HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 390
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 75/06, Beschluss v. 22.03.2006, HRRS 2006 Nr. 390
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Rottweil vom 14. Oktober 2005
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des Mordes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer widerstandsunfähigen Person schuldig ist,
b) im Ausspruch über die Vollstreckungsreihenfolge aufgehoben, soweit der Vorwegvollzug von zwei Jahren Jugendstrafe vor der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Es wird davon abgesehen, dem Beschwerdeführer Kosten und Auslagen des Revisionsverfahrens aufzuerlegen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit sexueller Nötigung zu einer Jugendstrafe von neun Jahren verurteilt, seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und bestimmt, dass zwei Jahre der Jugendstrafe vor der Unterbringung zu vollziehen sind. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten führt entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts zur Änderung des Schuldspruchs und des Maßregelausspruchs; im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
1. Die Verurteilung wegen tateinheitlich begangener sexueller Nötigung gemäß § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Nach den Feststellungen würgte der Angeklagte in einem dunklen Wiesengelände aufgrund eines aggressiven Affekts, nicht aus sexuellen Motiven, C. G. in Tötungsabsicht fünf bis sechs Minuten bis zur Bewusstlosigkeit. Da C. G. noch am Leben war, schleifte er sie zu einem nahe gelegenen Bach. Nunmehr spürte er sexuelles Verlangen. Er zog die besinnungslose C. G. teilweise aus und masturbierte bei gleichzeitigem Berühren von deren Scheide und After. Anschließend tötete er sein Opfer endgültig, indem er es so an den Bach legte, dass der Kopf sich unter Wasser befand.
Auf der Grundlage dieser Feststellungen sind die Voraussetzungen des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht erfüllt. Dieser Tatbestand setzt voraus, dass das Opfer unter dem Eindruck seines schutzlosen Ausgeliefertseins aus Furcht vor möglichen Einwirkungen des Täters auf einen ihm grundsätzlich möglichen Widerstand verzichtet (vgl. BGH, Urteil vom 25. Januar 2006 - 2 StR 345/05). Im vorliegenden Fall war jedoch das bewusstlose Opfer nicht mehr in der Lage, seinen entgegenstehenden Willen dem des Täters unterzuordnen, weil es sich über das Vorgehen des Täters überhaupt keine Vorstellung mehr machen konnte. Die Tathandlung erfüllt daher lediglich den Straftatbestand des § 179 Abs. 1 Nr. 1 StGB, der als Auffangtatbestand eingreift, wenn eine Beugung eines entgegenstehenden Willens des Opfers nicht vorliegt (BGH aaO).
Einer Aufhebung des Strafausspruchs bedarf es gleichwohl nicht, weil die wegen des im Mittelpunkt stehenden Mordes verhängte Jugendstrafe im Sinne des § 354 Abs. 1a StPO angemessen erscheint.
2. Auch die vom Landgericht gemäß § 67 Abs. 2 StGB bestimmte Vollstreckungsreihenfolge hat keinen Bestand. Die gegebene Begründung vermag eine Abweichung von der Regel des § 67 Abs. 1 StGB, wonach zunächst die Maßregel zu vollstrecken ist, nicht zu rechtfertigen.
a) Richtschnur für die Frage des Vorwegvollzuges der Strafe ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes das Rehabilitationsinteresse des Verurteilten. Nach der Grundentscheidung des Gesetzgebers in § 67 Abs. 1 StGB soll - auch bei hohen Freiheitsstrafen - möglichst umgehend mit der Behandlung des kranken oder süchtigen Rechtsbrechers begonnen werden, weil dies am ehesten einen dauerhaften Erfolg verspricht. Gerade bei längerer Strafdauer muss es darum gehen, den Angeklagten frühzeitig von seinem Hang zu befreien, damit er im Strafvollzug an der Verwirklichung des Vollzugszieles arbeiten kann. Eine Abweichung von der Regelabfolge des Vollzuges bedarf eingehender Begründung. Steht zu besorgen, dass der an die Maßregel anschließende Strafvollzug den Maßregelerfolg wieder zunichte machen könnte, so müssen dafür überzeugende Gründe vorliegen (vgl. Senat, Beschluss vom 30. Januar 2001 - 1 StR 481/00 - m.w.N.).
b) Diesen Anforderungen wird die vom Landgericht bestimmte Ausnahme nicht gerecht. Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift hierzu zutreffend ausgeführt:
"Die Erwägung, dem Angeklagten müsse im Interesse des möglichen Therapieerfolges zunächst ein Bewusstsein vom Ausmaß seiner schweren Schuld mit Hilfe der vorherigen teilweisen Verbüßung der Jugendstrafe vermittelt werden, da er durch sein Verhalten und seine Äußerungen in der Hauptverhandlung bis zuletzt gezeigt habe, er erwarte Nachsicht und Verständnis für seine Tat, lässt besorgen, dass die Jugendkammer davon ausging, der Angeklagte neige dazu, seine Taten zu bagatellisieren. Diese Erwägung lässt nicht nachvollziehen, inwiefern eine Konfrontation mit den Folgen seines strafbaren Handelns eher im Strafvollzug als bei der Behandlung in einem psychiatrischen Krankenhaus erreicht werden kann oder die Strafhaft als Vorstufe der Behandlung für deren Zwecke therapeutisch erforderlich sein könnte (vgl. Senat, Beschluss vom 26. April 2001 - 1 StR 109/01).
Das weitere Argument der Strafkammer durch den - wenigstens teilweisen - Vollzug der Jugendstrafe müsse der Therapiewille des Angeklagten gefestigt und sein Motivationsdruck erhöht werden, reicht für ein Abweichen von der Grundentscheidung des Gesetzgebers ebenfalls nicht aus, da keine konkreten Umstände im Einzelfall dargetan sind, die dies nahe legen (vgl. BGHR § 67 Abs. 2 Zweckerreichung, leichtere 10) und die hierzu durch die Anhörung des Sachverständigen gewonnenen Erkenntnisse ebenso wenig mitgeteilt werden (BGHR StGB § 67 Abs. 2 Vorwegvollzug, teilweiser 12)."
Zudem hat das Landgericht nicht berücksichtigt, dass die Therapiebereitschaft auch beim Vollzug der Maßregel gefördert werden kann (vgl. BGHR StGB § 67 Abs. 2 Zweckerreichung, leichtere 14), da es zu den wesentlichen Aufgaben des Maßregelvollzugs gehört, den Verurteilten zur Einsicht in die Notwendigkeit seiner Behandlung zu bringen. Das Landgericht hätte im Übrigen auch bedenken müssen, dass die vorhandene Therapiebereitschaft, die der Angeklagte in der Hauptverhandlung auch durch seinen Verteidiger erklären lassen konnte, während des Strafvollzugs wieder zerstört werden könnte (BGHR StGB § 67 Abs. 2 Zweckerreichung, leichtere 10; Vorwegvollzug, teilweiser 12).
c) Der Senat hält es nach alledem - auch nach nunmehr einjähriger Untersuchungshaft - für ausgeschlossen, dass sich in einer neuen Hauptverhandlung die Voraussetzungen für die Vorwegvollstreckung (eines Teils) der Strafe noch ergeben könnten. Er sieht deshalb von einer Zurückverweisung der Sache ab und lässt stattdessen die Anordnung des Vorwegvollzugs entfallen (§ 354 Abs. 1 StPO).
HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 390
Bearbeiter: Karsten Gaede