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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Februar 2006
7. Jahrgang
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1. Zur Rücknahme eines Antrags auf Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung sowie zu den Mindestanforderungen an einen solchen Antrag. (BGHR)
2. Der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung ist - insoweit vergleichbar mit einer Anklageschrift - die Grundlage für das gerichtliche Nachverfahren, in dem es um die Anordnung einer einschneidenden Maßregel geht. Er muss deshalb die Entschließung der Staatsanwaltschaft nachvollziehbar machen, die formellen Voraussetzungen der für gegeben erachteten Variante des § 66 b StGB im Einzelnen darlegen und die Behauptung enthalten, dass die materiellen Voraussetzungen der nachträglichen Sicherungsverwahrung im weiteren Verfahren festgestellt werden, dass also eine Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung während des Strafvollzugs dessen besondere Gefährlichkeit ergeben wird. (Bearbeiter)
1. Die für die Anordnung von Sicherungsverwahrung erforderliche Gefährlichkeit des Täters für die Allgemeinheit im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB ist nur gegeben, wenn die bestimmte Wahrscheinlichkeit besteht, dass er auch in Zukunft Straftaten begehen wird, die eine erhebliche Störung des Rechtsfriedens darstellen. Die bloße Feststellung, dass die Begehung solcher Straftaten "wahrscheinlich" sei, genügt nicht.
2. Für die Anordnung von Sicherungsverwahrung müssen die Gründe des Urteils jedenfalls dann im einzelnen darlegen, mit Blick auf welche Vorstrafen und Verbüßungszeiten die formellen Voraussetzungen als gegeben erachtet werden, wenn das Urteil eine Vielzahl von früheren Taten und Vorstrafen schildert und der Angeklagte mehrfach Strafhaft verbüßt hat.
1. Grundlage einer nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung können nur Tatsachen sein, die erst nach einer Verurteilung erkennbar werden und auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen. Das Verfahren nach § 66b StGB gilt insbesondere nicht der Korrektur rechtsfehlerhafter früherer Entscheidungen, die von der Staatsanwaltschaft nicht beanstandet wurden.
2. Die grundlegende Haltungsänderung des Verurteilten, der vor der Verurteilung glaubhaft schuldeinsichtig und therapiemotiviert war und nach der Verurteilung Obstruktion betrieben und den Therapieabbruch provoziert hat, kann die Voraussetzungen der erforderlichen "neuen" Tatsache erfüllen.
1. "Neue Tatsachen" im Sinne des § 66 b StGB sind nur solche, die nach der letzten Verhandlung in der Tatsacheninstanz und vor Ende des Vollzugs der verhängten Freiheitsstrafe bekannt oder erkennbar geworden sind (vgl. BGH NJW 2005, 3078, 3080; NStZ 2005, 561, 562). Umstände, die dem ersten Tatrichter bekannt waren, scheiden daher in jedem Fall aus. Aber auch Tatsachen, die ein sorgfältiger Tatrichter mit Blick auf § 244 Abs. 2 StPO hätte aufklären müssen, um entscheiden zu können, ob eine Maßregel nach §§ 63, 64, 66, 66 a StGB anzuordnen ist, waren erkennbar und sind nicht neu im Sinne des § 66 b StGB. Rechtsfehler, die durch Nichtberücksichtigung solcher Tatsachen entstanden sind, können nicht durch die Anordnung einer nachträglichen Sicherungsverwahrung korrigiert werden (BGH aaO). Eine Bewertung bereits bei der Anlassverurteilung bekannter oder erkennbarer Tatsachen stellt ebenfalls keine neue Tatsache dar (vgl. Senatsbeschluss vom 9. November 2005 - 4 StR 483/05 - zum Abdruck in BGHSt bestimmt).
2. Darüber hinaus müssen die nachträglich erkennbar gewordenen Tatsachen eine "gewisse Erheblichkeitsschwelle" überschreiten. Die Frage der Erheblichkeit der "neuen Tatsache" für die Gefährlichkeitsprognose ist eine Rechtsfrage, die vom Gericht in eigener Verantwortung ohne Bindung an die Auffassung der gehörten
Sachverständigen zu beantworten ist. Aus der Rechtsnatur der nachträglichen Sicherungsverwahrung als einer zum Strafrecht im Sinne des § 74 Abs. 1 Nr. 1 GG gehörenden Maßnahme, die an eine Straftat anknüpft und ihre sachliche Rechtfertigung auch aus der Anlasstat bezieht (vgl. BVerfGE 109, 190, Leitsatz Ziff. 1 Buchst. a) folgt, dass die Erheblichkeit der berücksichtigungsfähigen "neuen Tatsache" vor dem Hintergrund der bei der Anlassverurteilung bereits hervorgetretenen Gefährlichkeit beurteilt werden muss. Die "nova" müssen daher in einem prognoserelevanten symptomatischen Zusammenhang mit der Anlassverurteilung stehen (vgl. Senatsbeschluss aaO).
1. § 46a Nr. 1 StGB verlangt, dass der Täter im Bemühen, einen Ausgleich mit dem Opfer zu erreichen, die Tat "ganz oder zum überwiegenden Teil" wieder gutgemacht hat, wobei es aber auch ausreichend sein kann, dass der Täter dieses Ziel ernsthaft erstrebt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt dies grundsätzlich ein Bemühen des Täters um einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer voraus, der auf einen umfassenden, friedensstiftenden Ausgleich der durch die Straftat verursachten Folgen angelegt sein muss. Das einseitige Wiedergutmachungsbestreben ohne den Versuch der Einbeziehung des Opfers genügt dazu nicht (BGH NStZ 1995, 492; NJW 2001, 2557; NStZ 2002, 29).
2. Wenngleich ein "Wiedergutmachungserfolg" nicht zwingende Voraussetzung ist, so muss sich doch das Opfer auf freiwilliger Grundlage zu einem Ausgleich bereit finden und sich auf ihn einlassen. Dabei reicht aber allein die Erfüllung von Schadensersatzansprüchen nicht aus; insbesondere kann dadurch nicht das Erfordernis eines kommunikativen Prozesses zwischen Täter und Opfer ersetzt werden. Lässt sich das Tatopfer - etwa weil das Delikt oder Art und Umfang der Schädigungen ihm einen Ausgleich unmöglich machen - auf einen kommunikativen Prozess nicht ein, so ist das Verfahren für die Durchführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs nicht geeignet.
3. In gleicher Weise fehlt es an einem kommunikativen Prozess und damit an den Voraussetzungen eines Täter-Opfer-Ausgleichs, wenn das Opfer überhaupt nicht - sei es persönlich oder durch einen Vertreter bzw. Vermittler - beteiligt ist. Dass dem Opfer eine solche Beteiligung möglich gemacht wird, liegt nach der Intention der gesetzlichen Regelung im Wesentlichen im Verantwortungsbereich des Täters, das heißt, seine Bemühungen müssen naturgemäß zumindest den Versuch der Einbeziehung des Opfers in den kommunikativen Prozess enthalten.
4. Regelmäßig sind tatrichterliche Feststellungen dazu erforderlich, wie sich das Opfer zu den Bemühungen des Täters gestellt hat, wie sicher die Erfüllung einer etwaigen Schmerzensgeldzahlungsverpflichtung ist und welche Folgen diese Verpflichtung für den Täter haben wird (BGH NStZ 2002, 29; BGH, Beschluss vom 22. Januar 2002 - 1 StR 500/01).
Berufliche Konsequenzen einer strafgerichtlichen Verurteilung sind grundsätzlich als Wirkungen, die für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, bei der Strafzumessung in Betracht zu ziehen (§ 46 Abs. 1 Satz 2 StGB). Zu diesen Konsequenzen kann auch der Verlust von Ruhestandsbezügen gehören (vgl. BGH StV 1985, 454). Ob dieser Strafzumessungsgrund ausdrücklich zu nennen ist, hängt aber davon ab, ob sich seine Erörterung als bestimmender Strafzumessungsgrund aufdrängt. Dies kann vor allem dann nahe liegen, wenn durch die Verurteilung die Grundlage für die wirtschaftliche Existenz des Täters verloren geht, wie dies bei dem Verlust der Ruhestandsbezüge eines früheren Beamten der Fall sein kann (vgl. zusammenfassend BGH NStZ 1996, 539 m. w. N.).
1. Auch eine Gelegenheitstat kann eine Hang- bzw. Symptomtat sein kann. Die Anwendung des § 66 StGB ist lediglich ausgeschlossen, wenn eine äußere Tatsituation oder Augenblickserregung die Tat allein verursacht hat (vgl. BGH MDR 1980, 326, 327; BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 7).
2. Die Frage, ob das Fehlen von Darlegungen zu den Äußerungen eines Sachverständigen im Hinblick auf die zwingende Verfahrensvorschrift des § 246a StPO (vgl. BGHR StPO § 246a Satz 1 Sicherungsverwahrung 2; BGH bei Holtz MDR 1990, 97) einen auf die Sachrüge zu beachtenden Begründungsmangel darstellt, bleibt offen.
1. Zwar kann es straferschwerend wirken, wenn der Täter, auch wenn dies im Urteilstenor nicht zum Ausdruck kommt, mehrere Begehungsvarianten eines Tatbestands erfüllt (vgl. BGH NStZ 1999, 130; StV 2001, 451). Voraussetzung ist jedoch, dass hieraus auf eine erhöhte Vorwerfbarkeit zu schließen ist (vgl. BGH StV 2001, 451 f.).
2. Beruht die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit auf zu verantwortender Trunkenheit, spricht dies in der Regel gegen eine solche Strafrahmenverschiebung, wenn sich auf Grund der persönlichen oder situativen Verhältnisse des Einzelfalles das Risiko der Begehung von Straftaten vorhersehbar signifikant in Folge der Alkoholisierung erhöht hat. Ob dies der Fall ist, hat der Tatrichter in wertender Betrachtung zu bestimmen; seine Entscheidung unterliegt nur eingeschränkter revisionsgerichtlicher Überprüfung (vgl. BGHSt 49, 239 = NJW 2004, 3350).
3. Zwar kann auch dann, wenn es bei ungeschütztem Oral- bzw. Analverkehr nicht zum Samenerguss gekommen ist, die ungeschützte Vornahme solcher sexuellen Handlungen grundsätzlich strafschärfend berücksichtigt werden, wobei sich erschwerend insbesondere der Umstand auswirkt, dass eine solche Tatausführung mit der erhöhten Gefahr einer Infektion verbunden sein kann (vgl. BGHR StGB § 177 Abs. 1 Strafzumessung 14). Das Gericht muss aber die Infektionsgefahr nicht strafschärfend berücksichtigen, wenn keine konkreten Anhaltspunkte dafür bestanden, dass der Angeklagte tatsächlich unter irgendeiner ansteckenden (Geschlechts -) Krankheit leidet.