HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1146
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 115/20, Urteil v. 26.08.2020, HRRS 2020 Nr. 1146
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 10. Januar 2020 aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat das Verfahren gegen den Angeklagten durch Prozessurteil nach § 260 Abs. 3 StPO wegen Strafklageverbrauchs eingestellt. Hiergegen wendet sich erfolgreich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision.
Dem Angeklagten liegt zur Last, vom 23. Juni bis 7. Juli 2017 als Geschäftsführer der S. GmbH auf der Internetplattform e. Elektronikartikel zum Kauf angeboten und die per Vorauszahlung entrichteten Kaufpreise vereinnahmt zu haben, obwohl er weder leistungsfähig noch -willig war. Im Einzelnen listet die Anklage 106 im Verhältnis der Tatmehrheit stehende Taten auf und benennt jeweils den Zeitpunkt der Kaufpreiszahlung, teilweise ergänzend auch denjenigen des Erwerbs. Das Landgericht hat das Hauptverfahren mit der Maßgabe eröffnet, dass auch Betrug in 106 tateinheitlichen Fällen in Betracht komme.
In der Hauptverhandlung hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte inzwischen durch Strafbefehl des Amtsgerichts Schwerin rechtskräftig wegen Betruges verurteilt wurde, weil er am 25. Juni 2017 über die S. GmbH auf der Internetplattform e. an den Geschädigten G. einen Internetrouter verkauft und den Kaufpreis vereinnahmt hatte, ohne die Ware zu liefern. Es hat angenommen, dass hierdurch Strafklageverbrauch eingetreten sei, weil dem Strafbefehl und der Anklage dieselbe prozessuale Tat zugrunde liege. Hierbei ist es von einer einheitlichen Tat im Sinne des § 52 StGB ausgegangen, weil „der Aufbau und die Aufrechterhaltung eines auf Betrugstaten ausgerichteten Geschäftsbetriebes auf der Plattform e. (…) die in Ausübung dieses Geschäftsbetriebes verwirklichten Einzeldelikte (106 Verkäufe) als - uneigentliches - Organisationsdelikt“ zusammenfasse.
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
Die Einstellung des Verfahrens wegen des Verfahrenshindernisses des Strafklageverbrauchs (Art. 103 Abs. 3 GG) hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand. Das Landgericht hat in rechtsfehlerhafter Weise keine eigenen Feststellungen getroffen, die dem Revisionsgericht die Prüfung ermöglichen, ob es sich bei den gegen den Angeklagten im vorliegenden Verfahren erhobenen Tatvorwürfen um dieselbe Tat im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO handelt, die bereits den Gegenstand des Strafbefehls des Amtsgerichts Schwerin bildete.
1. Stellt das Tatgericht das Verfahren durch Urteil wegen eines Verfahrenshindernisses ein, hat es ausgehend von der zugelassenen Anklage anzugeben, aus welchen tatsächlichen und rechtlichen Gründen die Durchführung des Strafverfahrens unzulässig ist. Der Umfang der Darlegungen richtet sich dabei nach den besonderen Gegebenheiten des Einzelfalls, insbesondere der Eigenart des Verfahrenshindernisses (vgl. BGH, Urteil vom 23. Mai 2019 - 4 StR 601/18, NStZ 2020, 235 mwN).
Hängt dessen Vorliegen von der strafrechtlichen Würdigung der Sache ab, erfordert die abschließende Beurteilung der Frage, ob ein Verfahrenshindernis vorliegt, entsprechende Feststellungen (vgl. BGH, Urteil vom 23. Mai 2019 - 4 StR 601/18, NStZ 2020, 235). Der Bundesgerichtshof hat demgemäß Feststellungen für die Beurteilung der Verjährungsfrage (vgl. Urteil vom 19. Oktober 2010 - 1 StR 266/10, BGHSt 56, 6, 8), für die Prüfung der anderweitigen Rechtshängigkeit (vgl. Urteil vom 23. Mai 2019 - 4 StR 601/18, aaO, 236) und diejenige des Verbots der Doppelbestrafung nach Art. 54 SDÜ (vgl. Beschluss vom 4. Juni 2019 - 5 StR 96/19, NStZ-RR 2019, 259) sowie bei Annahme eines Verfahrenshindernisses aufgrund rechtsstaatswidriger Tatprovokation (vgl. Urteil vom 4. Juli 2018 - 5 StR 650/17) für erforderlich gehalten.
2. Eine solche vom Tatgericht im Strengbeweis festzustellende Sachverhaltsgrundlage ist ebenfalls notwendig, wenn es von einem Strafklageverbrauch ausgehen möchte. Denn ob eine nach Art. 103 Abs. 3 GG verbotene Doppelbestrafung vorliegt, kann nicht nach Aktenlage geklärt werden, sondern hängt von den tatsächlichen Umständen der in der Anklage bezeichneten Tat ab. Das Tatgericht muss daher Feststellungen zu dieser treffen, sie in den Urteilsgründen darlegen und auf deren Grundlage eine konkurrenzrechtliche Bewertung des Verhaltens des Angeklagten vornehmen. Erst auf dieser Grundlage kann - unter Berücksichtigung des für die Frage des Strafklageverbrauchs zu beachtenden Zweifelssatzes (vgl. BGH, Urteil vom 1. August 2018 - 3 StR 651/17; Beschlüsse vom 4. Juni 2019 - 5 StR 96/19, aaO, 260, und vom 20. März 2002 - 5 StR 574/01; LR-StPO/Sander, 26. Aufl., § 261 Rn. 123) - entschieden werden, ob dem Fortgang des Verfahrens das Verbot der Doppelbestrafung entgegensteht.
3. Diesen Maßstäben genügt das angefochtene Urteil nicht.
a) Das Landgericht ist im Ausgangspunkt zutreffend davon ausgegangen, dass sich das Vorliegen eines etwaigen Strafklageverbrauchs danach richtet, ob die zur Aburteilung stehende prozessuale Tat im Sinne von § 264 Abs. 1 StPO mit derjenigen identisch ist, die dem rechtskräftigen Erkenntnis zu Grunde lag (vgl. BGH, Urteil vom 12. Dezember 2013 - 3 StR 531/12, BGHSt 59, 120, 124; Beschlüsse vom 8. Januar 2020 - 5 StR 366/19, ZfBR 2020, 589, 592; vom 18. Dezember 2019 - 3 StR 264/19, NStZ-RR 2020, 172, 173, und vom 18. Dezember 2018 - StB 52/18, BGHSt 64, 1, 6).
Für die Identität eines so umschriebenen Lebenssachverhalts ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das materiellrechtliche Konkurrenzverhältnis der Einzeltaten zueinander bedeutsam. Tateinheit gemäß § 52 StGB wird in aller Regel zur Annahme einer einheitlichen Tat im prozessualen Sinne führen (vgl. BGH, Urteil vom 23. Mai 2019 - 4 StR 601/18, NStZ 2020, 235, 236; Beschluss vom 19. Dezember 1995 - KRB 33/95, BGHSt 41, 385, 389), während im Falle sachlichrechtlicher Tatmehrheit mehrere Taten im prozessualen Sinne naheliegen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2018 - StB 52/18, BGHSt 64, 1, 7; Urteil vom 5. Mai 1998 - 1 StR 635/96, BGHSt 44, 91, 94; KK-StPO/Ott, 8. Aufl., § 264 Rn. 14). Dabei sind aber die Besonderheiten der abgeurteilten Delikte ebenso in den Blick zu nehmen wie der Umstand, dass bei einem weiten Verständnis des prozessualen Tatbegriffs die Kognitionspflicht des zuerst entscheidenden Tatgerichts ausgedehnt und damit dessen Leistungsfähigkeit möglicherweise überschritten wird.
b) Für die Beurteilung der materiellrechtlichen Lage ist beim Betrug über Onlineverkaufsplattformen - wie auch sonst - zunächst entscheidend, ob der Angeklagte eine oder mehrere (Täuschungs-)Handlungen begangen hat. Eine Handlung im natürlichen Sinn liegt vor, wenn die Plattform gleich einem „Webshop“ die Möglichkeit vorsieht, dass mehrere Kunden einen einmalig eingestellten Artikel bestellen können. Eine Verknüpfung mehrerer Handlungen im natürlichen Sinn zur Handlungseinheit kommt in Betracht, wenn entweder die Gegenstände in einem engen zeitlichen Zusammenhang und aufgrund eines einheitlichen Entschlusses eingestellt wurden oder eine Überschneidung der Täuschungshandlungen vorliegt (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 7. März 2017 - 1 StR 41/17, wistra 2017, 484, 485). Dabei können auch die Umstände des Vertragsschlusses maßgeblich sein, insbesondere wenn dieser aufgrund der Art des Angebots erst durch Annahme des Verkäufers zustande kommt. Sofern das Tatgericht hierzu allerdings keine näheren Feststellungen treffen kann, ist unter Heranziehung des Zweifelssatzes von einer prozessualen Tat und damit von Strafklageverbrauch auszugehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. Juni 2019 - 5 StR 96/19, NStZ-RR 2019, 259, 260; vom 20. März 2002 - 5 StR 574/01; Urteil vom 1. August 2018 - 3 StR 651/17; LR-StPO/Sander, aaO).
4. Das Fehlen derartiger Feststellungen zwingt zur Aufhebung des Urteils und zur Neuverhandlung der Sache durch ein anderes Tatgericht.
Dieses wird bei der konkurrenzrechtlichen Bewertung zu bedenken haben, dass die vom Landgericht ergänzend herangezogenen Grundsätze des uneigentlichen Organisationsdelikts (vgl. BGH, Beschluss vom 20. September 2016 - 3 StR 302/16) - jedenfalls nach dem Anklagesachverhalt - nicht zur Anwendung gelangen können, weil hiernach der Angeklagte allein tätig wurde und es deshalb keine Tatbeiträge gibt, die zu einer einheitlichen Tat zusammengefasst werden können.
HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1146
Externe Fundstellen: NStZ 2020, 691; StV 2021, 697
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede