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HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 1053

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 569/24, Beschluss v. 23.01.2025, HRRS 2025 Nr. 1053


BGH 6 StR 569/24 - Beschluss vom 23. Januar 2025 (LG Braunschweig)

Besonders schwerer Raub (finale Verknüpfung von Nötigungsmittel und rechtswidriger Vermögensverfügung); Adhäsionsverfahren (Entscheidung über den Antrag im Strafurteil, lex specialis: Anerkenntnis).

§ 250 Abs. 2 Nr. 3 StGB; § 406 Abs. 2 StPO

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 18. Juli 2024 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben

a) im Fall 1 der Urteilsgründe,

b) in den Aussprüchen über

aa) die Gesamtstrafe,

bb) die Einziehung und

cc) den Adhäsionsantrag mit Ausnahme der Entscheidung über das Schmerzensgeld.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (Fall 1 der Urteilsgründe) sowie wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung (Fall 2 der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt; zudem hat es eine Einziehungsund eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Der (tateinheitliche) Schuldspruch wegen besonders schweren Raubes im Fall 1 der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Nach den Feststellungen traf der alkoholisierte und unter dem Einfluss einer unbekannten Menge Tilidin und Kokain stehende Angeklagte zufällig den Nebenkläger, mit dem er eng befreundet war. Er begrüßte ihn freundlich und begleitete ihn. Unvermittelt und ohne äußeren Anlass geriet der Angeklagte in Wut, packte den Nebenkläger an Hals und Hosenbund und zerrte ihn in einen nahegelegenen Park. Dort riss er ihn zu Boden. Er warf ihm vor, „schlecht über ihn zu reden“ und mit der Polizei zu seinem Nachteil zusammenzuarbeiten. Sodann schlug und trat er mehrfach kraftvoll gegen den Kopf und den linken unteren Rippenbogen des Nebenklägers, um ihn zu erniedrigen. Anschließend riss er dem weiterhin am Boden liegenden Nebenkläger eine Goldkette vom Hals und eine Uhr vom Arm; ferner nahm er eine während der vorangegangenen Misshandlungen zu Boden gefallene Sonnenbrille des Geschädigten sowie Geld aus dessen Portemonnaie an sich, um die Sachen für sich zu behalten. Der Nebenkläger ließ die Wegnahme der Gegenstände vor dem Hintergrund der vorangegangenen Gewalttätigkeiten geschehen; dies wollte der Angeklagte. Durch die Schläge und Tritte erlitt der Nebenkläger eine Rippenserienfraktur links, einen hierdurch ausgelösten Spannungs-Pneumothorax, eine Fraktur des linken Augenhöhlenbodens sowie einen Bruch des linken Handgelenks. Aufgrund des durch die Rippenserienfraktur ausgelösten Pneumothorax bestand Lebensgefahr. Der Nebenkläger wurde sechs Tage stationär behandelt, leidet nach wie vor unter Schmerzen und ist in der Bewegung seines linken Armes eingeschränkt.

b) Diese Feststellungen ergeben nicht, dass der Angeklagte den Nebenkläger bei der Tat körperlich schwer misshandelt (vgl. § 250 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a StGB) oder durch die Tat in die Gefahr des Todes (vgl. § 250 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b StGB) gebracht hat.

aa) Die Qualifikation des § 250 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a StGB erfordert eine schwere körperliche Misshandlung bei der Tat. Das Tatbestandsmerkmal „bei der Tat“ bezieht sich auf die finale Verknüpfung von Nötigungsmittel und rechtswidriger Vermögensverfügung, durch die die Raubdelikte geprägt sind. Zwischen der Drohung mit oder dem Einsatz von Gewalt und der Wegnahme beim Raub muss eine finale Verknüpfung bestehen; Gewalt oder Drohung müssen das Mittel zur Ermöglichung der Wegnahme sein. An dem tatbestandlich vorausgesetzten Finalzusammenhang fehlt es, wenn die Drohung oder die Gewalt nicht als Nötigungsmittel zum Zweck der Wegnahme eingesetzt wird, sondern der Täter den Entschluss zur Wegnahme erst nach Abschluss dieser Handlung fasst (vgl. BGH, Urteil vom 20. April 1995 - 4 StR 27/95, BGHSt 41, 123, 124; Beschlüsse vom 20. März 2024 - 6 StR 572/23, StV 2024, 505, 506; vom 18. Februar 2014 - 5 StR 41/14, NStZ 2015, 156). Der Qualifikationstatbestand ist daher nur erfüllt, wenn die schwere körperliche Misshandlung zur Duldung der Wegnahme oder zumindest zur Beutesicherung verübt wird. Ein schlichter räumlich-zeitlicher Zusammenhang zwischen einem Raub und einer schweren Misshandlung genügt hingegen nicht. Es reicht daher weder aus, dass die schwere Misshandlung dem Raub unmittelbar nachfolgt, noch dass sie ‒ wie hier ‒ dem Raub unmittelbar vorausgeht (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Juni 2015 ‒ 3 StR 193/15, NStZ-RR 2015, 277; Urteil vom 25. März 2009 ‒ 5 StR 31/09, BGHSt 53, 234, 236).

bb) Den Feststellungen ist auch unter Berücksichtigung ihres Zusammenhangs nicht zu entnehmen, dass der Angeklagte die Tritte gegen Kopf und Oberkörper des Nebenklägers, die erhebliche und mit einer Lebensgefahr verbundene Verletzungen zur Folge hatten, als Mittel der Wegnahme eingesetzt hat. Sie ergeben, dass der Angeklagte den Nebenkläger massiv misshandelte, um ihn zu erniedrigen. Weiterhin ist festgestellt, dass der Nebenkläger die Wegnahme der Wertgegenstände vor dem Hintergrund der vorangegangenen Gewalttätigkeiten des Angeklagten duldete, der Angeklagte die Wirkung der zuvor ‒ ohne Wegnahmeabsicht ‒ angewendeten massiven körperlichen Gewalt bewusst als aktuelle Drohung mit erneuter Gewaltanwendung einsetzte und konkludent eine Wiederholung der Gewalthandlungen für den Fall des Widerstands in Aussicht stellte (vgl. BGH, Urteil vom 3. März 2021 ‒ 2 StR 170/20, Rn. 19). Mittel des Raubes war danach die konkludente Drohung mit erneuter Gewalt und nicht die zur Annahme der schweren Misshandlung im Sinne des § 250 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a StGB herangezogenen massiven Schläge und Tritte gegen Kopf und Oberkörper des Nebenklägers.

cc) Die Feststellungen ergeben auch nicht, dass der Angeklagte durch die Tat eine konkrete Gefahr des Todes im Sinne des § 250 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b StGB herbeigeführt hat. Insoweit gelten die Ausführungen zu § 250 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a StGB entsprechend.

2. Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen besonders schweren Raubes zieht die Aufhebung der hiermit in Tateinheit (§ 52 Abs. 1 StGB) stehenden Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung nach sich, die - jedenfalls mit Blick auf § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB - aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts konkurrenzrechtlichen Bedenken begegnet. Darüber hinaus entzieht sie dem Gesamtstrafausspruch und der Einziehungsanordnung die Grundlage. Um dem neuen Tatgericht widerspruchsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen, hebt der Senat auch die zugehörigen Feststellungen auf (§ 353 Abs. 2 StPO).

3. Dies führt zudem zur Aufhebung des Adhäsionsausspruchs mit Ausnahme des Ausspruchs über das zugesprochene Schmerzensgeld. Der Angeklagte hat die Schmerzensgeldforderung anerkannt. Zwar sieht § 406 Abs. 1 Satz 1 StPO vor, dass einem Adhäsionsantrag nur stattzugeben ist, wenn der Angeklagte wegen einer Straftat schuldig gesprochen oder gegen ihn eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet wird. Abweichend davon bestimmt jedoch § 406 Abs. 2 StPO als lex specialis (vgl. LR-StPO/Wenske, 27. Aufl., § 406 Rn. 50 ff.; Schmitt/Köhler, StPO, 68. Aufl., § 406 Rn. 4), dass der Angeklagte unabhängig von den vorgenannten Voraussetzungen zu verurteilen ist, wenn er - wie hier hinsichtlich der Schmerzensgeldforderung - den geltend gemachten Anspruch ganz oder teilweise anerkannt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 7. November 2018 - 4 StR 353/18, Rn. 7).

4. Sollte das neue Tatgericht zur Annahme der Voraussetzungen der §§ 249, 250 Abs. 2 Nr. 3 StGB gelangen, wird es zu bedenken haben, dass die Vorschrift des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB gegenüber § 250 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b StGB zurücktritt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Juli 2004 ‒ 2 StR 170/04; vom 26. November 2012 ‒ 5 StR 541/12). Demgegenüber käme die vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift angeregte Umstellung des Schuldspruchs auf Körperverletzung (§ 223 StGB) auch dann in Betracht, wenn das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht die Voraussetzungen des § 250 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a StGB bejahen sollte. Zwar tritt § 223 StGB hinter diese Qualifikation zurück (vgl. Fischer, StGB, 72. Aufl., § 250 Rn. 30; MüKo-StGB/Sander, 4. Aufl., § 250 Rn. 74; vgl. auch BGH, Beschluss vom 12. August 2005 - 2 StR 317/05, NStZ 2006, 449), so dass die massiven Tritte und Schläge gegen Kopf und Oberkörper des Geschädigten insoweit nicht herangezogen werden könnten. Der Angeklagte misshandelte den Nebenkläger aber nach dem Eingreifen eines Dritten erneut, indem er ihn mehrfach „mäßig in die Seite trat“, so dass die Annahme einer Körperverletzung in Betracht kommt.

Ferner wird das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht näher als bisher geschehen zu prüfen und in den Urteilsgründen nachvollziehbar zu belegen haben, dass der Angeklagte die von § 250 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b StGB vorausgesetzte konkrete Todesgefahr vorsätzlich herbeigeführt hat (vgl. zu diesem Erfordernis BGH, Beschluss vom 23. Juli 2004 - 2 StR 101/04, Rn. 3, NStZ 2005, 156, 157; MüKo-StGB/Sander, aaO § 250 Rn. 67). Dies versteht sich unter Berücksichtigung des Umstands, dass das Hemmungsvermögen des Angeklagten zur Tatzeit aufgrund einer Mischintoxikation im Sinne des § 21 StGB eingeschränkt war und er sich spontan zur Tatbegehung entschloss, nicht von selbst und bedarf daher näherer Erörterung.

HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 1053

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede