HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 447
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 552/19, Urteil v. 27.02.2020, HRRS 2020 Nr. 447
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 12. Juni 2019 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Des Weiteren hat es eine Einziehungsentscheidung getroffen. Mit ihrer im Ergebnis wirksam auf den Strafausspruch beschränkten, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, erstrebt die Staatsanwaltschaft die Verhängung einer zu vollstreckenden Gesamtfreiheitsstrafe. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
Nach den Feststellungen veräußerte der Angeklagte am 19. September 2018 gemeinsam mit einem unbekannt gebliebenen Tatgenossen nach telefonischer Anforderung 984,83 g Marihuana mit Wirkstoffgehalten von 15,1 und 15,6 % THC für 5.200 € an einen Abnehmer. Bei einer Durchsuchung am 6. Dezember 2018 wurden in der Wohnung des Angeklagten ca. 735 g Marihuana aufgefunden. Das Marihuana, das Wirkstoffgehalte von 16 und 19,3 % THC aufwies, war vom Angeklagten zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt.
Der bereits im Jahr 2008 mit einer Bewährungsstrafe von neun Monaten vorgeahndete Angeklagte war zuletzt am 30. August 2016 zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden und stand bei der Begehung der abgeurteilten Taten unter Bewährung.
Die Strafkammer hat zur Ahndung der beiden jeweils als unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG gewürdigten Taten ausgehend vom Normalstrafrahmen des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG Einzelfreiheitsstrafen von einem Jahr und sechs Monaten sowie einem Jahr und drei Monaten verhängt und hieraus eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren gebildet, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Im Rahmen der Strafzumessung hat sie neben der jeweils erheblichen Überschreitung der Grenze zur nicht geringen Menge strafschärfend berücksichtigt, dass der Angeklagte bereits strafrechtlich ? wenn auch nicht einschlägig ? in Erscheinung getreten ist. Strafmildernd hat das Landgericht unter anderem die erlittene Untersuchungshaft von ca. fünf Monaten Dauer sowie ? bei der Prüfung besonderer Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB ? den Umstand gewertet, dass sich der Angeklagte mit der Einziehung bei ihm sichergestellter 22.700 € einverstanden erklärt hat.
Das Rechtsmittel ist wirksam auf den Strafausspruch des angefochtenen Urteils beschränkt.
In ihrer Revisionsbegründung hat die Staatsanwaltschaft ausweislich der Einzelausführungen in der Begründungsschrift und des abschließenden Revisionsantrags ihr Rechtsmittel zunächst auf den Schuldspruch bezüglich der Tat am 6. Dezember 2018 und im Übrigen auf den Strafausspruch des angefochtenen Urteils beschränkt. Die nur die Tat am 19. September 2018 betreffende Einziehungsentscheidung, die in der Revisionsbegründung nicht angesprochen und vom Aufhebungsantrag der Beschwerdeführerin nicht erfasst wird, ist damit nicht Gegenstand des Revisionsangriffs geworden. Durch die von der Generalstaatsanwaltschaft mit Vorlage der Akten ausdrücklich erklärte Beschränkung der Revision auf den Rechtsfolgenausspruch, durch welche der Anfechtungsumfang nicht mehr erweitert werden konnte, ist des Weiteren auch der Schuldspruch hinsichtlich der Tat vom 6. Dezember 2018 im Wege einer Teilrücknahme des Rechtsmittels vom Revisionsangriff ausgenommen worden.
Die mithin aus den Rechtsmittelerklärungen von Staatsanwaltschaft und Generalstaatsanwaltschaft resultierende Beschränkung der Revision auf den Strafausspruch ist wirksam. Den Gründen des angefochtenen Urteils lassen sich keine Gesichtspunkte entnehmen, die der grundsätzlich gegebenen Trennbarkeit von Schuld- und Strafausspruch ausnahmsweise entgegenstehen (vgl. Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 318 Rn. 16 ff. mwN).
Die Revision ist begründet. Der Strafausspruch des angefochtenen Urteils hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand.
1. Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und hierbei gegeneinander abzuwägen. In die Strafzumessungsentscheidung des Tatrichters kann das Revisionsgericht nur eingreifen, wenn diese Rechtsfehler aufweist, weil die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen hat oder sich die verhängte Strafe nach oben oder nach unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein. Nur in diesem Rahmen kann eine Verletzung des Gesetzes im Sinne des § 337 Abs. 1 StPO vorliegen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 10. April 1987 ? GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 349).
Bei der Darstellung seiner Strafzumessungserwägungen im Urteil ist das Tatgericht nur gehalten, die bestimmenden Zumessungsgründe mitzuteilen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO). Eine erschöpfende Aufzählung aller für die Strafzumessungsentscheidung relevanter Gesichtspunkte ist dagegen weder gesetzlich vorgeschrieben noch in der Praxis möglich (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 14. März 2018 ? 2 StR 416/18, NStZ 2019, 138, 139; vom 2. August 2012 ? 3 StR 132/12, NStZ-RR 2012, 336, 337). Ein der Strafzumessung in sachlich-rechtlicher Hinsicht anhaftender Rechtsfehler liegt auch dann vor, wenn das Tatgericht bei seiner Zumessungsentscheidung einen Gesichtspunkt, der nach den Gegebenheiten des Einzelfalls als bestimmender Strafzumessungsgrund in Betracht kommt, nicht erkennbar erwogen hat (vgl. BGH, Urteile vom 4. April 2019 ? 3 StR 31/19 Rn. 15; vom 14. März 2018 ? 2 StR 416/16, aaO, S. 140; vom 25. Februar 2009 ? 2 StR 554/08, NStZ-RR 2009, 203).
2. Diesen Anforderungen wird der Strafausspruch des angefochtenen Urteils nicht in jeder Hinsicht gerecht.
a) Entgegen der Ansicht der Revision ist allerdings nicht zu beanstanden, dass die Strafkammer die etwa fünfmonatige Untersuchungshaft des Angeklagten strafmildernd gewertet hat (vgl. BGH, Urteile vom 25. Oktober 2018 ? 4 StR 312/18, NStZ 2019, 81; vom 2. Februar 2017 ? 4 StR 481/16, NStZ-RR 2017, 105, 106; vom 10. Oktober 2013 ? 4 StR 258/13 Rn. 18, insoweit in BGHSt 59, 28 nicht abgedruckt; vom 14. Juni 2006 ? 2 StR 34/06, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Lebensumstände 21). Denn das Landgericht hat in diesem Zusammenhang die aufgrund seines schlechten Gesundheitszustands erhöhte Haftempfindlichkeit des Angeklagten in den Blick genommen und auf die daraus für den Angeklagten resultierenden besonderen Belastungen abgestellt.
Die im Rahmen der Prüfung besonderer Umstände gemäß § 56 Abs. 2 StGB erfolgte Berücksichtigung des freiwilligen Verzichts auf die Rückgabe des sichergestellten Bargelds begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken. Unbeschadet des Umstands, dass der Einziehung von Taterträgen oder des Wertes von Taterträgen auch nach der umfassenden Umgestaltung der gesetzlichen Regelungen zur Vermögensabschöpfung durch das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 (BGBl I. S. 872) kein strafender oder strafähnlicher Charakter zukommt (vgl. BGH, Urteile vom 15. Mai 2018 ? 1 StR 651/17, wistra 2018, 431; vom 24. Mai 2018 ? 5 StR 623 und 624/17 Rn. 17), liegt in dem Verzicht auf die Rückgabe sichergestellter Gegenstände eine freiwillige Leistung des Angeklagten, welcher der Tatrichter strafmildernde Bedeutung beimessen kann.
b) Die Strafzumessungsentscheidung des Landgerichts erweist sich indes als lückenhaft, weil die strafrechtliche Vorbelastung des Angeklagten nur unvollständig gewürdigt worden ist. Die Strafkammer hatte zwar zum Nachteil des Angeklagten den Umstand in ihre Strafzumessungsüberlegungen eingestellt, dass der Angeklagte bereits ? wenn auch nicht einschlägig ? strafrechtlich in Erscheinung getreten ist. Sie hat aber nicht in den Blick genommen, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt der beiden neuerlichen Taten hinsichtlich einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe unter Bewährung stand und er bei der Begehung der Taten jeweils die einer Bewährungsverurteilung zukommende gesteigerte Warnwirkung außer Acht ließ (vgl. BGH, Urteil vom 4. August 1971 ? 2 StR 13/71, BGHSt 24, 198, 200; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl. Rn. 657 mwN). Das jeweilige Bewährungsversagen des Angeklagten ist ein Gesichtspunkt, der im Rahmen der Strafzumessungsentscheidung als bestimmender Strafschärfungsgrund erkennbar hätte erwogen werden müssen.
c) Der Umstand, dass der Angeklagte während einer laufenden Bewährungszeit zwei gravierende Betäubungsmittelstraftaten beging, hätte auch in die nach § 56 Abs. 1 StGB zu treffende Prognoseentscheidung als prognostisch relevantes Kriterium miteinbezogen werden müssen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. März 2012 ? 1 StR 100/12, NStZ-RR 2012, 201; Urteil vom 10. November 2004 ? 1 StR 339/04, NStZ-RR 2005, 38; Beschluss vom 4. Januar 1991 ? 5 StR 573/90, BGHR StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 15).
HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 447
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2020, 168
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner