HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 561
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 418/20, Beschluss v. 14.01.2021, HRRS 2021 Nr. 561
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hagen vom 31. März 2020 wird
a) das Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben und das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte in den Tatkomplexen II.5 bis II.7 der Urteilsgründe (Taten 8 bis 19) verurteilt worden ist; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last;
b) das vorbezeichnete Urteil aa) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in 25 Fällen, davon in vier Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern, in 17 Fällen in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern, davon in acht Fällen in weiterer Tateinheit mit Vergewaltigung, sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen schuldig ist; bb) im gesamten Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in 37 Fällen, davon in 10 Fällen in Tateinheit mit sexuellen Missbrauch von Kindern und in 23 Fällen in Tateinheit mit schweren sexuellen Missbrauch von Kindern, davon in 4 Fällen in Tateinheit mit Vergewaltigung, sowie in weiteren 4 Fällen in Tateinheit mit Vergewaltigung“ und wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von dreizehn Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
1. Die Verfahrensrügen bleiben aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts ohne Erfolg. Zur Verfahrensrüge einer Verletzung des § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO bemerkt der Senat, dass das Urteil auf dem geltend gemachten Verfahrensverstoß nicht beruht. Soweit die Revision unter Berufung auf den Beschluss des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 28. August 2012 - 5 StR 251/12 (BGHSt 57, 306, 309) die Ansicht vertritt, ein Beruhen des Urteils auf der fehlerhaft unterbliebenen Verbescheidung des Widerspruchs gegen die Einführung von Urkunden (DNA-Gutachten) im Wege des Selbstleseverfahrens könne regelmäßig und auch hier nicht ausgeschlossen werden, hat der 5. Strafsenat diese Rechtsauffassung aufgegeben und ausgesprochen, dass das Urteil auf einem bloßen Verstoß gegen die Bescheidungspflicht nach § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO regelmäßig nicht beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 11. November 2020 - 5 StR 197/20, NJW 2021, 479). Die Frage, ob ein Urteil auf einem Verstoß gegen § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO beruht (§ 337 Abs. 1 StPO), ist allein daran zu bemessen, ob bei einer Einführung der Urkunde durch Verlesung gemäß § 249 Abs. 1 StPO eine abweichende Entscheidung denkbar wäre. Dies ist vorliegend aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts zweifelsfrei auszuschließen. Dass die Anordnung des Selbstleseverfahrens selbst gegen das Verfahrensrecht verstößt (vgl. BGH, Beschluss vom 11. November 2020, aaO, Rn. 18), ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
2. Soweit das Landgericht den Angeklagten in den Tatkomplexen II.5 bis II.7 der Urteilsgründe wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in 12 Fällen, davon in sechs Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern und in weiteren sechs Fällen in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern verurteilt hat, fehlt es an der Verfahrensvoraussetzung einer Anklageerhebung und demzufolge auch an der eines Eröffnungsbeschlusses. Das Urteil ist daher insoweit aufzuheben und das Verfahren gemäß § 354 Abs. 1, § 206a Abs. 1 StPO einzustellen.
a) Die Staatsanwaltschaft hat dem Angeklagten nach teilweiser Verfahrensbeschränkung gemäß §§ 154, 154a StPO mit der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage zur Last gelegt, seine beiden Töchter N. (geboren am 11. Februar 2004) und C. (geboren am 4. September 2005) im Zeitraum vom 15. Juli 2012 bis zum 15. Oktober 2013 in seiner Wohnung in S. und im Zeitraum vom 15. Oktober 2013 bis zum 8. August 2019 in seiner Wohnung in H. in mindestens 63 Fällen auf unterschiedliche Weise sexuell missbraucht und - soweit hier von Bedeutung - die folgenden Taten zum Nachteil seiner Töchter begangen zu haben:
aa) An jeweils drei im Einzelnen nicht näher bestimmbaren Tagen im Zeitraum vom 15. Juli 2012 bis zum 15. Oktober 2013 manipulierte der Angeklagte in seiner Wohnung in S. an der entblößten Scheide beider Mädchen (Fälle Ziffer 7 bis 9 der Anklage); in drei weiteren Fällen versuchte er, beiden Töchtern einen oder zwei Finger in die Scheide einzuführen (Fälle Ziffer 10 bis 12 der Anklage).
bb) Ihm wurde weiter zur Last gelegt, zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt nach dem am 15. Oktober 2013 erfolgten Umzug nach H. einen Vibrator an die entblößte Scheide von N. und an drei weiteren Tagen in diesem Zeitraum einen Vibrator an die entblößte Scheide seiner Tochter C. geführt zu haben (Fälle Ziffer 16 bis 21 der Anklage).
b) Das Landgericht hat - soweit hier von Bedeutung - folgende Feststellungen getroffen:
aa) An drei im Einzelnen nicht näher bestimmbaren Tagen im Zeitraum vom 15. Oktober 2013 bis zum Mai 2017 manipulierte der Angeklagte in seiner Wohnung in H. mit einer Hand an der entblößten Scheide seiner Tochter N. (Taten II.5 der Urteilsgründe); in drei weiteren Fällen manipulierte er in diesem Zeitraum in seiner Wohnung in H. an der entblößten Scheide seiner Tochter C., wobei er zum Teil einen oder zwei Finger in einem neben dem Bett abgestellten Wasserglas befeuchtete (Taten II.6 der Urteilsgründe).
bb) Nach dem Erwerb verschieden geformter Vibratoren führte der Angeklagte einen der Vibratoren in mindestens drei Fällen teilweise in die Scheide seiner Tochter C. ein; im gleichen Zeitraum und noch vor ihrem 14. Geburtstag am 11. Februar 2018 führte der Angeklagte in mindestens drei weiteren Fällen einen der Vibratoren in die Scheide seiner Tochter N. ein. In allen Fällen bewegte er den Vibrator in der Scheide der Kinder hin und her, wodurch beide starke Schmerzen erlitten (Taten II.7 der Urteilsgründe).
c) Die auf diese Feststellungen gestützten Schuldsprüche wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern in sechs Fällen - Tatkomplexe II.5 und II.6 der Urteilsgründe - und des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern in sechs Fällen - Tatkomplex II.7 der Urteilsgründe ? haben keinen Bestand. Die von der Strafkammer jeweils festgestellten Taten weichen so deutlich von den in der Anklageschrift geschilderten Vorgängen ab, dass es sich nicht mehr um die von der Anklage bezeichneten Taten im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO handelt. Da eine Nachtragsanklage nicht erhoben worden ist, muss das Urteil insoweit aufgehoben und das Verfahren eingestellt werden.
aa) Gegenstand der Urteilsfindung ist gemäß § 264 Abs. 1 StPO die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt. Zur Tat in diesem Sinne gehört das gesamte Verhalten des Angeklagten, soweit es mit dem durch die Anklage bezeichneten geschichtlichen Vorkommnis nach der Auffassung des Lebens einen einheitlichen Vorgang bildet. In diesem Rahmen muss das Tatgericht seine Untersuchung auch auf Teile der Tat erstrecken, die erst in der Hauptverhandlung bekannt werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. Dezember 2020 - 3 StR 391/20, juris Rn. 7; vom 18. Oktober 2016 - 3 StR 186/16, StraFo 2017, 26 und vom 27. September 2011 - 3 StR 255/11, NStZ 2012, 168, 169; Urteil vom 20. November 2014 - 4 StR 153/14, StraFo 2015, 68). Diese Umgestaltung der Strafklage darf jedoch nicht dazu führen, dass das der Anklage zugrundeliegende Geschehen durch ein anderes ersetzt wird (BGH, Urteil vom 30. Oktober 2008 - 3 StR 375/08, juris Rn. 8). Die Tatidentität ist gewahrt, wenn ungeachtet gewisser Differenzen bestimmte Merkmale die Tat weiterhin als einmaliges unverwechselbares Geschehen kennzeichnen (vgl. BGH, Beschluss vom 16. August 2018 - 4 StR 200/18, NStZ-RR 2018, 353, 354; Urteil vom 20. November 2014 - 4 StR 153/14, StraFo 2015, 68). Für das Tatbild bestimmend sind in der Regel Ort und Zeit des Geschehens, das Tatopfer, das Täterverhalten sowie die ihm innewohnende Angriffsrichtung.
Sind Gegenstand der zugelassenen Anklage eine Vielzahl überwiegend gleichförmig verlaufender sexueller Übergriffe gegenüber Kindern, deren Tatzeit häufig nicht exakt bestimmt werden kann, erlangt neben dem Tatort und der ungefähren Tatzeit insbesondere die Art und Weise der Tatbestandsverwirklichung maßgebliche Bedeutung für die Individualisierung der zum Gegenstand der Anklage und später des Eröffnungsbeschlusses gewordenen Taten (BGH, Beschlüsse vom 25. April 2019 - 1 StR 665/18, NStZ 2020, 308, 309; vom 27. Februar 2018 - 2 StR 390/17 Rn. 19; vom 27. September 2011 - 3 StR 255/11, NStZ 2012, 168, 169 und vom 29. November 1994 - 4 StR 648/94, NStZ 1995, 245; Urteil vom 11. Januar 1994 - 5 StR 682/93, BGHSt 40, 44, 46).
bb) Gemessen hieran liegt in den Tatkomplexen II.5 bis II.7 der Urteilsgründe die erforderliche Tatidentität im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO nicht mehr vor.
Nach dem der Anklageerhebung zugrundeliegenden Ermittlungsergebnis waren die beiden Töchter des Angeklagten über Jahre hinweg Opfer einer Vielzahl von sexuellen Übergriffen durch ihn geworden, die in der Anklage - rechtlich unbedenklich (vgl. BGH, Urteile vom 22. Oktober 2013 - 5 StR 297/13, NStZ 2014, 49 und vom 11. Januar 1994 - 5 StR 682/93, BGHSt 40, 44, 46) - hinsichtlich der jeweiligen Tatorte und des ungefähren Tatzeitraums, der Tatopfer, der Anzahl der Taten sowie der Tatmodalitäten näher umschrieben waren. Diesen Angaben kam daher maßgebliche Bedeutung für die Individualisierung der verfahrensgegenständlichen Taten zu.
Die in den Tatkomplexen II.5 und II.6 der Urteilsgründe abgeurteilten Taten - Manipulationen mit der Hand an der entblößten Scheide jeweils an einem der beiden Tatopfer - in seiner Wohnung in H. weicht sowohl hinsichtlich des Tatortes (H. anstelle von S.), des Tatzeitpunktes (im Zeitraum vom 15. Oktober 2013 bis 8. August 2019 anstelle des Zeitraums vom 15. Juli 2012 bis zum 15. Oktober 2013) und der Tatmodalitäten (Vornahme der sexuellen Handlungen jeweils an einem Kind anstelle der Vornahme sexueller Handlungen an beiden Kindern) so deutlich von den in der Anklage unter den Ziffern 7 bis 9 und Ziffern 10 bis 12 beschriebenen Taten ab, dass keine Tatidentität mehr besteht.
Gleiches gilt für die im Tatkomplex II.7 der Urteilsgründe abgeurteilten sechs Taten des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern (§§ 174 Abs. 1 Nr. 3, 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB). Die von der Strafkammer festgestellten Tatmodalitäten - das mit starken Schmerzen für beide Tatopfer verbundene vaginale Einführen eines Vibrators - unterscheidet sich so deutlich von dem unter den Ziffern 16 bis 22 der Anklage beschriebenen Führen eines Vibrators an die Scheide der beiden Tatopfer, dass es sich bei den abgeurteilten Taten um ein anderes als das angeklagte Geschehen handelt.
Zwar wurde dem Angeklagten unter Ziffer 22 bis 27 der zugelassenen Anklage zur Last gelegt, in drei Fällen im Wohnzimmer und in drei Fällen im Schlafzimmer seiner Wohnung in H. jeweils einen Vibrator in die Scheide seiner Tochter N. eingeführt zu haben. Das Landgericht hat diese Tatvorwürfe jedoch in der Hauptverhandlung am 31. März 2020 (Protokollband Bl. 41) gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt. Das hierdurch entstandene Verfahrenshindernis (vgl. BGH, Beschluss vom 7. April 2020 - 4 StR 622/19) wurde durch eine spätere Wiedereinbeziehung der Taten mittels förmlichen Beschlusses nicht beseitigt.
3. Die Aufhebung des Urteils und die Verfahrenseinstellung in den Tatkomplexen II.5 bis II.7 der Urteilsgründe führt zu der aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Schuldspruchänderung.
4. Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Überprüfung des Urteils im verbleibenden Umfang hat zu den Schuldsprüchen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
5. Der Strafausspruch ist jedoch in Gänze aufzuheben.
a) Die Erwägungen, mit denen die Strafkammer in den Tatkomplexen II.3, II.4, II.8, II.9 und II.11 bis II.17 der Urteilsgründe die Verhängung von Einzelstrafen zwischen acht Jahren und drei Monaten und neun Jahren und sechs Monaten begründet hat, halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
aa) Zwar ist es Sache des Tatgerichts, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den es in der Hauptverhandlung von Tat und Täter gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Ein Eingriff des Revisionsgerichts ist nur möglich, wenn die Strafzumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, wenn das Tatgericht bestimmende Strafzumessungsfaktoren außer Betracht lässt oder wenn sich die Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 27. Februar 2020 - 4 StR 552/19, insoweit nicht abgedruckt in NStZ-RR 2020, 168; Beschluss vom 10. April 1987 - GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 349).
bb) Gemessen hieran halten die Erwägungen zur Bemessung der Einzelstrafen einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Das Landgericht hat bei der Rahmenwahl und bei der Strafzumessung im engeren Sinne hinsichtlich der acht in den Tatkomplexen II.9 und II.12 der Urteilsgründe abgeurteilten Taten (Oralverkehr) jeweils unter anderem zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass er nicht vorbestraft ist, die Taten bereits lange Zeit zurückliegen, seine Hemmschwelle im Laufe der Zeit abgesunken ist und „auch diese Taten für die Töchter nicht mit beeinträchtigenden konkreten Folgen verbunden waren“. Zu seinem Nachteil hat das Landgericht neben der tateinheitlichen Verwirklichung des Straftatbestands des § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB sowie der Vielzahl der Taten gewertet, dass „auch der Oralverkehr über einen langen Zeitraum häufig durchgeführt wurde“ und für seine Tochter C. „teils mit weiteren erniedrigenden Begleitumständen wie das Schlucken des Spermas, oder mit Schikane nach einem Ausspucken verbunden war“.
Auf der Grundlage dieser pauschal für alle acht Taten - fünf Taten zum Nachteil seiner Tochter C. und drei Taten zum Nachteil seiner Tochter N. - angestellten Strafzumessungserwägungen erscheint die Verhängung von Einzelstrafen in Höhe von jeweils acht Jahren und drei Monaten nicht nachvollziehbar. Da die straferschwerend angeführten Umstände nicht für alle Taten festgestellt worden sind, lassen die Strafzumessungserwägungen besorgen, dass das Landgericht nicht hinreichend in den Blick genommen hat, dass das Schuldmaßprinzip (§ 46 Abs. 1 Satz 1 StGB) regelmäßig eine differenzierende Zumessung der Einzelstrafen erfordert (vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. März 2020 - 2 StR 352/19, NStZ-RR 2020, 210, 211; vom 8. Februar 2018 - 1 StR 228/17, NStZ-RR 2018, 203, 204 und vom 6. November 2002 - 5 StR 361/02, NStZ-RR 2003, 72). Angesichts der für einen Ersttäter auch unter Berücksichtigung der gesetzlichen Strafrahmen und des festgestellten Tatbildes vergleichsweise hohen Einzelstrafen vermag der Senat ein Beruhen der Strafaussprüche auf diesem Darlegungsmangel nicht auszuschließen.
Gleiches gilt für die in den Tatkomplexen II.4, II.14 und II.15 der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen von jeweils acht Jahren und drei Monaten und für die in den Tatkomplexen II.3, II.8, II.11 und II.13 der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen von jeweils neun Jahren und sechs Monaten. Auch insoweit hat das Landgericht sowohl bei der Rahmenwahl als auch bei der Strafzumessung im engeren Sinne strafschärfend unter anderem berücksichtigt, dass die Taten „teilweise mit erniedrigenden Äußerungen des Angeklagten“ verbunden gewesen seien und insbesondere C. „bei Beginn der vaginalen Penetrationen noch weit von der Schutzaltersgrenze entfernt“ gewesen sei. Es kann auch hier nicht nachvollzogen werden, dass und bei welchen Taten diese undifferenziert für alle Fälle angestellten strafschärfenden Erwägungen die Tatschuld erhöhen. Der Senat kann deshalb nicht überprüfen, ob die Verhängung der vergleichsweise hohen Strafen rechtsfehlerfrei erfolgt ist.
Auch die Strafzumessungserwägungen in den Tatkomplexen II.16 und II.17 der Urteilsgründe halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Den Urteilsgründen kann auch unter Berücksichtigung ihres Zusammenhangs nicht entnommen werden, welche Tatsachen die moralisierend anmutende strafschärfende tatgerichtliche Wertung tragen, der Angeklagte habe seine Tochter N. durch „menschenunwürdige Behandlung“ zur Duldung der Taten veranlasst. Gleiches gilt für die weitere pauschal formulierte strafschärfende Erwägung, er habe sie durch „Bedrohung mit empfindlichen Übeln“ zur Duldung sexueller Handlungen genötigt. Es bleibt offen, auf welchen konkreten Feststellungen die Annahme des Landgerichts beruht, der Angeklagte habe seine Tochter N. über das zur Erfüllung des Tatbestands des § 177 Abs. 2 Nr. 5 StGB Erforderliche hinaus bedroht. Die strafschärfende Berücksichtigung der zur Tatbestandserfüllung erforderlichen Nötigung des Tatopfers geriete in Konflikt mit dem Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB.
b) Der Senat hebt auch die für sich genommen rechtlich unbedenklichen Strafaussprüche in den Tatkomplexen II.1 und II.2 der Urteilsgründe (vier Mal jeweils zwei Jahre und sechs Monate) sowie II.10 der Urteilsgründe (drei Mal jeweils zwei Jahre) auf, um dem neu zur Entscheidung berufenen Tatgericht eine in sich ausgewogene, aufeinander abgestimmte Strafzumessung zu ermöglichen.
c) Die Aufhebung der Einzelstrafen entzieht dem Ausspruch über die Gesamtstrafe die Grundlage.
Die Sache bedarf daher im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung.
HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 561
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner