HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Mai 2006
7. Jahrgang
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Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH

I. Materielles Strafrecht

1. Schwerpunkt Allgemeiner Teil des StGB


Entscheidung

371. BGH 2 StR 609/05 - Beschluss vom 8. März 2006 (LG Koblenz)

Beihilfe zum Bandendelikt (strafschärfendes besonderes persönliches Merkmal).

§ 28 Abs. 2 StGB; § 27 StGB

Gehilfen, die nicht selbst Bandenmitglieder sind, können nur wegen Beteiligung am Grunddelikt, nicht aber an der Qualifikation der bandenmäßigen Begehung bestraft werden, da die Bandenmitgliedschaft ein besonderes persönliches Merkmal im Sinne des § 28 Abs. 2 StGB ist (vgl. BGHSt 46, 120, 128).

2. Schwerpunkt Besonderer Teil des StGB


Entscheidung

401. BGH 4 StR 536/05 - Urteil vom 16. März 2006 (LG Frankenthal)

BGHSt; Beibringung von Gift und anderen gesundheitsschädlichen Stoffen (Stoffe des täglichen Bedarfs; "Salzpuddingfall"); Erstreckung des § 354 Abs. 1 a StPO auf Revisionen der Staatsanwaltschaft zu ungunsten des Angeklagten; Körperverletzung mit Todesfolge (eigentümliches Risiko der Körperverletzungshandlung).

§ 224 Abs.1 Nr. 1 StGB; § 227 StGB; § 354 Abs. 1 a StPO

1. § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfasst auch Stoffe des täglichen Bedarfs, wenn ihre Beibringung mit der konkreten Gefahr einer erheblichen Schädigung im Einzelfall verbunden ist. (BGHSt)

2. Dies gilt auch dann, wenn die konkrete Gefahr infolge des Alters und der Konstitution des Opfers anzunehmen ist. (Bearbeiter)

3. § 354 Abs. 1 a StPO findet auch Anwendung, wenn das von der Staatsanwaltschaft zu Ungunsten des Angeklagten angefochtene Urteil den Angeklagten begünstigende Rechtsfehler aufweist. (BGHSt)

4. Des Verbrechens nach § 227 StGB macht sich schuldig, wer eine vorsätzliche Körperverletzungshandlung begeht, der das Risiko eines tödlichen Ausgangs anhaftet, sofern sich das der Handlung eigentümliche Risiko im Eintritt des Todes des Angegriffenen verwirklicht und dem Täter hinsichtlich der Verursachung des Todes zumindest Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist; da der Täter schon durch die schuldhafte Verwirklichung eines der Grunddelikte der §§ 223 f. StGB stets objektiv und subjektiv pflichtwidrig handelt, ist dabei alleiniges Merkmal der Fahrlässigkeit hinsichtlich der qualifizierenden Tatfolge die Vorhersehbarkeit des Todes des Opfers (st. Rspr.; BGHR StGB § 227 [i.d.F. 6. StrRG] Todesfolge 1 m.w.N.). Hierfür ist entscheidend, ob vom Täter in seiner konkreten Lage nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten der Eintritt des Todes des Opfers - im Ergebnis und nicht in den Einzelheiten des dahinführenden Kausalverlaufs - vorausgesehen werden konnte (BGHR StGB § 226 [a.F.] Todesfolge 6 m.w.N.) oder ob die tödliche Gefahr für das Opfer so weit außerhalb der Lebenswahrscheinlichkeit lag, dass die qualifizierende Folge dem Täter deshalb nicht zuzurechnen ist (vgl. BGHSt 31, 96, 100; BGH NStZ 1997, 82 f. und 341). (Bearbeiter)


Entscheidung

392. BGH 1 StR 385/05 - Urteil vom 7. März 2006 (LG Würzburg)

Betrug (Vermögensschaden bei der Zeichnung und Bedienung von Fondsanlagen; Prinzip der Saldierung; Gefahr des endgültigen Verlusts von Rentenanlagen; entbehrliche Berechnung des Verkehrswerts tatsächlich von den Fondsgesellschaften erworbener Immobilien).

§ 263 StGB

1. Zum Vermögensschaden beim Betrug durch Fondsanlagen. (BGHSt - im Parallelverfahren)

2. Es entspricht gefestigter Rechtsprechung, dass eine Vermögensbeschädigung nicht schon dann vorliegt, wenn jemand infolge eines durch Täuschung hervorgerufenen Irrtums eine Vermögensverfügung getroffen hat, die er bei Kenntnis der tatsächlichen Umstände nicht getroffen haben würde (BGHSt 3, 99; 16, 321; 30, 388). Maßgeblich ist grundsätzlich der objektive Vergleich der Vermögenswerte vor und nach der irrtumsbedingten Vermögensverfügung. An einem Schaden fehlt es, soweit die Vermögensminderung durch den wirtschaftlichen Wert des Erlangten ausgeglichen wird. (Bearbeiter)

3. Demgegenüber kann die gesamte Leistung des Tatopfers als Schaden anzusehen sein, wenn es die Gegenleistung nicht zu dem vertraglich vorausgesetzten Zweck oder in anderer zumutbarer Weise verwenden kann. In Fällen der betrügerischen Vermittlung von Warenterminoptionsgeschäften hat der Bundesgerichtshof dies ange-

nommen, wenn der Anleger über Eigenart und Risiko des Geschäftes derart getäuscht worden ist, dass er etwas völlig anderes erwirbt, als er erwerben wollte ("aliud"), die empfangene Gegenleistung für ihn mithin in vollem Umfang unbrauchbar ist (BGHSt 30, 177, 181; BGH NJW 2003, 3644, 3645). Ein in dem Erlangten verkörperter Gegenwert bleibt hier regelmäßig außer Ansatz; er ist nur dann schadensmindernd zu berücksichtigen, wenn das Tatopfer imstande ist, ihn ohne finanziellen und zeitlichen Aufwand, namentlich ohne Mitwirkung des Angeklagten zu realisieren (vgl. BGHSt 47, 148, 154; BGH NStZ-RR 2000, 331). (Bearbeiter)


Entscheidung

411. BGH 4 StR 570/05 - Beschluss vom 2. Februar 2006 (LG Hagen)

BGHSt; sexueller Missbrauch von Kindern (Vornahme von sexuellen Handlung am Körper des Kindes; Posieren); milderes Gesetz; Wortlautgrenze (Bestimmtheitsgrundsatz); Persönlichkeitsschutz (keine Aufnahme von Lichtbildern in das Urteil).

§ 176 Abs. 3 Nr. 2 StGB i.d.F. des 6. StrRG; § 176 Abs. 4 Nr. 2 n.F.; § 2 Abs. 3 StGB; Art. 103 Abs. 2 GG; Art. 7 EMRK; Art. 8 EMRK; Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 1 GG; § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO

§ 176 Abs. 3 Nr. 2 StGB i.d.F. des 6. StrRG setzt voraus, dass der Täter das Kind dazu bestimmt, dass es an seinem eigenen Körper sexuelle Handlungen vornimmt; es reicht nicht aus, dass der Täter das Kind lediglich dazu bestimmt, vor ihm in sexuell aufreizender Weise zu posieren. (BGHSt)


Entscheidung

413. BGH 4 StR 594/05 - Urteil vom 16. März 2006 (LG Regensburg)

Mord (gemeingefährliches Mittel; Heimtücke: Arglosigkeit und Wehrlosigkeit, Ausnutzungsbewusstsein; Handeln in Selbstmordabsicht; Geisterfahrt); Rücktritt (Freiwilligkeit; Mitursächlichkeit; optimale Erfolgsverhinderung).

§ 211 StGB; § 24 StGB

1. Das Mordmerkmal der Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln kann auch dann erfüllt sein, wenn [wie hier ein Fahrzeug auf der Autobahn] ein Tötungsmittel eingesetzt wird, das seiner Natur nach nicht gemeingefährlich ist, sofern das Mittel in der konkreten Tatsituation eine Mehrzahl von Menschen an Leib und Leben gefährden kann, weil der Täter die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hat (vgl. BGH NStZ 2006, 167, 168 m.N.).

2. Hinsichtlich der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers ist auf den Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs abzustellen (vgl. BGHSt 19, 321, 322; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 3).

3. Das für die Annahme der Heimtücke erforderliche Ausnutzungsbewusstsein setzt voraus, dass der Täter die äußeren Umstände der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers wahrgenommen und sie bewusst zur Tatbegehung instrumentalisiert hat. Dabei kann die Spontaneität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass ihm das Ausnutzungsbewusstsein fehlt (vgl. BGH NJW 1983, 2456). Andererseits hindert nicht jede affektive Erregung oder heftige Gemütsbewegung einen Täter daran, die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tat zu erkennen (vgl. BGH NStZ 2006, 167, 168 m.N.). Wird das Ausnutzungsbewusstsein bejaht, bedarf es allerdings besonders dann, wenn der Täter durch die Tat zugleich seinem eigenen Leben ein Ende setzen will, einer Darlegung der Erwägungen, die das Gericht zu der Annahme des Ausnutzungsbewusstseins geführt haben, weil in einem derartigen Fall in der Regel die Möglichkeit nicht fern liegen wird, dass der Täter sich der Bedeutung der von ihm erkannten Arg- und Wehrlosigkeit für die Ausführung der Tat nicht bewusst gewesen ist (vgl. BGH GA 1979, 337, 338).

4. Dass der Täter eine neue Kausalreihe in Gang setzt, die für die Nichtvollendung der Tat mindestens mitursächlich ist, reicht für den Rücktritt nach § 24 Abs. 1 Halbsatz 2 StGB aus (vgl. BGHSt 33, 295, 301, jew. m.w.N.). Der strafbefreiende Rücktritt setzt nicht voraus, dass der Täter, der die Vollendung der Tat erfolgreich verhindert und dies - wovon das Landgericht zutreffend zu Gunsten des Angeklagten ausgegangen ist - auch anstrebt, unter mehreren Möglichkeiten der Erfolgsverhinderung die sicherste oder "optimale" gewählt hat (vgl. BGHSt 48, 147 m.N.).


Entscheidung

379. BGH (Ermittlungsrichter III) 3 BGs 191/04 - Beschluss vom 22. Dezember 2004

Geheimdienstliche Agententätigkeit (gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet).

§ 99 StGB

Eine geheimdienstliche Agententätigkeit ist nicht schon dann "gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet" i.S.d. § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB, wenn deutsche Interessen lediglich mittelbar insofern berührt sind, als die Beteiligung eines deutschen Staatsangehörigen an der - im übrigen ausschließlich auf das Ausland bezogenen - Agententätigkeit geeignet ist, das Ansehen der Bundesrepublik in der Staatengemeinschaft zu gefährden.


Entscheidung

390. BGH 1 StR 75/06 - Beschluss vom 22. März 2006 (LG Rottweil)

Sexuelle Nötigung (hilflose Lage; sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen); Vorwegvollzug (Umkehrung der gesetzlichen Reihenfolge; Förderung der Therapie durch vorherigen Strafvollzug: Darlegungsanforderungen).

§ 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB; § 179 Abs. 1 Nr. 1 StGB; § 67 Abs. 2 StGB

§ 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB setzt voraus, dass das Opfer unter dem Eindruck seines schutzlosen Ausgeliefertseins aus Furcht vor möglichen Einwirkungen des Täters auf einen ihm grundsätzlich möglichen Widerstand verzichtet.


Entscheidung

366. BGH 2 StR 66/06 - Beschluss vom 22. März 2006 (LG Bonn)

Besonders schwere Vergewaltigung (Verwenden einer Waffe; ungeladene Schusswaffe; Beisichführen des Magazins).

§ 177 StGB; § 250 StGB

Ein Täter verwendet keine Waffe im Sinne des § 177 Abs. 4 StGB, wenn er zur Drohung gegenüber dem Opfer eine ungeladene Pistole einsetzt, auch wenn sich das zugehörige mit Munition versehene Magazin in Reichweite befindet. Denn die Waffe ist in diesem Fall objektiv nicht gefährlich, auch wenn der Täter deren Einsatzbereitschaft ohne Weiteres herstellen und ihre objektive Gefährlichkeit herbeiführen kann (vgl. BGHSt 45, 249 f. für den Fall des schweren Raubes).


Entscheidung

418. BGH 5 StR 38/06 - Urteil vom 22. März 2006 (LG Berlin)

(Schwerer) Bandendiebstahl (Anforderungen an die Feststellung einer Bande).

§ 244 StGB; § 244a StGB

1. Ein bandenmäßiger Zusammenschluss mehrerer Personen im Sinne der genannten Vorschriften setzt lediglich voraus, dass sich diese mit dem Willen verbunden haben, künftig für eine gewisse Dauer mehrere selbständige im Einzelnen noch ungewisse Straftaten der im Gesetz beschriebenen Art zu begehen (BGHSt 46, 321, 329 f.; BGHSt 47, 214, 215, 216; BGH NStZ 2002, 375; BGH StV 2005, 555, 556).

2. Der Begriff der Bande setzt weder eine gegenseitige Verpflichtung der Mitglieder zur Begehung bestimmter Delikte noch die Bildung einer festen Organisation voraus. Ein in diesem Sinne "verbindlicher Gesamtwille" oder ein "Tätigwerden in einem übergeordneten Bandeninteresse" ist nach der Rechtsprechung nicht (mehr) erforderlich (vgl. BGHSt 46, 321, 325). Für die Einstufung als Bandentat reicht es insoweit aus, dass eine Tat in ihrem Ursprung auf einem gemeinsamen Grundkonsens beruhte, was nicht ausschließt, dass die einzelne Tat - als Ausfluss des gemeinsamen Willens zur Begehung von Straftaten - jeweils einem neuen Tatentschluss entsprang.


Entscheidung

377. BGH 3 StR 3/06 - Beschluss vom 21. März 2006

Besonders schwere Vergewaltigung (Urteilstenor); Raub (finaler Zusammenhang zwischen Gewaltanwendung und Wegnahme).

§ 177 Abs. 4 StGB; § 249 Abs. 1 StGB

1. Die Erfüllung der Qualifikationstatbestände gemäß § 177 Abs. 4 StGB wird im Schuldspruch dadurch zum Ausdruck gebracht, dass der Angeklagte wegen besonders schwerer Vergewaltigung verurteilt wird.

2. Allein der Umstand, dass die Wirkungen einer Gewaltausübung noch andauern, die ohne Wegnahmeabsicht erfolgt ist und der Täter diese ausnutzt, genügt für die Annahme eines Raubes nicht, da es an der erforderlichen finalen Verknüpfung zwischen der "Nötigungs"handlung und der Wegnahme fehlt (st. Rspr.; vgl. BGHSt 32, 88, 92; 41, 123, 124).