HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 881
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 601/18, Urteil v. 23.05.2019, HRRS 2019 Nr. 881
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Stendal vom 3. September 2018 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat das gegen den Angeklagten wegen des Verdachts der Beihilfe zum unerlaubten Umgang mit Abfällen in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Betreiben einer Abfallentsorgungsanlage geführte Verfahren wegen des Verfahrenshindernisses anderweitiger Rechtshängigkeit eingestellt. Gegen die Einstellung des Verfahrens richtet sich die auf die Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft.
Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg. Auf die Verfahrensbeanstandung kommt es daher nicht an.
1. Nach der im vorliegenden Verfahren im Oktober 2013 erhobenen und im Dezember 2015 durch das Oberlandesgericht Naumburg im Beschwerdeverfahren zur Verhandlung zugelassenen Anklage der Staatsanwaltschaft Stendal liegt dem Angeklagten zur Last, die Mitangeklagten E. und S. als (faktische) Geschäftsführer der Ziegelei GmbH M. (im Folgenden: Ziegelei) in der Zeit vom 1. September 2005 bis zum 11. März 2008 bei der Verfüllung von rund 900.000 Tonnen giftiger und umweltschädlicher Abfälle in einem von der Ziegelei betriebenen Tontagebau in V. unterstützt zu haben. Durch die Abfalleinlagerung im Erdreich sei es zur Bildung gefährlicher Gase und zur Kontamination des Sickerwassers gekommen. Die Abfälle seien vor ihrer Verfüllung in der Tongrube in der Sortieranlage für Baustellenmischabfälle R. (fortan: BMA R.), in der der Angeklagte als Vorarbeiter beschäftigt gewesen sei, zunächst umgeschlagen worden. Der Umschlag in der BMA R. habe der Verschleierung der tatsächlichen Stoffströme gegenüber den Aufsichtsbehörden gedient, u.a. seien die Abfälle dort falsch deklariert worden.
2. Ebenfalls wegen des Verdachts des vorsätzlichen unerlaubten Umgangs mit Abfällen in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubtem Betreiben einer Abfallentsorgungsanlage gemäß § 326 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 Buchstabe a, § 327 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, § 330 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 4, § 14 StGB hatte die Staatsanwaltschaft Stendal bereits im August 2012 im Verfahren 501 KLs 444 Js 18427/07 - 18/12 beim Landgericht Stendal gegen die Mitangeklagten E. und S. eine im Dezember 2014 zur Verhandlung zugelassene Anklage mit dem Vorwurf erhoben, in gleicher Weise in der Zeit vom 1. Juni 2005 bis zum 31. Mai 2006 rund 170.000 Tonnen falsch deklarierte, giftige und umweltschädliche Abfälle entgegen der bergrechtlichen Zulassung in einer weiteren von der Ziegelei betriebenen Tongrube in M. verfüllt zu haben. Rund 102.500 Tonnen dieser Abfälle seien von der BMA R. zur Tongrube M. geliefert worden (Verfahren „Tongrube M. “). Auch insoweit liegt dem Angeklagten zur Last, die Mitangeklagten bei ihrem Tun unterstützt zu haben.
3. In beiden Verfahren hat die Staatsanwaltschaft den Vorwurf der Beihilfe des Angeklagten darauf gestützt, dass ihm als täglich anwesendem Vorarbeiter der BMA R. die gesamte Organisation der Betriebsabläufe der Sortieranlage einschließlich der Steuerung sowie der Kontrolle und der Deklaration der Abfallströme oblegen habe. Die Genehmigungslagen der Tontagebaue in V. und M. seien ihm bekannt gewesen. Bewusst und systematisch habe der Angeklagte in der BMA R. Falschdeklarationen der Abfälle vorgenommen bzw. angeordnet, falsch deklarierte Abfälle für die Verfüllung in den beiden von der Ziegelei betriebenen Tontagebauen bereitstellen lassen und ihren Abtransport beaufsichtigt. In seiner täglichen Arbeitspraxis habe er die ihm erteilten Anweisungen zur Verschleierung der nicht zulassungskonformen Verfüllpraxis gegenüber den Kontrollbehörden befolgt und seinerseits Anweisungen zu ihrer Umsetzung gegenüber Mitarbeitern der Ziegelei und mit den Transporten befassten Kraftfahrern durchgesetzt.
4. Das Landgericht hat das vorliegende Verfahren mit der Begründung eingestellt, die angeklagte Tat sei bereits Gegenstand der früher erhobenen und zur Verhandlung zugelassenen Anklage im Verfahren „Tongrube M. “. Ohne Feststellungen zu den getrennt angeklagten Tatvorwürfen zu treffen, hat es auf der Grundlage der Anklageschriften angenommen, die angeklagten Sachverhalte seien sowohl sachlich- als auch verfahrensrechtlich als nur eine Tat zu werten. Das dem Angeklagten vorgeworfene Verhalten stelle sich nach den Grundsätzen der natürlichen Handlungseinheit als nur eine Beihilfe dar. Der Angeklagte habe im Rahmen eines einheitlichen Arbeitsverhältnisses über Monate und Jahre hinweg in einem kontinuierlichen Prozess Abfälle angenommen, behandelt, falsch deklariert, für den Abtransport in den Tagebauen bereitgestellt, die Transporte beaufsichtigt und das Geschehen vertuscht und verschleiert. Da der Angeklagte mit einer Vielzahl der angeblich erbrachten Tatbeiträge die - unterstellten - Haupttaten der Mitangeklagten gleichzeitig gefördert habe, komme es angesichts der Teilidentität seiner Ausführungshandlungen für die konkurrenzrechtliche Bewertung nicht darauf an, dass die Abfälle letztlich in verschiedenen Tongruben verfüllt worden seien und die Tatzeit nur im Zeitraum vom 1. September 2005 bis zum 31. Mai 2006 identisch sei.
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der Sachrüge Erfolg. Die Einstellung des Verfahrens wegen des Verfahrenshindernisses anderweitiger Rechtshängigkeit (Art. 103 Abs. 3 GG) hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand. Das Landgericht hat rechtsfehlerhaft keine eigenen Feststellungen getroffen, die dem Revisionsgericht die Prüfung ermöglichen, ob es sich bei dem gegen den Angeklagten im vorliegenden Verfahren erhobenen Tatvorwurf um dieselbe Tat im Sinne des § 264 StPO handelt, die bereits den Gegenstand des Verfahrens „Tontagebau M.“ bildete.
1. Der Tatrichter ist verpflichtet, die Verfahrensvoraussetzungen zu prüfen und in den Urteilsgründen so darzulegen, dass sie vom Revisionsgericht nachgeprüft werden können. Stellt er das Verfahren durch Urteil wegen eines Verfahrenshindernisses ein, hat er, von der zugelassenen Anklage ausgehend, anzugeben, aus welchen tatsächlichen und rechtlichen Gründen die Durchführung des Strafverfahrens unzulässig ist. Der Umfang der Darlegungen richtet sich dabei nach den besonderen Gegebenheiten des Einzelfalls, insbesondere der Eigenart des Verfahrenshindernisses (vgl. BGH, Urteil vom 19. Oktober 2010 - 1 StR 266/10, BGHSt 56, 6, 8 f. mwN; OLG Köln, Urteil vom 14. Februar 2017 - 1 RVs 294/16, juris Rn. 8; KK-StPO/Kuckein/Bartel, 8. Aufl., § 267 Rn. 45; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 267 Rn. 29; vgl. auch BGH, Urteil vom 6. März 2002 - 2 StR 530/01, BGH MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 13).
Hängt das Vorliegen eines Verfahrenshindernisses von der strafrechtlichen Würdigung der Sache ab, kann eine abschließende Beurteilung darüber, ob ein Verfahrenshindernis vorliegt, indes nur getroffen werden, wenn eine Beweisaufnahme durchgeführt und entsprechende Feststellungen getroffen wurden. In einem solchen Fall doppelrelevanter Tatsachen benötigt das Einstellungsurteil eine vom Tatrichter im Strengbeweisverfahren festzustellende Sachverhaltsgrundlage (vgl. BGH, Urteile vom 19. Oktober 2010 - 1 StR 266/10, BGHSt 56, 6, 9; vom 1. August 2018 - 3 StR 651/17, juris Rn. 17; Beschluss vom 30. März 2001 - StB 4/01 und StB 5/01, BGHSt 46, 349, 352 f.; OLG Köln, Urteil vom 14. Februar 2017 - 1 RVs 294/16, juris Rn. 8; LR/Stuckenberg, StPO, 27. Aufl., § 206a Rn. 64; vgl. auch BGH, Beschluss vom 18. November 2015 - 4 StR 76/15, NStZ-RR 2016, 42 f.).
2. So verhält es sich hier. Die Strafkammer hätte vorliegend im Strengbeweisverfahren Feststellungen zu den angeklagten Haupttaten und Beihilfehandlungen treffen, diese in den Urteilsgründen darlegen und auf deren Grundlage eine konkurrenzrechtliche Bewertung des Verhaltens des Angeklagten vornehmen müssen. Erst danach hätte entschieden werden können, ob das Verfahrenshindernis der anderweitigen Rechtshängigkeit gegeben ist.
Zwar ist das Landgericht im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass eine materiellrechtliche Handlungseinheit in Gestalt von Tateinheit gemäß § 52 StGB, von natürlicher Handlungs- oder von Bewertungseinheit in aller Regel zur Annahme einer einheitlichen Tat im prozessualen Sinne führt (vgl. BGH, Urteil vom 1. August 2018 - 3 StR 651/17, juris Rn. 17; KK-StPO/Kuckein/Ott, 8. Aufl., § 264 Rn. 11; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 264 Rn. 6, jeweils mwN) und als solche nur einer einheitlichen Aburteilung zugänglich ist. Es hat aber verkannt, dass die Beurteilung, ob die konkurrenzrechtliche Bewertung der dem Angeklagten in den beiden Verfahren zur Last liegenden Beihilfehandlungen zur Tatidentität führt, die einer getrennten Aburteilung der Vorwürfe entgegenstünde, hier von Tatsachen abhängt, die einerseits die Taten der Haupttäter und die Beihilfehandlungen des Angeklagten selbst und andererseits das Verfahrenshindernis betreffen, mithin doppelrelevant sind. Diese Tatsachen sind [aber] vom Tatrichter im Strengbeweisverfahren festzustellen.
Denn für die konkurrenzrechtliche Bewertung gilt das Folgende:
Ob Tateinheit oder Tatmehrheit vorliegt, ist für jeden Tatbeteiligten besonders zu prüfen und zu entscheiden. Erbringt ein Beteiligter nur einen individuellen Beitrag, durch den mehrere Taten eines anderen gefördert werden, sind ihm die gleichzeitig geförderten einzelnen Straftaten als einheitlich begangen zuzurechnen, da sie in seiner Person durch den einheitlichen Tatbeitrag zu einer Handlung im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB verknüpft werden (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 17. Juni 2004 - 3 StR 344/03, BGHSt 49, 177, 182 f.; vom 5. Dezember 2012 - 2 StR 117/12, wistra 2013, 310, 311; vom 22. Juli 2015 - 1 StR 447/14, NStZ 2016, 39, 40; Beschlüsse vom 7. Dezember 2010 - 3 StR 434/10, StraFo 2011, 238; vom 22. Dezember 2011 - 4 StR 514/11, wistra 2012, 146, 147; vom 30. Juli 2013 - 4 StR 29/13, NStZ 2013, 641; vom 19. November 2014 - 4 StR 284/14, NStZ-RR 2015, 41 [Ls]). Mehrere Hilfeleistungen eines Gehilfen zu einer Tat eines anderen rechtfertigen regelmäßig ebenfalls nur die Annahme einer Beihilfe, weil sich das Unrecht des Gehilfen allein aus der Rechtsgutsverletzung der einmalig begangenen Haupttat ableiten lässt (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juli 2015 - 1 StR 447/14, NStZ 2016, 39, 40; Beschluss vom 14. April 1999 - 1 StR 678/98, NStZ 1999, 513 f. juris Rn. 16; LK-StGB/Schünemann, 12. Aufl., § 27 Rn. 67; Fischer, StGB, 66. Aufl., Vor § 52 Rn. 11 mwN). Unterstützt der Gehilfe demgegenüber mit mehreren eigenständigen Beihilfehandlungen verschiedene Taten des Haupttäters, liegt Tatmehrheit im Sinne des § 53 StGB vor (vgl. BGH, Beschluss vom 5. September 2018 - 2 StR 31/18, wistra 2019, 116; Urteil vom 22. Juli 2015 - 1 StR 447/14, NStZ 2016, 39, 40; Beschluss vom 27. Oktober 1999 - 2 StR 451/99, NStZ 2000, 83 Rn. 3; LK-StGB/Schünemann, 12. Aufl., § 27 Rn. 68). Dies gilt auch dann, wenn er im Vorbereitungsstadium weitere Handlungen vorgenommen hat, die auf das Gesamtgeschehen bezogen waren (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. September 2018 - 2 StR 31/18, wistra 2019, 116; vom 22. September 2008 - 1 StR 323/08, NStZ 2009, 159; Fischer, StGB, 66. Aufl., § 27 Rn. 31a).
Die Prüfung dieser konkurrenzrechtlichen Grundsätze setzt mithin zunächst die dem Tatrichter vorbehaltene Klärung der Frage voraus, ob es sich bei den den Mitangeklagten zur Last liegenden Haupttaten um selbstständige und voneinander abgrenzbare Handlungen handelt. Sollte dies der Fall sein, bedarf es einer Tatsachengrundlage für die weitere Prüfung, ob sich die dem Angeklagten zur Last liegenden Vorwürfe ihrerseits als selbstständige und individualisierte Unterstützungshandlungen zu den jeweiligen Taten der Mitangeklagten darstellen oder ob sie materiellrechtlich als Handlungseinheit und damit als eine Tat im Sinne des § 264 StPO zu werten sind.
3. Das Fehlen entsprechender tatrichterlicher Feststellungen zwingt zur Aufhebung des Urteils und zur Neuverhandlung der Sache durch einen anderen Tatrichter.
Dieser wird bei der konkurrenzrechtlichen Bewertung zu bedenken haben, dass allein der Umstand, dass die Mitangeklagten die beiden Anlagen über einen gewissen Zeitraum zeitgleich, aber unabhängig voneinander - mithin bloß nebeneinander - in Gang hielten, ihr Tun noch nicht als eine Handlung im materiellrechtlichen und damit im prozessualen Sinn erscheinen ließe. Der Charakter des § 327 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StGB als Dauerdelikt wäre nach den aufgezeigten Maßstäben zwar geeignet, das unerlaubte Betreiben der jeweiligen Abfallentsorgungsanlage durch die Mitangeklagten E. und S. mit der gemäß § 326 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 Buchstabe a StGB strafbaren Verfüllung eben dieser Tongrube zur Tateinheit zu verbinden (vgl. LK-StGB/Steindorf, 11. Aufl., § 327 Rn. 33; Fischer, StGB, 66. Aufl., Vor § 52 Rn. 60 und § 327 Rn. 20), nicht aber das selbstständige und durch individualisierte Handlungen der Mitangeklagten erfolgte Betreiben mehrerer Anlagen nebeneinander. Selbstständige und individualisierte Unterstützungshandlungen des Angeklagten in Bezug auf - tatmehrheitlich begangene - Haupttaten der Mitangeklagten E. und S. wären dann jedoch ebenfalls als tatmehrheitlich begangene Beihilfen zu diesen Taten zu werten.
HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 881
Externe Fundstellen: NStZ 2020, 235
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner