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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 27/95, Urteil v. 20.04.1995, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 4 StR 27/95 - Urteil vom 20. April 1995 (LG Stralsund)

BGHSt 41, 123; Voraussetzungen einer "Dreieckserpressung"; Abgrenzung zwischen Raub und (räuberischer) Erpressung nach dem äußeren Erscheinungsbild (Raub als Sonderfall der Erpressung; Entbehrlichkeit der Vermögensverfügung).

§ 249 StGB; § 253 StGB; § 255 StGB

Leitsätze

1. Eine "Dreieckserpressung" setzt ein Näheverhältnis zwischen dem Nötigungsopfer und dem in seinem Vermögen Geschädigten voraus; der Genötigte muss die Vermögensinteressen des Geschädigten wahrnehmen wollen. (BGHSt)

2. Der Raub ist ein Sonderfall der Erpressung (vgl. BGHSt 14, 386, 390). Wie in Fällen, in denen das Nötigungsopfer zugleich der Vermögensinhaber ist (vgl. hierzu BGHSt 7, 252, 254), richtet sich auch bei der Nötigung eines schutzbereiten Dritten die Zuordnung zu den Tatbeständen der Erpressung oder des Raubes nach dem äußeren Erscheinungsbild der Tat. Wird der schutzbereite Dritte vom Täter mit Gewalt oder gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben gezwungen, die Wegnahme der Sache durch den Täter selbst oder ein auf dessen Seite stehendes Werkzeug zu dulden, so liegt Raub vor (vgl. BGHSt 3, 297, 299); wird er dagegen nicht nur zur Duldung, sondern zur Vornahme einer vermögensschädigenden Handlung gezwungen, so ist eine räuberische Erpressung anzunehmen. (Bearbeiter)

Entscheidungstenor

I. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stralsund vom 7. September 1994 in den Schuldsprüchen dahin geändert, daß der Angeklagte O. des versuchten Totschlags, des schweren Raubes und der schweren räuberischen Erpressung in drei Fällen, der Angeklagte T. der vorsätzlichen Körperverletzung in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Nötigung, und der schweren räuberischen Erpressung schuldig ist.

II. Die weiter gehenden Revisionen werden verworfen.

III. Die Angeklagten haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten O. wegen versuchten Totschlags, ferner wegen schweren Raubes und schwerer räuberischer Erpressung in jeweils zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren, den Angeklagten T. unter Freisprechung im übrigen wegen schweren Raubes und vorsätzlicher Körperverletzung in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Nötigung, zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Mit ihren Rechtsmitteln beanstanden die Angeklagten das Verfahren und rügen die Verletzung sachlichen Rechts.

Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Verfahrensrügen hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten aufgedeckt; insoweit wird auf die Ausführungen des Generalbundesanwalts in den Antragsschriften vom 16. Januar 1995 Bezug genommen.

Die Sachrügen sind ebenfalls unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO, soweit sie sich gegen die Schuldsprüche in den Fällen II 1 und II 3 bis 8 der Urteilsgründe richten. Der Erörterung bedarf aber, ob die Angeklagten im Fall II 2 wegen schwerer räuberischer Erpressung oder wegen Nötigung in Tateinheit mit Diebstahl in mittelbarer Täterschaft anstelle des vom Landgericht angenommenen schweren Raubes zu bestrafen sind.

1. Nach den insoweit vom Landgericht getroffenen Feststellungen suchten die Angeklagten eine Auseinandersetzung mit A. R. Während der Angeklagte T. dabei u.a. die Überlassung von Geld oder anderen verwertbaren Gegenständen des R. anstrebte, ging es dem Angeklagten O. darum, R. wegen vorangegangener Auseinandersetzungen zwischen diesem und seiner, des Angeklagten O., derzeitigen Lebensgefährtin S. R. zur Rede zu stellen. Als O. den R. mit einem Stilett bedrohte, erklärte dieser, vor dem Messer keine Angst zu haben. "Wegen dieser Äußerung R.'s und wegen der zwischen A. und S. R. aufgetretenen Probleme geriet O. in immer stärkerem Maß in Wut und Erregung" und stach ihm mit einem Messer in den Bauch. R. sank daraufhin zu Boden. "In dem Bewußtsein, daß die vorangegangene Gewaltanwendung, der Messerstich von O. gegen R., nachhaltigen Eindruck auf T. K., die Lebensgefährtin des R., machen würde, forderte T. diese nunmehr auf, dem am Boden liegenden R. die Uhr vom Handgelenk zu nehmen und an ihn zu übergeben. Das nahm auch der Angeklagte O. wahr. Er billigte das Vorhaben des Angeklagten T. und machte es sich zu eigen. Auch er wollte seinen vorangegangenen Messerstich nunmehr auch so für sich nutzen. Noch unter diesem Eindruck stehend, nahm T. K. R. die Uhr vom Arm und übergab sie an T." (UA 8). Anschließend verließen die Angeklagten unter Mitnahme der Armbanduhr die Wohnung.

2. Der vom Landgericht - ohne nähere Ausführungen - bejahte Tatbestand des schweren Raubes wird weder durch die gegen A. R. als Eigentümer der Uhr noch durch die gegen T. K. als "schutzbereite Dritte" gerichteten Nötigungshandlungen des Angeklagten erfüllt.

a) Soweit A. R. als Opfer der Nötigung in Betracht kommt, fehlt es an der für § 249 StGB erforderlichen finalen Verknüpfung zwischen Gewalt und Wegnahme (vgl. BGHR StGB § 249 Abs. 1 Gewalt 3 und 5).

Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils hat der Angeklagte O. den Messerstich aus Verärgerung über vorangegangenes Verhalten des Opfers geführt, nicht aber um dem Geschädigten mitnehmenswerte Gegenstände wegzunehmen. Zu dem Zeitpunkt, als T. - im Einvernehmen mit O. - den Wegnahmevorsatz faßte, war die Gewalthandlung bereits abgeschlossen; selbst wenn die Nötigungswirkung noch fortdauerte, weil das Opfer infolge seiner Verletzungen zu körperlicher Gegenwehr nicht in der Lage war, reichte dies hier zur Tatbestandsverwirklichung nicht aus (vgl. BGHSt 32, 88, 92).

Zwar kann Raub auch dann vorliegen, wenn die Gewaltanwendung zum Zeitpunkt des Wegnahmeentschlusses als aktuelle Drohung erneuter Gewaltanwendung fortwirkt, der Täter diese Situation erkennt und bewußt zum Zwecke der Wegnahme ausnutzt (BGH NStZ 1982, 380, 381). In bezug auf R. ist eine solche konkludente Drohung den Urteilsgründen aber nicht zu entnehmen. Naheliegend bedurfte es ihrer nicht, weil das Opfer bereits widerstandsunfähig, möglicherweise sogar bewußtlos war.

b) Allerdings richtete sich eine - stillschweigende - Drohung mit weiteren Gewalttätigkeiten gegen die erst nach dem Messerstich hinzukommende T. K., um diese zur Wegnahme der Uhr des A. R. und deren Übergabe an den Angeklagten zu zwingen.

Die Nötigung zur Wegnahme von Gegenständen, die im Eigentum eines Dritten stehen, kann - je nach den Umständen des Einzelfalles - die Tatbestände der Nötigung in Tateinheit mit Anstiftung zum Diebstahl oder Diebstahl in mittelbarer Täterschaft, der (räuberischen) Erpressung oder - als lex specialis der räuberischen Erpressung - des Raubes erfüllen. Hier ist sie als schwere räuberische Erpressung zu werten.

aa) Der Tatbestand der Erpressung schützt sowohl das Vermögen als auch die Willensfreiheit (BGHR StGB § 253 Abs. 1 Konkurrenzen 2). Aus dem Umstand, daß die Träger dieser beiden Rechtsgüter nicht identisch sein müssen, ergibt sich die Möglichkeit der "Dreieckserpressung". Obwohl vom Wortlaut der Norm gedeckt, reicht es hierfür jedoch nicht aus, daß zwischen der abgenötigten Handlung, Duldung oder Unterlassung und dem bei einem Dritten eintretenden Vermögensschaden überhaupt eine kausale Verknüpfung besteht (so wohl noch Bindung, Lehrbuch des gemeinen deutschen Strafrechts I S. 376); vielmehr bedarf der weit gefaßte Tatbestand der Erpressung insoweit einer einschränkenden Auslegung unter Rückgriff auf den Wesensgehalt der Norm.

Erpressung bedeutet die erzwungene Preisgabe von eigenen oder fremden Vermögenswerten, deren Schutz der Genötigte wahrnehmen kann und will. Allerdings braucht diese Preisgabe - anders als beim Betrug - nicht in Form einer Vermögensverfügung zu erfolgen (vgl. BGHSt 7, 252, 254; 14, 386, 390; 25, 224, 228; Arzt, Strafrecht B.T. LH 3 Rdn. 357; Schünemann JA 1980, 486, 489; a.A. die wohl überwiegende Meinung im Schrifttum; vgl. insoweit Herdegen in LK StGB 11. Aufl. § 249 Rdn. 23 Fn. 12 und die Nachweise bei Röckrath, Die Zurechnung von Dritthandlungen bei der Dreieckserpressung, 1991 S. 43 ff.). Eine Dreieckserpressung setzt daher weder eine rechtliche Verfügungsmacht noch eine tatsächliche Herrschaftsgewalt des Genötigten über die fremden Vermögensgegenstände im Sinne einer Gewahrsamsdienerschaft voraus (so aber Schröder ZStW 60, 79, 97 f.; vgl. auch Herdegen aaO § 253 Rdn. 35). Dennoch kann nicht jedes einem Dritten abgenötigte vermögensschädigende Verhalten eine Strafbarkeit wegen Erpressung begründen; vielmehr muß zwischen dem Genötigten und dem in seinem Vermögen Geschädigten ein Näheverhältnis dergestalt bestehen, daß das Nötigungsopfer spätestens im Zeitpunkt der Tatbegehung auf der Seite des Vermögensinhabers steht. Gerade darin, daß der Täter die von einem Dritten im Interesse des Vermögensinhabers wahrgenommene Schutzfunktion mit Nötigungsmitteln aufhebt, liegt der Unrechtsgehalt der Dreieckserpressung (so im Ergebnis auch Rengier JZ 1985, 565, 568; Schünemann aaO). Steht der Dritte, den der Täter in Bereicherungsabsicht zur Wegnahme zwingt, den Vermögensinteressen des Geschädigten hingegen gleichgültig gegenüber, so ist er lediglich wegen Nötigung in Tateinheit mit Anstiftung zum Diebstahl oder Diebstahl in mittelbarer Täterschaft zu bestrafen.

Letzteres trifft hier indes nicht zu. Zwar befand sich die von A. R. am Körper getragene Armbanduhr weder tatsächlich in der Obhut der T. K., noch durfte diese rechtlich darüber verfügen. Es ist jedoch davon auszugehen, daß sie ohne die stillschweigende Drohung mit erneutem Einsatz des Messers im Tatzeitpunkt zum Schutze der persönlichen Habe ihres Lebensgefährten bereit gewesen wäre. Dies reicht für das aus dem Normzweck der §§ 253, 255 StGB herzuleitende Näheverhältnis aus.

bb) Ein Raub als Sonderfall der Erpressung (vgl. BGHSt 14, 386, 390) kommt hier nicht in Betracht, weil die Angeklagten T. K. zu einer eigenen Mitwirkung an dem Besitzwechsel der A. R. gehörenden Uhr gezwungen haben. Wie in Fällen, in denen das Nötigungsopfer zugleich der Vermögensinhaber ist (vgl. hierzu BGHSt 7, 252, 254), richtet sich auch bei der Nötigung eines schutzbereiten Dritten die Zuordnung zu den Tatbeständen der Erpressung oder des Raubes nach dem äußeren Erscheinungsbild der Tat. Wird der schutzbereite Dritte vom Täter mit Gewalt oder gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben gezwungen, die Wegnahme der Sache durch den Täter selbst oder ein auf dessen Seite stehendes Werkzeug zu dulden, so liegt Raub vor (vgl. BGHSt 3, 297, 299; Dreher/Tröndle StGB 47. Aufl. § 249 Rdn. 3; Herdegen aaO § 249 Rdn. 3); wird er dagegen nicht nur zur Duldung, sondern - wie hier - zur Vornahme einer vermögensschädigenden Handlung gezwungen, so ist eine räuberische Erpressung anzunehmen.

3. Da der Unrechtsgehalt des schweren Raubes dem der schweren räuberischen Erpressung weitgehend entspricht, schließt der Senat aus, daß das Landgericht bei zutreffender rechtlicher Bewertung im Fall II 2 auf andere Einzelstrafen erkannt hätte.

Externe Fundstellen: BGHSt 41, 123; NJW 1995, 2799; NStZ 1995, 498; StV 1995, 416

Bearbeiter: Rocco Beck