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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 1168

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 166/21, Beschluss v. 08.09.2021, HRRS 2021 Nr. 1168


BGH 4 StR 166/21 - Beschluss vom 8. September 2021 (LG Essen)

BGHR; sexueller Übergriff (Anwendung von Gewalt: Finalzusammenhang; gefährliches Werkzeug; Verwenden eines gefährlichen Werkzeuges: Einsatz als Mittel zu einem Zweck, Gebrauch als Drohmittel, Abgrenzung zum Beisichführen); Adhäsionsverfahren (Feststellungsantrag: mangelndes Feststellungsinteresse).

§ 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB; § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB; § 177 Abs. 7 Nr. 1 StGB; § 403 StPO

Leitsätze

1. Zum Verwenden eines gefährlichen Werkzeugs im Sinne von § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB. (BGHR)

2. Unbeschadet der Frage, welche Verwendungszwecke im Einzelnen den Qualifikationstatbestand des § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB zu erfüllen vermögen, setzt ein Verwenden des gefährlichen Werkzeugs jedenfalls voraus, dass das Werkzeug überhaupt als Mittel zu einem Zweck, also zur Erzielung einer in Bezug auf das Tatopfer angestrebten Wirkung, eingesetzt wird, wofür auch die (konkludente) Ankündigung des körperlichen Einsatzes des Werkzeugs, sein Gebrauch als Drohmittel, genügen kann. Kein Verwenden, sondern nur ein Beisichführen im Sinne von § 177 Abs. 7 Nr. 1 StGB ist demgegenüber gegeben, wenn das Werkzeug von dem Täter nicht als zweckgerichtetes Mittel eingesetzt wird, sondern sich das gefahrerhöhende Moment für das Tatopfer in dem körperlichen Vorhandensein des Werkzeugs bei der Tat erschöpft. (Bearbeiter)

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 11. Januar 2021 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren sexuellen Übergriffs in Tateinheit mit „vorsätzlicher“ Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat Erfolg.

1. Nach den Feststellungen vereinbarte der Angeklagte mit der Nebenklägerin, die als Prostituierte tätig war, die Ausführung von Oralverkehr im Fahrzeug des Angeklagten. Beide setzten sich auf die Rückbank des Wagens. Während die Nebenklägerin den Oralverkehr an dem Angeklagten vollzog, ergriff dieser ihre Haare, riss ihren Kopf hoch und schlug ihn gegen die Autotür. Er griff fest in ihre Brüste, lutschte an ihnen und biss in sie. Die Nebenklägerin erlitt hierdurch, wie vom Angeklagten billigend in Kauf genommen, Schmerzen und Verletzungen. Sie äußerte, dass er aufhören solle, und setzte den Oralverkehr zunächst fort. Der Angeklagte riss sodann abermals ihren Kopf an ihren Haaren zurück. Dabei hielt er für die Nebenklägerin sichtbar einen „handelsüblichen“ Schraubenzieher von ca. 25 cm Länge, den er unter seinem Fahrersitz hervorgeholt hatte, in seiner linken Hand, ohne ihn „unmittelbar der Nebenklägerin entgegenzurichten“. Nach einigen Sekunden legte er den Schraubenzieher wieder aus der Hand und begann erneut, an den Brüsten der Nebenklägerin zu lutschen und in sie zu beißen. Die Nebenklägerin bekam auch unter dem Eindruck des Schraubenziehers zunehmend Angst und äußerte, dass sie alles tun werde, was der Angeklagte wollte. Anschließend vollzog sie weiter den Oralverkehr an dem Angeklagten, der hierbei mehrfach ihren Kopf fest auf seinen Penis drückte.

Das Landgericht hat die Tat als „besonders schweren sexuellen Übergriff in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung nach § 177 Abs. 1, Abs. 5 Nr. 1, Abs. 7 Nr. 1, Abs. 8 Nr. 1, § 223 Abs. 1, 52 StGB“ gewertet und die Strafe dem Strafrahmen eines minder schweren Falles nach § 177 Abs. 9 Alt. 3 StGB entnommen.

2. Das Urteil hält der auf die Sachrüge gebotenen rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Feststellungen tragen die Verurteilung wegen besonders schweren sexuellen Übergriffs (§ 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB) nicht.

a) Die Urteilsgründe belegen zwar das Vorliegen des Qualifikationsmerkmals der Gewalt im Sinne von § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB. Der Angeklagte übte jedenfalls dadurch, dass er im Zusammenhang mit den nicht von seiner Vereinbarung mit der Nebenklägerin gedeckten sexuellen Handlungen an ihren Brüsten ihren Kopf gegen die Autotür schlug und an ihren Haaren riss, Gewalt gegenüber dem Tatopfer aus. Dass ein Finalzusammenhang zwischen diesen Handlungen und dem sexuellen Übergriff nicht ausdrücklich festgestellt ist, steht der Annahme des § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB nicht entgegen, weil die Gewalt jedenfalls nach Versuchsbeginn und vor Beendigung des jedenfalls teilweise nicht vom Einverständnis der Nebenklägerin gedeckten sexuellen Übergriffs verübt wurde (BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2018 - 4 StR 311/18, BGHSt 63, 220, 223). Dabei kann offenbleiben, ob der Angeklagte zu der Verwirklichung des Grundtatbestandes (§ 177 Abs. 1 StGB) bereits unmittelbar angesetzt hatte, als er zum ersten Mal den Kopf der Nebenklägerin an deren Haaren hochriss, denn jedenfalls das erneute Reißen an den Haaren der Nebenklägerin geschah nach Versuchsbeginn.

Auch die Annahme des Landgerichts, dass der Angeklagte ein gefährliches Werkzeug im Sinne von § 177 Abs. 7 Nr. 1 StGB bei sich führte, wird von den Feststellungen getragen. Ein gefährliches Werkzeug nach dieser Vorschrift ist jeder bewegliche Gegenstand, der - im Fall seiner Verwendung - geeignet ist, erhebliche Verletzungen zu verursachen (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Februar 2021 - 4 StR 263/20 Rn. 8; zu § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB auch BGH, Urteile vom 9. Januar 2020 - 5 StR 333/19 Rn. 36 und vom 10. Oktober 2018 - 5 StR 179/18 Rn. 14 mwN). Dies ist bei dem als Stichwerkzeug geeigneten Schraubenzieher von 25 cm Länge, der sich im Rahmen des dynamischen Geschehens in der räumlichen Enge des Fahrzeugfonds in der Hand des Angeklagten befand, der Fall.

b) Demgegenüber sind dem Urteil keine ausreichenden Feststellungen dazu zu entnehmen, dass der Angeklagte dieses gefährliche Werkzeug auch im Sinne von § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB bei der Tat verwendete.

Ein solches Verwenden liegt in zeitlicher Hinsicht vor, wenn das gefährliche Werkzeug zu irgendeinem Zeitpunkt zwischen Versuchsbeginn und Beendigung eingesetzt wird (BGH, Urteil vom 9. Januar 2020 - 5 StR 333/19 Rn. 38; Urteil vom 25. Oktober 2018 - 4 StR 239/18 Rn. 12 mwN). Was den Zweck der Verwendung betrifft, so sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Voraussetzungen des § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB jedenfalls dann erfüllt, wenn das gefährliche Werkzeug entweder als Nötigungsmittel oder bei der sexuellen Handlung eingesetzt wird (vgl. BGH, Urteil vom 25. Oktober 2018 - 4 StR 239/18 Rn. 13 mwN). Dafür genügt es, wenn sich das Geschehen als einheitlicher Vorgang mit Sexualbezug darstellt und die Verwendung des gefährlichen Gegenstandes deshalb ihrerseits sexualbezogen ist (vgl. BGH, Urteil vom 6. Februar 2002 ? 1 StR 506/01, NStZ 2002, 431 unter IV; Beschluss vom 15. April 2014 - 2 StR 545/13 mwN [jeweils zu § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB aF]).

Unbeschadet der Frage, welche Verwendungszwecke im Einzelnen den Qualifikationstatbestand des § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB zu erfüllen vermögen, setzt ein Verwenden des gefährlichen Werkzeugs jedenfalls voraus, dass das Werkzeug überhaupt als Mittel zu einem Zweck, also zur Erzielung einer in Bezug auf das Tatopfer angestrebten Wirkung, eingesetzt wird, wofür auch die (konkludente) Ankündigung des körperlichen Einsatzes des Werkzeugs, sein Gebrauch als Drohmittel, genügen kann. Kein Verwenden, sondern nur ein Beisichführen im Sinne von § 177 Abs. 7 Nr. 1 StGB ist demgegenüber gegeben, wenn das Werkzeug von dem Täter nicht als zweckgerichtetes Mittel eingesetzt wird, sondern sich das gefahrerhöhende Moment für das Tatopfer in dem körperlichen Vorhandensein des Werkzeugs bei der Tat erschöpft.

Dieses Verständnis des Qualifikationstatbestandes des § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB wird bereits vom Wortlaut der Norm nahegelegt. Denn nach dem allgemeinen Sprachgebrauch setzt das Verwenden eines Gegenstandes einen entsprechenden Einsatzzweck voraus. Hiernach ist unter „verwenden“ das Anwenden oder die Benutzung eines Gegenstandes für einen bestimmten Zweck, insbesondere zur Herstellung oder Ausführung von etwas (vgl. Duden, Bedeutungswörterbuch, 5. Aufl., Stichwort „verwenden“), mithin ein Gebrauchmachen von dem Gegenstand (so [zu § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB] BGH, Anfragebeschluss vom 3. Dezember 1998 - 4 StR 380/98 Rn. 10), zu verstehen. Auch gesetzessystematische und teleologische Erwägungen bestätigen diese Auslegung. Eine weite, auch jeden nicht instrumentellen Umgang mit dem gefährlichen Werkzeug bei der Tat umfassende Interpretation des § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB wäre ungeeignet, den Tatbestand schlüssig von der Qualifikation nach § 177 Abs. 7 Nr. 1 StGB abzugrenzen. Während das Verwenden eines gefährlichen Werkzeugs bei der Tat nach § 177 Abs. 8 StGB mit einer Mindeststrafe von fünf Jahren bedroht ist, sieht § 177 Abs. 7 StGB für das bloße Beisichführen eines gefährlichen Werkzeugs eine Strafe von nicht unter drei Jahren vor. Dieser Unterschied in der Strafdrohung findet seine Rechtfertigung in den gesteigerten Gefahren für Leib oder Leben des Tatopfers, welche die Verwendung des gefährlichen Werkzeugs gegenüber dessen bloßem Beisichführen birgt (vgl. BT-Drucks. 18/9097 S. 29; zu § 177 Abs. 4 StGB aF auch BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2000 - 4 StR 464/00, NStZ 2001, 313, 314). Eine derart erhöhte Gefährlichkeit weist indes - typischerweise - allein der zweckgerichtete Einsatz eines gefährlichen Werkzeugs bei der Tat auf. Ein sonstiger Umgang mit dem Werkzeug, der auf keine das Tatopfer treffende Wirkung gerichtet ist, geht hingegen in seinem Gefahrenpotential nicht über das Beisichführen hinaus. So wird etwa die Gefahr eines bewusst in der Jackentasche getragenen Werkzeugs und damit im Sinne von § 177 Abs. 7 Nr. 1 StGB mitgeführten Werkzeugs nicht allein dadurch erhöht, dass der Täter es für kurze Zeit ergreift und in der Hand hält, etwa um sich dessen Vorhandenseins zu vergewissern.

c) Nach diesem Maßstab tragen die Feststellungen des Landgerichts den Schuldspruch nach § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB nicht. Zwar erscheint es nicht ausgeschlossen, dass der Angeklagte den Schraubenzieher als Nötigungsmittel einsetzte, als er ihn unter dem Fahrersitz aufnahm und kurz in der Hand hielt. Die Urteilsfeststellungen sind aber unzureichend. Das Landgericht hat zwar festgestellt, dass die Nebenklägerin den Schraubenzieher wahrnahm und deswegen in Angst geriet. Eine entsprechende Zwecksetzung des Angeklagten, also der bewusste Einsatz des Werkzeugs als Drohmittel, ist dem Urteil mit Blick darauf, dass der Angeklagte den Schraubenzieher nicht auf die Nebenklägerin richtete und sogleich wieder weglegte, nicht sicher zu entnehmen. Das Landgericht ist hiervon ersichtlich auch nicht ausgegangen, weil es den Tatbestand des § 177 Abs. 5 Nr. 2 StGB nicht als erfüllt angesehen hat.

3. Die Verurteilung des Angeklagten wegen besonders schweren sexuellen Übergriffs kann danach keinen Bestand haben. Da sich die Aufhebung wegen des tateinheitlichen Zusammentreffens auch auf den - für sich genommen rechtsfehlerfreien - Schuldspruch wegen Körperverletzung erstreckt, bedarf die Sache insgesamt neuer tatrichterlicher Verhandlung und Entscheidung.

4. Der Senat hebt auch den Adhäsionsausspruch auf.

Das Landgericht hat auf das Teilanerkenntnis des Angeklagten festgestellt, dass der Angeklagte verpflichtet ist, der Nebenklägerin die aus der Tat erwachsenen weiteren materiellen und immateriellen Schäden „dem Grunde nach“ zu ersetzen, soweit „diese“ nicht auf Sozialversicherer oder Dritte übergegangen sind. Hinsichtlich des neben dem Feststellungsbegehren geltend gemachten Schmerzensgeldes ist das Landgericht von der Erfüllung des Anspruchs durch eine Zahlung des Angeklagten an die Nebenklägerin in Höhe des im Leistungsantrag bezeichneten Mindestbetrags ausgegangen und hat insoweit eine Entscheidung nicht getroffen.

Zwar folgt die Aufhebung des Adhäsionsausspruchs nicht bereits aus der Aufhebung des Schuldspruchs. Greift - wie hier - die Revision den Adhäsionsausspruch nicht an, so bleibt dieser von der Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache im Übrigen unberührt (vgl. BGH, Urteile vom 23. Juli 2015 - 3 StR 470/14 Rn. 56; vom 28. November 2007 - 2 StR 477/07, BGHSt 52, 96, 97 f.). Hinzu kommt hier, dass der Angeklagte den zugesprochenen Feststellungsanspruch in der Hauptverhandlung anerkannt (§ 406 Abs. 2 StPO) und die Wirksamkeit seines Anerkenntnisses nicht in Frage gestellt hat, was ebenfalls zur Folge hat, dass die Aufhebung des strafrechtlichen Teils des Urteils im Fall der Zurückverweisung den Adhäsionsausspruch nicht erfasst (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juli 2015 - 3 StR 470/14 Rn. 56 mwN).

Der Adhäsionsausspruch unterliegt aber deshalb der Aufhebung, weil er seinerseits an einem Rechtsfehler leidet. Der dem Ausspruch zugrundeliegende Feststellungsantrag ist unzulässig, denn es fehlt an dem erforderlichen Feststellungsinteresse. Die Adhäsionsklägerin hat weder geltend gemacht noch ist aus ihrem Vortrag ansonsten ersichtlich, warum sie nicht in der Lage ist, weitere, von ihrem Schmerzensgeldantrag nicht erfasste materielle und immaterielle Schäden schon jetzt zu beziffern (vgl. BGH, Beschluss vom 13. April 2017 - 4 StR 414/16 Rn. 7). Dieses hatte das Landgericht trotz des auf den Feststellungsanspruch bezogenen Anerkenntnisses des Angeklagten zu prüfen, da die Parteien nur über den sachlich-rechtlichen Anspruch, nicht aber über die Sachurteilsvoraussetzungen disponieren können (vgl. BGH, Beschluss vom 7. November 2018 - 4 StR 353/18 Rn. 8) und auch das Feststellungsinteresse zu diesen Sachurteilsvoraussetzungen zählt (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Mai 2019 - 5 StR 152/19; zum Zivilprozess: BGH, Urteil vom 20. März 2001 - VI ZR 325/99, NJW 2001, 3414 mwN; aA Musielak, in Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl., § 307 Rn. 15; Althammer in Stein/Jonas, 23. Aufl., § 307 Rn. 49).

Der Senat weist im Übrigen darauf hin, dass das neue Tatgericht, sollte es den auf Zahlung eines Schmerzensgeldes gerichteten Adhäsionsantrag der Nebenklägerin wie offenbar im ersten Rechtsgang für unbegründet halten, insoweit gemäß § 406 Abs. 1 Satz 3 StPO von einer Entscheidung im Adhäsionsverfahren abzusehen haben wird.

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 1168

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß