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HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 1054

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 607/24, Beschluss v. 22.01.2025, HRRS 2025 Nr. 1054


BGH 6 StR 607/24 - Beschluss vom 22. Januar 2025 (LG Nürnberg-Fürth)

Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht (Führungsaufsichtsbeschluss: Strafbewehrtheit; Abstinenzanweisung, alkoholkranke Person: Verhältnismäßigkeit).

§ 145a StGB; § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 StGB; Art. 103 Abs. 2 GG

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 10. Juli 2024 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Hausfriedensbruchs, wegen Beleidigung, wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

I.

Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Der Angeklagte begab sich am 26. Oktober 2023 in einen Supermarkt, obwohl ihm das Betreten der Räumlichkeiten durch Hausverbot untersagt war. Nach einem Hinweis des Sicherheitsmitarbeiters auf das bestehende Hausverbot bezeichnete der angetrunkene und psychomotorisch unruhige Angeklagte diesen als „Arschloch“, „Schlampensohn“ und „Wichser“. Als er von zwei Sicherheitsmitarbeitern aus dem Laden gebracht werden sollte, ergriff er eine 1,5 kg schwere Brotschaufel und holte mit dieser zum Schlag in Richtung des einen Mitarbeiters aus, wurde jedoch von dem anderen Mitarbeiter daran gehindert. Während des nachfolgenden Gerangels zog der Angeklagte an den Händen eines Mitarbeiters, was diesem Schmerzen bereitete.

2. Der Angeklagte konsumierte am 12. September und am 11. Oktober 2023 alkoholische Getränke, obwohl ihm ‒ wie er wusste ‒ mit Beschluss des Landgerichts Bayreuth vom 15. Mai 2018 „strafbewehrt jeglicher Konsum alkoholischer Getränke untersagt“ worden war.

3. Die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten war bei den Taten aufgrund einer krankhaften seelischen Störung in Gestalt einer paranoiden Schizophrenie (ICD 10 F 20.0) „zumindest erheblich eingeschränkt“.

II.

1. Der Schuldspruch wegen der am 12. September und am 11. Oktober 2023 begangenen Taten (Fall B. 2. der Urteilsgründe) hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Eine Verurteilung nach § 145a StGB setzt voraus, dass die Weisung, gegen die der Täter verstoßen hat, hinreichend bestimmt ist. In Anbetracht des Gebots aus Art. 103 Abs. 2 GG und des Umstands, dass § 68b Abs. 2 StGB auch nicht strafbewehrte Weisungen zulässt, muss sich aus dem Führungsaufsichtsbeschluss selbst ergeben, dass es sich bei der Weisung, auf deren Verletzung die Verurteilung gestützt werden soll, um eine solche gemäß § 68b Abs. 1 StGB handelt, die nach § 145a Satz 1 StGB strafbewehrt ist.

Gemessen an diesen Maßstäben sind die Urteilsfeststellungen lückenhaft. Der Führungsaufsichtsbeschluss vom 15. Mai 2018 wird in den Urteilsgründen nur auszugsweise mitgeteilt. Deshalb kann nicht abschließend geprüft werden, ob darin unmissverständlich klargestellt ist, dass die vom Angeklagten verletzte Weisung strafbewehrt ist. Ein solcher eindeutiger Hinweis ist jedoch erforderlich, damit der Führungsaufsichtsbeschluss in Ausfüllung des Blankettstraftatbestandes des § 145a Satz 1 StGB die Strafbarkeit eines Weisungsverstoßes begründen kann (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juni 2023 - 3 StR 151/23, NStZ-RR 2023, 369; Urteil vom 2. März 2023 - 4 StR 312/22, StV 2023, 529, Rn. 17; Beschluss vom 11. Mai 2021 - 5 StR 106/21). Die eigene Bewertung der Strafkammer, dass dem Angeklagten „strafbewehrt“ jeglicher Konsum alkoholischer Getränke untersagt worden sei, kann die notwendige Feststellung nicht ersetzen.

b) Zudem bestehen Zweifel an der Verhältnismäßigkeit und damit der Rechtmäßigkeit der Abstinenzweisung, weil die Urteilsfeststellungen nahelegen, dass der Angeklagte alkoholkrank ist. Die Rechtmäßigkeit einer strafbewehrten Weisung nach § 68b Abs. 1 StGB ist Voraussetzung für eine Strafbarkeit; sie muss sich daher aus den Urteilsgründen in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise erkennen lassen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. September 2024 - 3 StR 250/24; vom 25. Februar 2020 - 4 StR 590/19, NStZ 2020, 480, Rn. 4; vom 11. Februar 2016 - 2 StR 512/15, BGHR StGB § 145a Bestimmtheit 2 Rn. 8). Zwar ist eine Abstinenzweisung gemäß § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 StGB gegenüber Alkoholabhängigen nicht ausnahmslos unzulässig; vielfach aber stellt sie unzumutbare Anforderungen an den Betroffenen, sofern dieser aufgrund einer Suchterkrankung seinem Konsumverlangen nicht widerstehen kann. In einer solchen Konstellation ist eine Weisung während der Führungsaufsicht, keinen Alkohol zu konsumieren, wenn auch nicht stets, so aber doch in der Regel unverhältnismäßig (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. März 2016 - 2 BvR 496/12, NJW 2016, 2170, Rn. 25 f.; BGH, Beschlüsse vom 18. September 2024 - 3 StR 250/24; vom 28. Juni 2023 - 3 StR 151/23, NStZ-RR 2023, 369).

Ob ein solcher Fall hier vorliegt, lässt sich anhand der auch insoweit lückenhaften Urteilsgründe nicht überprüfen. Diese erschöpfen sich in dem Hinweis, dass der Angeklagte seit seiner Ankunft in Deutschland in schädlicher Menge Alkohol trinkt und deswegen auch schon im Bezirkskrankenhaus Erlangen behandelt werden musste.

c) Ferner ist beweiswürdigend nicht belegt, dass der Angeklagte am 12. September und am 11. Oktober 2023 noch unter Führungsaufsicht stand. Zwar weist die Strafkammer darauf hin, dass die Führungsaufsicht nach vollständiger Verbüßung der Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Fürth vom 9. Juni 2016 nach § 68f StGB mit der Entlassung am 13. Juli 2018 begonnen habe und am 8. Juni 2026 ende. Worauf diese Feststellungen beruhen, teilt das Landgericht jedoch nicht mit. Gerade angesichts des Umstandes, dass der Angeklagte etwaige Verstöße erst nach Ablauf der regulären Höchstfrist von fünf Jahren (§ 68c Abs. 1 Satz 1 StGB) beging, wäre eine eingehende Erörterung erforderlich gewesen.

d) Schließlich sind die Ausführungen des Landgerichts zu den Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB unklar. Einerseits weist die Strafkammer im Rahmen der Beweiswürdigung und der rechtlichen Bewertung darauf hin, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei den Anlasstaten „erheblich eingeschränkt“ gewesen sei und das Vorliegen der Voraussetzungen des § 20 StGB „ausgeschlossen“ werden könne. Hingegen stellt es im Zusammenhang mit den einzelnen Taten fest, dass die Steuerungsfähigkeit auf Grund einer krankhaften seelischen Störung in Gestalt einer paranoiden Schizophrenie (ICD-10 F 20.0) „zumindest“ erheblich eingeschränkt gewesen sei und der Angeklagte die Taten vom 26. Oktober 2023 „mit natürlichem Vorsatz“ begangen habe, was auf Schuldunfähigkeit hindeuten könnte (vgl. zu diesem Terminus: BGH, Urteil vom 11. November 1952 - 1 StR 510/52, BGHSt 3, 287; MüKo-StGB/Streng, 5. Aufl., § 20 Rn. 138; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 7. Aufl., Rn. 405).

2. Angesichts der unklaren Ausführungen zur Schuldfähigkeit des Angeklagten hat auch die Verurteilung wegen der am 26. Oktober 2023 begangenen Taten (Fall B. 1. der Urteilsgründe) keinen Bestand.

3. Um der zur neuen Entscheidung berufenen Strafkammer insgesamt widerspruchsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen, hebt der Senat sämtliche Feststellungen auf (§ 353 Abs. 2 StPO). Damit ist auch der Maßregelanordnung nach § 63 StGB die Grundlage entzogen.

4. Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass die Maßregelanordnung nach § 63 StGB auch für sich genommen revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht standgehalten hätte, weil die Strafkammer den erforderlichen symptomatischen Zusammenhang zwischen der Erkrankung des Angeklagten und der Anlasstat nicht ausreichend dargelegt hat.

Bei der Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB ist im Einzelnen zu prüfen und darzustellen, wie sich eine festgestellte, einem Merkmal der §§ 20, 21 StGB unterfallende Erkrankung in der jeweiligen Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf den entsprechenden psychischen Zustand zurückzuführen sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Juli 2023 - 2 StR 58/22, NStZ-RR 2023, 306; vom 1. Juni 2017 - 2 StR 57/17, StV 2019, 235; vom 16. März 2017 - 4 StR 11/17). Insoweit ist insbesondere zu erörtern, ob in der Person des Beschuldigten oder in seinen Taten letztlich nicht nur Eigenschaften und Verhaltensweisen hervortreten, die sich im Rahmen dessen halten, was bei schuldfähigen Menschen anzutreffen und übliche Ursache für strafbares Verhalten ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Juli 2023 - 2 StR 58/22, aaO; vom 23. Juni 2020 - 3 StR 95/20, NStZ-RR 2020, 337).

Allein die allgemeine Diagnose einer paranoiden Schizophrenie kann die erforderlichen Feststellungen nicht ersetzen. Die weiteren im aufgehobenen Urteil genannten Umstände sind nur von begrenzter Aussagekraft und nicht eindeutig. Dies gilt namentlich für die auf den Angaben der Sicherheitsmitarbeiter beruhende Beschreibung, der Angeklagte habe sich „in einem Zustand hoher psychomotorischer Unruhe befunden“ und sei „gleichzeitig nicht ansprachefähig“ gewesen. Dabei wird nicht erkennbar erwogen, dass das unruhige Verhalten möglicherweise auch Folge des Konfliktes mit den Sicherheitsmitarbeitern war und die fehlende Absprachefähigkeit gegebenenfalls auf seinen unzureichendenDeutschkenntnissen beruhte. Soweit die Strafkammer im Anschluss an den Sachverständigen zu dem Ergebnis gelangte, dass die Wahnvorstellungen des Angeklagten für die Anlasstat „handlungsbestimmend“ gewesen seien, fehlt es zudem schon an der konkreten Darstellung einzelner Wahnideen.

HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 1054

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede