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HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 376

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 228/17, Beschluss v. 08.02.2018, HRRS 2018 Nr. 376


BGH 1 StR 228/17 - Beschluss vom 8. Februar 2018 (LG Regensburg)

Strafzumessung (Kategorisierung nach der Schadenshöhe bei einer Vielzahl gleichartiger Vermögensstraftaten); Tateinheit (natürliche Handlungseinheit).

§ 46 Abs. 1 StGB; § 52 Abs. 1 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Zwar erfordert das Schuldmaßprinzip (§ 46 Abs. 1 Satz 1 StGB) regelmäßig eine differenzierende Zumessung der Einzelstrafen (vgl. BGH wistra 2011, 423, 424 Rn. 9), die eine an der Höhe der Schäden ausgerichtete Differenzierung der Einzelstrafen nahelegt (vgl. BGH wistra 1998, 269, 270). Dies schließt jedoch nicht aus, dass bei Vermögensstraftaten, denen gleichgelagerte Begehungsformen zugrunde liegen, eine Kategorisierung nach der Schadenshöhe erfolgen kann. Zwar muss diese immer am Maß des der konkreten Tat immanenten Schuldumfangs orientiert sein (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 72, 73). Allerdings kann bei Tatserien der durch die Einzeltat verursachte Vermögensschaden gegenüber der systematischen Vorgehensweise zur Herbeiführung eines Gesamtschadens dergestalt in den Hintergrund treten (vgl. BGHSt 53, 221, 232 f. Rn. 48), dass Schwankungen bei den Schadensbeträgen im Rahmen der fortgesetzten Tatbegehung bei der Bemessung der Einzelstrafen keine erhebliche Bedeutung mehr zukommt. Soweit dies der Fall ist, dürfen auch Taten mit unterschiedlichem Schadensumfang für die Bemessung der Einzelstrafen zu Gruppen zusammengefasst werden.

2. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt das Vorliegen einer natürlichen Handlungseinheit voraus, dass ein Geschehen durch einen solchen unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang zwischen mehreren strafrechtlich erheblichen Verhaltensweisen gekennzeichnet ist, dass sich das gesamte Tätigwerden auch für einen „objektiven Dritten“ bei natürlicher Betrachtungsweise als ein einheitliches zusammengefasstes Tun darstellt (vgl. BGHSt 4, 219, 220).

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten S. gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 18. November 2016 wird

a) das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte im Fall II.3.d der Urteilsgründe wegen versuchten Computerbetrugs verurteilt worden ist; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last;

b) das vorgenannte Urteil aufgehoben, auch soweit es den Mitangeklagten A. betrifft,

aa) soweit die Angeklagten in den Tatkomplexen II. 1, 5, 14 und 19 der Urteilsgründe verurteilt worden sind,

bb) im gesamten Strafausspruch einschließlich des den Angeklagten A. betreffenden Ausspruchs über den Vorwegvollzug eines Teils der verhängten Freiheitsstrafe.

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten S. wird verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls in 33 Fällen, versuchten Diebstahls, Computerbetrugs in drei Fällen, versuchten Computerbetrugs in zwei Fällen und wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und zehn Monaten verurteilt. Gegen den nicht revidierenden Mitangeklagten A. hat es wegen Diebstahls in 23 Fällen, versuchten Diebstahls, Computerbetrugs in drei Fällen und wegen versuchten Computerbetrugs in zwei Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und zwei Monaten verhängt. Daneben hat es die Unterbringung des Mitangeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass von der Gesamtfreiheitsstrafe sieben Monate vor der Unterbringung zu vollziehen sind.

Auf Antrag des Generalbundesanwalts stellt der Senat das Verfahren bezüglich des Angeklagten S. hinsichtlich des Tatvorwurfs im Fall II.3.d der Urteilsgründe gemäß § 154 Abs. 2 StPO ein. Seine darüber hinausgehende Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat mit der Sachrüge zum Schuldspruch teilweise und zum Strafausspruch insgesamt Erfolg. Die Urteilsaufhebung hinsichtlich der Tatkomplexe II. 1, 5, 14 und 19 der Urteilsgründe und bezüglich des gesamten Strafausspruchs ist auf den nicht revidierenden Mitangeklagten A. zu erstrecken (§ 357 StPO); sie führt bei diesem auch zur Aufhebung der Entscheidung über den Vorwegvollzug eines Teils der gegen ihn verhängten Gesamtfreiheitsstrafe. Im Übrigen erweist sich das Rechtsmittel des Angeklagten S. als unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

Nach den Feststellungen begingen die Angeklagten im Zeitraum von 2011 bis 2015 - zum Teil gemeinschaftlich - eine größere Zahl von versuchten und vollendeten Einbruchstaten. Sofern sie bei den Diebstählen Bankkarten erlangten, hoben sie mit diesen an Geldautomaten Bargeld ab oder versuchten dies zumindest. Soweit beide Angeklagte an den Taten beteiligt waren, begingen sie diese im bewussten und gewollten Zusammenwirken aufgrund eines gemeinsamen Tatplans und teilten die Tatbeute anschließend hälftig unter sich auf. Sie handelten jeweils in der Absicht, sich durch die wiederholte Begehung solcher Taten eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einigem Gewicht zu verschaffen.

II.

Soweit der Angeklagte S. im Fall II.3.d der Urteilsgründe wegen versuchten Computerbetrugs verurteilt worden ist, stellt der Senat das Verfahren auf Antrag des Generalbundesanwalts aus prozessökonomischen Gründen gemäß § 154 Abs. 2 StPO ein. Anhand der vom Landgericht getroffenen Feststellungen ist nicht nachvollziehbar, ob der Angeklagte, der mittels einer gestohlenen Bankkarte und der zugehörigen PIN an einem Geldautomaten im Vorraum einer Bank unberechtigt Geld abheben wollte, bereits unmittelbar zur Tat angesetzt hatte (§ 22 StGB), bevor er durch Passanten gestört wurde (UA S. 18). Damit belegen die Urteilsgründe nicht, dass die Tat bereits das Versuchsstadium erreicht hat. Zwar könnten durch einen neuen Tatrichter hierzu ergänzende Feststellungen getroffen werden. Der Senat sieht jedoch insoweit von einer Zurückverweisung der Sache an das Landgericht ab, weil die in diesem Fall gegebenenfalls zu verhängende Strafe neben den Strafen für die weiteren abzuurteilenden Taten nicht beträchtlich ins Gewicht fiele (§ 154 Abs. 2 i.V.m. § 154 Abs. 1 Nr. 1 StPO).

III.

Die Revision des Angeklagten S. hat mit der Sachrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg, im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO); die erhobene Verfahrensrüge dringt aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen nicht durch. Der Erörterung bedarf lediglich das Folgende:

1. Das Landgericht hat angenommen, dass sämtliche Diebstahlstaten im Konkurrenzverhältnis der Tatmehrheit (§ 53 StGB) zueinander stehen. Diese Annahme wird in den Tatkomplexen II. 1, 5, 14 und 19 der Urteilsgründe von den Feststellungen nicht getragen. Denn in diesen Tatkomplexen kommt jeweils das Vorliegen einer natürlichen Handlungseinheit in Betracht, was vom Landgericht zu erörtern gewesen wäre.

a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt das Vorliegen einer natürlichen Handlungseinheit voraus, dass ein Geschehen durch einen solchen unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang zwischen mehreren strafrechtlich erheblichen Verhaltensweisen gekennzeichnet ist, dass sich das gesamte Tätigwerden auch für einen „objektiven Dritten“ bei natürlicher Betrachtungsweise als ein einheitliches zusammengefasstes Tun darstellt (vgl. BGH, Urteile vom 25. September 1997 - 1 StR 481/97, Rn. 24, NStZ-RR 1998, 68, 69 und vom 27. März 1953 - 2 StR 801/52, BGHSt 4, 219, 220; Fischer, StGB, 65. Aufl., Vor § 52 Rn. 3 mwN).

b) Ob dies der Fall war, lässt sich den Urteilsgründen in den Tatkomplexen II.1 (acht Fälle), 5 (fünf Fälle) sowie 14 und 19 der Urteilsgründe (jeweils zwei Fälle) nicht entnehmen. Nach den Feststellungen brach der Angeklagte S. im Tatkomplex II.1 der Urteilsgründe allein und in den Tatkomplexen II. 5, 14 und 19 der Urteilsgründe gemeinsam mit dem Mitangeklagten A. in Bürogebäuden vom Treppenhaus aus Türen zu Büros auf, um aus diesen geldwerte Gegenstände sowie Bargeld zu entwenden. Das Landgericht setzt sich nicht mit der nahe liegenden und daher zu erörternden Möglichkeit auseinander, die Angeklagten könnten bereits gewaltsam in die jeweiligen Bürogebäude eingedrungen sein, um sodann vom Treppenhaus aus in die einzelnen Büros einzubrechen. Sollten aber die Angeklagten durch ein gewaltsames Eindringen in die Bürogebäude zugleich mit dem Beginn des Versuchs des Diebstahls auch das Regelbeispiel des § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StGB für einen besonders schweren Fall des Diebstahls verwirklicht haben, würde dies die Einbrüche in Büros im selben Bürogebäude zu einer tateinheitlichen Handlung verbinden, weil dann Teilidentität der Ausführungshandlung gegeben wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 24. November 2010 - 2 StR 519/10, wistra 2011, 99, 100 Rn. 4). Die Verurteilung ist daher in den Tatkomplexen II. 1, 5, 14 und 19 der Urteilsgründe aufzuheben. Die Sache ist insoweit an das Landgericht zurückzuverweisen, um ergänzende Feststellungen hierzu zu ermöglichen.

2. Der Strafausspruch hat insgesamt keinen Bestand.

a) Zwar wird - abgesehen von Fall II.3.d und der konkurrenzrechtlichen Bewertung der Tatkomplexe II. 1, 5, 14 und 19 der Urteilsgründe - der Schuldspruch von den Feststellungen getragen. Den Urteilsgründen ist jedoch nicht durchgängig zu entnehmen, welche Einzelstrafen das Landgericht für die einzelnen Taten verhängt hat. Dies führt hier hinsichtlich des Angeklagten S. zur Aufhebung aller Einzelstrafen sowie der Gesamtstrafe.

aa) Das Landgericht hat weder den einzelnen Taten konkrete Einzelstrafen zugeordnet, noch hat es zusammenfassend angegeben, welche Einzelstrafen es wie oft verhängt hat. Es hat lediglich abstrakt angegeben, welche Einzelstrafen es für welche „Beuteschäden“ verhängt hat, wobei es mehrere Spannen von Schadensbeträgen genannt hat, denen es jeweils eine bestimmte Strafhöhe zugeordnet hat.

bb) Im Ansatz ist die vom Landgericht vorgenommene Kategorisierung nach Schadenshöhen nicht zu beanstanden. Zwar erfordert das Schuldmaßprinzip (§ 46 Abs. 1 Satz 1 StGB) regelmäßig eine differenzierende Zumessung der Einzelstrafen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. November 2002 - 5 StR 361/02, NStZ-RR 2003, 72 f. und vom 29. Juni 2011 - 1 StR 136/11, wistra 2011, 423, 424 Rn. 9), die eine an der Höhe der Schäden ausgerichtete Differenzierung der Einzelstrafen nahelegt (vgl. BGH, Beschluss vom 18. März 1998 - 5 StR 693/97, wistra 1998, 269, 270). Dies schließt jedoch nicht aus, dass bei Vermögensstraftaten, denen gleichgelagerte Begehungsformen zugrunde liegen, eine Kategorisierung nach der Schadenshöhe erfolgen kann. Zwar muss diese immer am Maß des der konkreten Tat immanenten Schuldumfangs orientiert sein (BGH aaO NStZ-RR 2003, 72, 73). Allerdings kann bei Tatserien der durch die Einzeltat verursachte Vermögensschaden gegenüber der systematischen Vorgehensweise zur Herbeiführung eines Gesamtschadens dergestalt in den Hintergrund treten (vgl. BGH, Beschluss vom 18. März 1998 - 5 StR 693/97, wistra 1998, 269, 270 sowie Urteil vom 17. März 2009 - 1 StR 627/08, BGHSt 53, 221, 232 f. Rn. 48 und Beschluss vom 29. November 2011 - 1 StR 459/11, wistra 2012, 151 Rn. 9), dass Schwankungen bei den Schadensbeträgen im Rahmen der fortgesetzten Tatbegehung bei der Bemessung der Einzelstrafen keine erhebliche Bedeutung mehr zukommt. Soweit dies der Fall ist, dürfen auch Taten mit unterschiedlichem Schadensumfang für die Bemessung der Einzelstrafen zu Gruppen zusammengefasst werden.

cc) Auch insoweit ist allerdings erforderlich, dass ausgehend von den Urteilsgründen zweifelsfrei feststeht, welche Einzelstrafe für welche Tat verhängt wurde (vgl. auch BGH, Beschluss vom 12. Juli 2006 - 5 StR 165/06, wistra 2006, 467, 468). Daran fehlt es hier. Um feststellen zu können, welche Einzelstrafe das Landgericht für die jeweilige Tat verhängt hat, müsste der Senat anhand der Urteilsgründe die jeweils festgestellte Schadenshöhe der entsprechenden Schadenskategorie zuordnen können. Solches würde jedoch voraussetzen, dass die durch die Taten verursachten Schäden in jedem Einzelfall festgestellt sind. Dies ist jedoch nicht durchgängig der Fall. So sind etwa im Fall II.1.6 der Urteilsgründe nicht allen Beutestücken Wertangaben zugeordnet. Damit lässt sich für den Senat weder lückenlos feststellen, welche Einzelstrafen das Landgericht für die einzelnen Taten verhängt hat, noch von welchem Gesamtschaden es bei der Bildung der Gesamtstrafe ausgegangen ist. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Senat hebt den Strafausspruch insgesamt auf, um dem neuen Tatrichter eine neue und in sich stimmige Strafzumessung zu ermöglichen.

b) Auf den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend aufgezeigten Erörterungsmangel im Hinblick auf einen möglichen Strafmilderungsgrund gemäß § 46a Nr. 1 StGB (Täter-Opfer-Ausgleich) kommt es daher im Ergebnis nicht mehr an. Die Möglichkeit einer Strafmilderung gemäß § 46b StGB musste das Landgericht nicht erörtern, weil sich die in den Urteilsgründen (UA S. 28) beschriebene Aufklärungshilfe des Angeklagten nicht auf Katalogtaten gemäß § 46b Abs. 1 Nr. 1 StGB bezog.

3. Einer Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht, da diese rechtsfehlerfrei getroffen wurden. Der neue Tatrichter darf ergänzende Feststellungen treffen, die mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.

IV.

Da die Gesetzesverletzungen, die zur Aufhebung der Verurteilung des Angeklagten S. führen, in den Tatkomplexen II. 5, 14 und 19 der Urteilsgründe sowie hinsichtlich des Strafausspruchs in gleicher Weise den Mitangeklagten A. betreffen, der kein Rechtsmittel eingelegt hat, ist die Urteilsaufhebung insoweit auf ihn zu erstrecken (§ 357 StPO). Wegen der Aufhebung des Strafausspruchs ist auch die Grundlage für den Ausspruch über den Vorwegvollzug eines Teils der verhängten Freiheitsstrafe entfallen.

HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 376

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2018, 203

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede