HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 579
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 378/23, Beschluss v. 17.01.2024, HRRS 2024 Nr. 579
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 24. Oktober 2022 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen Subventionsbetrugs in vier Fällen unter Auflösung der Gesamtstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Dorsten vom 20. Mai 2020 und unter Einbeziehung der darin verhängten Einzelstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren sowie wegen vorsätzlichen Subventionsbetrugs in sechs Fällen zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Ferner hat es eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
1. Die Verfahrensrüge hat aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Erfolg.
2. Die sachlich-rechtliche Überprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch und zum Einziehungsausspruch keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben. Jedoch kann der Strafausspruch nicht bestehen bleiben.
a) Das Landgericht hat seiner Strafzumessung in allen Fällen den Sonderstrafrahmen des § 264 Abs. 2 Satz 1 StGB zugrunde gelegt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass sämtliche Taten als unbenannte besonders schwere Fälle im Sinne dieser Norm anzusehen seien, weil der Angeklagte „ein unbürokratisches staatliches Angebot zur Rettung kleiner Wirtschaftsteilnehmer in einer in der Nachkriegszeit beispiellosen nationalen Notlage durch die Pandemie ausgenutzt“ habe, um sich eine fortlaufende Einnahmequelle zu verschaffen; er habe zehn Anträge gestellt und durch drei bewilligte Anträge „umfangreiche finanzielle Mittel in Höhe von 27.000 Euro generiert“. Bei der Strafzumessung im engeren Sinne hat es beide Gesichtspunkte bei der Bemessung sämtlicher Einzelstrafen mit vollem Gewicht als Straferschwerungsgrund eingestellt. Dies ist rechtlich durchgreifend bedenklich. Das Landgericht hat nicht erkennbar bedacht, dass Umstände, die zur Begründung der Rahmenwahl herangezogen worden sind, nicht ohne Weiteres und mit vollem Gewicht auch bei der Strafzumessung im engeren Sinne berücksichtigt werden dürfen. Unter den hier gegebenen Umständen liegt hierin ein Verstoß gegen den Rechtsgedanken des § 46 Abs. 3 StGB, wonach Strafzumessungstatsachen nicht ohne Abstriche bei der Rahmenwahl und der Strafzumessung im engeren Sinne herangezogen werden dürfen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. April 2004 ? 3 StR 113/04 Rn. 2; Beschluss vom 18. Oktober 1982 ? 3 StR 353/82 Rn. 2; siehe aber auch BGH, Urteil vom 18. April 1978 - 5 StR 692/77 Rn. 8; Urteil vom 5. Juli 1984 ? 4 StR 255/84; Wiedner in BeckOK-StPO, 50. Ed., § 337 Rn. 164; Maier in MüKo-StGB, 4. Aufl., § 46 Rn. 533; Schneider in LK-StGB, 13. Aufl., § 46 Rn. 265). Den Urteilsgründen kann vorliegend auch unter Berücksichtigung ihres Zusammenhangs nicht entnommen werden, dass das Landgericht sich dieses Umstands bewusst gewesen ist. Darüber hinaus ist auch die strafschärfende Berücksichtigung des durch drei der verfahrensgegenständlichen zehn Taten verursachten Gesamtschadens bei sämtlichen Einzeltaten unter den hier gegebenen Vorzeichen rechtlich durchgreifend bedenklich.
b) Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass die Strafkammer ohne diese Rechtsfehler auf geringere Einzelstrafen erkannt hätte.
c) Die Aufhebung der Einzelstrafen zieht die Aufhebung der verhängten Gesamtstrafen nach sich, die ihrerseits rechtlichen Bedenken begegnen.
Bei der vorgenommenen (nachträglichen) Gesamtstrafenbildung hat das Landgericht nicht erkennbar bedacht, dass die dem unerledigten Urteil des Amtsgerichts Dorsten vom 20. Mai 2020 zugrundeliegenden Taten zeitlich teils vor und teils nach dem Urteil des Amtsgerichts Dorsten vom 9. Januar 2019 begangen worden sind, das seinerseits unerledigt ist und daher für eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung zur Verfügung stehen könnte. Wäre dies der Fall, wäre das Landgericht unter Beachtung der Zäsurwirkung dieser unerledigten Vorverurteilung zur Bildung von drei und nicht ? wie geschehen ? zur Bildung von zwei Gesamtstrafen verpflichtet gewesen. Es hätte die Gesamtstrafe aus dem unerledigten Urteil des Amtsgerichts Dorsten vom 20. Mai 2020 auflösen und die darin verhängten 21 Einzelstrafen für diejenigen Taten, die zeitlich vor dem noch unerledigten Urteil des Amtsgerichts Dorsten vom 9. Januar 2019 begangen worden sind, unter Auflösung der darin gebildeten Gesamtstrafe und unter Einbeziehung der darin verhängten Einzelstrafen auf eine ? erste ? Gesamtstrafe zurückführen müssen. Sodann hätte es die verbleibenden Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Dorsten vom 20. Mai 2020 für diejenigen Taten, die zeitlich nach dem Urteil des Amtsgerichts Dorsten vom 9. Januar 2019 begangen worden sind, und die verfahrensgegenständlichen Einzelstrafen für diejenigen Taten, die vor dem Urteil des Amtsgerichts Dorsten vom 20. Mai 2020 begangen worden sind, auf eine weitere ? zweite ? Gesamtstrafe zurückführen und schließlich aus den verbleibenden Einzelstrafen gemäß § 54 Abs. 1 Satz 2 StGB eine ? dritte ? Gesamtstrafe bilden müssen.
d) Der Senat hebt die dem Strafausspruch zugrundeliegenden Feststellungen mit auf, um dem neu zur Entscheidung berufenen Tatgericht eine insgesamt stimmige Entscheidung der gesamten Straffrage zu ermöglichen.
Bei der neuerlichen Gesamtstrafenbildung wird zu beachten sein, dass hinsichtlich der Vorverurteilungen der Vollstreckungsstand zum Zeitpunkt der Verkündung des angefochtenen Urteils (24. Oktober 2022) maßgeblich ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 23. Januar 2019 - 5 StR 553/18 Rn. 5; Beschluss vom 6. März 2018 ? 3 StR 530/17 Rn. 8). Das Verbot der reformatio in peius (§ 358 Abs. 2 StPO) fordert besondere Beachtung. Die neu zu bildenden Gesamtstrafen dürfen die Summe der aufgehobenen beiden Gesamtstrafen und der rechtsfehlerhaft nicht einbezogenen Gesamtstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Dorsten vom 9. Januar 2019 nicht überschreiten (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2017 - 1 StR 136/17 Rn. 7).
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 579
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede