HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1444
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 441/23, Beschluss v. 05.06.2024, HRRS 2024 Nr. 1444
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Görlitz vom 16. März 2023 aufgehoben, soweit er verurteilt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht Zittau - Jugendrichter - zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht - Jugendkammer - hat den Angeklagten wegen Herstellung einer jugendpornographischen Schrift verwarnt und von weiteren Vorwürfen freigesprochen. Seine gegen die Verurteilung gerichtete und auf die Rüge einer Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I.
Nach den Feststellungen des Landgerichts führte die am 28. April 2004 geborene Nebenklägerin W. am 7. Oktober 2019 freiwillig am Angeklagten und zumindest für eine kurze Zeit auch an einer weiteren männlichen Person - wahrscheinlich dessen Cousin - den Oralverkehr aus. Die weitere männliche Person filmte das Geschehen in Kenntnis und mit Billigung des Angeklagten mit der Kamera eines Mobiltelefons, und zwar in acht einzelnen Sequenzen mit einer Gesamtlänge von vier Minuten und 21 Sekunden.
In der ersten Videosequenz verdeckte die Zeugin zunächst mit der linken Hand einen Teil ihres Gesichts. Hierauf forderte sie der Angeklagte auf, ihre Hand wegzunehmen und schob diese sodann beiseite. Die Zeugin unterbrach den Oralverkehr kurz und fragte „Filmst du?“, was eine männliche Stimme verneinte, woraufhin sie den Oralverkehr fortsetzte. Die weiteren Sequenzen enthalten neben Oralverkehr in unterschiedlichen Positionen verschiedene Anweisungen der weiteren männlichen Person an die Zeugin, wie sie den Oralverkehr vollziehen soll. In einer der Sequenzen schob der Angeklagte die Hand der Zeugin erneut beiseite, forderte am Ende eines der Videos das Ausschalten der Kamera oder gab der Zeugin die Anweisung, sich aufzurichten.
Die Videodateien waren sowohl auf dem Mobiltelefon des Angeklagten als auch auf dem seines gesondert verfolgten Cousins gespeichert. Dass die Bildqualität der beim Angeklagten gespeicherten Dateien schlechter war, hat die Jugendkammer als Indiz dafür gewertet, dass die Videos mit dem Mobiltelefon des gesondert Verfolgten aufgenommen und dann in verlustbehaftet komprimierter Form an den Angeklagten übermittelt wurden.
Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten als mittäterschaftliche (§ 25 Abs. 2 StGB) Herstellung einer jugendpornographischen Schrift gemäß § 184c Abs. 1 Nr. 3 StGB in der Fassung vom 21. Januar 2015 gewertet, wobei die Herstellung aller Dateien konkurrenzrechtlich eine natürliche Handlungseinheit bilde.
1. Der Schuldspruch hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die bisher getroffenen Feststellungen belegen eine Herstellung durch den Angeklagten nicht.
a) Hersteller im Sinne des § 184c Abs. 1 Nr. 3 StGB ist derjenige, der die Aufnahme in einem Datenspeicher fixiert und damit für eine bildliche Perpetuierung sorgt (BGH, Beschluss vom 5. September 2019 - 4 StR 377/19, NStZ-RR 2019, 341, 342). Die Tatbestandsverwirklichung setzt, wie bei § 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB (siehe hierzu BGH, Beschluss vom 28. September 2021 - 2 StR 264/21 Rn. 14), keine eigenhändige Begehung voraus; auch Mittäterschaft oder mittelbare Täterschaft sind rechtlich möglich.
b) Soweit das Landgericht dem nicht eigenhändig filmenden Angeklagten die Handlungen der weiteren männlichen Person nach den Grundsätzen der Mittäterschaft (§ 25 Abs. 2 StGB) zugerechnet hat, sind deren Voraussetzungen nicht ausreichend festgestellt.
aa) Bei der Beteiligung mehrerer Personen, von denen nicht jede sämtliche Tatbestandsmerkmale verwirklicht, handelt mittäterschaftlich, wer auf der Grundlage eines gemeinsamen Tatplans seinen eigenen Tatbeitrag so in die Tat einfügt, dass er als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Handeln als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint. Ob dies der Fall ist, ist nach den gesamten Umständen in wertender Betrachtung zu beurteilen. Kriterien für die Beurteilung sind der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft, so dass Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich vom Willen des Angeklagten abhängen muss (vgl. BGH, Urteile vom 26. Oktober 2023 - 5 StR 257/23 Rn. 34; vom 29. Juni 2023 - 3 StR 343/22, NStZ-RR 2023, 315, 316).
bb) Ein derartiges Zusammenwirken zwischen dem Angeklagten und dem Filmenden belegt die bloße Feststellung der Jugendkammer, die Videosequenzen seien „in Kenntnis und mit Billigung“ des Angeklagten aufgenommen worden, nicht. Zwar ergibt sich aus dem im Urteil mitgeteilten Inhalt der Aufzeichnungen, dass der Angeklagte zur Aufzeichnung des Geschehens objektiv beitrug, indem er etwa die ihr Gesicht verdeckende Hand der Zeugin beiseiteschob. Ob er damit aber auf der Grundlage eines bereits im Vorfeld oder auch spontan gefassten gemeinsamen Tatplans mit dem Filmenden an der Herstellung mitwirkte oder aus anderen Motiven handelte, und ob er einen als täterschaftlich einzuordnenden Tatbeitrag erbracht hat, bedarf einer - hier fehlenden - dem Tatgericht vorbehaltenen Würdigung.
c) Der Rechtsfehler entzieht dem Schuldspruch die Grundlage. Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht (§ 353 Abs. 2 StPO), so dass die Revision des Angeklagten insoweit erfolglos bleibt (§ 349 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, soweit sie zu den bisherigen nicht im Widerspruch stehen.
2. Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache gemäß § 354 Abs. 3 StPO an das Amtsgericht Zittau - Jugendrichter - zurückzuverweisen. Dessen Zuständigkeit (§ 39 Abs. 1 Satz 1 JGG) reicht zur Erledigung der Sache aus (vgl. § 358 Abs. 2 StPO, § 2 Abs. 2 JGG).
3. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
a) Sollte das neue Tatgericht - was nicht fernliegend erscheint - die Voraussetzungen einer mittäterschaftlichen Beteiligung des Angeklagten an der Herstellung der jugendpornographischen Schriften ergänzend feststellen können, wäre ein Schuldspruch nach § 184c Abs. 1 Nr. 3 StGB entgegen der Auffassung der Revision nicht deshalb ausgeschlossen, weil diese auch das Abbild des Angeklagten enthalten. Zwar kann sich der Jugendliche als Schutzobjekt der Strafvorschrift durch das Herstellen einer Abbildung seiner eigenen Person nicht strafbar machen (vgl. BT-Drucks. 16/3439, S. 9; BT-Drucks. 16/9646, S. 18; BT-Drucks. 19/19859, S. 68; MüKoStGB/Hörnle, 4. Aufl., § 184c Rn. 17; SKStGB/Greco, 10. Aufl., § 184c Rn. 14; Schönke/Schröder/Eisele, StGB, 30. Aufl., § 184c Rn. 22; SSWStGB/Zimmermann, 6. Aufl., § 184c Rn. 13). Soweit er jedoch zugleich andere Jugendliche abbildet und damit in deren Persönlichkeitsrechte eingreift, gilt der Tatbestand - vorbehaltlich des Vorliegens der Voraussetzungen des § 184c Abs. 4 StGB - auch für ihn (vgl. MüKoStGB/Hörnle, 4. Aufl., § 184c Rn. 17; SKStGB/Greco, 10. Aufl., § 184c Rn. 14; Schönke/Schröder/Eisele, StGB, 30. Aufl., § 184c Rn. 22; unklar insoweit Matt/Renzikowski/Eschelbach, 2. Aufl., § 184c Rn. 38 und [nur zum Besitz und zur Besitzverschaffung] Fischer, StGB, 71. Aufl., § 184c Rn. 9). Denn die Mitwirkung eines durch den Tatbestand geschützten Rechtsgutsträgers ist dann nicht als notwendige Teilnahme straflos, wenn sein Tun auch fremde oder von ihm nicht disponierbare Rechtsgüter verletzt (vgl. Sowada, Die „notwendige Teilnahme“ als funktionales Privilegierungsmodell im Strafrecht, 1992, S. 89 ff.; Gropp, Deliktstypen mit Sonderbeteiligung, 1992, S. 144 f.).
b) Soweit es danach auf das Vorliegen des Tatbestandsausschlusses nach § 184c Abs. 4 StGB ankommen sollte, wird sorgfältig zu prüfen sein, ob die Videodateien ausschließlich zum persönlichen Gebrauch der Beteiligten und mit wirksamer Einwilligung der Zeugin W. hergestellt worden sind. Ersteres wäre ausgeschlossen, wenn eine Weiterleitung an eine dritte Person (§ 184c Abs. 1 Nr. 2 StGB) oder eine Verbreitungshandlung (§ 184c Abs. 1 Nr. 1 StGB) bereits bei Fertigung der Aufnahme geplant oder als Option in den Blick genommen worden war (vgl. MüKoStGB/Hörnle, 4. Aufl., § 184c Rn. 19). Die Wirksamkeit der Einwilligung setzt neben der Einsichtsfähigkeit des Jugendlichen auch voraus, dass die Zustimmung nicht durch einen Willensmangel - hervorgerufen etwa durch täuschendes oder in sonstiger Weise unlauteres Einwirken des Täters - beeinträchtigt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Januar 2021 - 3 StR 362/20, BGHR StGB § 184c Abs. 4 Einwilligung 1; LK/Nestler, StGB, 13. Aufl., § 184c Rn. 20; Schönke/Schröder/Eisele, StGB, 30. Aufl., § 184c Rn. 21).
4. Die Kostenbeschwerde des Angeklagten ist aufgrund der teilweisen Aufhebung der Verurteilung und der Zurückverweisung der Sache gegenstandslos (vgl. BGH, Beschlüsse vom 23. März 2021 - 1 StR 50/21 Rn. 19; vom 20. August 2019 - 2 StR 381/17 Rn. 30).
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1444
Bearbeiter: Christian Becker