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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1088

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 260/24, Beschluss v. 26.06.2024, HRRS 2024 Nr. 1088


BGH 6 StR 260/24 - Beschluss vom 26. Juni 2024 (LG Nürnberg-Fürth)

Nachträgliche Bildung der Gesamtstrafe (unvollständige Feststellungen).

§ 55 Abs. 1 StGB

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 20. Februar 2024 im Ausspruch über die Gesamtstrafe aufgehoben. Die Entscheidung hierüber und über die Kosten des Rechtsmittels ist nach §§ 460, 462 StPO zu treffen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung in zwei Fällen unter Einbeziehung einer durch Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 27. April 2023 verhängten Freiheitsstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Der Gesamtstrafenausspruch unterliegt der Aufhebung, weil der Senat anhand der unvollständigen Feststellungen zu der erst am 18. November 2021 rechtskräftig gewordenen Verurteilung durch das Amtsgericht Hersbruck vom 30. März 2021 nicht überprüfen kann, ob hinsichtlich der Verurteilung durch das Amtsgericht Nürnberg vom 27. April 2023 und den verfahrensgegenständlichen Taten eine Gesamtstrafenlage im Sinne von § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB bestand.

a) Wurden die neu abzuurteilenden Taten zwischen zwei früheren Verurteilungen begangen, die untereinander nach § 55 StGB gesamtstrafenfähig sind, darf aus den Strafen für die neu abgeurteilten Taten und der Strafe aus der letzten Verurteilung keine Gesamtstrafe gebildet werden. Dieser kommt, weil die seinerzeit abgeurteilten Taten bereits in dem früheren Erkenntnis hätten geahndet werden können, gesamtstrafenrechtlich keine eigenständige Bedeutung zu. Dies gilt unabhängig davon, ob eine nachträgliche Gesamtstrafe tatsächlich gebildet wurde oder im Verfahren nach § 460 StPO noch nachgeholt werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 1. April 2020 ? 1 StR 615/19, NStZ 2021, 36 mwN). Die Zäsurwirkung der ersten Verurteilung entfiele nur, wenn die ihr zugrundeliegende Strafe bereits vor der zweiten Verurteilung - etwa infolge vollständiger Vollstreckung - erledigt gewesen sein sollte (vgl. BGH, Beschluss vom 27. September 2022 - 4 StR 321/22).

b) Die Strafkammer hat bei der Gesamtstrafenbildung nicht erkennbar berücksichtigt, dass die Entscheidung des Amtsgerichts Hersbruck vom 30. März 2021, mit der gegen den Angeklagten auf eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten erkannt worden war, erst am 18. November 2021 rechtskräftig wurde. Sollte in dem Verfahren eine Berufungsentscheidung ergangen sein, die jedenfalls teilweise die Schuld- oder Straffrage betraf, bestimmte sich danach der Zeitpunkt einer dieser Verurteilung zukommenden Zäsurwirkung (§ 55 Abs. 1 Satz 2 StGB; vgl. BGH, Beschluss vom 8. Juni 2016 - 4 StR 73/16, NStZ-RR 2016, 275, 276 mwN).

Da die durch das Amtsgericht Nürnberg vom 27. April 2023 geahndete Tat am 29. Juli 2021 begangen wurde, mithin gegebenenfalls vor der Sachentscheidung über eine Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Hersbruck, wären beide Strafen gesamtstrafenfähig. Demgegenüber wurden die im angefochtenen Urteil abgeurteilten Taten erst am 3. Dezember 2021 und am 9. Januar 2022 begangen, so dass eine nachträgliche Gesamtstrafe unter Einbeziehung der Verurteilung durch das Amtsgericht Nürnberg vom 27. April 2023 nicht in Betracht gekommen wäre.

2. Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Angeklagte durch die unterbliebene Bildung einer Gesamtstrafe aus den beiden Verurteilungen der Amtsgerichte Hersbruck (Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten) und Nürnberg (Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten) benachteiligt ist. Er macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 1b StPO Gebrauch (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. Oktober 2004 - 5 StR 430/04, NStZ 2005, 163, und vom 12. September 2019 - 4 StR 40/19 Rn. 14). Aufgrund des Verböserungsverbots (§ 358 Abs. 2 StPO) dürfen etwa neu zu bildende Gesamtstrafen die Summe der aufgehobenen Gesamtstrafe und der möglicherweise rechtsfehlerhaft nicht einbezogenen Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Hersbruck vom 30. März 2021 nicht überschreiten (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 2024 - 4 StR 378/23). Mit der abschließenden Sachentscheidung ist auch über die Kosten des Rechtsmittels zu befinden (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Januar 2022 - 6 StR 469/21).

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1088

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede