HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 418
Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 500/22, Beschluss v. 24.01.2023, HRRS 2023 Nr. 418
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Schwerin vom 1. Juli 2022
a) dahin geändert, dass er schuldig ist
aa) in den Fällen unter II.2 und 3 der Urteilsgründe des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in elf Fällen, jeweils in Tateinheit mit Erwerb von Betäubungsmitteln,
bb) im Fall II.4 der Urteilsgründe des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und mit Besitz eines verbotenen Gegenstands,
cc) im Fall II.5 der Urteilsgründe des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und des Besitzes von Betäubungsmitteln,
b) aufgehoben mit den jeweils zugehörigen Feststellungen
aa) im Strafausspruch
(1) betreffend die zwei unter II.3 der Urteilsgründe als bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ausgeurteilten Fälle,
(2) betreffend Fall II.4 der Urteilsgründe,
bb) im Gesamtstrafenausspruch,
cc) soweit eine Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist,
dd) soweit mehr als 10.377,50 Euro eingezogen worden sind.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten des „unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Mitführung einer Waffe in zwölf Fällen“ (II.2 bis 4 der Urteilsgründe), darunter in neun Fällen in Tateinheit mit „unerlaubtem“ Erwerb von Betäubungsmitteln (Fälle unter II. 2 und 3), in zwei weiteren unter II.3 erfassten Fällen in Tateinheit mit „unerlaubtem“ Besitz von Betäubungsmitteln sowie in einem Fall (II.4) in Tateinheit mit Besitz „eines der in § 2 Abs. 3 WaffG in Verbindung mit Anlage 2 Abschnitt 1 Nr. 1.3.2 WaffG genannten Gegenstände“, und des „vorsätzlichen Führens eines Kraftfahrzeugs ohne die dazu erforderliche Fahrerlaubnis“ sowie des „unerlaubten“ Besitzes von 1 Betäubungsmitteln (II.5) schuldig gesprochen. Es hat ihn zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten verurteilt, eine Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis bestimmt und die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 11.477,50 Euro angeordnet. Sein auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestütztes Rechtsmittel erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Der Schuldspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht uneingeschränkt stand. Näherer Erörterung bedarf insoweit nur das Folgende:
1. Im Fall II.4 der Urteilsgründe hat das Landgericht den Angeklagten rechtsfehlerfrei des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG) schuldig gesprochen.
a) Nach den hierzu getroffenen Feststellungen erwarb der Angeklagte von dem gesondert Verfolgten G. von Februar bis November 2021 monatlich jeweils 100 g Amphetamin und 100 g Marihuana (Fälle II.3), wobei jeweils 86,5 g Amphetamin und 70 g Marihuana für den gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt waren. Im November 2021 besuchte der gesondert Verfolgte unangekündigt den Angeklagten und bot diesem den Erwerb weiterer 383,81 g Amphetamin mit einem Wirkstoffgehalt von 11,85 Prozent gegen Zahlung der üblichen zwei Euro je Gramm an (Fall II.4). Der Angeklagte lehnte den Ankauf nach einer optischen Prüfung des Amphetamins mit Blick auf die vermutete geringe Qualität ab. Er war jedoch bereit, das Amphetamin für den gesondert Verfolgten vorübergehend zu lagern, und legte es in einen Tresor zu seinem eigenen Betäubungsmittelvorrat. Anschließend überprüfte er das ihm angebotene Amphetamin gründlich auf dessen Qualität, entschied sich jedoch wiederum gegen einen Ankauf. Andernfalls hätte er 100 g zum gewinnbringenden Weiterverkauf erworben.
b) Zu Recht hat das Landgericht dies als vollendetes Handeltreiben gewürdigt. Der generell am Ankauf interessierte Angeklagte hat durch sein Verhalten eine auf ein Umsatzgeschäft gerichtete Handlung vorgenommen. Für die Vollendung des Handeltreibens reicht es aus, dass der Täter bei einem beabsichtigten Ankauf von zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmten Betäubungsmitteln in ernsthafte Verhandlungen mit dem potenziellen Verkäufer eintritt (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2005 - GSSt 1/05, BGHSt 50, 252, 256). Der Tatbestand ist auch dann erfüllt, wenn es nicht zur Übereinkunft und deren Erfüllung gekommen ist. Denn Handeltreiben ist kein Erfolgsdelikt; die Tat ist deshalb auch dann rechtlich vollendet, wenn der erstrebte Umsatz von Betäubungsmitteln nicht erreicht wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 1999 - 2 BvR 1906/99; BGH, Beschluss vom 6. November 1991 - 3 StR 406/91, BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 30), gleich aus welchem Grund (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Juli 2006 - 2 StR 184/06, BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 70).
2. Im Fall II.4 hat der Angeklagte tateinheitlich zum bewaffneten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln solche in nicht geringer Menge besessen (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG).
Der Generalbundesanwalt hat hierzu ausgeführt:
„Die Revision weist zutreffend darauf hin, dass die Strafkammer bei der Tat rechtsfehlerhaft den gesamten Inhalt der vom anderweitig Verfolgten mitgeführten Tüte (Amphetamin mit einer Gesamtwirkstoffmenge von 45,5 g) als Erwerbsmenge zu Grunde gelegt hat, obgleich - so das Urteil (UA S. 7, 17) - der Angeklagte bei entsprechender Qualität (nur) 100 g kaufen wollte. Ferner hat das Landgericht insoweit nicht erkennbar festgestellt, welcher Anteil wie üblich am Monatsende an der gesamten Erwerbsmenge zum Eigenkonsum und welcher zum Weiterverkauf vorgesehen war. Diese Mängel haben zwar ersichtlich zu einer rechtsfehlerhaften Bestimmung der nicht geringen Menge geführt. Der Schuldspruch wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (in Tateinheit mit Besitz eines verbotenen Gegenstands) wird dadurch aber nicht gefährdet, weil die Grenzmenge auch bei der Annahme von 86,5 g Amphetamin zum Weiterverkauf überschritten ist.
Durch die (unentgeltliche) Aufbewahrung der Betäubungsmittel für den anderweitig Verfolgten hat der Angeklagte aber zugleich (tateinheitlich, § 52 StGB) den Tatbestand des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG erfüllt.“ Dem schließt sich der Senat an und entscheidet entsprechend § 354 Abs. 1 StPO in der Sache selbst. Die Vorschrift des § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil der geständige Angeklagte sich nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
3. Rechtsfehlerhaft hat das Landgericht den Angeklagten in zwei der zehn unter II.3 erfassten Fälle - tateinheitlich zu dem nicht zu beanstandenden Schuldspruch wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln - des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gesprochen.
a) Nach den hierzu getroffenen Feststellungen betrug der Wirkstoffanteil des zum Weiterverkauf bestimmten Marihuanas in acht Fällen 8,54 g und in zwei Fällen 5,25 g THC; das zum Weiterverkauf bestimmte Amphetamin hatte jeweils einen Wirkstoffanteil von 10,25 g Amphetaminbase. Die zum Eigenkonsum bestimmten 13,5 g Amphetamin (mit 1,6 g Amphetaminbase) und 30 g Marihuana (gleich, ob mit einem Wirkstoffanteil von 3,66 g oder 2,25 g THC) erreichten auch addiert nicht die Grenze zur nicht geringen Besitzmenge im Sinne von § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG.
Das Landgericht hat die in zwei Fällen zum gewinnbringenden Verkauf bestimmten 70 g Marihuana mit einem geringeren Wirkstoffanteil von jeweils 5,25 g THC (= 70 Prozent des Grenzwertes) jedoch der Eigenkonsummenge von 13,5 g Amphetamin (1,6 g Amphetaminbase = 16 Prozent des Grenzwertes) und 30 g Marihuana (2,25 g THC = 30 Prozent des Grenzwertes) hinzugerechnet. Es hat angenommen, dass sich in diesen beiden Fällen die reine Besitzmenge erhöhe, wodurch die Grenze zur nicht geringen Menge um 16 Prozentpunkte überschritten werde.
b) Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
aa) Besitzt der Täter Betäubungsmittel teils zur gewinnbringenden Weiterveräußerung und teils zu anderen Zwecken, geht der Besitz an der zum Handel bestimmten Betäubungsmittelmenge im Handeltreiben mit Betäubungsmitteln auf. Nur für die anderen Zwecken dienende Menge verbleibt es bei der Strafbarkeit wegen Besitzes von Betäubungsmitteln (vgl. BGH, Beschluss vom 25. August 2020 - 4 StR 185/20). Für die Bestimmung des Schuldumfangs kommt es daher auf die den jeweiligen Tathandlungen zugeordneten Teilmengen und den darin enthaltenen Wirkstoffanteil an. Der Besitz an der zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmten Teilmenge Marihuana wird auch dann vom Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge erfasst, wenn nur diese Teilmenge unter der Grenze zur nicht geringen Menge bleibt (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Februar 2015 - 4 StR 516/14). Denn die geringe Menge Marihuana bestimmt neben der nicht geringen Menge Amphetamin insgesamt den Unrechtsgehalt des Handeltreibens im Sinne von § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG (vgl. BGH, Urteil vom 20. Oktober 2021 - 1 StR 136/21; Beschluss vom 12. Januar 2022 - 6 StR 619/21).
bb) Das Überschreiten der Grenze zur nicht geringen Besitzmenge ergibt sich auch nicht daraus, dass der Angeklagte für seinen Eigenkonsum im vorgenannten Zeitraum in zwei zeitlich nicht näher zuzuordnenden Fällen zusätzlich je 50 g Marihuana von dem gesondert Verfolgten erhielt. Denn zugunsten des Angeklagten ist nach den Feststellungen davon auszugehen, dass die zusätzlichen Konsummengen einen Wirkstoffgehalt von lediglich 7,5 Prozent (entspricht 3,75 g THC = 50 Prozent des Grenzwertes) aufwiesen. Auch unter Berücksichtigung der für den Eigenkonsum bestimmten 1,6 g Amphetaminbase und 2,25 g THC würde der Grenzwert nicht erreicht.
c) Da nach den Feststellungen in allen zehn unter II.3 erfassten Fällen nur von einer Besitzmenge unterhalb der Grenze zur nicht geringen Menge auszugehen ist, kommt es nicht darauf an, in welchen Monaten das Marihuana mit dem niedrigeren Wirkstoffgehalt geliefert wurde. Der Angeklagte ist daher jeweils des tateinheitlichen Erwerbs von Betäubungsmitteln schuldig (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Mai 2006 - 1 StR 202/06). Der Senat ändert den Schuldspruch auch insoweit in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO.
4. Der Senat hat den Schuldspruch hinsichtlich der Verstöße gegen § 52 Abs. 3 WaffG und § 21 Abs. 1 StVG wie aus der Entscheidungsformel ersichtlich neu gefasst (§ 260 Abs. 4 Satz 1 StPO). Ferner ist bei den Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz der Zusatz „unerlaubt“ überflüssig; ebenso kann der Zusatz „in nicht geringer Menge“ zur rechtlichen Bezeichnung eines Verbrechens des bewaffneten Handeltreibens nach § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG entfallen, weil dieser Qualifikationstatbestand stets voraussetzt, dass die Tat eine solche Menge betrifft (vgl. BGH, Beschluss vom 17. August 2021 - 5 StR 190/21).
Die Änderung des Schuldspruchs in zwei der Fälle unter II.3 der Urteilsgründe sowie im Fall II.4 der Urteilsgründe führt zur Aufhebung der insoweit verhängten Strafen. In den beiden Fällen unter II.3 hat die Strafkammer insbesondere die tateinheitliche Verwirklichung von § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG berücksichtigt; im Fall II.4 ist sie von einem zu großen Schuldumfang ausgegangen, weil nur ein Teil der gelagerten Betäubungsmittel zum Handeltreiben bestimmt war (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Januar 2018 - 5 StR 582/17). Die Aufhebung dieser Strafen entzieht dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage.
Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass die „mittlere Gefährlichkeit“ von Amphetamin nicht strafschärfend berücksichtigt werden darf (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Juli 2022 - 3 StR 193/22). Soweit dieser Aspekt auch in den Fällen unter II.2 und 3, in denen die Schuldsprüche Bestand haben, in die Strafzumessungserwägungen eingestellt worden ist, schließt der Senat aufgrund der weiteren strafschärfenden Umstände aus, dass die Strafkammer in diesen Fällen auf noch niedrigere Freiheitsstrafen erkannt hätte.
1. Rechtsfehlerhaft hat das Landgericht nicht geprüft, ob gegen den Angeklagten die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anzuordnen ist, obwohl aufgrund der Feststellungen dazu Anlass bestand.
Nach den Feststellungen begann der Angeklagte bereits im Alter von 16 Jahren mit dem Konsum von Betäubungsmitteln. Zum Tatzeitraum konsumierte er täglich rund 1 g Marihuana und drei bis vier Mal in der Woche zwischen 0,5 und 1 g Amphetamin. Ferner beschloss er, Betäubungsmittel von dem gesondert Verfolgten zu erwerben, um an Betäubungsmittel für seinen Eigenbedarf zu gelangen und durch gewinnbringende Weiterveräußerung sowohl seinen Lebensunterhalt als auch seinen Eigenkonsum zu finanzieren.
Der Generalbundesanwalt weist zutreffend darauf hin, dass sich vor diesem Hintergrund ein Hang im Sinne von § 64 StGB und der symptomatische Zusammenhang zwischen dem Hang zum übermäßigen Konsum von Rauschmitteln und den Anlasstaten aufdrängen (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juli 2021 - 6 StR 307/21).
Einer etwaigen Unterbringungsanordnung steht nicht entgegen, dass ausschließlich der Angeklagte Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO); er hat die Nichtanwendung des § 64 StGB auch nicht von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 - 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362). Die Sache bedarf daher insoweit unter Heranziehung eines Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 Satz 2 StPO) neuer tatgerichtlicher Prüfung.
2. Bei der Einziehung des Wertes von Taterträgen (§§ 73, 73c StGB) hat das Landgericht nicht erkennbar bedacht, dass das bei dem Angeklagten sichergestellte und aus Betäubungsmittelverkäufen herrührende Bargeld in Höhe von 1.100 Euro, sofern es noch gegenständlich vorhanden sein sollte, von dem als Wert der Erträge aus den verfahrensgegenständlichen Taten eingezogenen Betrag von 11.477,50 Euro in Abzug zu bringen und nach § 73 Abs. 1 StGB einzuziehen gewesen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 16. März 2021 - 4 StR 22/21).
HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 418
Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede