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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1165

Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 343/22, Urteil v. 29.06.2023, HRRS 2023 Nr. 1165


BGH 3 StR 343/22 - Urteil vom 29. Juni 2023 (LG Kleve)

Gewerbsmäßiger Bandenbetrug (modus operandi „Falsche Polizeibeamte“); Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme bei Bandendelikten (wertenden Gesamtbetrachtung); Strafzumessung (keine strafmildernde Berücksichtigung der Einziehung von Taterträgen).

§ 263 StGB; § 25 Abs. 2 StGB; § 27 StGB; § 46 StGB; § 73 StGB; § 73c StGB; § 74 StGB; § 74c StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Ob Mittäterschaft anzunehmen ist, hat das Tatgericht aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung aller festgestellten Umstände zu prüfen; maßgebliche Kriterien sind der Grad des eigenen Interesses an der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille dazu, so dass die Durchführung und der Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Betreffenden abhängen.

2. Regelmäßig sind die „Abholer“ bei Betrugstaten nach dem modus operandi „Falscher Polizeibeamter“ rechtlich als Mittäter im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB einzustufen. Dies gilt auch dann, wenn ein „Abholer“ nicht selbst mit dem Tatopfer in Kontakt tritt und diesem zumindest konkludent vorspiegelt, ein Polizeibeamter zu sein, also nicht in eigener Person alle Tatbestandsmerkmale des Betrugs verwirklicht und schon deshalb aus Rechtsgründen Mittäter ist.

3. Die Einziehung des Wertes von Taterträgen gemäß § 73c Satz 1 StGB darf - anders als eine Einziehung nach §§ 74, 74c StGB - nicht bei der Strafzumessung schuldmindernd berücksichtigt werden. Denn die Einziehung von Taterträgen beziehungsweise des Wertes von Taterträgen hat keinen Strafcharakter, sondern dient allein der Abschöpfung rechtswidrig erlangter Vermögensvorteile.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Kleve vom 25. Mai 2022, soweit es die Angeklagte M. betrifft,

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass die Angeklagte des gewerbsmäßigen Bandenbetrugs in fünf Fällen schuldig ist;

b) mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben in den Aussprüchen über aa) die Einzelstrafen in den Fällen II. 3. a), II. 3. b), II. 3.

c) und II. 3. d) der Urteilsgründe, bb) die Gesamtstrafe.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs sowie Beihilfe zum gewerbs- und bandenmäßigen Betrug in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Ferner hat die Strafkammer gegen die Angeklagte die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 149.000 € als Gesamtschuldnerin angeordnet. Gegen das Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten und auf die Sachrüge gestützten Revision. Die Staatsanwaltschaft macht im Wesentlichen geltend, die Angeklagte hätte in allen fünf Fällen wegen mittäterschaftlich begangenen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs verurteilt werden müssen. Das vom Generalbundesanwalt nur in Bezug auf die Zumessung der Gesamtstrafe vertretene Rechtsmittel hat ganz überwiegend Erfolg.

I.

Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Die Angeklagte beteiligte sich an einer Gruppierung, die - gesteuert aus der Türkei heraus - Betrugstaten nach dem modus operandi „Falscher Polizeibeamter“ beging. In der Türkei tätige Anrufer („Keiler“) nahmen telefonisch Kontakt mit älteren Personen in Deutschland auf, wobei den Opfern mittels „Caller-ID-Spoofing“ als Telefonnummer des Anrufers ein deutscher Anschluss angezeigt wurde. Die Anrufer gaben sich als Polizeibeamte aus und spiegelten den Opfern vor, Straftäter seien im Begriff, bei ihnen einzubrechen oder in kollusivem Zusammenwirken mit Angestellten ihrer Bank Sparguthaben zu vereinnahmen. Die Angerufenen sollten ihre zu Hause befindlichen Bargeldbestände und Wertsachen zusammentragen beziehungsweise Geld von ihren Bankkonten abheben und die Vermögenswerte, um diese zu sichern, zur Abholung durch die Polizei vor ihrer Wohnung bereitlegen oder Polizeibeamten übergeben, die sie zu Hause aufsuchen würden. Sofern die Geschädigten den Behauptungen Glauben schenkten und den Aufforderungen nachkamen, fuhren sogenannte „Abholer“ zu ihnen, die von den Hintermännern in der Türkei benachrichtigt und während ihrer Tätigkeit telefonisch angeleitet und geführt wurden. Sie nahmen - je nach Fallkonstellation - von den Opfern außerhalb ihrer Wohnungen zur Abholung bereitgelegte Behältnisse mit Vermögensgegenständen an sich oder traten in direkten Kontakt mit den Geschädigten, gaben sich als Polizeibeamte aus und ließen sich für die Polizei bereitgestellte Vermögenswerte aushändigen. Anschließend übergaben die „Abholer“ die erlangte Beute an „Logistiker“, die ihrerseits die „Abholer“ aus dem Erlangten entlohnten und die verbleibenden Taterträge an die Hintermänner in der Türkei transferierten (vgl. zu diesem Deliktsphänomen BGH, Beschluss vom 2. November 2022 - 3 StR 12/22, NStZ-RR 2023, 49; Urteile vom 1. Juni 2022 - 1 StR 421/21, NZWiSt 2023, 223 Rn. 4 ff.; vom 29. Juli 2021 - 1 StR 83/21, NStZ 2022, 95; vom 29. April 2021 - 5 StR 476/20, juris Rn. 2 ff.; vom 15. Juli 2020 - 2 StR 46/20, NStZ 2021, 221; Beschluss vom 14. April 2020 - 5 StR 37/20, BGHSt 64, 314 Rn. 3).

2. Die Angeklagte schloss sich der Gruppierung in voller Kenntnis der Vorgehensweise als „Abholerin“ an. Sie erklärte sich bereit, zukünftig in der vereinbarten Funktion fortlaufend tätig zu werden, und wurde in die ihr bekannte arbeitsteilige Organisationsstruktur des Zusammenschlusses eingebunden. Sie wollte sich durch wiederholte Tatbegehungen eine Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer verschaffen.

a) Die Angeklagte hatte jedoch Hemmungen, sich selbst unmittelbar zu den Wohnungen der Geschädigten zu begeben und dort Geld oder Wertgegenstände an sich zu nehmen. Sie gewann daher ohne Kenntnis der Hintermänner und absprachewidrig eine Freundin - die Mitangeklagte (vgl. insofern BGH, Beschluss vom 10. Januar 2023 - 3 StR 343/22, wistra 2023, 206) - dafür, an „Abholungen“ mitzuwirken.

In vier Fällen fuhren beide jeweils mit dem Pkw der Angeklagten zu den Wohnungen der Opfer, nachdem die Angeklagte von einem Hintermann telefonisch benachrichtigt worden war, dass eine Abholung anstehe, und sodann ihrerseits die Mitangeklagte verständigt und aufgenommen hatte. Dabei erhielt die Angeklagte zunächst keine Informationen zum Ort der Abholung und zur erforderlichen Vorgehensweise. Vielmehr stand sie während der Fahrten in ständigem Telefonkontakt zu einem Hintermann und wurde von diesem telefonisch zu den Wohnungen gelotst. Am Abholort angekommen übernahm die Mitangeklagte das Mobiltelefon der Angeklagten und begab sich zu den Wohnungen der Opfer, während die Angeklagte, die jeweils davon ausging, dass „lediglich“ außerhalb ihrer Wohnungen von den Geschädigten bereitgelegte Behältnisse mit Vermögenswerten ohne persönlichen Kontakt mit den Opfern aufgenommen werden müssten, in unmittelbarer Tatortnähe im Auto verblieb und auf die Rückkehr ihrer Freundin wartete. In zwei Fällen beschränkte sich die Tätigkeit der Mitangeklagten tatsächlich darauf, bereitgestellte Taschen an sich zu nehmen. In zwei weiteren Fällen wurde die Mitangeklagte während ihres kurzen Weges vom Pkw zur Wohnung der Geschädigten von dem Hintermann, der annahm, weiterhin mit der Angeklagten zu sprechen, telefonisch angewiesen, bei den Opfern zu klingeln und sich von diesen Bargeld beziehungsweise Schmuck unmittelbar aushändigen zu lassen, wie es dann auch geschah. Bei allen vier Taten begab sich die Mitangeklagte nach Erlangung der Vermögensgegenstände zurück zum Fahrzeug der Angeklagten und übergab dieser dort sogleich das Geld - insgesamt 79.000 € - beziehungsweise den Schmuck (Fälle II. 3. a) bis II. 3. d) der Urteilsgründe).

b) In einem weiteren Fall gelang es der Angeklagten nicht, ihre Freundin zu erreichen, so dass sie sich ohne diese auf den Weg zu der Geschädigten machte. Dort angekommen wurde sie telefonisch angewiesen, bei dem Opfer zu klingeln, sich diesem gegenüber als die angekündigte Polizeibeamtin auszugeben und Bargeld persönlich entgegenzunehmen. Die Angeklagte, die erneut davon ausgegangen war, „lediglich“ ohne Kontakt mit dem Opfer ein bereitgestelltes Behältnis abholen zu sollen, kam dieser für sie überraschenden Anweisung nach und ließ sich Bargeld in Höhe von 70.000 € aushändigen (Fall II. 3. e) der Urteilsgründe).

c) In allen fünf Fällen lieferte die Angeklagte die Tatbeute im Anschluss an die Abholungen vereinbarungsgemäß und im Sinne des arbeitsteiligen Vorgehens der Gruppierung an andere Tatbeteiligte („Logistiker“) ab. Für ihre Mitwirkung erhielt sie einen Teil des Erlangten als Tatlohn, dessen Höhe insgesamt 8.000 € betrug. Von diesem händigte sie der Mitangeklagten, soweit diese an den Taten beteiligt war, einen Anteil als deren Entlohnung aus.

3. Die ersten vier Taten der Angeklagten (Fälle II. 3. a) bis II. 3. d) der Urteilsgründe) hat das Landgericht als Beihilfe zum gewerbsmäßigen Bandenbetrug gemäß § 263 Abs. 1 und 5, § 27 Abs. 1 StGB gewertet. Wegen der fünften Tat, die sie ohne Mitwirkung ihrer Freundin beging (Fall II. 3. e) der Urteilsgründe), hat das Landgericht die Angeklagte des gewerbsmäßigen Bandenbetrugs gemäß § 263 Abs. 1 und 5 StGB schuldig gesprochen, weil sie ungeachtet des Gewichts ihrer Tatbeiträge innerhalb des Gesamttatgeschehens in ihrer Person alle Tatbestandsmerkmale erfüllte.

Hinsichtlich etwaiger Strafbarkeiten der Angeklagten wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung gemäß § 129 Abs. 1 Satz 1 StGB beziehungsweise Amtsanmaßung gemäß § 132 StGB hat die Strafkammer eine Verfolgungsbeschränkung nach § 154a Abs. 1 und 2 StPO vorgenommen.

II.

1. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist wirksam auf den Schuldspruch in den Fällen II. 3. a) bis II. 3. d) der Urteilsgründe und die Rechtsfolgenentscheidungen beschränkt. Denn die Staatsanwaltschaft beanstandet die Verurteilung der Angeklagten in diesen vier Fällen; zudem rügt sie die Strafzumessung hinsichtlich aller Taten. Dies bedingt die Revisionserstreckung auf die Anordnung der Wertersatzeinziehung.

2. Die Revision hat hinsichtlich des Schuldspruchs in den Fällen II. 3. a) bis II. 3. d) der Urteilsgründe, der hierfür festgesetzten Einzelstrafen und der Gesamtfreiheitsstrafe Erfolg. Insofern deckt die auf die Sachrüge gebotene umfassende materiellrechtliche Überprüfung des Urteils Rechtsfehler zum Vorteil der Angeklagten auf. Dagegen haben die für Fall II. 3. e) der Urteilsgründe verhängte Einzelstrafe und der Einziehungsausspruch Bestand; diese Entscheidungen lassen keinen Rechtsfehler zu ihrem Vor- oder Nachteil (§ 301 StPO) erkennen.

a) Das Landgericht hat das Verhalten der Angeklagten in den Fällen II. 3. a) bis II. 3. d) der Urteilsgründe zu Unrecht jeweils lediglich als Beihilfe zum gewerbsmäßigen Bandenbetrug gemäß § 263 Abs. 1 und 5, § 27 Abs. 1 StGB gewertet. Die rechtliche Würdigung der Tatgeschehen auf der Grundlage der insgesamt rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ergibt vielmehr, dass sie auch in diesen Fällen - wie bei Tat II. 3. e) - des (mittäterschaftlich begangenen) gewerbsmäßigen Bandenbetrugs gemäß § 263 Abs. 1 und 5, § 25 Abs. 2 StGB schuldig ist.

aa) Bei der Beteiligung mehrerer Personen, von denen nicht jede sämtliche Tatbestandsmerkmale verwirklicht, handelt mittäterschaftlich, wer seinen eigenen Tatbeitrag so in die Tat einfügt, dass er als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Handeln als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint. Mittäterschaft erfordert dabei zwar nicht zwingend eine Mitwirkung am Kerngeschehen selbst; ausreichen kann auch ein die Tatbestandsverwirklichung fördernder Beitrag, der sich auf eine Vorbereitungs- oder Unterstützungshandlung beschränkt. Stets muss sich diese Mitwirkung aber nach der Willensrichtung des sich Beteiligenden als Teil der Tätigkeit aller darstellen. Erschöpft sich demgegenüber die Mitwirkung nach dem Willen des sich Beteiligenden in einer bloßen Förderung fremden Handelns, so fällt ihm lediglich Beihilfe zur Last. Ob danach Mittäterschaft anzunehmen ist, hat das Tatgericht aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung aller festgestellten Umstände zu prüfen; maßgebliche Kriterien sind der Grad des eigenen Interesses an der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille dazu, so dass die Durchführung und der Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Betreffenden abhängen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 23. März 2023 - 3 StR 363/22, NStZ-RR 2023, 169; Beschluss vom 28. Juni 2022 - 3 StR 403/20, juris Rn. 25 mwN; Urteil vom 1. Juni 2022 - 1 StR 421/21, NZWiSt 2023, 223 Rn. 15; Beschluss vom 12. August 2021 - 3 StR 441/20, BGHSt 66, 226 Rn. 50; Urteil vom 29. Juli 2021 - 1 StR 83/21, NStZ 2022, 95 Rn. 10; Beschluss vom 2. Juni 2021 - 3 StR 61/21, NJW 2021, 2979 Rn. 18).

bb) Nach diesen Maßstäben begegnet die Annahme, die Angeklagte sei lediglich Gehilfin gewesen, auch dann durchgreifenden rechtlichen Bedenken, wenn man dem Tatgericht bei der vorzunehmenden Abgrenzung von Mittäterschaft und Beihilfe einen Beurteilungsspielraum zubilligt, der nur eingeschränkter revisionsgerichtlicher Überprüfung zugänglich ist (vgl. BGH, Urteil vom 23. März 2023 - 3 StR 363/22, NStZ-RR 2023, 169; Beschlüsse vom 29. Juni 2022 - 3 StR 136/22, juris Rn. 7; vom 12. August 2021 - 3 StR 441/20, BGHSt 66, 226 Rn. 52; Urteile vom 29. Juli 2021 - 1 StR 83/21, NStZ 2022, 95 Rn. 8 ff. m. Anm. Habetha; vom 25. Oktober 2016 - 5 StR 255/16, NStZ-RR 2017, 5, 6 mwN sowie die Rechtsprechungsnachweise bei Harden, NStZ 2021, 193 f.). Denn ein solcher Beurteilungsspielraum wäre angesichts der festgestellten konkreten Tatumstände vorliegend jedenfalls überschritten. Die gebotene Gesamtbetrachtung lässt allein die Wertung zu, dass die Angeklagte auch in den Fällen II. 3. a) bis II. 3. d) der Urteilsgründe als Mittäterin agierte:

(1) Zwar bezogen sich die unmittelbaren Tatbeiträge der Angeklagten in den Fällen II. 3. a) bis II. 3. d) der Urteilsgründe darauf, gemeinsam mit der von ihr angeworbenen Mitangeklagten zu den Abholorten zu fahren und nach der Erlangung der Tatbeute durch diese die Vermögensgegenstände zu einem „Logistiker“ zu transportieren und diesem zu übergeben. Zudem war sie bei ihren Tathandlungen telefonisch eng an die Hintermänner in der Türkei angebunden. Gleichwohl waren die von ihr geleisteten Tatbeiträge und ihr Tatinteresse nicht derart untergeordneter Natur, dass ihr Agieren lediglich als Beihilfe gewertet werden könnte (vgl. zu Konstellationen, die eine Beihilfestrafbarkeit jedenfalls nahelegen, BGH, Urteile vom 1. Juni 2022 - 1 StR 421/21, NZWiSt 2023, 223 Rn. 14 ff.; vom 29. Juli 2021 - 1 StR 83/21, NStZ 2022, 95 Rn. 8 ff.; Beschlüsse vom 9. September 2020 - 2 StR 304/20, NStZ-RR 2021, 10, 11; vom 23. April 2020 - 1 StR 104/20, juris Rn. 6).

(2) Denn der Angeklagten kam als „Abholerin“ eine ganz wesentliche Funktion bei der konzertierten Tatbegehung zu; von ihrer Mitwirkung hing der jeweilige Taterfolg maßgeblich ab. Die Hintermänner in der Türkei waren für ein Gelingen der Taten darauf angewiesen, dass die Angeklagte auf Zuruf hin sogleich tätig wurde und entsprechend der ihr erteilten Aufträge die Tatbeute entgegennahm und zu „Logistikern“ verbrachte. Regelmäßig sind die „Abholer“ bei Betrugstaten der vorliegenden Art daher rechtlich als Mittäter im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB einzustufen (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 2. November 2022 - 3 StR 12/22, NStZ-RR 2023, 49; Urteile vom 29. April 2021 - 5 StR 476/20, juris Rn. 2 ff.; vom 15. Juli 2020 - 2 StR 46/20, NStZ 2021, 37, 38; Beschluss vom 14. April 2020 - 5 StR 37/20, BGHSt 64, 314). Dies gilt auch dann, wenn ein „Abholer“ nicht selbst mit dem Tatopfer in Kontakt tritt und diesem (zumindest konkludent) vorspiegelt, ein Polizeibeamter zu sein, also nicht in eigener Person alle Tatbestandsmerkmale des Betrugs verwirklicht und schon deshalb aus Rechtsgründen Mittäter ist (s. etwa BGH, Beschluss vom 14. April 2020 - 5 StR 37/20, BGHSt 64, 314).

Das Gewicht der Tatbeiträge der Angeklagten und ihre jeweilige Tatherrschaft in der „Abholphase“ reduzierten sich hier nicht maßgeblich dadurch, dass sie die Mitangeklagte dafür gewann, sie zu unterstützen, und diese in den vorliegend relevanten Fällen die bereitgelegten Gelder und Wertsachen von den Tatopfern entgegennahm oder an deren Wohnungen aufnahm. Denn die Angeklagte setzte ihre Freundin eigenmächtig und entgegen ihrer Absprache mit den Hintermännern gewissermaßen als Botin ein (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Januar 2023 - 3 StR 343/22, wistra 2023, 206 Rn. 6); zudem verblieb sie während des Tätigwerdens der Mitangeklagten in deren unmittelbarer Nähe, hatte fortwährend eine Einflussnahmemöglichkeit auf diese und ließ sich die Tatbeute jeweils direkt nach deren Erlangung aushändigen.

Schließlich hatte die Angeklagte ein unmittelbares eigenes Interesse am Gelingen der Taten. Denn sie agierte, um sich durch eine Partizipation an der jeweiligen Tatbeute eine eigene fortlaufende Einnahmequelle zu verschaffen. Auch wenn ihr Anteil an der Tatbeute prozentual gering war, belief sich ihre Entlohnung doch mit insgesamt 8.000 € auf einen erheblichen Betrag, so dass die Angeklagte ein großes Eigeninteresse an den Taterfolgen hatte.

cc) Der Senat ändert deshalb in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO den Schuldspruch dahin, dass die Angeklagte (auch) hinsichtlich der Taten II. 3. a) bis II. 3. d) der Urteilsgründe und damit in insgesamt fünf Fällen des gewerbsmäßigen Bandenbetrugs gemäß § 263 Abs. 1 und 5 StGB schuldig ist. § 265 Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich die geständige Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

b) Die Schuldspruchänderung hat auf die zum Nachteil der Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft die Aufhebung der für die Taten II. 3. a) bis II. 3. d) der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen sowie der Gesamtstrafe zur Folge. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Strafkammer bei zutreffender rechtlicher Würdigung höhere Einzelstrafen für diese Taten und im Ergebnis eine höhere Gesamtfreiheitsstrafe gegen die Angeklagte verhängt hätte. Damit ist auch die Entscheidung über die Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung hinfällig.

c) Der Ausspruch über die Gesamtstrafe weist zudem für sich genommen einen durchgreifenden Rechtsfehler zum Vorteil der Angeklagten auf. Denn die Strafkammer hat ausdrücklich zu Gunsten der Angeklagten als Teil des „Gesamtstrafübels“ die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 149.000 € berücksichtigt, durch welche sie ebenfalls belastet sei. Die Einziehung des Wertes von Taterträgen gemäß § 73c Satz 1 StGB darf jedoch - anders als eine Einziehung nach §§ 74, 74c StGB - nicht bei der Strafzumessung schuldmindernd berücksichtigt werden. Denn die Einziehung von Taterträgen beziehungsweise des Wertes von Taterträgen hat keinen Strafcharakter, sondern dient allein der Abschöpfung rechtswidrig erlangter Vermögensvorteile (vgl. BGH, Urteile vom 22. Dezember 2021 - 3 StR 255/21, juris Rn. 17; vom 10. Februar 2021 - 3 StR 184/20, juris Rn. 10 f.; vom 12. März 2020 - 4 StR 537/19, juris Rn. 12; KK-StPO/Bartel, 9. Aufl., § 267 Rn. 53; MüKoStGB/Maier, 4. Aufl., § 46 Rn. 357; bereits zur alten Rechtslage BGH, Urteil vom 28. Januar 2015 - 5 StR 486/14, NStZ-RR 2015, 281, 282 mwN; Beschluss vom 20. Oktober 1999 - 3 StR 324/99, NStZ 2000, 137).

d) Dagegen ist die Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 149.000 € frei von Rechtsfehlern zum Vor- oder Nachteil der Angeklagten. In allen fünf Fällen erlangte sie durch die Taten die ertrogenen Vermögenswerte im Sinne des § 73 Abs. 1 Alternative 1 StGB, weil diese bis zu ihrer Ablieferung an einen „Logistiker“ ihrer faktischen Verfügungsgewalt unterlagen. Ein Ausnahmefall des lediglich „transitorischen Besitzes“ (vgl. insofern BGH, Beschluss vom 10. Januar 2023 - 3 StR 343/22, wistra 2023, 206 Rn. 6 f.; Urteile vom 1. Juni 2022 - 1 StR 421/21, NStZ-RR 2022, 339; vom 15. Juli 2020 - 2 StR 46/20, NStZ 2021, 221 Rn. 16; vom 9. Oktober 2019 - 1 StR 170/19, juris Rn. 12; Beschluss vom 24. Oktober 2018 - 1 StR 358/18, NStZ 2019, 81 Rn. 2; Urteile vom 13. September 2018 - 4 StR 174/18, NStZ-RR 2019, 14, 15 f.; vom 7. Juni 2018 - 4 StR 63/18, BGHR StGB § 73c Abs. 1 Erlangtes 1 Rn. 12, 14) war ungeachtet der Ablieferungspflicht der Angeklagten und ihrer engmaschigen telefonischen Kontrolle nicht gegeben. Denn sie hatte rein tatsächlich jeweils über den längeren Zeitraum des Transportes der erlangten Vermögensgegenstände eine ungehinderte Zugriffsmöglichkeit auf diese; das genügt für ein Erlangen im Sinne des § 73 Abs. 1 Alternative 1 StGB (vgl. BGH, Urteile vom 15. Juni 2022 - 3 StR 295/21, BGHSt 67, 87 Rn. 11; vom 1. Juni 2022 - 1 StR 421/21, NStZ-RR 2022, 339; Beschluss vom 21. Dezember 2021 - 3 StR 381/21, NStZ-RR 2022, 109 f. mwN; Urteile vom 29. April 2021 - 5 StR 476/20, juris Rn. 16 f.; vom 15. Juli 2020 - 2 StR 46/20, NStZ 2021, 221 Rn. 14 ff.; vom 9. Oktober 2019 - 1 StR 170/19, BGHR StGB § 73 Erlangtes 30 Rn. 11).

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1165

Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede