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HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 1192

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 274/18, Urteil v. 10.10.2018, HRRS 2018 Nr. 1192


BGH 5 StR 274/18 - Urteil vom 10. Oktober 2018 (LG Hamburg)

Ermessensentscheidung bei der Anordnung von Sicherungsverwahrung ohne frühere Verurteilung (hinreichende Warnung durch die festgesetzte Freiheitsstrafe; relativ junges Alter bei Tatbegehung; nicht abgeschlossene Persönlichkeitsbildung; Therapiebereitschaft; Täter-Opfer-Ausgleich; revisionsgerichtliche Kontrolle).

§ 66 Abs. 1, Abs. 3 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. § 66 Abs. 3 S. 2 StGB räumt dem Tatgericht die Möglichkeit ein, sich trotz der festgestellten hangbedingten Gefährlichkeit eines Angeklagten im Rahmen einer revisionsgerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Ermessensentscheidung auf das Festsetzen einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass der Täter sich schon dies hinreichend zur Warnung dienen lässt. Damit wird dem Ausnahmecharakter der Vorschrift Rechnung getragen, der sich daraus ergibt, dass sie eine frühere Strafverbüßung oder auch nur Verurteilung des Täters nicht voraussetzt.

2. Sieht das Tatgericht im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens von der Anordnung der Sicherungsverwahrung ab, kann es diese Entscheidung u.a. darauf stützen, dass der Angeklagte bei den Taten noch relativ jung war (hier: Tatbegehungen im Alter von 21-26 Jahren) und dass seine Persönlichkeitsentwicklung insofern noch nicht abgeschlossen ist. Ferner können eine grundsätzliche Therapiebereitschaft sowie das Bemühen um einen Täter-Opfer-Ausgleich berücksichtigt werden.

Entscheidungstenor

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 20. Oktober 2017 wird mit den Maßgaben verworfen, dass der Angeklagte im Fall 3 zusätzlich wegen tateinheitlich begangener Nötigung verurteilt ist und der Freispruch entfällt.

Die Revision des Angeklagten gegen das genannte Urteil wird verworfen.

Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die hierdurch der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen Auslagen zu tragen. Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die hierdurch dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung (Fall 1: Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten), gefährlicher Körperverletzung (Fall 2: Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten), Geiselnahme in Tateinheit mit besonders schwerer Vergewaltigung, schwerer Vergewaltigung und vorsätzlicher Körperverletzung (Fall 3: Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten) sowie wegen unerlaubten Besitzes eines durch das Waffengesetz verbotenen Gegenstandes (Fall 4: Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je einem Euro) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen.

Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten bleibt erfolglos. Die ebenfalls mit der Sachrüge begründete Revision der Staatsanwaltschaft wendet sich zu Ungunsten des Angeklagten dagegen, dass dieser freigesprochen, im Fall 3 nicht auch wegen Nötigung verurteilt sowie dass bei der Strafzumessung § 46a StGB angewendet und von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist. Das mit Ausnahme des geltend gemachten Strafzumessungsfehlers vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel führt lediglich zu den tenorierten Maßgaben.

1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

a) Fall 1: Der Angeklagte hatte regelmäßig sexuelle Kontakte zu der anderweitig liierten Geschädigten Ö. Beide trafen sich am Abend des 13. April 2012, um sich über einen Streit auszusprechen. Als dieser stattdessen eskalierte, brachte der Angeklagte die Geschädigte unter Drohungen („Totschläger, Totschläger, Totschläger oder in den Mund“), fortwährenden Beleidigungen und schließlich mit einer schmerzhaften Ohrfeige zum mehrfachen, von ihm mit dem Smartphone gefilmten Oral- und Vaginalverkehr, bis er in ihr Gesicht ejakulierte. Zur Aufdeckung der Tat kam es erst, nachdem die Polizei das Smartphone bei einer infolge der Anzeige der Ende 2016 verübten Fall 3 erfolgten Durchsuchung sichergestellt hatte.

b) Fall 2: Anfang 2016 sandte D., der Sohn der Cousine des Angeklagten, dessen jüngerer Schwester ein Foto seines Penis auf ihr Smartphone. Der hierüber erboste Angeklagte fuhr am 19. März 2016 mit D. in eine Werkstatt, weil „er mit ihm reden wolle“. Dort angekommen, versetzte ihm der Angeklagte, der sich die Hände wie ein Boxer bandagiert hatte, zahlreiche schmerzhafte Faustschläge gegen den Kopf und brachte ihn zweimal zu Boden. Hierbei wurde er von vier angeworbenen Begleitern angefeuert; einer von ihnen filmte das Geschehen. Schließlich hielten zwei von ihnen auf des Angeklagten Aufforderung hin D. fest, so dass dieser sich gegen mehrere vom Angeklagten gegebene Ohrfeigen nicht schützen konnte.

c) Fall 3: Am 26. Dezember 2016 hatte die Nebenklägerin G. die seit einem guten halben Jahr währende Beziehung zum Angeklagten wegen dessen hochgradiger Kontrollbesessenheit und Eifersucht beendet. Drei Tage später nahm sie in Osnabrück an einer Party teil. Gegen 23:00 Uhr wies der durch die Trennung gekränkte und zudem über ein von ihr in „WhatsApp“ verwendetes, in seinen Augen zu freizügiges Profilbild verärgerte Angeklagte sie über „iMessage“ in scharfem Ton an, sich in eine Shisha-Lounge zu begeben. Diese gehörte einem Bekannten des Angeklagten; beide Männer waren Mitglieder der rockerähnlichen Gruppierung „United Tribuns“. Während die Geschädigte der Aufforderung aus Angst nachkam, fuhr der hochaggressive Angeklagte in der Absicht, sie „für ihr seiner Ansicht nach ungebührliches Verhalten … zu bestrafen“, von Hamburg nach Osnabrück. Spätestens bei seiner Ankunft gegen 2:00 Uhr hatte er den Entschluss gefasst, die Geschädigte über einen längeren Zeitraum in seiner Gewalt zu halten und insbesondere sexuell und durch körperliche Misshandlungen, Beleidigungen und Drohungen zu demütigen.

In der Bar zog der Angeklagte die Nebenklägerin sofort an den Haaren in einen fensterlosen Kellerraum, beschimpfte sie, schlug sie mit der Faust zu Boden, gab ihr mehrere Nasenbluten verursachende Ohrfeigen und drohte, sie umzubringen. Er setzte sich auf sie, hielt ihr ein Brotmesser an die Haare, drohte, diese abzuschneiden, und führte mit einem aufgeklappten Taschenmesser Stichbewegungen in Richtung der Geschädigten aus. Er filmte mit seinem Smartphone ihren von ihm zuvor entkleideten Intimbereich, wobei die Geschädigte sich selbst beschimpfen musste. Dann führte der Angeklagte unter fortwährenden Beleidigungen gegen den Willen der Geschädigten in mehreren Positionen den ungeschützten und von ihm gefilmten Vaginal- und für sie schmerzhaften Analverkehr durch. Nach einem auch durch einen Schlag mit der flachen Hand ins Gesicht erzwungenen Oralverkehr penetrierte er die von ihm weiterhin beleidigte Nebenklägerin erneut mehrfach vaginal und anal, wobei er wiederum Teile des Geschehens filmte (Fall 3 der Anklageschrift).

Im Anschluss hieran wies er die Nebenklägerin an, sich anzukleiden und in sein Auto zu setzen. Dort versetzte er ihr unvermittelt vier Faustschläge ins Gesicht sowie während der Rückfahrt nach Hamburg etwa zwanzig kräftige Ohrfeigen und bespuckte sie; zudem musste sie sich erneut selbst beschimpfen. Zu Beginn der Fahrt hatte der Angeklagte den Entschluss gefasst, die Geschädigte dazu zu bringen, für ihn „anschaffen“ zu gehen. Dies teilte er ihr auch mit, zeigte ihr am Steindamm gelegene Hotels, nannte ihr Preise für von ihr zu erbringende sexuelle Dienstleistungen, brachte die verängstigte Nebenklägerin dazu, sich für einige Minuten an den Straßenrand zu stellen, und filmte auch dies. Schließlich forderte er sie auf, vier auf dem Bürgersteig zusammenstehende Männer anzusprechen, gab aber sein Vorhaben auf und rief sie kurz vor dem Erreichen der Gruppe zurück. Zu einer Prostitutionsausübung kam es daher nicht (Fall 4 der Anklageschrift).

Nachdem die Geschädigte sich wieder ins Auto gesetzt hatte, schlug er ihr zweimal mit der flachen Hand ins Gesicht und verbrachte sie in seine Wohnung. Dort bedrohte er sie mit einer Schusswaffe, drückte ihren Kopf mit einem Kissen auf das Sofa und versetzte sie so in Todesangst. Mit den Worten „Ich hab´ Lust, Dich zu schlagen“ fügte er der Nebenklägerin zahlreiche kräftige Schläge ins Gesicht zu, bis sie - aus der Nase blutend - zu Boden gegangen war. Er drohte damit, die angefertigten Videos ins Internet zu stellen, und forderte sie auf, sich zu entkleiden und an ihm den Oralverkehr zu vollziehen. Sodann führte er in wechselnden Positionen den ungeschützten vaginalen Geschlechtsverkehr durch. Schließlich brachte er die Nebenklägerin dazu, sein Ejakulat zu schlucken. Dieser gelang es gegen 8:00 Uhr unter einem Vorwand, sich dem Einfluss des Angeklagten zu entziehen (Fall 5 der Anklageschrift).

Die Geschädigte litt noch einige Zeit unter starken Schmerzen. Die ihr zugefügten Hämatome und Schwellungen verheilten binnen einiger Tage. Wegen der psychischen Tatfolgen begab sie sich in psychiatrische Behandlung. Die vom Angeklagten aufgenommenen Tatvideos wurden von der Polizei auf seinem Laptop - in einem Ordner „Hure“ abgelegt - sichergestellt. Aufgrund eines während der Hauptverhandlung mit der Geschädigten geschlossenen Vergleichs zahlte der Reue bekundende und sich entschuldigende Angeklagte an sie 17.500 Euro Schmerzensgeld; die Nebenklägerin, die in der Hauptverhandlung nicht mehr als Zeugin gehört werden musste, hat anerkannt, dass er „das mir Angetane bereut“.

d) Fall 4: Am 6. Januar 2017 bewahrte der Angeklagte unerlaubt zwei stählerne Schlagringe in seiner Wohnung auf.

2. Das Landgericht hat die als Fälle 3 bis 5 angeklagten Geschehen rechtlich zum Fall 3 zusammengefasst. Soweit dem Angeklagten als Fall 4 der Anklageschrift eine versuchte Zwangsprostitution (§ 232a Abs. 1 bis 3 StGB) zur Last gelegt wurde, hat es ihn jedoch freigesprochen, da er von der Begehung dieses Delikts strafbefreiend zurückgetreten sei. Den für den Fall 3 vorgesehenen Regelstrafrahmen hat sie gemäß § 46a Nr. 1, § 49 Abs. 1 StGB gesenkt. Die formellen und materiellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB hat das Landgericht zwar als erfüllt angesehen. Es hat aber sein Ermessen dahingehend ausgeübt, von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abzusehen.

3. Die auf die Revision des Angeklagten, der die Fälle 1 und 3 teilweise und die übrigen umfassend eingeräumt hat, vorgenommene Überprüfung des Urteils hat keinen ihn benachteiligenden Rechtsfehler ergeben.

4. Das wirksam auf den Fall 3, den ergangenen Freispruch sowie die Entscheidung, von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung abzusehen, beschränkte staatsanwaltschaftliche Rechtsmittel bleibt im Wesentlichen erfolglos. Es führt lediglich zur Aufdeckung zweier Rechtsfehler, die den Bestand des Urteils nicht gefährden.

a) Die Revision hat zutreffend darauf hingewiesen, dass das Landgericht den Angeklagten im Fall 3 nach den Feststellungen zudem wegen tateinheitlich begangener Nötigung hätte verurteilen müssen. Denn indem der Angeklagte die Geschädigte dazu brachte, sich gegen ihren Willen nach der Rückkehr nach Hamburg an den Straßenrand zu stellen und sich einer Männergruppe zu nähern, um diese anzusprechen, hat er die Voraussetzungen des § 240 Abs. 1 und 2 StGB erfüllt. Der Senat hat daher in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO den Schuldspruch ergänzt. Dem steht § 265 Abs. 1 StPO nicht entgegen, da sich der insofern geständige Angeklagte nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.

b) Soweit das Landgericht bei der Strafrahmenbestimmung für den Fall 3 die Voraussetzungen des § 46a Nr. 1 StGB bejaht hat, hält sich dies aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift dargelegten Gründen und eingedenk der nur eingeschränkten revisionsgerichtlichen Überprüfung (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Juni 2008 - 5 StR 280/08) im tatgerichtlichen Beurteilungsspielraum. Der Senat schließt im Übrigen aus, dass das Landgericht eine höhere Freiheitsstrafe verhängt hätte, wenn es den Angeklagten auch wegen Nötigung verurteilt hätte. Denn es hat das zugrunde liegende tatsächliche Geschehen ausdrücklich strafschärfend gewichtet.

c) Zu Unrecht hat das Landgericht den Angeklagten vom Vorwurf der versuchten Zwangsprostitution freigesprochen. Zwar ist es insofern rechtsfehlerfrei zu der Einschätzung gelangt, dass der Angeklagte die weitere Ausführung dieser Tat im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB freiwillig aufgegeben hat. Er hat sich aber - wie dargelegt (a) - durch dieselbe Handlung der vollendeten Nötigung schuldig gemacht. Ein Angeklagter kann jedoch nicht zugleich wegen einer Tat verurteilt und freigesprochen werden. Der Freispruch musste daher entfallen.

d) Die landgerichtliche - der Kontrolle durch das Revisionsgericht nur eingeschränkt zugängliche (vgl. BGH, Urteile vom 3. Februar 2011 - 3 StR 466/10, NStZ-RR 2011, 172, und vom 15. Oktober 2014 - 2 StR 240/14, NStZ 2015, 510, 511) - Ermessensentscheidung, von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung abzusehen, hat Bestand.

aa) Nach dem gesetzgeberischen Willen räumt § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB dem Tatgericht die Möglichkeit ein, sich trotz der festgestellten hangbedingten Gefährlichkeit eines Angeklagten auf das Festsetzen einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass der Täter sich schon dies hinreichend zur Warnung dienen lässt (vgl. BGH, Urteil vom 4. September 2008 - 5 StR 101/08, NStZ 2010, 387, 389; Beschluss vom 13. September 2011 - 5 StR 189/11, StV 2012, 196, 198). Damit wird dem Ausnahmecharakter der Vorschrift Rechnung getragen, der sich daraus ergibt, dass sie eine frühere Strafverbüßung oder auch nur Verurteilung des Täters nicht voraussetzt (vgl. BGH, Urteil vom 4. August 2011 - 3 StR 175/11, NStZ 2011, 692, 693).

Angesichts dessen ist die vom Landgericht getroffene Entscheidung aus rechtlichen Gründen nicht zu beanstanden. Es hat das ihm zugebilligte Ermessen erkannt, einen für seine Ausübung zutreffenden Maßstab angelegt und die für die Prüfung wesentlichen Kriterien in den Urteilsgründen dargestellt. Bei seiner Abwägung durfte es das relativ geringe Alter des bei Begehung der Taten 21, 25 bzw. 26 Jahre alten Angeklagten berücksichtigen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. Oktober 1988 - 3 StR 406/88, NStZ 1989, 67; vom 4. August 2011 - 3 StR 235/11, StV 2011, 673, und vom 4. Februar 2014 - 3 StR 451/13, NStZ-RR 2014, 107; siehe auch Urteil vom 28. Juni 2017 - 5 StR 8/17, NStZ 2017, 524, 526). Gerade im Hinblick darauf hat es auch die zu erwartenden Wirkungen des mehrjährigen Strafvollzugs auf den überwiegend geständigen Angeklagten nachvollziehbar dargelegt (vgl. BGH, Urteil vom 3. Februar 2011 - 3 StR 466/10, aaO; Beschlüsse vom 11. September 2003 - 3 StR 481/02, NStZ 2004, 438, 439, und vom 16. Dezember 2014 - 1 StR 515/14, NStZ-RR 2015, 73). Insofern ist das sachverständig beratene Landgericht zu der Einschätzung gelangt, „dass die Persönlichkeitsentwicklung des Angeklagten noch nicht vollständig abgeschlossen sei, so dass durch die Einwirkung des langen und vor allem erstmaligen Haftvollzuges noch Entwicklungsräume eröffnet seien“. In diesem Zusammenhang hat es beanstandungsfrei berücksichtigt, dass „im Hamburger Strafvollzug in Fällen der vorliegenden Art … eine Sexualtherapie obligatorisch ist und der Angeklagte … einer solchen Behandlung positiv gegenübersteht“ (vgl. BGH, Beschluss vom 13. September 2011 - 5 StR 189/11, aaO; Urteil vom 8. August 2017 - 5 StR 99/17, NStZ-RR 2017, 310, 311), insbesondere „bereits während der Untersuchungshaft einen entsprechenden Änderungsprozess in Gang gesetzt“ hat, wie sich daraus ergebe, dass er „über den Täter-Opfer-Ausgleich eine (Teil-)Wiedergutmachung für seine Taten erstrebt habe“.

Anders als die Revision meint, hat das Landgericht die beim Angeklagten diagnostizierte und ein hohes Rückfallrisiko darstellende Persönlichkeitsstörung nicht aus den Augen verloren, sondern diese ausdrücklich in seine Abwägung einbezogen. Ein Fall der „höchsten denkbaren Gefährlichkeitsstufe“, der zu einer Ermessensreduzierung auf Null hätte führen können (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Februar 2010 - 5 StR 535/09), liegt nicht vor.

bb) Allerdings hat das Landgericht § 66 Abs. 2 StGB nicht geprüft, obwohl dessen Voraussetzungen ebenfalls erfüllt sind. Dieses Versäumnis nötigt jedoch ausnahmsweise nicht zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Zwar verlangt die Bestimmung gleichfalls eine tatgerichtliche Ermessensentscheidung. Der Senat kann aber jedenfalls für eine Konstellation wie die vorliegende, bei der über die Anordnung der Unterbringung eines bislang unbestraften Angeklagten in der Sicherungsverwahrung zu entscheiden ist, ausschließen (§ 337 Abs. 1 StPO), dass die gebotene Abwägung angesichts der heranzuziehenden vergleichbaren Kriterien (zum „Gleichklang“ der Ermessensprüfungen vgl. BGH, Urteil vom 4. August 2011 - 3 StR 175/11; Beschluss vom 16. Dezember 2014 - 1 StR 515/14; jeweils aaO) zu einem Ergebnis gelangt wäre, das von dem zu § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB erzielten abgewichen wäre.

5. Die Kostenentscheidungen folgen aus § 473 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2 Satz 1 StPO.

HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 1192

Externe Fundstellen: StV 2020, 12

Bearbeiter: Christian Becker