliche Änderung verbergen"; zur Schwierigkeit der Abgrenzung und der Frage, wer hier im Einzelfall missbräuchlich handelt, Sieg, MDR 1986, 16 - z.B. BGH bei Miebach, NStZ 1990, 226, 229: Ergänzung der Liste der angewandten Vorschriften um "§ 49 StGB" und Einfügung eines kompletten Satzes in die Strafzumessungserwägungen, wonach die Kammer von der Milderungsmöglichkeit "Gebrauch gemacht" habe, unzulässig - im Unterschied dazu: OLG Karlsruhe, NStZ-RR 1999, 112, 113: Berichtigung der Urteilsformel "3 Jahre auf Bewährung" in "3 Jahre" zulässig, da es sich nur um ein Versehen gehandelt haben könne.

[228] Siehe KK-Engelhardt (Fn. 3), § 267 Rn. 46 (zur Berichtigung der Urteilsgründe); KK-Schoreit (Fn. 3), § 260 Rn. 13 (Berichtigung der Urteilsformel); Meyer-Goßner (Fn. 4), § 267 Rn. 39 (Urteilsgründe), § 268 Rn. 9 ff. (Urteilsformel); LR-Gollwitzer (Fn. 20), § 268 Rn. 42 ff.; Pfeiffer (Fn. 20), § 267 Rn. 27; Eb. Schmidt (Fn. 20), § 268 Rn. 19 ff.; SK-Schlüchter (Fn. 20), § 267 Rn. 83 ff. u. § 268 Rn. 15; ausführlich Wiedemann, Die Korrektur strafprozessualer Entscheidungen außerhalb des Rechtsmittelverfahrens, 1981, S. 31 ff., 40 ff.

[229] BGHSt 12, 374 = NJW 1959, 899.

[230] BGHSt 12, 374, 376 - vgl. schon RGSt 28, 81 f., wo gesagt wird, die "Berichtigung" drücke "das Gewollt-Gesagte besser aus".

[231] BGHSt 12, 374, 377; vgl. treffend SK-Schlüchter (Fn. 20), § 268 Rn. 15: Die zur Korrektur von Urteilsmängeln dienenden rechtsstaatlich abgesicherten Rechtsmittelverfahren dürften "nicht durch das Ausweichen auf den gesetzlich nicht vorgesehenen Berichtigungsbeschluß umgangen werden".

[232] Der BGH verweist auf BGHSt 3, 245; siehe oben Fn. 224.

[233] BGHSt 12, 374, 378.

[234] Schon BGH NJW 1954, 730 meinte, deren Grundsätze könnten auf die Urteilsberichtigung "nicht angewandt werden".

[235] Vgl. BGH bei Miebach/Kusch, NStZ 1991, 121 in bezug auf eine dienstliche Erklärung der Richter, in Wahrheit von der richtigen Mindestfreiheitsstrafe ausgegangen zu sein: "Diese Erklärung ist jedoch unbeachtlich, da kein Fall vorliegt, in dem das bei Abfassung der Urteilsgründe unterlaufene Versehen klar zu Tage tritt (vgl. BGHSt 12, 374, 376 f.)".

[236] Auszugsweise wiedergegeben bei Sieg, MDR 1986, 16.

[237] BGH, Urt. v. 20.2.1985 - 2 StR 746/84.

[238] Vgl. etwa noch BGH NJW 1952, 797: "Herbst" statt "März".

[239] Siehe dazu Beulke (Fn. 3), Rn. 421.

[240] Vgl. dazu nur Beulke (Fn. 3), Rn. 411 ff.

[241] Vgl. zu einer auf § 261 StPO gestützten "unwahren Protokollrüge" BGH StV 1999, 189, 190 m. abl. Anm. Ventzke: Dort sah der BGH das Protokoll als "unklar und missverständlich" an; so auch der Generalbundesanwalt in BGH, Beschl. v. 23.10.2001 - 4 StR 249/01 = NStZ 2002, 219 = StV 2002, 531: Dort hatte die auf § 261 StPO gestützten (vermeintlich) unwahren Protokollrüge Erfolg.

[242] Dazu, dass, die Rspr. zu § 344 II 2 StPO den Revisionsführer u.U. zwingt, seiner eigenen Revision "den Boden" zu entziehen, s. Fahl (Fn. 1), S. 609 ff.

[243] So auch Beulke (Fn. 55), S. 157; Grüner (Fn. 140), S. 57 meint deshalb, dass es nur zwei Möglichkeiten gebe: entweder verbiete das Standesrecht dem Verteidiger die "unwahre Prozeßrüge", dann könne sie entgegen der h.M. auch prozessual nicht erlaubt sein, oder es bestehe kein standesrechtliches Verbot, dann sei die Ausnutzung des Protokollfehlers mit ihrer Hilfe erlaubt.

[244] Zum Beispiel bei der "nur" angekündigten Protokollrüge, vgl. zur "Fairness" allgemein Fahl (Fn. 1), S. 109 ff.

[245] Im Falle der "verfrühten Protokollrüge", siehe dazu oben IV.

[246] Nach OLG Hamm, StV 1999, 240, 242 muß z.B. "auch nur der Anschein der Beeinflussung des Gerichtsstands" vermieden werden, s. dazu Fahl (Fn. 1), S. 214.

[247] Siehe dazu V.

[248] Vgl. Beulke (Fn. 55), S. 156 f., 237; ähnl. Krekeler, NStZ 1989, 146, 153; Docke/Döllen/Momsen, StV 1999, 583, 585 - jeweils unter Berufung auf Beulke, a.a.O.

[249] Glanzmann (Fn. 27), G 35; vgl. auch Schäfer, 50 Jahre BGH-FS/Prax, S. 707, 726: "wird man bei Zweifeln an der eigenen Erinnerung noch gelten lassen können".

[250] Schon erkannt von Eb. Schmidt (Fn. 20), § 271 Rn. 19, vor § 137 Rn. 26.

[251] Hamm (Fn. 20), § 10 Rn. 121.

[252] Das verkennt Schmid, DtRpfl 1962, 301, 304: Selbstverständlich darf er eine entsprechende Revisionsrüge auch dann erheben, wenn er den fraglichen Vorgang anders, nämlich als gesetzmäßig, in Erinnerung hat - die Erinnerung kann trügen.

[253] Vgl. Niethammer, DRZ 1949, 451, 452.

[254] Glanzmann (Fn. 27), G 35 nennt es einen "unerfreulichen Fall", "dass sich alle Beteiligten, auch der Beschwerdeführer, darüber klar sind, dass der aus dem Protokoll ersichtliche Verstoß überhaupt nicht geschehen ist"; Dahs (Fn. 4), Rn. 887 f. spricht von "grotesken Begründungen" (am Urteil habe ein Richter mitgewirkt, der an der Hauptverhandlung nicht beteiligt war, wenn der Protokollführer versehentlich einen Namen falsch geschrieben hat) und meint, noch "viel peinlicher" werde es, wenn der Verteidiger antworten müsse, falls ein Revisionsrichter "taktlos" genug wäre, ihn zu fragen: "Herr Verteidiger, glauben Sie das eigentlich selbst?" - vgl. dazu jüngst BGH StV 1999, 189 m. Anm. Ventzke, wo der betreffende Verteidiger "fast trotzig" antwortete, nach h.M. dürfe sich der Verteidiger darauf "trotz seiner Kenntnis, dass einwandfrei verfahren worden ist", stützen (und damit scheiterte).

[255] So Schuler, NJW 1955, 1258, 1261 (zur Frage der Berichtigung) - Dallinger, NJW 1951, 256, 258 spricht von "Pseudofehlern, die man als Schein erkannt hat".

[256] Siehe zu diesem Argument schon oben IV.

[257] Vgl. OGHSt 1, 277, 280: Es sei "durchaus auch der Fall denkbar", dass der Beschwerdeführer "in gutem Glauben an die Richtigkeit des Sitzungsprotokolls die Verfahrensrüge erhebt und dass die Urkundspersonen bei der Berichtigung sogar einer Täuschung" unterlägen.

[258] Dass auch das Revisionsgericht irren kann, ist unerheblich - entscheidend ist, dass das Revisionsgericht durch niemanden gezwungen werden kann, wissentlich falsch zu entscheiden.

[259] Vgl. Schneidewin, MDR 1951, 193, 194.

[260] Vgl. Hamm (Fn. 20), § 10 Rn. 121: Insofern greift das Argument, eine Rüge "wider besseres Wissen" dürfe getrost erhoben werden, das "bessere Wissen" des Verteidigers kann auch ein Irrtum sein.

[261] Hamm (Fn. 20), § 10 Rn. 121; Pfeiffer, DRiZ 1984, 341, 347 - vgl. auch Beulke, Roxin-FS, S. 1173, 1194; ders. (Fn. 55), S. 157: nicht "praktikabel", weil die einzige Konsequenz ein "Zwang zum Wechsel des Verteidigers" wäre; ähnl. Tepperwien , Meyer-Goßner-FS, S. 595, 601.

[262] Dahs, AnwBl 1951, 90, 91.

[263] BGHSt 7, 162, 164; s. dazu bereits oben I.

[264] BGHSt 7, 162, 164.

[265] Dahs, StraFo 2000, 181, 185.

[266] Tepperwien, Meyer-Goßner-FS, S. 595, 601, die freilich dazu selbst bemerkt, "in besonders krassen Fällen" (an einem von unzähligen Sitzungstagen hätte unbemerkt ein anderer Richter teilgenommen) werde dies keine großen Schwierigkeiten bereiten.

[267] Näher dazu Fahl (Fn. 1), S. 622 ff.

[268] Die Unterschiede sind also im Grundsätzlichen größer als in der praktischen Auswirkung, s. auch Fahl (Fn. 1), S. 728: Die h.M. glaubt, hier sei Missbrauch erlaubt - die vorliegende Arbeit hält ihn für verboten und die entsprechende Rüge auch prozessual für unzulässig. In dem Normalfall, dass der die Revision damit begründende Beschwerdeführer an der Hauptverhandlung nicht teilgenommen und die Unrichtigkeit des Protokolls ihm nicht in aller Offenheit vom vorinstanzlich tätigen Verteidiger oder den Angeklagten selbst eingestanden worden ist, braucht sich der Revisionsführer jedoch nicht zu scheuen, die Revision zu begründen. Hier will BGH, Urt. v. 11.8.2006 - 3 StR 284/05 nun weiter gehen und einen Missbrauch durch Unterlassen auch dann annehmen, wenn der Beschwerdeführer, durch die dienstlichen Erklärungen der amtlichen Prozessbeteiligten bösgläubig geworden, die Rüge nicht zurücknimmt.

[269] Docke/Döllen/Momsen, StV 1999, 583, 585; s. auch BGH NStZ 2002, 219: "Auch wenn dieses Ergebnis der wahren Sachlage widersprechen sollte, muß es als Konsequenz oder dem § 274 StPO zugrundeliegende gesetzgeberische Entscheidung hingenommen werden."

[270] Vgl. Dallinger, NJW 1951, 256, 257.

[271] Vgl. BGH, Beschl. v. 14.4.1999 - 3 StR 70/99 = BGHR § 274 StPO Beweiskraft 21 = NStZ 1999, 424, 425 = StV 1999, 582 m. abl. Anm. Docke/Döllen/Momsen = bei Miebach/Sander, NStZ-RR 2000, 2 = bei Müller, NStZ-RR 2001, 100 = bei Molketin, AnwBl 2001, 214 (Stichwort "Verwirkung, Rechtsmissbrauch"); BGH, Beschl. v. 21.7.1999 - 3 StR 268/99 = StV 1999, 585; BGH, Urt. v. 10.12.1997 - 3 StR 441/97 = NStZ 1998, 267 = StV 1999, 189 m. Anm. Ventzke; BGH, Beschl. v. 12.1.2000 - 5 StR 617/99 = NStZ 2000, 216, 217; BGH, Beschl. v. 8.8.2001 - 2 StR 504/00 = NJW 2001, 3794 = wistra 2001, 471 = JuS 2002, 198 m. Anm. Martin = NStZ 2002, 270, 272 m. Anm. Fezer = StV 2002, 525 m. Anm. Köberer; BGH, Beschl. v. 22.5.2001 - 3 StR 462/00 = StV 2002, 530 = BGHR § 274 StPO Beweiskraft 24 = bei Becker, NStZ-RR 2002, 100.

[272] Miebach/Sander, NStZ-RR 2000, 1, 2.

[273] Der Senat verweist dafür auf BGH NStZ 1999, 188, 189 ("Lieber Eberhard") m. Anm. Lüderssen, StV 1999, 537; s. dazu auch Beulke, Roxin-FS, S. 1173, 1175; Stumpf, wistra 2001, 123.

[274] BGH StV 1999, 582, 583 = NStZ 1999, 424, 425; krit. Ventzke, StV 2000, 249, 252, Fn. 31: "Problematisierung der ordnungsgemäß ausgeführten Protokollrüge".

[275] Beulke (Fn. 55), S. 156 f.

[276] LR-Dünnebier StPO, 23. Aufl., 1975-79, vor § 137 Rn. 17 f.

[277] Inwieweit der BGH damit einen ersten "Schritt in Richtung der Überwindung der unwahren Verfahrensrüge getan" habe, bleibt nach Dahs, StraFo 2000, 181, 186 abzuwarten; die Streitfrage sei weiterhin offen, meint auch Müller, NStZ-RR 2001, 97, 100.

[278] Krit. dazu Docke/Döllen/Momsen, StV 1999, 583: es gebe "keine empirische Aussage des Gehalts, dass Verfahrensfehler ab einer bestimmten Häufung nicht eingetreten sein können"; s. auch Tepperwien, Meyer-Goßner-FS, S. 595, 608; krit. auch Molketin, AnwBl 2001, 208, 214, Fn. 351.

[279] Siehe dazu weiter unten.

[280] BGH NStZ 1999, 424, 425; zust. Müller, NStZ-RR 2001, 97, 100; BGH NStZ 1995, 200 m. krit. Anm. Krekeler, NStZ 1995, 299 verneint ebenfalls das "Beruhen" auf der Nichtverlesung der Anklage, allerdings bei einfach liegenden Sachverhalten, wenn das Protokoll in unbeachtlicher Weise nachträglich dahingehend berichtigt wurde, dass der Anklagesatz doch verlesen wurde.

[281] Vgl. BGH NStZ 1986, 39; 1986, 374; BGHR § 274 StPO Beweiskraft 6 - nach BGH NJW 1982, 1057 = StV 1982, 100 (alle "unwahre" Protokollrüge betreffend) soll in einfachen Fällen das Beruhen auf der Nichtverlesung des Anklagesatzes ausgeschlossen werden können.

[282] A.A. Schäfer, 50 Jahre BGH-FS/Prax, S. 707, 710, 723 ff., wo eine "strenge Beruhensprüfung" gerade als ein "Korrektiv" der formellen Beweiskraft erwogen wird, um unwahre Protokollrügen auszuschließen; wie hier Docke/Döllen/Momsen, StV 1999, 583; Krekeler, NStZ 1995, 299 f. (unter Berufung auf den Sinn und Zweck der Anklageverlesung) - und auch prompt anders derselbe Senat in BGH StV 1999, 585, wo das "Beruhen" (auf dem in Wahrheit nicht vorgekommenen Verfahrensverstoß) ausführlich bejaht wird.

[283] Auch die Wendung des BGH, der sich darüber verwundert, dass Staatsanwaltschaft und Verteidiger all dies "widerspruchslos" sollten hingenommen haben, sagt nichts über eine "umfassende" Widerspruchspflicht (oder -obliegenheit) der Verteidigung, sondern ist ein Indiz dafür, das hier die Unwahrheit behauptet wurde, das verwechseln Docke/Döllen/Momsen, StV 1999, 583, 584.

[284] Docke/Döllen/Momsen, StV 1999, 584; Tepperwien, Meyer-Goßner-FS, S. 595, 608 meint, damit werde der Grundsatz aufgegeben, dass sich die "Mangelhaftigkeit des Protokolls aus diesem selbst" ergeben müsse.

[285] Docke/Döllen/Momsen, StV 1999, 583, 584.

[286] Vgl. BGHSt 7, 162, 164.

[287] Siehe BGH, Beschl. v. 23.6.1999 - 3 StR 212/99 = NStZ 1999, 522 = StV 1999, 636: Der Senat fühlt sich insgesamt nicht weniger als dreimal aufgerufen zu betonen, dass der jeweilige Verfahrensverstoß durch das Protokoll (§ 274 StPO) bewiesen sei, weist auf die Möglichkeiten hin, das Protokoll "kürzer und weniger missverständlich" abzufassen, gibt der (offensichtlich "unwahren") Rüge statt und teilt auch nicht die Bedenken des Generalbundesanwalts im Hinblick auf § 344 II 2 StPO; vgl. zur Funktion des § 344 II 2 StPO Fahl (Fn. 1), S. 609 ff.

[288] Siehe dazu auch BGH, Beschl. v. 7.5.2002 - 3 StR 499/01 = StV 2002, 530 = wistra 2002, 308; vgl. schon BGH wistra 1985, 154, 155 = StV 1985, 135 (nachträgliche Protokollberichtigung dahingehend, dass das letzte Wort gewährt worden sei, wurde vom 3. Senat nicht berücksichtigt); s. auch OLG Hamm, wistra 1999, 319 f., wo der Betroffene rügte, ihm sei nicht das letzte Wort erteilt und seinem Verteidiger keine Gelegenheit gegeben worden, einen Schlußvortrag zu halten. - Der Senat ließ dahinstehen, "ob dies zutrifft oder ob sich ggf. aus dem Protokoll der Hauptverhandlung auch das Gegenteil entnehmen läßt", weist aber darauf hin, der Tatrichter werde "in Zukunft, wenn schon nicht das sonst übliche Formular des Protokolls der Hauptverhandlung verwendet wird, darauf zu achten haben, dass das Protokoll… widerspruchsfrei sein muß" und Durchstreichungen usw. zu vermeiden haben, wenn das Protokoll "nicht, wie vorliegend, widersprüchlich werden soll"; s. dazu unten VII.

[289] BGH, Beschl. v. 21.7.1999 - 3 StR 268/99 = StV 1999, 585. Das Übrige sind Erwägungen, mit denen begründet wird, warum die Höhe der Strafe, obwohl auf den ersten Blick "sehr milde", dennoch "die Möglichkeit des Beruhens" (des Strafausspruchs auf dem aufgezeigten Rechtsfehler) nicht mit der gebotenen Sicherheit ausschließen läßt (und nährt damit den Verdacht, dass der BGH dann besonders geneigt ist, ein Urteil aufzuheben, wenn ihm das Ergebnis ungerecht erscheint).

[290] Der in StV 1999, 585 abgedruckte Leitsatz formuliert eindeutiger in diese Richtung.

[291] BGH, Beschl. v. 12.1.2000 - 5 StR 617/99 = NStZ 2000, 216, 217; krit. dazu auch Tepperwien, Meyer-Goßner-FS, S. 595, 605 f.

[292] BGH, NStZ 2000, 216, 217; s. auch KK-Engelhardt (Fn. 3), § 271 Rn. 15; Pfeiffer (Fn. 20), § 271 Rn. 7; Eb. Schmidt (Fn. 20), § 271 Rn. 12; für "vorsichtige Erweiterung der Grundsätze, die die Rspr. für erkennbare Mängel des Protokolls entwickelt hat", um unwahren Verfahrensrügen "den Boden zu entziehen", auch Tepperwien, Meyer-Goßner-FS, S. 595, 607.

[293] LR-Gollwitzer (Fn. 20), § 274 Rn. 25; Ranft, JuS 1994, 785, 787; SK-Schlüchter (Fn. 20), § 274 Rn. 12: Ergeben sich hieraus sichere Anhaltspunkte für eine vom naheliegenden Wortsinn abweichende Bedeutung des Protokolls, so darf das Revisionsgericht die Beweiskraft sogar in diesem Sinne feststellen.

[294] Tepperwien, Meyer-Goßner-FS, S. 595, 607; ebenso in BGHR § 274 StPO Beweiskraft 24.

[295] BGHSt 13, 53, 59 = NJW 1959, 1093.

[296] Vgl. BGHSt 16, 306, 307 f. = NJW 1962, 165; 17, 220, 222 = NJW 1962, 1308; BGH NJW 1982, 1057; NStZ 1986, 39, 40; 1986, 374 (beide betr. angeblich unterbliebene Verlesung des Anklagesatzes - "Lücke" wurde verneint); 1993, 51; 1999, 371; 2002, 219; StV 1999, 585; wistra 2000, 459, 460 = bei Miebach/Sander, NStZ-RR 2001, 7; OLG Hamm, wistra 1999, 319; Glanzmann (Fn. 27), G 32 f. (m.w.N. aus der Rspr. des RG); HK-Julius (Fn. 4), § 274 Rn. 7; KK-Engelhardt (Fn. 3), § 274 Rn. 8 ff.; Meyer-Goßner (Fn. 4), § 274 Rn. 17; KMR-Paulus (Fn. 200), § 274 Rn. 9; Pfeiffer (Fn. 20), § 274 Rn. 3; SK-Schlüchter (Fn. 20), § 274 Rn. 17 ff.; s. auch Alsberg/Nüse/Meyer (Fn. 20), S. 890 f.; Fezer, Strafprozeßrecht, 2. Aufl., 1995, Rn. 11/114; ders., NStZ 2002, 272; Haller/Conzen (Fn. 3), Rn. 345; Kühne (Fn. 3), Rn. 974; Kramer (Fn. 20), Rn. 286; Meurer (Fn. 20), S. 142; Ranft, JuS 1994, 785, 787; Schäfer (Fn. 3), Rn. 1815; ders., 50 Jahre BGH-FS/Prax, S. 707, 712 ff.; Ziegert (Fn. 3), S. 405.

[297] Beulke (Fn. 3), Rn. 393.

[298] Schäfer, 50 Jahre BGH-FS/Prax, S. 707, 712 (Widerspruch), 713 (Lücke); vgl. etwa BGHR § 274 StPO Beweiskraft 12: Dort ergab sich aus den Umständen, dass der Staatsanwalt einen Schlußantrag zur Strafhöhe gestellt haben mußte, dessen Fehlen gerügt wurde; s. auch BGH NStZ 1995, 356.

[299] Fahl, JA-R 2000, 179, 181: BGHSt 16, 306, 307 f.; BGH StV 1999, 189 m. Anm. Ventzke.

[300] BGHSt 16, 306, 308; 17, 220, 222; BGH, Beschl. v. 2.5.2000 - 1 StR 62/00 = NStZ 2000, 546 = StV 2001, 219 (betr. die Rüge, eine Zeugin sei unvereidigt geblieben, während sich aus einer "unbestritten gebliebenen" dienstlichen Erklärung des Vorsitzenden ergab, dass auf Vereidigung allseits verzichtet worden war); RGSt 63, 408, 411 mit Klarstellung der früheren Rspr. auf S. 412; vgl. auch LR-Gollwitzer (Fn. 20), § 274 Rn. 4; Meyer-Goßner (Fn. 4), § 274 Rn. 18; SK-Schlüchter (Fn. 20), § 274 Rn. 21; Alsberg/Nüse/Meyer (Fn. 20), S. 892 f. m. zahlr. Nachw. zur Gegenmeinung in Fn. 79.

[301] Alsberg/Nüse/Meyer (Fn. 20), S. 893; Meyer-Goßner, a.a.O.; Pfeiffer (Fn. 20), § 274 Rn. 3.

[302] Vgl. BGHR § 274 StPO Beweiskraft 12, 24; BGH, Beschl. v. 22.6.1999 - 1 StR 193/99 = StV 1999, 639 = bei Kusch, NStZ-RR 2000, 33, 37 (unter Zuhilfenahme der dienstlichen Erklärung des Vorsitzenden, "der die Verteidigung in ihrer dazu abgegebenen Stellungnahme nicht entgegentritt"); BGH, Beschl. v. 7.7.1999 - 1 StR 303/99 = bei Kusch, NStZ-RR 2000, 293 f. ("dienstliche Äußerungen der Berufsrichter und des Sitzungsvertreters, zu denen der Beschwerdeführer sich inhaltlich nicht geäußert hat"); BGH, Beschl. v. 20.7.1999 - 1 StR 287/99 = NStZ 2000, 49 (dazu Schäfer, 50 Jahre BGH-FS/Prax, S. 707, 713): Hier ergab der Vermerk des Vorsitzenden, "den die Revision… für unverwertbar hält, dessen inhaltliche Richtigkeit sie dabei aber nicht in Zweifel zieht", zur Überzeugung des Gerichts, dass der gerügte Verfahrensfehler nicht stattgefunden habe.

[303] OLG Saarbrücken, VRS 48, 439; Alsberg/Nüse/Meyer (Fn. 20), S. 894; Meyer-Goßner (Fn. 4), § 274 Rn. 18; SK-Schlüchter (Fn. 20), § 274 Rn. 21; vgl. BGHR § 274 StPO Beweiskraft 12 (dienstliche Äußerung des Sitzungsstaatsanwalts eindeutig, Protokollführerin "glaubt sich zu erinnern"); s. auch Beulke (Fn. 3), Rn. 564.

[304] RGSt 63, 408, 409 - s. dazu oben II.

[305] RGSt 63, 408, 410.

[306] RGSt 63, 408, 411.

[307] RGSt 63, 408, 412. Allerdings fehle ihnen die Beweiskraft des § 274 StPO.

[308] Docke/Döllen/Momsen, StV 1999, 583; in diesem Sinne wohl auch Fezer, NStZ 2002, 272 ("Binnenbeurteilung"); Mutzbauer (Fn. 3), Teil C/2 Rn. 85 a.E.

[309] Vgl. BGH NStZ 1999, 424, 425 = StV 1999, 582; siehe oben.

[310] Er gilt, wie gesehen, nur für die - hier nicht in Rede stehende - Protokollberichtigung und muß sich selbst dort Einschränkungen gefallen lassen, siehe oben.

[311] BGHSt 16, 306, 307 f.: "Auf Grund der hier abgegebenen dienstlichen Äußerungen… in Verbindung mit den dienstlichen Erklärungen… sowie in Übereinstimmung mit einer entsprechenden Berichtigung des Protokolls… ist erwiesen, dass an allen Tagen… C. …mitgewirkt hat, und dass (der Fehler im übrigen) auf einem Schreibversehen beruht" ; vgl. auch BGHR § 344 II 2 StPO Missbrauch 1 = StV 2001, 101 m. Anm. Ventzke: "Zur Auflösung des Widerspruchs war das Freibeweisverfahren eröffnet; es hat ergeben, dass RiLG M. am 11. Mai gegenwärtig war (Dienstliche Erklärungen des Vorsitzenden, des Beisitzers und der Protokollführerin)". - Das BVerfG, Beschl. v. 11.11.2001 - 2 BvR 1151/01 = StV 2002, 521 billigt das: Die Auffassung, der Inhalt eines Hauptverhandlungsprotokolls sei mit der Folge unklar, dass die absolute Beweiskraft entfalle und die Beweismöglichkeiten des Freibeweises eröffnet werden, sei von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Das Protokoll beweise selbst dann nicht die Abwesenheit einer Person an einem bestimmten Sitzungstag, wenn die Anwesenheit der anderen Verfahrensbeteiligten ausdrücklich vermerkt sei. Der BGH hatte argumentiert, protokollierungspflichtig sei nur der Wechsel innerhalb der Beteiligten und sah das Freibeweisverfahren als eröffnet an (das ergab, dass die Aufzählung des Dolmetschers an dem fraglichen Tag lediglich vergessen wurde). Das BVerfG ließ offen, ob eine solche Gesetzesauslegung "einfach-rechtlich" bedenklich sei - so KK-Engelhardt (Fn. 3), § 274 Rn. 7 -, ihre verfassungsrechtliche Zulässigkeit ergebe sich schon daraus, dass er nicht schlechter, sondern durch die Einräumung gegenüber § 274 StPO weiter gehender Beweismöglichkeiten nur besser gestellt würden. Das ist richtig. Denn der "legitime" Gebrauch des Rechts wird dadurch nicht beschnitten! Bei dem "Recht", einen Verfahrensverstoß mit einer Unwahrheit zu beweisen, kann es sich nämlich nur um einen Missbrauch handeln.

[312] BGH, Beschl. v. 8.8.2001 - 2 StR 504/00 = NJW 2001, 3794; abl. Fezer, NStZ 2002, 272; Köberer, StV 2002, 527 (betr. die Rüge, der Angeklagte sei zeitweise unverteidigt gewesen).

[313] BGH, Urt. v. 10.12.1997 - 3 StR 441/97 = NStZ 1998, 267 = bei Kusch, NStZ-RR 1998, 264 = StV 1999, 189 m. Anm. Ventzke.

[314] Auch dies beruht auf einer seit langem anerkannten Folge aus dem "Missbrauchsverbot", so richtig gesehen von Ventzke, StV 1999, 190: "weil sie… durch missbräuchliches Prozeßverhalten hätte erzwungen werden sollen".

[315] Vgl. BGH StV 1999, 189, 190; insoweit in NStZ 1998, 267 nicht abgedruckt.

[316] BGH StV 1999, 189, 190 - Dahs (Fn. 4), Rn. 888 nennt es für den Verteidiger "peinlich" und vom Revisionsrichter "taktlos", nach der Wahrheit zu fragen. Davor scheinen die Revisionsgerichte indes längst nicht mehr zurückzuschrecken, vgl. BGH NJW 2001, 3794 = NStZ 2002, 270, 272: Dort hatten die Verteidiger die erbetenen Stellungnahmen mit Rücksicht auf das fortbestehende Verteidigungsverhältnis abgelehnt, die Urkundsbeamtin und die drei Berufsrichter den wahren Hergang in ihren dienstlichen Stellungnahmen, die der BGH im Freibeweisverfahren verwertete, klargestellt.

[317] Krit. Ventzke, StV 1999, 190: Getroffen werde "als missbräuchlich bewertete Verteidigerverhalten" im Revisionsverfahren, die erhobenen Verfahrensrügen ließen aber nur den Schluß zu, dass schon die Hauptverhandlung vor dem LG von erheblichen Spannungen gekennzeichnet war.

[318] BGH StV 1999, 189, 190 unter Berufung auf BGH NJW 1996, 2804 (insoweit in BGHSt 42, 123 und NStZ 1996, 499 nicht abgedr.); ebenso BGH StV 1995, 513; aus der Lit.: Hohmann, StraFo 1999, 153, 156; Miebach, NStZ 2000, 234, 240; Schlothauer, StV 1994, 468, 469; SK-Schlüchter (Fn. 20), § 257 Rn. 12 sowie jetzt auch KK-Diemer (Fn. 3), § 257 Rn. 6.

[319] BGH, Beschl. v. 22.10.1993 - 3 StR 337/93 = StV 1994, 468 m. abl. Anm. Schlothauer; s. dazu auch Wesemann, StraFo 2001, 293, 298.

[320] BGH, StV 1994, 468.

[321] BGH, Beschl. v. 23.2.2000 - 5 StR 382/99 (unveröff.); wiedergegeben bei Weider, StraFo 2000, 328, 330.

[322] Schäfer, 50 Jahre BGH-FS/Prax, S. 707, 720.

[323] Eb. Schmidt (Fn. 20), § 188 Rn. 13.

[324] BGHSt 36, 354, 360 f. = NJW 1990, 1740 = StV 1991, 51 m. Anm. Kahlo. - Im Ergebnis schlägt Schäfer, 50 Jahre BGH-FS/Prax, S. 707, 728 - im Anschluß an frühere Überlegungen von Glanzmann (Fn. 27), G 37 - vor, die absolute Beweiskraft des Sitzungsprotokolls abzuschaffen und das Revisionsvorbringen freibeweislich zu würdigen, womit er nach Salditt, StV 2001, 254 zwar die Verteidiger auf seiner Seite habe, aber nicht seine Richterkollegen.

[325] Meyer-Goßner (Fn. 4), § 273 Rn. 7; vgl. auch Kahlo, StV 1991, 52, 55 f.; dens., Meyer-Goßner-FS, S. 447, 454 f.

[326] Vgl. BGH, Beschl. v. 15.7.1999 - 5 StR 203/99 = bei Kusch, NStZ-RR 2000, 297.

[327] Zur Frage, ob das Gericht überhaupt verpflichtet ist, Aushänge von Ort zu Ort "nach Art einer Schnitzeljagd" anzubringen, vgl. jüngst BayObLG, NStZ-RR 2001, 49, 51.

[328] BGH, Beschl. v. 23.11.2000 - 1 StR 429/00 = bei Becker, NStZ-RR 2001, 264; vgl. auch OLG Köln, Beschl. v. 5.7.2002 - Ss 161/02, NStZ-RR 2002, 337: fehlende Eintragung belegt nicht, dass eine Urteilsberatung nicht stattgefunden hat; s. aber auch BGH, Beschl. v. 21.9.1999 - 1 StR 389/99 = wistra 1999, 471 = StV 2000, 7 = NStZ 2000, 47: Kenntnisnahme im Wege des Selbstleseverfahrens sei wesentliche Förmlichkeit, weshalb entgegen der dienstlicher Stellungnahme des Vorsitzenden davon auszugehen ist, dass im Urteil Schriftstücke verwertet wurden, die nicht Gegenstand der Hauptverhandlung waren.

[329] BGH, Urt. v. 29.6.1995 - 4 StR 72/95 = StV 1995, 513 = NStZ 1995, 560; ebenso BGH, Beschl. v. 14.5.2002 - 3 StR 35/02 = StV 2002, 531 sowie bereits zuvor BGH, Beschl. v. 28.10.1999 - 4 StR 370/99 (= StV 2000, 123 = NStZ 2000, 217; dazu Miebach, NStZ 2000, 234, 240), der damit ebenfalls einer (mutmaßlich) unwahren Protokollrüge stattgab.

[330] So jedenfalls BGH StV 1995, 513, 514 = BGHR § 274 StPO Beweiskraft 18.

[331] A.A. Meyer-Goßner (Fn. 4), § 33 Rn. 8; KMR-Paulus (Fn. 200), § 33 Rn. 27; KK-Maul (Fn. 3), § 33 Rn. 8.

[332] Vgl. BGH, Urt. v. 20.4.1993 - 5 StR 568/92 = NStZ 1993, 500; vgl. auch BayObLG, Beschl. v. 21.9.1999 - 2 ObOWi 458/99 = NZV 2000, 380: Das Schweigen des Protokolls in bezug auf die Erteilung des Hinweises sei deshalb unerheblich, weil eine Hinweispflicht nicht bestanden habe, es könne daher "offen bleiben, ob die Rüge schon deshalb keinen Erfolg haben kann, weil ausweislich der dienstlichen Äußerung des Tatrichters ein Hinweis… gegeben wurde, oder ob es sich insoweit um eine wesentliche Förmlichkeit im Sinne von § 273 I StPO handelt mit der Folge, dass ein Hinweis nur durch das Protokoll bewiesen werden kann".

[333] Vgl. die Kritik von Ventzke, StV 2000, 249, 253, Fn. 31; Kühne (Fn. 3), Rn. 970 a.E.

[334] Zu letzterem noch unten bei Fn. 360.

[335] BGH, Beschl. v. 20.10.1981 - 5 StR 639/81 = bei Pfeiffer/Miebach, NStZ 1983, 212 m.w.N.: zumal nicht einmal die Gesetzesstelle angegeben sei.

[336] BGH, Urt. v. 30.8.1994 - 5 StR 403/94 = NStZ 1994, 591; vgl. auch BGH, Beschl. v. 9.11.1999 - 5 StR 552/99 = StV 2000, 243: Dort lag der Ausschlußgrund nicht "auf der Hand".

[337] BGH NStZ 1999, 92.

[338] BGH NStZ 1999, 92 - Die Kritik von Park, StV 2000, 246, Fn. 4, der diese Formulierung "verunglückt" nennt, weil bereits das "Begründungsdefizit" selbst den Verfahrensfehler darstelle, läßt außer Acht, dass das Begründungsdefizit der Wahrheit zuwider behauptet worden sein könnte, in diesem Fall ließe sich ausschließen, dass sich dahinter ein Verfahrensfehler verbirgt; den Zusammenhang erkennt Rieß, JR 2000, 253, 256: "erkennbare Bereitschaft, einem Missbrauch von Verfahrensrügen durch Versagung ihrer Beachtlichkeit entgegenzutreten"; s. auch Tepperwien, Meyer-Goßner-FS, S. 595.

[339] Zu diesem Fall schon oben bei Fn. 332.

[340] Vgl. Alsberg/Nüse/Meyer (Fn. 20), S. 888.

[341] Alsberg/Nüse/Meyer (Fn. 20), S. 889; LR-Gollwitzer (Fn. 20), § 271 Rn. 49; Ranft, JuS 1994, 785, 787.

[342] BGH, Beschl. v. 11.12.1998 - 2 ARs 473/98.

[343] BGH, Beschl. v. 12.11.1998 - 3 ARs 13/98 = bei Kusch, NStZ-RR 1999, 263; noch offen gelassen in BGH, Urt. v. 6.11.1998 - 3 StR 511/97 = NStZ 1999, 372 = wistra 1999, 66.

[344] BGH, Beschl. v. 17.12.1998 - 4 ARs 9/98.

[345] BGH, Beschl. v. 9.12.1998 - 5 ARs 60/98 (unter Verweis auf das Senatsurteil, NStZ 1994, 591).

[346] So z.B. der 3. und einschränkend (für Fälle, in denen der Ausschlußgrund "ohne freibeweisliche Rekonstruktion des Inhalts der Hauptverhandlung offen zu Tage tritt") 5. Senat.

[347] Der 4. Senat teilte mit, dass er an seiner bisherigen Rspr. festhalte, dass das Fehlen der Begründung in dem Beschluß über die Ausschließung der Öffentlichkeit auch dann ein Verstoß gegen § 174 I 3 GVG sei, wenn der Ausschließungsgrund für die Beteiligten und die Zuhörerschaft offen zutage liege (BGHSt 27, 187, 188 = NJW 1977, 1643; BGHR § 174 I 3 GVG Begründung 5). Er stimme jedoch "angesichts der Besonderheiten der Sach- und Verfahrenslage in dem der Anfrage zugrunde liegenden Fall" der vom 1. Senat beabsichtigten Entscheidung zu.

[348] BGH, Beschl. v. 1.12.1998 - 4 StR 585/98 = NStZ 1999, 371 = StV 2000, 242.

[349] Vgl. auch BGH, Beschl. v. 21.7.2000 - 3 StR 228/00 = bei Becker, NStZ-RR 2001, 264, wo das Protokoll nur den Beschluß auswies, die Öffentlichkeit wiederherzustellen. Der Senat hielt die Rüge für zulässig und begründet, weil das - nicht lückenhafte oder widersprüchliche - Protokoll nicht zusätzlich noch einen Hinweis darauf enthielt, dass der Beschluß auch ausgeführt worden sei. In BGH, Beschl. v. 7.7.1999 - 1 StR 303/99 = bei Kusch, NStZ-RR 2000, 293 wurde es dagegen als widersprüchlich angesehen, dass nach Ausschluß der Öffentlichkeit deren Wiederherstellung nicht protokolliert, für die später erfolgte Vernehmung einer Zeugin aber die Öffentlichkeit erneut ausgeschlossen wurde.

[350] BGHSt 45, 117 = NJW 1999, 3060 = NStZ 1999, 474 = wistra 1999, 345 = StraFo 1999, 298 = JR 2000, 251 m. Anm. Rieß = StV 2000, 244 m. abl. Anm. Park.

[351] BGHSt 45, 117, 120 (unter Berufung auf BGHSt 15, 194, 196; 22, 18, 20); zust. Kuckein, StraFo 2000, 397, 399; gegen die beiden letzten Entscheidungen indes schon (vom BGH, a.a.O. nicht erwähnt) BGH NJW 1976, 1108; abl. auch Gössel, NStZ 2000, 181.

[352] Vgl. BGH, Beschl. v. 8.2.2000 - 5 StR 543/99 = StV 2000, 240 = NStZ 2000, 328 (zu den Begründungsanforderungen an einen Beschluß nach § 247 StPO zur Entfernung des Angeklagten).

[353] Siehe BGH NJW 1982, 189 = StV 1983, 139 (ebenfalls zu einer Missbrauchsproblematik).

[354] Da paßt es ins Bild wenn inzwischen offen die Einschränkung des Katalogs der absoluten Revisionsgründe, namentlich bei Verletzung von Vorschriften über die Öffentlichkeit, gefordert wird, Bittmann, DRiZ 2001, 112, 119.

[355] Zur Kritik: Park, StV 2000, 246, 247; Gössel, NStZ 2000, 181, 182; Rieß, JR 2000, 253, 254; s. auch dens. (Fn. 20), § 13 Rn. 222; Kudlich, JA 2000, 970, 975.

[356] BGHSt 1, 334, 336.

[357] BGHSt 1, 334, 336.

[358] Vgl. BGH, Urt. v. 11.4.1989 - 1 StR 782/88 = NStZ 1989, 442; Beschl. v. 24.4.1990 - 1 StR 211/90 = bei Miebach/Kusch, NStZ 1991, 122.

[359] BGHSt 27, 117, 118.

[360] BGH, Urt. v. 6.11.1998 - 3 StR 511/97 = NStZ 1999, 372 = wistra 1999, 66.

[361] BGH, Urt. v. 30.8.1994 - 5 StR 403/94 = NStZ 1994, 591.