HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 1179
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 179/18, Urteil v. 10.10.2018, HRRS 2018 Nr. 1179
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 18. Oktober 2017 werden verworfen.
Die Angeklagten M. und B. G. sowie W. tragen die Kosten ihres jeweiligen Rechtsmittels; bei dem Angeklagten H. wird davon abgesehen, ihm die Kosten seines Rechtsmittels aufzuerlegen.
Die Angeklagten tragen die durch ihre Rechtsmittel dem Nebenkläger entstandenen notwendigen Auslagen.
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das genannte Urteil im Strafausspruch aufgehoben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten dieser Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen besonders schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu Freiheitsstrafen von drei Jahren (M. G.), drei Jahren und sechs Monaten (B. G.) und zwei Jahren und neun Monaten (W.) sowie zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und neun Monaten (H.) verurteilt. Die mit einer Verfahrensrüge der Angeklagten M. G. und Sachrügen geführten Revisionen der Angeklagten wenden sich gegen die Verurteilungen, während die Staatsanwaltschaft mit ihren auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen das Fehlen einzelner Qualifikationsmerkmale innerhalb der Schuldsprüche bemängelt und höhere Strafen erstrebt. Die vom Generalbundesanwalt vertretenen Revisionen der Staatsanwaltschaft haben überwiegend Erfolg; diejenigen der Angeklagten sind unbegründet.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts war der geistig behinderte Nebenkläger bei der Angeklagten M. G. seit 23. Dezember 2016 zu Gast. Beide hatten sich über eine Kontaktplattform im Internet kennengelernt und wollten ihr Interesse an einer weitergehenden Beziehung erproben. In der Wohnung der Angeklagten waren zudem ihre fünf Kinder, darunter der Angeklagte B. G. Aufgrund der Unerfahrenheit und Scheu des Nebenklägers kam es nicht zu der von M. G. erwünschten erotischen Annäherung. Nachdem die ersten Tage noch weitgehend problemlos verlaufen waren, fiel der Nebenkläger seit 30. Dezember 2016 den Angeklagten G zunehmend zur Last. Zudem hielt sich seit diesem Zeitpunkt noch eine Vielzahl weiterer Personen in der Wohnung auf, um dort gemeinsam Silvester zu feiern, darunter auch die Angeklagten W. und H. .
Am 30. Dezember 2016 begannen erhebliche Übergriffe auf den diesen hilflos ausgesetzten Nebenkläger. Zunächst urinierte der neunjährige Sohn der Angeklagten M. G. auf den Nebenkläger, ohne dass jemand Anstoß daran nahm. Der mittellose Nebenkläger äußerte daraufhin den Wunsch, nach Hause zu fahren, konnte diesen jedoch nicht umsetzen. Versuche, seinen Betreuer zwecks Überweisung des Fahrgeldes zu kontaktieren, misslangen. Am Folgetag bewarf der Angeklagte B. G. den Nebenkläger in der Wohnung mit gezündeten Knallkörpern und ohrfeigte ihn vor den anderen. Die Angeklagten H. und B. G. boten dem Nebenkläger eine mit Schwarzpulver gefüllte Zigarette an, die dieser anzündete. Die Zigarette explodierte. Spätestens danach war allen Angeklagten klar, dass der geistig behinderte, unreif und furchtsam auftretende Nebenkläger mangels Selbstbehauptungswillens auch weitergehenden Angriffen keinen nennenswerten Widerstand entgegenbringen würde.
Am Abend des Neujahrtages 2017 entschlossen sich die Angeklagten gegen 21 Uhr, diese Schwäche auszunutzen und den heterosexuellen Nebenkläger im Wohnzimmer vor den Augen anderer durch homosexuellen Oral- und Analverkehr zu „entjungfern“, wenn nötig, unter Einsatz von Gewalt. Ihnen war dabei klar, dass dies alles gegen den erkennbaren Willen des Nebenklägers geschah und dieser nur bei Ausübung massiven Drucks in gewünschter Weise mitwirken würde. In Umsetzung der Abrede forderte B. G. den Nebenkläger barsch auf, sich auszuziehen, was dieser bis auf die Unterhose tat. Auf die Weigerung, auch diese auszuziehen, boxte B. G. den Nebenkläger mit der Faust in den Genitalbereich. Anschließend brachten die drei männlichen Angeklagten den Nebenkläger gewaltsam zu Boden. Während W. und H. die Arme festhielten, hielt B. G. ein brennendes Feuerzeug an den seitlichen Bund der Unterhose, um diesen anzubrennen. Die Flamme wirkte auf die Haut im Lendenbereich ein und verursachte erhebliche Schmerzen beim Nebenkläger. Dies war auch beabsichtigt, um jeden Widerstand zu brechen und den Nebenkläger gefügig zu machen. Durch das gewaltsame Entblößen erlitt dieser neben Brandverletzungen Kratzer, eine Hautabschürfung und mehrere Prellmarken.
Anschließend setzte sich der Nebenkläger auf Anweisung von B. G. auf einen Sessel. Dessen Verlangen, bis zum Samenerguss zu onanieren, kam der Nebenkläger erfolglos nach. Nach dem Willen der Angeklagten musste der weiterhin sichtlich eingeschüchterte Nebenkläger nunmehr den Oralverkehr am Angeklagten H. vollziehen und das zunächst ausgespuckte Ejakulat schlucken. Nun beschlossen die Angeklagten, die starke Behaarung des Nebenklägers an Oberkörper und Schambereich großflächig abzubrennen. Hierzu schüttete der Angeklagte B. G. Desinfektionsmittel auf Brust-, Bauch- und Schambereich des Nebenklägers und zündete dieses anschließend mit dem Feuerzeug an. Durch die Flammenhitze erlitt der Nebenkläger empfindliche Schmerzen an den betroffenen Hautpartien und protestierte lautstark.
Da die Angeklagten eine anale Penetration planten, setzte B. G. die Prozedur ungerührt fort. Seiner Aufforderung, den mittlerweile apathisch wirkenden Nebenkläger ins Gesicht und auf den Kopf zu schlagen, kamen die zwei anwesenden Jugendlichen K. und V. G. nach. Nachdem die Afterregion des Nebenklägers mittels Trocken- und Nassrasierer von noch vorhandener Behaarung befreit worden war, musste sich der Nebenkläger in „Hündchenstellung“ beugen und den Angeklagten sein entblößtes Hinterteil präsentieren. Der Angeklagte H. näherte sich mit entblößtem und erigiertem Glied dem Nebenkläger. Ob es dabei zum Vollzug des Analverkehrs oder nur zu dessen Vortäuschen kam, konnte nicht geklärt werden. Nachdem der Angeklagte H. vom Nebenkläger abgelassen hatte, holte die Angeklagte M. G. einen Dildo und stieß diesen überraschend und kräftig in den After des Nebenklägers, so dass er steckenblieb. Der Nebenkläger erlitt hierdurch heftige Schmerzen sowie eine Hautunterblutung am Aftereingang und schrie vor Schmerz. Es gelang ihm, den Dildo zu entfernen und wegzuschleudern. Der Angeklagte B. G. nahm den Dildo wieder auf und führte ihn anschließend erneut in den After des Nebenklägers ein, was diesem wiederum Schmerzen bereitete. M. G. setzte derweil die Enthaarung mittels Desinfektionsmittel und Feuerzeug fort. Erst als der Nebenkläger sein Schreien intensivierte, lenkte M. G. ein und forderte B. G. auf, von ihrem Opfer abzulassen, damit die Tat nicht durch dessen Geschrei entdeckt würde. Anschließend ließen alle Angeklagten gegen 24 Uhr von ihren stundenlangen Übergriffen auf den Nebenkläger ab. Dieser hat die Folgen der Tat bislang noch nicht vollständig psychisch verarbeitet und wird therapeutisch betreut.
2. Das Landgericht hat das Handeln der Angeklagten als gemeinschaftliche besonders schwere Vergewaltigung nach § 177 Abs. 1, 6 und 8 Nr. 1 StGB in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung nach §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 und 4 StGB gewertet. Den Einsatz des Feuerzeugs hat das Landgericht als Einsatz eines gefährlichen Werkzeugs im Sinne von § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB angesehen, nicht hingegen den Einsatz des Dildos, da zu dessen näherer Beschaffenheit keine Feststellungen getroffen werden konnten. Den Strafrahmen für die Freiheitsstrafen hat das Landgericht § 177 Abs. 9 StGB (minder schwerer Fall) entnommen und jeweils eine Sperrwirkung des Strafrahmens des § 177 Abs. 6 StGB bejaht, beim Angeklagten B. G. unter Verbrauch des vertypten Strafmilderungsgrundes des § 21 StGB. Die Verhängung von Jugendstrafe gegen den zur Tat 19 Jahre alten H. hat die Jugendkammer auf die Schwere der Schuld gestützt und die konkrete Strafe unter Betonung des Erziehungsgedankens nach einer hypothetischen Strafrahmenbetrachtung - entsprechend derjenigen bei den erwachsenen Angeklagten - gefunden.
Die Revisionen der Angeklagten haben keinen Erfolg.
1. Die von der Angeklagten G. erhobene Verfahrensrüge einer Verletzung von § 261 StPO durch Nichtausschöpfung verlesener Vernehmungsniederschriften versagt. Der Senat kann anhand des Revisionsvorbringens nicht zuverlässig beurteilen, ob die unmittelbare Verwertung dieser Urkunden vor dem Hintergrund des in § 250 StPO niedergelegten Unmittelbarkeitsprinzips überhaupt zulässig oder etwa die Nichtberücksichtigung dieses Beweisstoffs rechtlich geboten war. Vortrag, aus dem sich eindeutig ergibt, dass die Vernehmungsniederschriften lediglich nach Vernehmung der entsprechenden Zeugen ergänzend oder in ihrer Anwesenheit nach § 253 StPO zur Klärung von Widersprüchen oder Erinnerungslücken verlesen werden durften (näher BGH, Beschlüsse vom 8. Februar 2018 - 3 StR 400/17, NJW 2018, 2809, 2811; vom 19. März 2013 - 3 StR 26/13, NStZ 2013, 479; Mosbacher, NStZ 2014, 1 mwN), enthält die Revision nicht. Ob die Ausführungen in der mitgeteilten Vorsitzendenverfügung vom 15. September 2017 vollständig waren und zutrafen, kann der Senat auf dieser Grundlage nicht prüfen. Darüber hinaus ist das Tatgericht nicht gehalten, jeden erhobenen Beweis im Urteil zu behandeln, zumal sich seine Relevanz im Laufe der Hauptverhandlung relativiert haben kann (vgl. näher Sander in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 261 Rn. 58 mwN).
2. Die jeweils erhobenen Sachrügen decken ebenfalls keinen Rechtsfehler auf. Die Feststellungen beruhen auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung und tragen die Schuldsprüche. Dies gilt namentlich auch, soweit die Jugendkammer den Einsatz des Feuerzeugs als Verwendung eines gefährlichen Werkzeugs bei der Tat gewürdigt hat (vgl. zum Verbrennen der Haut durch ein Feuerzeug als gefährliche Körperverletzung BGH, Urteil vom 20. Oktober 1993 - 2 StR 109/93, BGHR StGB § 170d Fürsorgepflichtiger 1; zur Verwendung einer brennenden Zigarette: BGH, Urteile vom 4. September 2001 - 1 StR 232/01, NStZ 2002, 30, und vom 27. September 2001 - 4 StR 245/01, NStZ 2002, 86). Die Rechtsfolgenaussprüche enthalten ebenfalls keine die Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler.
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft haben überwiegend Erfolg.
1. Sie sind gemäß ihrer Begründung wirksam auf die Strafaussprüche beschränkt, weil die Staatsanwaltschaft lediglich die Nichtannahme weiterer Qualifikationsmerkmale innerhalb des Schuldspruchs und auf dieser Grundlage eine zu milde Bestrafung bemängelt.
2. Zu Recht beanstandet die Staatsanwaltschaft, dass die Jugendkammer das gewaltsame Einführen des Dildos in den After des Nebenklägers nicht als Verwenden eines gefährlichen Werkzeugs im Sinne von § 177 Abs. 8 Nr. 1 Alt. 2 StGB angesehen hat.
Ein gefährliches Werkzeug im Sinne dieser Alternative liegt vor, wenn ein - auch für sich gesehen ungefährlicher - Gegenstand nach der konkreten Art seiner Verwendung geeignet ist, erhebliche Verletzungen zu verursachen (vgl. zum gleichlautenden früheren § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB Hörnle in Leipziger Kommentar, StGB, 12. Aufl., § 177 Rn. 284 ff. mwN). Dies ist regelmäßig bei einem Dildo der Fall, wenn er überraschend und kräftig in den After gestoßen wird und hierdurch ganz erhebliche Schmerzen und eine Hautunterblutung am Aftereingang verursacht. Die Jugendkammer hätte sich deshalb nicht mit der Überlegung begnügen dürfen, die konkrete Beschaffenheit des Dildos sei nicht feststellbar, weshalb der Gegenstand nicht als gefährlich angesehen werden könne. Die vom Landgericht in diesem Zusammenhang zitierte Entscheidung des 3. Strafsenats (BGH, Beschluss vom 10. Januar 2017 - 3 StR 278/16) besagt nichts anderes, da sie sich mit dieser Fragestellung (auf die Revision der Angeklagten hin) nicht auseinandersetzt.
3. Ebenso rechtsfehlerhaft prüft die Jugendkammer nicht, ob die Qualifikation der schweren körperlichen Misshandlung nach § 177 Abs. 8 Nr. 2a StGB im vorliegenden Fall erfüllt wurde. Für eine schwere körperliche Misshandlung in diesem Sinne genügt jede schwere Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens; die körperliche Integrität muss in einer Weise, die mit erheblichen Schmerzen verbunden ist, beeinträchtigt sein (vgl. BGH, Urteile vom 13. September 2000 - 3 StR 347/00, NJW 2000, 3655; Beschluss vom 3. Mai 2018 - 3 StR 658/17). Auch wenn die insoweit anzustellenden Anforderungen nicht zu niedrig angesetzt werden dürfen (vgl. BGH aaO), liegt dieses Merkmal angesichts der stundenlangen Quälerei des Nebenklägers mit Zufügung „thermischer Hautverletzungen“ und erheblicher Schmerzen durch anale Penetration (vgl. insoweit BGH, Urteil vom 9. Dezember 2014 - 5 StR 422/14, NStZ 2015, 152) doch überaus nahe und hätte erörtert werden müssen.
4. Die Staatsanwaltschaft weist in diesem Zusammenhang zudem zutreffend darauf hin, dass das Landgericht auch hätte prüfen müssen, ob der Verbrechenstatbestand des § 177 Abs. 5 StGB erfüllt worden ist. Denn auch dies hätte im Rahmen der Strafzumessung Berücksichtigung finden können.
5. Auf den aufgezeigten Rechtsfehlern beruhen die Strafaussprüche, denn das Landgericht ist bei jedem Angeklagten von einem zu geringen Schuldumfang ausgegangen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Jugendkammer bei allen Angeklagten bei rechtsfehlerfreiem Vorgehen höhere Strafen verhängt hätte.
6. Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht, da diese von den aufgezeigten Rechtsfehlern nicht betroffen sind (vgl. § 353 Abs. 2 StPO); insoweit bleiben die Revisionen der Staatsanwaltschaft ohne Erfolg. Die Feststellungen dürfen um solche ergänzt werden, die den bisherigen nicht widersprechen. Bei Annahme der oben genannten Qualifikationsmerkmale wird insbesondere zu prüfen sein, inwieweit diese vom - gegebenenfalls sukzessive erweiterten - gemeinsamen Tatplan erfasst waren und deren Verwirklichung deshalb allen Angeklagten zuzurechnen ist.
HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 1179
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2019, 13
Bearbeiter: Christian Becker