HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 43
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 240/14, Urteil v. 15.10.2014, HRRS 2015 Nr. 43
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 29. November 2013 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren insoweit entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist,
b) sowie zu Gunsten des Angeklagten im Strafausspruch.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren insoweit entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen und wegen exhibitionistischer Handlungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt. Von einer Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung hat es abgesehen. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts. Die Staatsanwaltschaft hat ihre zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte und mit der Sachrüge begründete Revision auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung beschränkt. Die Revision des Angeklagten ist erfolglos. Dagegen hat das vom Generalbundesanwalt vertretene - nicht wirksam beschränkte - Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts ist der 23 Jahre alte Angeklagte u. a. wie folgt vorbestraft:
a) Das Amtsgericht Köln verwarnte ihn am 25. November 2010 wegen "Beleidigung mittels Tätlichkeit" jugendrichterlich und erteilte eine Weisung. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Angeklagte im März 2010 auf der Damentoilette hinter die ihm nicht bekannte 16 Jahre alte Geschädigte getreten war, beide Hände um ihre Hüften gelegt und - ohne ihre Gegenwehr zu beachten - seinen Unterleib an ihrem Gesäß gerieben hatte.
Der Angeklagte, der aufgrund der ihm erteilten jugendrichterlichen Weisung eine Beratungsstelle aufgesucht hatte, bagatellisierte dort den Sachverhalt und "kommunizierte ein in der Familie herrschendes, abwertendes Frauenbild.
Da er aber Behandlungsmotivation signalisierte", sprach sich die zuständige Mitarbeiterin für weitere Gesprächstermine aus, zu denen es allerdings in der Folge nicht kam.
b) Am 5. August 2011 sprach das Amtsgericht Köln den Angeklagten der versuchten Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung und der schweren räuberischen Erpressung in Tateinheit mit "gemeinschaftlicher" gefährlicher Körperverletzung schuldig und verhängte unter Einbeziehung des vorgenannten Urteils eine Jugendstrafe von einem Jahr und neun Monaten. Der Verurteilung lag folgendes zugrunde:
Der Angeklagte hatte am 21. November 2010 gegen Mitternacht die ihm unbekannte 18-jährige Geschädigte, der er zuvor gefolgt war, darauf angesprochen, sie näher kennen lernen zu wollen. Der Angeklagte hatte sich hinter ihr durch eine Haustür gedrängt und wurde zunehmend aggressiver. Er griff der Geschädigten von vorn in die Hose und Unterhose und berührte mit seiner Hand mehrfach ihre Vagina. Sodann drängte er die Geschädigte die Kellertreppe hinunter und versuchte ihre Stoffhose herunterzuziehen, was ihm aufgrund ihrer Gegenwehr nicht gelang. Als die Geschädigte um Hilfe rief, hielt ihr der Angeklagte den Mund zu. Eine Nachbarin, die auf das Geschehen aufmerksam geworden war, machte sich bemerkbar, woraufhin der Angeklagte die weitere Tatausführung aufgab und flüchtete.
Bereits Anfang Oktober 2010 hatte der Angeklagte mit sechs weiteren Mittätern entsprechend einem gemeinsamen Tatplan die Wohnung eines weiteren Geschädigten aufgesucht. Unter dem Eindruck zuvor erhaltener Schläge durch zwei Mittäter und des Vorhaltens eines Teleskopschlagstockes durch den Angeklagten hatte der Geschädigte einen Umschlag mit 100 € übergeben; das Geld hatten die Täter untereinander aufgeteilt.
Der Angeklagte verbüßte die Jugendstrafe bis Mitte November 2012. Im Anschluss daran hat das Amtsgericht Wuppertal die Dauer der Führungsaufsicht auf drei Jahre festgesetzt und dem Angeklagten u.a. die Weisung erteilt, Kontakt bei einer Beratungsstelle für die Behandlung sexualisierter Gewalt aufzunehmen und dort regelmäßig Beratungsgespräche wahrzunehmen, wozu es indes in der Folgezeit nicht kam.
