HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 687
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 41/17, Beschluss v. 07.03.2017, HRRS 2017 Nr. 687
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 26. Oktober 2016 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte im Tatkomplex C.I.2. der Urteilsgründe verurteilt worden ist und
b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe.
2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in 13 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und elf Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist die Revision unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts führte der Angeklagte in der Zeit von Januar 2014 bis Januar 2015 mit der Geschädigten L. eine Liebesbeziehung. Im Zeitraum von 30. April 2014 bis zum 4. Dezember 2014 brachte er die Geschädigte in elf Fällen dazu, ihm Geldbeträge zwischen 2.000 Euro und 21.500 Euro, die sie von ihrem Bankkonto abhob, als Darlehen zu überlassen. Er täuschte ihr dabei aufgrund jeweils neu gefassten Tatentschlusses mit unwahren Tatsachenbehauptungen vor, dringend Geld zu benötigen. Dabei versicherte er L. jeweils wahrheitswidrig, dass es sich lediglich um einen kurzfristigen Engpass handele und er ihr die Beträge umgehend zurückgeben werde. Im Vertrauen auf die Richtigkeit der Versprechungen des Angeklagten und die baldige Rückzahlung kam die Geschädigte seinen Bitten nach und übergab ihm die gewünschten Beträge, insgesamt 121.500 Euro. Im Wissen, dass ihm danach eine Rückzahlung nicht möglich war, verbrauchte der Angeklagte seiner vorgefassten Absicht entsprechend die Geldbeträge für seinen luxuriösen Lebensstil (Tatkomplex C.I.1. der Urteilsgründe).
Als die Geschädigte L. über keine eigenen Geldmittel mehr verfügte, fasste der Angeklagte den Entschluss, sie künftig als „institutionalisierte Geldquelle“ zu benutzen. Aufgrund dieses „einheitlichen Tatentschlusses“ forderte er sie „fortlaufend und regelmäßig“ dazu auf, ihm ihr gehörende Vermögensgegenstände und solche aus Familienbesitz leihweise zu überlassen. Dabei spiegelte der Angeklagte der Geschädigten vor, Schulden bei einem (in Wirklichkeit frei erfundenen) Gläubiger zu haben, der ihn finanziell unter Druck setze, so dass ihm, wenn ihm die Geschädigte nicht helfe, die Privatinsolvenz drohe. Er erklärte ihr bewusst wahrheitswidrig, er würde die Vermögenswerte jeweils nur zum Zwecke der Verpfändung benötigen, um einem kurzfristigen finanziellen Engpass abzuhelfen; er werde die Vermögenswerte umgehend wieder auslösen und ihr zurückgeben. In der Folge behauptete der Angeklagte gegenüber der Geschädigten zudem jeweils bewusst wahrheitswidrig, sie könne auch die bereits übergebenen Wertgegenstände nur dann zurückerhalten, wenn sie ihm weitere Vermögenswerte überlasse, da ihm andernfalls die Privatinsolvenz drohe.
Auf diese Weise gelang es dem Angeklagten im Zeitraum von Dezember 2014 bis 26. Februar 2016, L. dazu zu veranlassen, ihm sukzessive zahlreiche Vermögenswerte - insbesondere Goldmünzen, Goldbarren und Schmuck - zu überlassen, welche zum Teil ihr gehörten, im Übrigen im Eigentum von Familienangehörigen standen. Die einzelnen Gegenstände befanden sich in dem von L. und ihren Eltern bewohnten Anwesen und wurden überwiegend in Tresoren aufbewahrt. Im Vertrauen auf die Richtigkeit seiner Erklärungen und Versprechen überließ L. dem Angeklagten Wertgegenstände und Bargeld im Gesamtwert von mindestens 608.700 Euro. Seinem vorgefassten Tatplan entsprechend veräußerte der Angeklagte, der eine Rückgabe nie beabsichtigt hatte, die so erlangten Vermögenswerte bei Juwelieren und einer Bank und verbrauchte die hierbei erzielten Erlöse für seinen luxuriösen Lebensstil (Tatkomplex C.I.2. der Urteilsgründe).
In ähnlicher Weise gelang es dem Angeklagten im Februar 2015, die Geschädigte G. mit unwahren Tatsachenbehauptungen und dem Versprechen baldiger Rückgabe zur Gewährung eines kurzfristigen Darlehens in Höhe von 5.000 Euro zu veranlassen. Die Geschädigte übergab dem Angeklagten die Darlehenssumme im Vertrauen auf eine baldige Rückzahlung. Wie von Anfang an beabsichtigt, verbrauchte der Angeklagte den Geldbetrag für seine Lebensführung (Fall C.II. der Urteilsgründe).
2. Die Tathandlungen in den Tatkomplexen C.I.1. und C.II. der Urteilsgründe, die zu Geldübergaben in insgesamt zwölf Fällen führten, hat das Landgericht jeweils als eigenständige Taten des Betruges (§ 263 StGB) gewertet. Demgegenüber hat das Landgericht das Tatgeschehen im Tatkomplex C.I.2. der Urteilsgründe als einheitliche Tat des Betruges gewertet. In allen Fällen hat es die Einzelstrafen wegen gewerbsmäßiger Begehung (§ 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB) jeweils dem Strafrahmen des Betruges in einem besonders schweren Fall (§ 263 Abs. 3 Satz 1 StGB) entnommen.
Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat keinen Rechtsfehler ergeben, soweit das Landgericht in den Tatkomplexen C.I.1. und C.II. der Urteilsgründe wegen Betruges in zwölf Fällen verurteilt hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Dagegen hält die Verurteilung des Angeklagten wegen Betruges im Tatkomplex C.I.2. der Urteilsgründe rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Dies zieht die Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe nach sich.
1. Bereits die konkurrenzrechtliche Einordnung des Tatgeschehens im Tatkomplex C.I.2. der Urteilsgründe als einheitlicher Fall des Betruges ist rechtsfehlerhaft; denn die Annahme des Landgerichts, das gesamte Tatgeschehen von Dezember 2014 bis Februar 2016 stelle eine natürliche Handlungseinheit dar, wird von den Urteilsfeststellungen nicht getragen.
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt eine natürliche Handlungseinheit und damit eine Tat im materiellrechtlichen Sinn bei einer Mehrheit gleichartiger strafrechtlich erheblicher Verhaltensweisen nur dann vor, wenn die einzelnen Betätigungsakte durch ein gemeinsames subjektives Element verbunden sind und zwischen ihnen ein derart unmittelbarer räumlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht, dass das gesamte Handeln des Täters objektiv auch für einen Dritten als einheitliches zusammengehöriges Tun erscheint (BGH, Urteil vom 25. November 2004 - 4 StR 326/04, NStZ 2005, 263 und Beschluss vom 24. März 2015 - 4 StR 52/15, wistra 2015, 269, jeweils mwN; vgl. auch Eschelbach in SSW-StGB, 3. Aufl., § 52 Rn. 57 mwN). Dagegen vermag allein der Umstand, dass der Täter den Entschluss mehrerer Taten gleichzeitig gefasst hat und ein einheitliches Ziel verfolgt, weder die Annahme einer natürlichen Handlungseinheit noch eine Tateinheit zu begründen, wenn sich die Ausführungshandlungen nicht überschneiden (vgl. BGH, Urteil vom 21. September 2000 - 4 StR 284/00, BGHSt 46, 146 und Beschluss vom 6. Oktober 2015 - 4 StR 38/15, wistra 2016, 70).
b) Den für die Annahme einer natürlichen Handlungseinheit erforderlichen Zusammenhang der einzelnen Handlungen hat das Landgericht für den Tatkomplex C.I.2. der Urteilsgründe nicht festgestellt. Vielmehr ist den Urteilsfeststellungen zu entnehmen, dass der Angeklagte - sukzessiv und inhaltlich auf früheren Tathandlungen aufbauend - die Geschädigte, wie schon im Tatkomplex C.I.1. der Urteilsgründe, durch immer neue Täuschungshandlungen zu jeweils eigenständigen Vermögensverfügungen i.S.v. § 263 StGB veranlasst hat. Der Umstand, dass sämtliche Tathandlungen auf denselben Tatentschluss des Angeklagten zurückgehen, reicht für die Annahme einer natürlichen Handlungseinheit nicht aus. Die Verurteilung des Angeklagten in diesem Tatkomplex wegen eines einheitlichen Falls des Betruges kann daher keinen Bestand haben.
2. Soweit die Geschädigte L. dem Angeklagten Vermögenswerte ihrer Familienangehörigen übergab, wird zudem der Schuldspruch wegen Betruges (§ 263 Abs. 1 StGB) von den bisherigen Feststellungen nicht getragen.
a) Zwar ist es für einen sog. Dreiecksbetrug ausreichend, dass die getäuschte und die verfügende Person identisch sind; nicht erforderlich ist die Identität der verfügenden und der geschädigten Person (st. Rspr.; vgl. bereits BGH, Urteil vom 16. Januar 1963 - 2 StR 591/62, BGHSt 18, 221, 223). Der Tatbestand des Betruges ist aber nur dann erfüllt, wenn die Verfügung des Getäuschten dem Vermögensinhaber zuzurechnen ist (vgl. Fischer, StGB, 64. Aufl., § 263, Rn. 79 sowie Tiedemann in LK-StGB, 12. Aufl., § 263, Rn. 114 mwN); denn nur dann erscheint die Handlung des Getäuschten als eine Verfügung des Vermögensinhabers und nicht als eine durch den Täuschenden gesteuerte „gutgläubige“ Wegnahme (vgl. Satzger in SSW-StGB, 3. Aufl., § 263 Rn. 192).
Eine derartige Zurechnung hat jedenfalls dann stattzufinden, wenn der irrende Verfügende die rechtliche Befugnis hat, Rechtsänderungen mit unmittelbarer Wirkung für das fremde Vermögen vorzunehmen (vgl. Tiedemann aaO Rn. 113 sowie Satzger aaO Rn. 193, jeweils mwN). Dagegen reicht die rein faktische Möglichkeit des Getäuschten, auf Vermögensgegenstände eines Dritten zuzugreifen, für sich allein grundsätzlich nicht aus (vgl. BGH aaO, BGHSt 18, 221, 223 f.).
Nach der Rechtsprechung ist es für eine Zurechnung der Verfügung zum geschädigten Vermögen aber ausreichend, dass der Verfügende im Lager des Vermögensinhabers steht (sog. Lagertheorie; vgl. dazu BGH, Beschluss vom 22. Januar 2013 - 1 StR 416/12, BGHSt 58, 119, 127 f. Rn. 34 [bzgl. § 263a StGB] sowie Fischer aaO Rn. 82 und Satzger aaO Rn. 195). Voraussetzung hierfür ist ein - faktisches oder rechtliches - Näheverhältnis des Verfügenden zu dem geschädigten Drittvermögen, das schon vor der Tat bestanden hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. Juli 1996 - 5 StR 168/96, NStZ 1997, 32, 33 und vom 20. Dezember 2007 - 1 StR 558/07, NStZ 2008, 339 f. sowie Fischer aaO Rn. 79). Ein solches liegt etwa dann vor, wenn der Getäuschte mit dem Einverständnis des Vermögensinhabers eine Schutz- oder Prüfungsfunktion wahrnimmt (vgl. Fischer aaO Rn. 83 und Tiedemann aaO Rn. 116). Als ausreichend hierfür wird die Stellung als Mitgewahrsamsinhaber angesehen (vgl. BGH aaO, BGHSt 18, 221, 223).
b) Ausgehend von diesen Maßstäben belegen die Urteilsfeststellungen nicht das für einen Dreiecksbetrug erforderliche Näheverhältnis zwischen L. und den von ihr dem Angeklagten übergebenen Vermögenswerten ihrer Familienangehörigen. Mangels ausreichender Feststellungen zu den Gewahrsamsverhältnissen, insbesondere hinsichtlich der im Kellertresor aufbewahrten Gegenstände, bleibt unklar, ob L. als Inhaberin des Gewahrsams oder Mitgewahrsams für die Vermögensgegenstände eine Schutzfunktion wahrnahm und ob das erforderliche Näheverhältnis zu den geschädigten Drittvermögen bestand. Allein die bloße Zugehörigkeit von L. zur Familie und das Bewohnen eines gemeinsamen Anwesens rechtfertigen es nicht, ihre Verfügung über nicht in ihrem Eigentum stehende Vermögensgegenstände dem jeweiligen Vermögensinhaber zuzurechnen.
c) Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf diesem Rechtsfehler beruht. Der Rechtsfehler führt auch zur Aufhebung der zugrundeliegenden Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO). Da das Tatgericht ausweislich der Urteilsgründe auch für den Tatkomplex C.I.2. der Urteilsgründe allein eine Strafbarkeit wegen Betruges angenommen und sich so den Blick auf die nicht ausgeschlossene Möglichkeit jeweils in mittelbarer Täterschaft - mit L. als Tatmittlerin - begangener Diebstähle in den von C.I.2.b) - e) der Urteilsgründe (UA S. 15 bis 18) erfassten Fällen verstellt hat, mangelt es an tragfähigen Feststellungen zu den Gewahrsamsverhältnissen an den betroffenen Wertgegenständen.
3. Im Hinblick auf die neue Hauptverhandlung bemerkt der Senat Folgendes:
a) Die neue Strafkammer wird Gelegenheit haben, im Tatkomplex C.I.2. der Urteilsgründe die Gewahrsams- und Eigentumsverhältnisse der von L. an den Angeklagten übergebenen Vermögensgegenstände umfassend aufzuklären sowie zu prüfen, ob ihr generell erlaubt worden war, die Tresore zu öffnen oder zu benutzen. Sie wird ebenfalls zu prüfen haben, inwieweit in dem sich von Dezember 2014 bis zum 26. Februar 2016 erstreckenden Tatzeitraum auch noch die späteren Übergaben von Vermögensgegenständen an den Angeklagten von L. irrtumsbedingt vorgenommen wurden.
b) Soweit die Beweisaufnahme hinsichtlich solcher Vermögenswerte, die Familienangehörigen von L. gehörten, nicht das für einen Dreiecksbetrug erforderliche Näheverhältnis der Verfügenden zu den Vermögen der Geschädigten ergeben sollte, wird das neue Tatgericht in den Blick nehmen, ob insoweit ein Diebstahl des Angeklagten in mittelbarer Täterschaft (§§ 242, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB) in Betracht kommt. Ein solcher liegt jedenfalls dann nicht fern, wenn L. im Hinblick auf eine nur „kurzfristige Leihe“ die Absicht zur Selbst- oder Drittzueignung fehlte, auch wenn eine solche Annahme in den Fällen eher fernliegt, wenn mehrere Monate nach Übergabe der ersten Gegenstände, diese immer noch nicht zurückgegeben waren.
c) Sofern das neue Tatgericht wiederum feststellen sollte, dass L. dem Angeklagten aufgrund einer Täuschungshandlung sowohl fremde als auch eigene Vermögensgegenstände übergeben hat, ist auch eine Tateinheit (§ 52 StGB) zwischen Diebstahl in mittelbarer Täterschaft und Betrug nicht von vornherein ausgeschlossen. Zwar besteht hinsichtlich ein und desselben Vermögensgegenstandes zwischen Betrug (§ 263 StGB) und Diebstahl (§ 242 StGB) ein Exklusivitätsverhältnis (vgl. Satzger in SSW-StGB, 3. Aufl., § 263, Rn. 141 mwN). Tateinheit kann aber dann vorliegen, wenn nebeneinander verschiedene Tatobjekte betroffen sind, hinsichtlich derer unterschiedliche Eigentumsverhältnisse bestehen (vgl. Satzger aaO Rn. 352).
HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 687
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede