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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 306

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 362/20, Beschluss v. 12.01.2021, HRRS 2021 Nr. 306


BGH 3 StR 362/20 - Beschluss vom 12. Januar 2021 (LG Wuppertal)

Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht (unmissverständliche Klarstellung der Strafbewehrung); Verschaffen jugendpornographischer Schriften (Wirksamkeit einer Einwilligung; Täuschung; Einsichtsfähigkeit).

§ 145a StGB; § 68b StGB; § 184c StGB a.F.

Leitsätze des Bearbeiters

1. Nach dem Wortlaut des § 184c Abs. 4 StGB in der Fassung vom 21. Januar 2015 ist eine Strafbarkeit wegen Sichverschaffens von jugendpornografischen Schriften gemäß § 184c Abs. 3 Var. 1 StGB aF ausgeschlossen, wenn derjenige, der sich die Schrift verschafft, diese mit Einwilligung der dargestellten Person ausschließlich zum persönlichen Gebrauch hergestellt hat. Hat die dargestellte Person die Schrift geschaffen und dem Täter ausgehändigt, kommt dagegen allenfalls eine analoge Anwendung des § 184c Abs. 4 StGB aF oder eine spiegelbildliche teleologische Reduktion des § 184c Abs. 3 Alternative 1 StGB aF in Betracht. Jedoch führt in allen genannten Fällen die fehlende Einsichtsfähigkeit des Jugendlichen ebenso wie ein täuschendes oder in sonstiger Weise unlauteres Einwirken des Täters zur Unwirksamkeit der Einwilligung.

2. Voraussetzung für eine Bestrafung nach § 145a StGB ist, dass die Weisung, gegen die der Täter verstoßen hat, hinreichend bestimmt ist. Dies ist in den Urteilsgründen darzustellen. In Anbetracht des Gebots aus Art. 103 Abs. 2 GG und des Umstands, dass § 68b Abs. 2 StGB auch nicht strafbewehrte Weisungen zulässt, muss sich aus dem Führungsaufsichtsbeschluss selbst ergeben, dass es sich bei der Weisung, auf deren Verletzung die Verurteilung gestützt werden soll, um eine solche gemäß § 68b Abs. 1 StGB handelt, die nach § 145a Satz 1 StGB strafbewehrt ist. Dass eine Weisung strafbewehrt ist, muss in dem Führungsaufsichtsbeschluss unmissverständlich klargestellt sein. Die Verwendung des Begriffs „verboten“ besagt für sich genommen regelmäßig noch nicht, dass ein Verstoß strafbar wäre.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 27. Mai 2020 aufgehoben,

soweit der Angeklagte in den Fällen II. 1. a), c), d) und e) der Urteilsgründe verurteilt worden ist,

in den Aussprüchen über die Gesamtstrafe und die Einziehung; jedoch bleiben die jeweils zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten - unter Freisprechung im Übrigen - wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht in vier Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Jugendlichen und mit Sichverschaffen von jugendpornografischen Schriften (Fall II. 1. e) der Urteilsgründe), in einem Fall in Tateinheit mit zweifacher versuchter Nötigung und mit dreifachem Sichverschaffen von jugendpornografischen Schriften (Fall II. 1. d) der Urteilsgründe), in einem Fall in Tateinheit mit Sichverschaffen von jugendpornografischen Schriften (Fall II. 1. c) der Urteilsgründe) und in einem Fall in Tateinheit mit zweifacher versuchter Nötigung (Fall II. 1. a) der Urteilsgründe), sowie wegen versuchter Nötigung (Fall II. 1. b) der Urteilsgründe) und wegen Sichverschaffens von jugendpornografischen Schriften (Fall II. 2. der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Ferner hat es sieben Gegenstände (ein Mobiltelefon sowie Computerhardware) als Tatmittel eingezogen. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die Verfahrensrüge dringt aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts dargelegten Gründen nicht durch.

2. Die Verurteilung des Angeklagten in den Fällen II. 1. a), c), d) und e) der Urteilsgründe (nachfolgend: Fälle 1. a), c), d) und e)) hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Zu diesen Fällen hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:

Nach Vollverbüßung einer unter anderem wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern verhängten mehrjährigen Haftstrafe stand der Angeklagte im Tatzeitraum von Dezember 2015 bis März 2018 unter Führungsaufsicht. Für deren Dauer hatte ihm die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 18. Dezember 2014 mehrere Weisungen erteilt, darunter die folgende:

„Dem Verurteilten wird verboten, Kontakt zu weiblichen Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren aufzunehmen und/oder mit ihnen zu verkehren, sei es persönlich, schriftlich oder mittels Inanspruchnahme elektronischer, technischer oder sonstiger Medien und Kommunikationseinrichtungen einschließlich Internet und Telefondienstleistungen (§ 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB).“ Über die Bedeutung der Führungsaufsicht war der Angeklagte in der Justizvollzugsanstalt belehrt worden, wobei er darauf hingewiesen worden war, dass Verstöße gegen eine Weisung der in § 68b Abs. 1 StGB bezeichneten Art während der Führungsaufsicht mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe belegt werden können.

Gleichwohl chattete der Angeklagte, der im Dezember 2015 38 Jahre alt war, spätestens ab diesem Monat neben- und nacheinander mit vier, wie er wusste, weiblichen 15-Jährigen (Fälle 1. a), c), d) und e)). Er gab sich als 17- oder 19-Jähriger aus und änderte mitunter während eines Chatverlaufs seine Altersangaben dahin, dass er Mitte zwanzig sei. Er lenkte die Kommunikation stets auf sexuelle Themen. Im Rahmen des jeweiligen Chatverkehrs gelang es dem Angeklagten, drei der vier Jugendlichen - teils mehrfach - dazu zu bewegen, ihm selbstgefertigte Foto- oder Videoaufnahmen zu übersenden, die den entblößten Ansatz der eigenen Scham (Fall 1. c)) bzw. von ihnen vollzogene Masturbationshandlungen (Fälle 1. d) und e)) zeigten. Er drohte zweien der Chatpartnerinnen - teils wiederholt - mit Suizid, um sie zu veranlassen, mit ihm die Kommunikation fortzusetzen, was sie allerdings nicht ernst nahmen (Fälle 1. a) und d)). An einer der Minderjährigen führte er bei einem persönlichen Treffen, nachdem sie sich auf sein Verlangen nackt ausgezogen hatte, sexuelle Handlungen aus, indem er mit dem Finger in ihre Vagina eindrang; dies duldete das Opfer, weil es davon ausging, dass der Angeklagte ihm, wie zuvor versprochen, eine Motocrossmaschine zuwenden werde (Fall 1. e)).

b) Das Landgericht hat für jede der vier Chatpartnerinnen einen eigenständigen (§ 53 StGB) fortwährenden Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht (§ 145 Satz 1 StGB) angenommen, der die weiteren zu Lasten der jeweiligen 15-Jährigen verübten Delikte des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen (§ 182 Abs. 2 StGB), der versuchten Nötigung (§ 240 Abs. 1 bis 3, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB) und des Sichverschaffens von jugendpornografischen Schriften (§ 184c Abs. 3 Alternative 1 StGB aF) verklammert (§ 52 StGB).

c) Die Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht nicht.

aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gilt:

Voraussetzung für eine Bestrafung nach § 145a StGB ist, dass die Weisung, gegen die der Täter verstoßen hat, hinreichend bestimmt ist. Dies ist in den Urteilsgründen darzustellen. In Anbetracht des Gebots aus Art. 103 Abs. 2 GG und des Umstands, dass § 68b Abs. 2 StGB auch nicht strafbewehrte Weisungen zulässt, muss sich aus dem Führungsaufsichtsbeschluss selbst ergeben, dass es sich bei der Weisung, auf deren Verletzung die Verurteilung gestützt werden soll, um eine solche gemäß § 68b Abs. 1 StGB handelt, die nach § 145a Satz 1 StGB strafbewehrt ist. Dafür ist zwar einerseits eine ausdrückliche Bezugnahme auf § 68b Abs. 1 StGB nicht erforderlich; andererseits wird sie aber ohne weitere Erläuterung regelmäßig nicht ausreichen, um dem Verurteilten die notwendige Klarheit zu verschaffen. Dass eine Weisung strafbewehrt ist, muss in dem Führungsaufsichtsbeschluss unmissverständlich klargestellt sein. Wegen der Gefahr von Missverständnissen und Ungewissheiten kann diese Klarstellung nicht durch eine mündliche Belehrung ersetzt werden (s. BGH, Beschlüsse vom 19. August 2015 - 5 StR 275/15, BGHR StGB § 145a Satz 1 Verstoß gegen Weisungen 3; vom 11. Februar 2016 - 2 StR 512/15, BGHR StGB § 145a Bestimmtheit 2; vom 8. September 2016 - 1 StR 377/16, StV 2020, 22; vom 25. Februar 2020 - 4 StR 590/19, NStZ 2020, 480 Rn. 4 f.; Urteil vom 24. Juni 2020 - 3 StR 287/19, juris Rn. 18; LK/Krehl, StGB, 13. Aufl., § 145a Rn. 9a mwN).

bb) Bei Anlegung dieser rechtlichen Maßstäbe sind die Urteilsfeststellungen lückenhaft.

Der Führungsaufsichtsbeschluss der Strafvollstreckungskammer vom 18. Dezember 2014 wird in den Urteilsgründen nur auszugsweise mitgeteilt. Deshalb kann nicht abschließend geprüft werden, ob dort unmissverständlich klargestellt ist, dass die vom Angeklagten verletzte Weisung strafbewehrt ist. Soweit die Urteilsgründe den Führungsaufsichtsbeschluss wiedergeben, kann ihm dies nicht entnommen werden. Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts geht aus dem Wortlaut der Weisung deren Charakter nicht mit der gebotenen Klarheit hervor. Dass der Text auf § 68b Abs. 1 StGB, nämlich dessen Satz 1 Nr. 3, verweist, genügt, wie dargelegt, in der Regel - wie auch hier - nicht. Die Verwendung des Begriffs „verboten“ besagt nicht, dass ein Verstoß strafbar wäre. Dies ergibt sich bereits aus einem Vergleich mit einer gesetzlichen Verbotsnorm; deren Verletzung ist nicht notwendig mit Kriminalstrafe bedroht, sondern kann ganz unterschiedliche Rechtsfolgen nach sich ziehen.

Dass die mit der Belehrung über die Bedeutung der Führungsaufsicht befasste Justizvollzugsanstalt einen Hinweis auf die Strafbarkeit eines Verstoßes gegen eine auf § 68b Abs. 1 StGB gestützte Weisung erteilte, kann - gemäß den obigen Ausführungen - einen defizitären Beschluss nicht heilen.

d) Wegen dieses Rechtsfehlers hat der Schuldspruch in den Fällen 1. a), c), d) und e) keinen Bestand. Damit entfällt auch die Verurteilung wegen der idealkonkurrierenden Straftaten.

Die jeweils zugehörigen Feststellungen sind hingegen von dem Rechtsfehler nicht berührt, so dass sie bestehen bleiben können (s. § 353 Abs. 2 StPO). Die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer wird weitergehende Feststellungen treffen können, soweit sie den bestehenden nicht widersprechen. Im Hinblick auf den Inhalt des Führungsaufsichtsbeschlusses vom 18. Dezember 2014, gegebenenfalls auch einer nachfolgenden Änderung, zu der in Anbetracht der - oben zitierten (s. 2. c) aa)) - seit dem Jahr 2015 ergangenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ersichtlich Anlass bestanden haben könnte, sind solche Feststellungen geboten.

3. Die Aufhebung des Schuldspruchs in den Fällen 1. a), c), d) und e) entzieht den hierfür festgesetzten Einzelstrafen sowie der Gesamtstrafe die Grundlage. Auch die Einziehungsentscheidung ist - insgesamt - aufzuheben. Zwar lässt sich den Urteilsgründen entnehmen, dass der Angeklagte zwei der eingezogenen Gegenstände, nämlich das sichergestellte Mobiltelefon der Marke Samsung sowie den Tower-PC der Marke MS Tech, als Tatmittel unter anderem in den nicht von dem aufgezeigten Rechtsfehler betroffenen Fällen II. 1. b) und 2. der Urteilsgründe nutzte (s. UA S. 44). Die Teilaufhebung des Schuldspruchs hat jedoch Bedeutung für die - im angefochtenen Urteil nicht dargelegte (vgl. UA S. 72 f.) - tatgerichtliche Ermessensausübung gemäß § 74 Abs. 1 StGB.

4. Im Übrigen hat die sachlich-rechtliche Nachprüfung des Urteils anhand der Revisionsrechtfertigung keinen dem Angeklagten nachteiligen Rechtsfehler ergeben.

5. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass in den Fällen 1. a), c), d) und e) die aufrechterhaltenen Feststellungen die Verurteilung des Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen, versuchter Nötigung sowie Sichverschaffens von jugendpornografischen Schriften tragen. Nur die Strafbarkeit nach § 184c Abs. 3 Alternative 1 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 StGB in der im Tatzeitraum geltenden Fassung vom 21. Januar 2015 (§ 2 Abs. 1 StGB) bedarf - ergänzend zu den zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts - der Erörterung:

Der Angeklagte verwirklichte in den Fällen 1. c), d) und e) jeweils die Tatbestandsmerkmale dieser Strafvorschrift, indem er sich von den drei 15-jährigen Chatpartnerinnen Foto- oder Videoaufnahmen übersenden ließ, die sie von sich selbst gefertigt hatten und den entblößten Ansatz der Scham bzw. Masturbationshandlungen zeigten. Einen ungeschriebenen Tatbestandsausschluss wegen des Umstands, dass die Minderjährigen ihm das jugendpornografische Material bewusst überließen, hat das Landgericht zu Recht verneint. Denn ihre Entscheidungen, dies zu tun, beruhten auf beachtlichen Willensmängeln. Im Einzelnen:

a) Nach dem Wortlaut des § 184c Abs. 4 StGB in der Fassung vom 21. Januar 2015 ist eine Strafbarkeit wegen Sichverschaffens von jugendpornografischen Schriften gemäß § 184c Abs. 3 Alternative 1 StGB aF ausgeschlossen, wenn derjenige, der sich die Schrift verschafft, diese mit Einwilligung der dargestellten Person ausschließlich zum persönlichen Gebrauch hergestellt hat. Hat - wie hier - die dargestellte Person die Schrift geschaffen und dem Täter ausgehändigt, kommt dagegen allenfalls eine analoge Anwendung des § 184c Abs. 4 StGB aF (so Schönke/Schröder/Eisele, StGB, 30. Aufl., § 184c Rn. 20) oder eine spiegelbildliche teleologische Reduktion des § 184c Abs. 3 Alternative 1 StGB aF (so MüKoStGB/Hörnle, 3. Aufl., § 184c Rn. 20) in Betracht. Die Gesetzesmaterialien zur aktuellen Fassung des § 184c Abs. 4 StGB, die bis auf die Ersetzung des Begriffs der Schrift durch denjenigen des Inhalts der vormaligen Fassung entspricht, gehen davon aus, dass ein solches ungeschriebenes strafrechtliches Haftungsprivileg dem Grunde nach anzuerkennen ist (s. BT-Drucks. 19/19859 S. 68). Über seine Voraussetzungen braucht hier allerdings nicht abschließend entschieden zu werden (gleichfalls offengelassen von BGH, Beschluss vom 5. September 2019 - 4 StR 377/19, NStZ-RR 2019, 341, 342). Insbesondere kommt es nicht darauf an, ob die Straffreiheit - mit Blick auf den Normzweck (vgl. Matt/Renzikowski/Eschelbach, StGB, 2. Aufl., § 184c Rn. 33, 35; SKStGB/Wolters/Greco, 9. Aufl., §184c Rn. 16) - auf innerhalb einer sexuellen Beziehung erstelltes, von einem Sexualpartner freiwillig an den anderen überlassenes jugendpornografisches Material beschränkt ist.

b) Eine Straffreiheit kann jedenfalls dann nicht eintreten, wenn der Jugendliche nicht freiverantwortlich in das Sichverschaffen des Täters einwilligt. Denn auch eine unmittelbare Anwendung des § 184c Abs. 4 StGB aF scheidet aus, soweit das Einverständnis auf einem beachtlichen Willensmangel beruht.

aa) Die bis zum 26. Januar 2015 gültige Vorgängerregelung in § 184c Abs. 4 Satz 2 StGB wurde durch das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie (Rahmenbeschluss 2004/68/JI vom 22. Dezember 2003 [ABl. EU Nr. L 13 S. 44]) vom 31. Oktober 2008 (BGBl. I S. 2149) eingeführt. Während der ursprüngliche Gesetzesentwurf der Bundesregierung die Aufnahme einer entsprechenden Regelung in den Gesetzestext noch nicht vorgesehen, allerdings in der Begründung ausgeführt hatte, es erscheine nicht strafwürdig, wenn Jugendliche innerhalb einer sexuellen Beziehung in gegenseitigem Einverständnis pornografische Schriften von sich herstellten und austauschten (sog. Jugendliebeprivileg; s. BT-Drucks. 16/3439 S. 9), empfahl der Rechtsausschuss des Bundestages, die Strafbarkeit des Sichverschaffens und des Besitzes von jugendpornografischen Schriften in Einklang mit Art. 3 Abs. 2 Buchst. b des Rahmenbeschlusses 2004/68/JI gesetzlich einzuschränken (s. BT-Drucks. 16/9646 S. 18). Nach dessen Satz 1 bleibt es den Mitgliedstaaten unbenommen festzulegen, dass die Herstellung und der Besitz von jugendpornografischem Material straflos sind, wenn die abgebildeten Jugendlichen als sexuell mündige Minderjährige ihre Zustimmung hierzu erteilt haben und die Bilder ausschließlich zu ihrer persönlichen Verwendung bestimmt sind. Satz 2 der Vorschrift bestimmt indes, eine Zustimmung dürfe dann nicht als wirksam betrachtet werden, wenn „beispielsweise höheres Alter, Reife, Stellung, Status, Erfahrung oder Abhängigkeit des Opfers vom Täter zur Einholung der Zustimmung missbraucht worden“ ist.

Seine im Tatzeitraum - bis zum 31. Dezember 2020 - gültige Fassung erhielt der Ausnahmetatbestand des § 184c Abs. 4 StGB durch das Neunundvierzigste Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches vom 21. Januar 2015 (BGBl. I S. 10), das der Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht, namentlich der Richtlinie 2011/93/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2004/68/JI (ABl. EU Nr. L 335 S. 1, 2012 Nr. L 18 S. 7), diente. Aufgrund der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Bundestages (BT-Drucks. 18/3202 S. 27) wurde das Erfordernis aufgegeben, dass der privilegierte Hersteller der Schrift das 18. Lebensjahr vollendet haben muss. Der Gesetzesentwurf der Regierungsfraktionen im Bundestag hob hervor, die Neuregelung entspreche den Vorgaben des Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2011/93/EU (s. BT-Drucks. 18/2601 S. 33). Hiernach können die Mitgliedstaaten davon absehen, das Herstellen, den Erwerb und den Besitz von jugendpornografischem Material unter Strafe zu stellen, wenn es mit Einverständnis des dargestellten Jugendlichen sowie ausschließlich zum persönlichen Gebrauch des Handelnden hergestellt worden ist und sich in seinem Besitz befindet, „sofern die Handlungen nicht mit Missbrauch verbunden sind“. Der Begriff des Missbrauchs ist hier nicht anders zu verstehen als bei Art. 3 Abs. 2 Buchst. b des Rahmenbeschlusses 2004/68/JI; er bezieht sich auf das (missbräuchliche) Herbeiführen des Einverständnisses der Jugendlichen, die typischerweise noch in der Entwicklung einer eigenverantwortlichen sexuellen Identität begriffen sind.

bb) Aus dem gesetzgeberischen Willen und den ihm zugrundeliegenden unionsrechtlichen Vorgaben folgt, dass für eine nach dem Wortlaut des § 184c Abs. 4 StGB aF erforderliche Einwilligung des Jugendlichen ein rein faktisches Einverständnis nicht genügt (so aber MüKoStGB/Hörnle, 3. Aufl., § 184c Rn. 19). Vielmehr muss sie wirksam sein (s. Matt/Renzikowski/Eschelbach, StGB, 24 25 2. Aufl., § 184c Rn. 33; Fischer, StGB, 68. Aufl., § 184c Rn. 9); das Merkmal der Einwilligung ist dahin auszulegen, dass die Zustimmung des Jugendlichen über seine notwendige Einsichtsfähigkeit hinaus nicht durch einen beachtlichen Willensmangel beeinträchtigt sein darf (vgl. Schönke/Schröder/Eisele, StGB, 30. Aufl., § 184c Rn. 21; AnwK-StGB/Ziethen/Ziemann, 3. Aufl., § 184c Rn. 22). Dieses Verständnis wird dem Ausnahmecharakter der Norm gerecht (zur gebotenen engen Auslegung einer Ausnahmevorschrift vgl. BGH, Beschluss vom 11. November 2020 - 5 StR 256/20, juris Rn. 35 mwN) und entspricht ihrem Schutzzweck, der insbesondere im Jugendschutz und der Bekämpfung des Missbrauchs von Jugendlichen für die Herstellung pornografischer Schriften besteht (vgl. SSW-StGB/Hilgendorf, 5. Aufl., § 184c Rn. 5; ferner - entsprechend zur Kinderpornografie - BGH, Urteil vom 24. März 1999 - 3 StR 240/98, BGHSt 45, 41, 43).

Für eine analoge Anwendung des § 184c Abs. 4 StGB aF oder spiegelbildliche teleologische Reduktion des § 184c Abs. 3 Alternative 1 StGB aF bedeutet dies, dass im Einzelfall nicht nur die fehlende Einsichtsfähigkeit des Jugendlichen zur Unwirksamkeit der Einwilligung in das Sichverschaffen führt, sondern - entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers - auch ein täuschendes oder in sonstiger Weise unlauteres Einwirken des Täters auf ihn. Der Jugendliche muss jedenfalls autonom darüber entscheiden können, wem er von sich selbst gefertigtes pornografisches Material überlässt.

cc) Auf der Grundlage der aufrechterhaltenen Feststellungen lag in den Fällen 1. c), d) und e) bei den drei 15-jährigen Chatpartnerinnen jeweils ein vom Angeklagten verursachter beachtlicher Willensmangel vor. Zwei von ihnen (Fälle 1. c) und d)) täuschte er über sein wahres Alter, „wohl wissend, dass ... (sie) mit ihm nicht schreiben würden, wenn sie ... (es) kennen würden“. Nur weil sie annahmen, er sei nicht wesentlich älter als sie, kommunizierten sie mit ihm und überließen ihm die jugendpornografischen Foto- bzw. Videoaufnahmen (UA S. 13, 21 ff., 24 ff., 57). Die weitere Chatpartnerin (Fall 1. e)) übersandte die jugendpornografische Videoaufnahme, da der Angeklagte ihr vorspiegelte, ihr eine Motocrossmaschine zuzuwenden; er nutzte hierdurch bewusst ihre Naivität aus (UA S. 40, 57). Dass ein derartiges Versprechen - selbst ungeachtet der Täuschung - einen beachtlichen Willensmangel begründet, ergibt sich aus der Wertung des § 182 Abs. 2 StGB, der den sexuellen Missbrauch von Jugendlichen gegen Entgelt unter Strafe stellt. Hierfür genügt eine den Jugendlichen wenigstens mitmotivierende Vereinbarung über einen Vermögensvorteil als Gegenleistung für dessen Sexualverhalten (s. BGH, Beschluss vom 1. Juli 2004 - 4 StR 5/04, BGHR StGB § 182 Abs. 1 Nr. 1 Entgelt 1).

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 306

Externe Fundstellen: NStZ 2021, 733; StV 2022, 225

Bearbeiter: Christian Becker