2. Zur Sache hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:
a) Am 22. März 2013 begab sich der Angeklagte in den Garten der Erdgeschosswohnung der Familie L. Er stellte sich unmittelbar vor eines der großen Fenster des Wohnzimmers, ließ seine Hose herunter und begann, an seinem erigierten Penis zu manipulieren. Dabei kam es ihm sowohl darauf an, die beiden etwa ein bis zwei Meter von dem Fenster entfernt auf einer Couch sitzenden 13- und 14-jährigen Mädchen, deren Alter er "unwiderlegbar auf etwa 17 Jahre schätzte, zu sehen, als auch von diesen bei Vornahme der sexuellen Handlung gesehen zu werden, was diese auch taten". Die Mädchen waren durch den Anblick des onanierenden Angeklagten geschockt und empfanden Ekel, was der Angeklagte in Kauf nahm. Der Angeklagte ejakulierte sodann auf den Terrassenboden (Fall II. 1. der Urteilsgründe).
b) Am 30. April 2013 stand der Angeklagte in einem Flur eines Mehrfamilienhauses der 7-jährigen Nebenklägerin A. gegenüber, öffnete seine Hose und entblößte seinen Penis. Er forderte die Nebenklägerin "etwa fünfmal auf", seinen Penis in den Mund zu nehmen, was diese jedoch mit Kopfschütteln ablehnte. Der Angeklagte, der im Wohnhaus eine Tür schlagen hörte, zog sich wieder an und forderte die Nebenklägerin auf, mit ihm in den Keller zu kommen. Dort entblößte der Angeklagte seinen Penis erneut und forderte die Nebenklägerin mehrfach auf, diesen in den Mund zu nehmen. Die Nebenklägerin lehnte dieses Ansinnen wiederum ab. Der Angeklagte zog sodann der Nebenklägerin die Hose herunter, betrachtete ihre unbekleidete Scheide und streichelte sie im Genitalbereich. Als die Nebenklägerin sich die Hose wieder hochzog, sich umdrehte und weglaufen wollte, hielt sie der Angeklagte am T-Shirt fest und zog sie zurück. Erneut forderte er sie auf, seinen Penis in den Mund zu nehmen, was die Nebenklägerin jedoch wiederum ablehnte. Als diese zu weinen begann, ließ der Angeklagte von ihr ab und ergriff die Flucht (Fall II. 3. der Urteilsgründe).
c) Am 19. Mai 2013 gegen 06.45 Uhr begab sich der Angeklagte in ein Kinderkrankenhaus und betrat verschiedene Krankenzimmer. In dem ersten Zimmer, in das er ging, schlief eine Frau, die er an ihrem Kopftuch und an ihrem Rücken berührte. Als die Frau davon erwachte, verließ er das Zimmer. In dem nächsten Raum, den der Angeklagte betrat, schlief ebenfalls eine Frau. Er hob die Bettdecke an und betrachtete deren bekleideten Genitalbereich. Als die Frau erwachte verließ er das Zimmer.
Sodann betrat er das Zimmer der 10-jährigen Nebenklägerin C., die dort mit einem anderen Mädchen schlief. Der Angeklagte trat an das Bett heran, zog die Bettdecke herunter und streichelte die Nebenklägerin zunächst am Bauch, wovon diese aufwachte. Der Angeklagte zog sodann deren Hose und Unterhose herunter, betrachtete ihre unbekleidete Scheide und streichelte sie im Genitalbereich. "Anschließend zog er sich selbst die Hose herunter, näherte sich mit seinem erigierten Penis dem Gesicht der Nebenklägerin und forderte sie auf, ihn in den Mund zu nehmen". Die Nebenklägerin lehnte jedoch mehrfach ab. Als der Angeklagte auf dem Krankenhausflur ein Geräusch hörte, verließ er das Zimmer und das Krankenhaus (Fall II. 5. der Urteilsgründe).
3. Die Strafkammer hat gegenüber dem umfassend geständigen Angeklagten im Fall II. 1. der Urteilsgründe wegen exhibitionistischer Handlungen gemäß § 183 Abs. 1 StGB auf eine Freiheitsstrafe von neun Monaten, im Fall II. 3. und II. 5. der Urteilsgründe jeweils wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176 Abs. 1 StGB auf Freiheitsstrafen von drei Jahren und sechs Monaten bzw. vier Jahren erkannt. Von jeweils (tateinheitlichen) versuchtem schwerem sexuellem Missbrauch eines Kindes (in den Fällen II. 3. und II. 5. der Urteilsgründe) bzw. von einer (tateinheitlich) versuchten Vergewaltigung (im Fall II. 3. der Urteilsgründe) sei der Angeklagte strafbefreiend zurückgetreten.
Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Insbesondere hat das Tatgericht den vom Revisionsgericht hinzunehmenden Rahmen vertretbarer Strafbemessung nicht überschritten.
Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg; zugleich führt das Rechtsmittel - zu Gunsten des Angeklagten - zur Aufhebung des Strafausspruchs.
1. Der Senat kann offen lassen, ob die Revision auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung deswegen beschränkt ist, weil - trotz eines den Schuld- und Strafausspruch umfassenden Revisionsantrags - der Inhalt der Revisionsbegründungsschrift ausschließlich Ausführungen zur Nichtanordnung der Maßregelentscheidung enthält (vgl. zur Auslegung des Angriffsziels unter Berücksichtigung von Nr. 156 Abs. 2 RiStBV: Senat, Urteil vom 11. Juni 2014 - 2 StR 90/14, NStZ-RR 2014, 285 mwN).
Die Beschränkung der Revision auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung, die grundsätzlich isoliert auf Rechtsfehler überprüfbar ist (vgl. BGH, Urteil vom 24. November 2011 - 4 StR 331/11, NStZ-RR 2012, 156, 157 mwN), wäre indes hier unwirksam. Das Landgericht hat den Angeklagten unter anderem auch deswegen nicht in der Sicherungsverwahrung untergebracht, weil aufgrund der Wirkungen des langjährigen Strafvollzugs bei dem Angeklagten eine Haltungsänderung erwartet werden könne. Damit hat es Strafhöhe und Maßregelanordnung in einen inneren Zusammenhang gesetzt, der eine getrennte Prüfung beider Rechtsfolgen ausschließt (vgl. BGH, Urteil vom 3. Februar 2011 - 3 StR 466/10, insoweit in NStZ-RR 2011, 172 nicht abgedruckt; Urteil vom 11. Juli 2013 - 3 StR 148/13, insoweit in NStZ 2013, 707 nicht abgedruckt).
2. Die Revision beanstandet mit Recht, dass das Landgericht rechtsfehlerhaft von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen hat.
a) Die Strafkammer hat zutreffend die formellen und materiellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB bejaht. Dem Sachverständigen folgend hat das Landgericht einen Hang des Angeklagten zur Begehung erheblicher Straftaten und dessen ("hohe") Gefährlichkeit für die Allgemeinheit im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB festgestellt. Dagegen ist rechtlich nichts zu erinnern.
Das Landgericht hat allerdings aufgrund seines unzutreffenden rechtlichen Ansatzes verkannt, dass auch die - formellen und materiellen - Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB vorgelegen haben könnten. Das für die Verhängung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 2 StGB erforderliche Vorliegen von drei vorsätzlichen Taten setzt nicht voraus, dass diese Taten - wovon die Strafkammer fehlerhaft ausgegangen ist - gemeinsam in der Entscheidung abgeurteilt werden, in der die Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 StGB angeordnet werden könnte. Vielmehr können eine oder zwei von diesen Taten schon vorher rechtskräftig abgeurteilt sein, sofern der Täter wenigstens eine der Symptomtaten als Erwachsener begangen hat (vgl. auch Senat, Beschluss vom 20. Dezember 2001 - 2 StR 513/01, BGHR StGB § 66 Abs. 3 Katalogtat 2; BGH, Beschluss vom 12. Januar 2010 - 3 StR 439/09, NStZ-RR 2010, 142, 143).
Neben den Fällen II. 3. und II. 5. der Urteilsgründe ist der Angeklagte durch das Amtsgericht Köln am 5. August 2011 zu einer einheitlichen Jugendstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt worden; dieser Verurteilung lagen ausschließlich Katalogtaten gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. a) und lit. b) StGB zugrunde. Eine in einem früheren Verfahren ausgesprochene einheitliche Jugendstrafe nach § 31 JGG erfüllt indes die Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 Nr. 1 StGB nur, wenn zu erkennen ist, dass der Täter wenigstens bei einer der ihr zugrundeliegenden Straftaten eine Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hätte, sofern sie als Einzeltat gesondert abgeurteilt worden wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 23. August 2001 - 3 StR 261/01, NStZ 2002, 29; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 66 Rdn. 26, jeweils mwN). Dies festzustellen, ist tatrichterliche Aufgabe, die dem über die Sicherungsverwahrung entscheidenden Richter obliegt. Dabei hat der Tatrichter festzustellen, wie der Richter des Vorverfahrens die einzelnen Taten bewertet hat; er darf sich nicht an dessen Stelle setzen und im Nachhinein eine eigene Strafzumessung vornehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 23. August 2001 - 3 StR 261/01, NStZ 2002, 29 mwN). Entsprechende Feststellungen muss der Tatrichter so belegen, dass eine ausreichende revisionsgerichtliche Überprüfung möglich ist.
b) Soweit die Strafkammer im Folgenden im Rahmen ihrer Ermessensausübung die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung auch damit begründet hat, der Angeklagte habe "in keinem der Fälle [...] den Taterfolg eines qualifizierten Sexualdelikts herbeigeführt", hat sie bei Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Maßregel einen unzutreffenden Bezugspunkt gewählt. Entscheidend ist, welche Straftaten vom Angeklagten zukünftig zu erwarten sind; die Anlasstaten haben dafür nur indizielle Bedeutung (vgl. auch Fischer, aaO, § 62 Rdn. 3a ff. mwN). Bezogen auf Hang und Gefährlichkeit hat das Landgericht insoweit aber ausgeführt, dass der Angeklagte, dem jegliche Opferempathie fehle, "durchaus auch bereit (sei), seine sexuellen Interessen mittels Einsatzes von Gewalt und das Eindringen in persönlichste Schutzbereiche seiner Opfer zu begehen". Aufgrund seiner - durch Impulsivität und Aggressivität gekennzeichneten - Persönlichkeitsstruktur seien seine sexuellen Übergriffe regelmäßig gegen besonders schwache und hilflose Frauen oder Mädchen gerichtet. Diese Umstände hat das Landgericht im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht ausreichend in den Blick genommen.
c) Auch im Übrigen hat das Landgericht das ihm durch § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB eingeräumte Ermessen - auch eingedenk eingeschränkter revisionsgerichtlicher Nachprüfung - rechtsfehlerhaft ausgeübt. Die Erwägung des Landgerichts, eine Haltungsänderung des Angeklagten während der Dauer des Strafvollzugs sei zu erwarten, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
aa) Die Beurteilung, ob ein Angeklagter infolge seines Hanges zur Begehung schwerer Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist, richtet sich nach der Sachlage zum Zeitpunkt der Aburteilung (§ 66 Abs. 3 Satz 2 StGB iVm § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB). Dieses hat die Strafkammer im Ansatz auch nicht verkannt.
Soweit indes die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 StGB oder - wie vom Landgericht angenommen - nach § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB in Betracht kommt, ist es dem Tatrichter grundsätzlich gestattet, bei der Ausübung seines Ermessens die zu erwartenden Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs auf die Gefährlichkeit des Angeklagten zu berücksichtigen. Ihm ist die Möglichkeit eröffnet, sich ungeachtet der hangbedingten Gefährlichkeit des Angeklagten zum Zeitpunkt der Urteilsfindung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass sich der Angeklagte schon die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt (vgl. auch BGH, Urteil vom 11. Juli 2013 - 3 StR 148/13, NStZ 2013, 707).
Ein Absehen von der Verhängung der Sicherungsverwahrung bei Ausübung dieses Ermessens ist jedoch nur gerechtfertigt, wenn konkrete Anhaltspunkte erwarten lassen, dass dem Täter aufgrund der Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs und diesen begleitender resozialisierender sowie therapeutischer Maßnahmen zum Strafende eine günstige Prognose gestellt werden kann. Nur denkbare positive Veränderungen und Wirkungen künftiger Maßnahmen im Strafvollzug reichen nicht aus (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 3. Februar 2011 - 3 StR 466/10, NStZ-RR 2011, 172; Urteil vom 11. Juli 2013 - 3 StR 148/13, NStZ 2013, 707, jeweils mwN).
bb) Diesen Maßstäben wird die Entscheidung des Landgerichts nicht gerecht.
(1) Im Rahmen der Prognosebeurteilung hat das Landgericht ausgeführt, "dass ohne eine erfolgreiche therapeutische Einwirkung auf den Angeklagten auch für die Zukunft ernsthaft damit zu rechnen ist, dass er seinen devianten sexuellen Impulsen in strafbarer Weise nachgehen wird". Daraus ergibt sich bereits, dass allein durch Strafverbüßung eine Haltungsänderung des Angeklagten, die zu einer Verminderung seiner Gefährlichkeit führen wird, nicht zu erwarten ist.
(2) Die vom Landgericht zugrunde gelegten "erkennbaren positiven Ansätze im Hinblick auf eine therapiebedingte Verhaltensänderung" des Angeklagten sind nicht belegt. Während seiner ersten Inhaftierung war der Angeklagte zu einer Therapie "allenfalls" vordergründig bereit. Eine Haltungsänderung im Verlauf der Haft habe sich lediglich insoweit abgezeichnet, dass der Angeklagte zu Beginn der Haft "frech, fordernd und respektlos" aufgetreten sei, gegen Ende der Haftzeit hingegen "angepasst und ruhiger". Nach Entlassung aus der Haft habe der Angeklagte entsprechende Therapieauflagen - sanktionslos - nicht erfüllt. Die Versicherung des Angeklagten in der Hauptverhandlung, "nunmehr eingesehen (zu haben), dass er Hilfe brauche und bereit sei, aktiv an sich zu arbeiten", hat das Landgericht als "wenig emotional fundiert und noch nicht von der Einsicht in die Komplexität seiner Problematik getragen" bewertet, zumal er schon in der Vergangenheit Therapiebereitschaft und Kooperation vorgetäuscht habe. Da jedoch während der Inhaftierung des Angeklagten "eine Unterbringung in der sozialtherapeutischen Abteilung [...] möglich" sei, bestehe "vor dem Hintergrund des jungen Alters des Angeklagten, der durch die Inhaftierung eingetretenen Isolierung von seiner Familie sowie der Tatsache, dass im Rahmen der ersten Inhaftierung bereits Verhaltensänderungen zu beobachten waren, [...] die begründete Erwartung einer erfolgreichen Therapie".
Damit hat das Landgericht indes nur denkbare Wirkungen des künftigen Strafvollzugs benannt, die kaum mehr als eine Hoffnung beschreiben. Über die im Ansatz vorhandene allgemeine Unrechtseinsicht und - möglicherweise nur vorgetäuschte - Therapiebereitschaft des Angeklagten hinaus werden konkrete Anhaltspunkte für einen erwartbaren Erfolg der resozialisierenden und therapeutischen Maßnahmen im Strafvollzug - unbeschadet nicht mitgeteilter Sachverständigenprognose - nicht benannt.
d) Nach alledem muss über die Anordnung der Sicherungsverwahrung nochmals entschieden werden.
Die aufgrund der Weitergeltungsanordnung im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2365/09 u.a., BVerfGE 128, 326) auch nach Inkrafttreten des Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebots in vorliegendem Fall weiterhin (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 17. April 2014 - 3 StR 355/13, NStZ-RR 2014, 207 mwN) vorzunehmende "strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung" steht der Anordnung der Sicherungsverwahrung hier nicht von vornherein entgegen (vgl. zur Anlasstat gemäß § 176 Abs. 1 StGB: BGH, Urteil vom 19. Februar 2013 - 1 StR 465/12, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 9 mwN).
Sofern auch nach erneuter Verhandlung keine konkreten Anhaltspunkte für einen erwartbaren Erfolg der resozialisierenden und therapeutischen Maßnahmen im Strafvollzug vorliegen sollten, bleibt es der Prüfung nach § 67c StGB vorbehalten, ob der Angeklagte nach Strafverbüßung weiterhin für die Allgemeinheit gefährlich und daher der Vollzug der Sicherungsverwahrung geboten ist (vgl. BGH, Urteil vom 4. Februar 2004 - 1 StR 474/03, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 7; Urteil vom 3. Februar 2011 - 3 StR 466/10, NStZ-RR 2011, 172).
3. Die Aufhebung des angefochtenen Urteils im (unterbliebenen) Maßregelausspruch führt zu Gunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) zur Aufhebung auch des gesamten Strafausspruchs. Im Hinblick auf die Erwägungen des angefochtenen Urteils zu den möglichen Wirkungen des langjährigen Strafvollzugs vermag der Senat nicht auszuschließen, dass die verhängten Einzelstrafen sowie die Gesamtstrafe niedriger ausgefallen wären, wenn das Landgericht die nunmehr erneut im Raum stehende Sicherungsverwahrung verhängt hätte (vgl. auch BGH, Urteil vom 11. Juli 2013 - 3 StR 148/13 mwN, insoweit in NStZ 2013, 707 nicht abgedruckt). Im Übrigen hat die Überprüfung des Strafausspruchs keinen Rechtsfehler ergeben.
HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 43
Externe Fundstellen: NStZ 2015, 510
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel