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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Februar 2006
7. Jahrgang
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1. Rechtsmissbräuchlicher Befangenheitsantrag. (BGHR)
2. Versetzt sich der Angeklagte vorsätzlich und schuldhaft in einen Zustand, der seine Verhandlungsunfähigkeit beeinträchtigt, ist eine Rüge, der Vorsitzende Richter habe - in Unkenntnis des wahren Sachverhalts durch seine Behandlung der vom Verteidiger geltend gemachten Verhandlungsunfähigkeit die Besorgnis der Befangenheit begründet, wegen Rechtsmissbrauchs nicht mehr in der Sache zu prüfen: Eine Revision kann in diesem Fall auf eine möglicherweise unberechtigte Ablehnung des Befangenheitsantrages gemäß § 26a Nr. 2 StPO nicht gestützt werden. (Bearbeiter)
1. Ein Beweisantrag darf mit der Begründung, die Beweiserhebung sei wegen Offenkundigkeit überflüssig, nur abgelehnt werden, wenn die Beweistatsache oder ihr Gegenteil allgemein- oder gerichtskundig ist. Gerichtskundig ist, was der Richter im Zusammenhang mit seiner amtlichen Tätigkeit zuverlässig in Erfahrung gebracht hat (BGHSt 45, 354, 357 f.). Auf den Einzelfall bezogene richterliche Wahrnehmungen, die für die Überführung eines Angeklagten von wesentlicher Bedeutung sind, dürfen grundsätzlich nicht als gerichtskundig behandelt werden (vgl. BGHSt 45, 354, 359; 47, 270, 274).
2. Dies gilt auch dann, wenn die Frage betroffen ist, ob ein Geständnis im Rahmen einer möglichen Absprache glaubhaft ist. Es kann offen bleiben, wie der Antrag zu behandeln wäre, wenn es um die (möglicherweise rechtsmissbräuchliche) Benennung erkennender Richter als Zeugen ginge (vgl. BGHSt 47, 270, 273; BGH NStZ 2003, 558, 559).
3. Zur Besorgnis der Befangenheit beim Versuch, weiteren Mitangeklagten ein Geständnis abzuringen.
4. Eine Absprache darf eine möglicherweise zu verhängende Sicherungsverwahrung nicht "wegdealen".
5. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss bei der Verurteilung eines Angeklagten aufgrund des Geständnisses eines Mitangeklagten, das Gegenstand einer verfahrensbeendenden Absprache ist, die Glaubhaftigkeit des Geständnisses in einer für das Revisionsge-
richt nachprüfbaren Weise gewürdigt werden. Dazu gehören insbesondere das Zustandekommen und der Inhalt der Absprache (BGHSt 48, 161, 168). Einer entsprechenden Verfahrensrüge bedarf es dabei nicht (vgl. BGHSt aaO S. 162, 168).
6. In einem Urteil sind in den Gründen die speziellen Anforderungen für seine revisionsrechtliche Nachprüfung zu beachten. Die Urteilsgründe müssen klar, geschlossen, erschöpfend und aus sich heraus verständlich sein (BGHSt 30, 225, 227; BGH StV 2005, 388, 391). Die Bezugnahme auf andere Schriftstücke und Erkenntnisquellen ist deshalb grundsätzlich unzulässig (BGHSt 33, 59, 60).
1. Eine allgemeine Verteidigungsvollmacht des Angeklagten berechtigt nicht zur Mitwirkung bei der Bestimmung der Anzahl der Verteidiger. Die Festlegung des Verteidigungsumfangs durch die Bestimmung der Anzahl der Verteidiger bleibt sachnotwendig der Entscheidung durch den Angeklagten vorbehalten und erfordert deshalb eine neben der Verteidigungsvollmacht erforderliche Vertretungsvollmacht (vgl. BGHSt 9, 356).
2. Zwar ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt, dass weder in der rügelosen Einlassung noch im Unterlassen eines Aussetzungsantrags ein wirksamer Verzicht des Angeklagten auf die Anwesenheit seines gewählten Verteidigers gesehen werden kann (BGHSt 36, 259, 261; BGH NStZ 2005, 114). Ein solcher Verzicht setzt die Kenntnis des Angeklagten voraus, dass sein Verteidiger nicht geladen wurde und dass er deshalb die Aussetzung beantragen kann (BGHSt aaO m.w.N.). Anderes gilt aber dann, wenn sich der Angeklagte schon vor Beginn der Hauptverhandlung unter Inanspruchnahme nur eines Verteidigers in seiner Verteidigungstaktik durch Ausarbeitung und Vorlage eines verfahrensverkürzenden Geständnisses so umfassend festgelegt, dass eine Mitwirkung des nicht geladenen, zudem als Verteidiger nicht aktiv gewordenen Rechtsanwalts den Verteidigungsinteressen des Angeklagten nicht mehr dienen und damit dessen Verteidigungschancen auch nicht mehr erhöhen konnte.
In Fällen, in denen keine Blutprobe entnommen worden ist, obliegt dem Gericht die Aufgabe, sich aufgrund aller Erkenntnismöglichkeiten im Rahmen freier Beweiswürdigung eine Überzeugung von der vom Angeklagten vor der Tat genossenen Alkoholmenge zu verschaffen. Auf dieser Grundlage ist eine Tatzeit-Blutalkoholkonzentration zu errechnen, die bei der Beurteilung des möglichen Wegfalls des Einsichts- oder Steuerungsvermögens zur Tatzeit in die erforderliche Gesamtwürdigung einzubeziehen ist (vgl. BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 22, 23; BGH StV 1993, 519). Für die Beantwortung der Frage, ob die Voraussetzungen des § 21 StGB gegeben sind, kommt es sowohl auf die Höhe der Blutalkoholkonzentration als auch auf die psychodiagnostischen Kriterien an (vgl. BGHSt 43, 66), wobei das Fehlen von Ausfallerscheinungen einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit nicht unbedingt entgegensteht (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 53. Aufl. § 20 Rdn. 24 m.w.N.).
1. Nach § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO muss jedes Strafurteil aus sich heraus verständlich sein (st. Rspr., vgl. BGHSt 30, 225, 227; 33, 59, 60; BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Bezugnahme 1). Gebotene eigene Urteilsfeststellungen oder Würdigungen dürfen nicht durch Bezugnahmen ersetzt werden, da es ansonsten sachlichrechtlich an der Möglichkeit einer Nachprüfung durch das Revisionsgericht fehlt (vgl. BGH NStZ-RR 2000, 304). Auch durch Bezugnahme auf ein eigenes früheres Urteil können die notwendigen eigenen Darlegungen im Urteil nicht ersetzt werden.
2. Die Gleichstellung eines im Mehrheitsbesitz der öffentlichen Hand befindlichen, privatrechtlich organisierten Unternehmens mit einer Behörde liegt jedenfalls dann fern, wenn ein Privater an dem Unternehmen durch seine Beteiligung über derart weitgehende Einflussmöglichkeiten verfügt, dass er wesentliche unternehmerische Entscheidungen mitbestimmen kann. Räumt der Gesellschaftsvertrag dem Privaten aufgrund der Höhe seiner Beteiligung eine "Sperrminorität" für wesentliche unternehmerische Entscheidungen ein, kann das Unternehmen nicht mehr als "verlängerter Arm" des Staates und sein Handeln damit nicht mehr als unmittelbar staatliches Handeln verstanden werden.
3. Bei der Auftragserlangung durch Bestechung im geschäftlichen Verkehr bildet der auf den Preis aufgeschlagene Betrag, der lediglich der Finanzierung des Schmiergelds dient, regelmäßig die Mindestsumme des beim Auftraggeber entstandenen Vermögensnachteils im Sinne von § 266 Abs. 1 StGB. Die Vermögensbetreuungspflicht gebietet in diesen Fällen, dass der Treupflichtige
die Möglichkeit des vorteilhaften Vertragsschlusses im Interesse des betreuten Vermögens nutzt und den Vertrag zu dem günstigeren Preis - ohne den Schmiergeldanteil - abschließt. Inwieweit andere Anbieter noch teurere Angebote eingereicht haben, bleibt demgegenüber unerheblich. Vorzuwerfen ist dem Treupflichtigen in diesen Fällen der Abschluss des um den Schmiergeldanteil überteuerten Vertrages trotz konkreter Möglichkeit eines günstigeren Abschlusses und die damit einhergehende Verlagerung der Schmiergeldzahlungen zugunsten des Geschäftsführers auf die vertretene Gesellschaft durch Vereinbarung entsprechend überhöhter Zahlungsverpflichtungen mit Dritten (vgl. BGH aaO).
§ 472 Abs. 1 Satz 1 StPO erfordert nicht, dass es zur Verurteilung wegen des Nebenklagedelikts kommt. Vielmehr liegt eine den Nebenkläger betreffende Tat stets dann vor, wenn sie denselben geschichtlichen Vorgang im Sinne des § 264 StPO betrifft, der der Nebenklage zugrunde liegt, und wenn sie sich gegen den Nebenkläger als Träger eines strafrechtlich geschützten Rechtsguts richtet (BGHSt 38, 93; BGHR StPO § 472 Nebenkläger 3).
Bleiben sowohl die Revision der Staatsanwaltschaft als auch die der Nebenklage erfolglos, so hat der Nebenkläger außer der Revisionsgebühr auch die Hälfte der gerichtlichen Auslagen zu tragen, während die durch diese beiden Revisionen verursachten notwendigen Auslagen des Angeklagten allein die Staatskasse zu tragen hat (§ 473 Abs. 2 Satz 1 StPO). Die notwendigen Auslagen des Angeklagten werden dem Nebenkläger nur dann auferlegt, wenn dieser allein erfolglos Revision eingelegt hat, nicht dagegen, wenn auch die Staatsanwaltschaft Rechtsmittelführerin ist.
1. Für die zur Rücknahme der Revision durch den Verteidiger gemäß § 302 Abs. 2 StPO erforderliche ausdrückliche Ermächtigung ist eine bestimmte Form nicht vorgeschrieben, so dass sie auch mündlich erteilt werden kann.
2. Ein Irrtum des Angeklagten über die Tragweite einer Revisionsrücknahme führt nicht zur Unwirksamkeit der Ermächtigung. Auch eine Anfechtung der Ermächtigung wegen Irrtums kommt nicht in Betracht. Zwar handelt es sich nicht um eine Prozesshandlung, doch kann auch sie im Interesse der Rechtssicherheit jedenfalls dann nicht angefochten werden, wenn der Irrtum nicht auf einer unzulässigen Willensbeeinflussung beruht.
3. Der Widerruf der Ermächtigung zur Rücknahme der Revision ist jederzeit zulässig und wird schon dann wirksam, wenn ihn der Angeklagte mündlich oder fernmündlich dem Gericht oder seinem Verteidiger gegenüber erklärt. Der Widerruf führt jedoch nur dann zur Unwirksamkeit der Rücknahmeerklärung, wenn er gegenüber dem Gericht oder dem Verteidiger erklärt worden ist, bevor die Rücknahmeerklärung bei dem Gericht eingegangen ist.
Mit den Fristenregelungen in §§ 229, 275 StPO wird den Anforderungen effektiver und fairer Strafrechtspflege mit gebotener zügiger Sachbearbeitung unter Berücksichtigung begrenzter, auf eine Fallvielzahl sachgerecht zu verteilender Justizressourcen generell sachgerecht Rechnung getragen. In ihrer Ausschöpfung wird allenfalls in außergewöhnlich gelagerten Einzelfällen eine beanstandenswerte Verfahrensverzögerung zu finden sein.