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HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 858

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 47/19, Urteil v. 04.07.2019, HRRS 2019 Nr. 858


BGH 4 StR 47/19 - Urteil vom 4. Juli 2019 (LG Essen)

Grundsätze der Strafzumessung (revisionsgerichtliche Überprüfbarkeit); Strafaussetzung zur Bewährung (revisionsgerichtliche Überprüfbarkeit); Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Reihenfolge der Vollstreckung: Erstreckung auf bereits angeordnete Unterbringung; mehrfache Anordnung der Maßregel).

§ 56 Abs. 1 und 2 StGB; § 64 StGB; § 67 Abs. 6 StGB; § 67f StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Strafbemessung (Strafrahmenbestimmung, Festsetzung der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe) ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts, dessen Aufgabe es ist, aufgrund der Hauptverhandlung die wesentlichen belastenden und entlastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Das Revisionsgericht kann nach ständiger Rechtsprechung nur eingreifen, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, so weit löst, dass sie nicht mehr innerhalb des dem Tatgericht eingeräumten Spielraums liegt. Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ist ausgeschlossen. In Zweifelsfällen muss das Revisionsgericht die vom Tatgericht vorgenommene Bewertung bis an die Grenze des Vertretbaren hinnehmen.

2. Nicht anders als die Strafzumessung ist auch die Entscheidung, ob die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wird, grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Wird eine Strafe zur Bewährung ausgesetzt, müssen die Urteilsgründe in einer der revisionsrechtlichen Überprüfung zugänglichen Weise die dafür maßgebenden Gründe angeben (§ 267 Abs. 3 Satz 4 Halbsatz 1 StPO). Die Aussetzung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr bis zu zwei Jahren erfordert zunächst die Feststellung einer günstigen Legalprognose im Sinne des § 56 Abs. 1 StGB, wobei maßgeblicher Zeitpunkt für die Prognoseentscheidung der Zeitpunkt des tatrichterlichen Erkenntnisses ist. Ferner muss das Tatgericht darlegen, worin es die besonderen Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB sieht, welche die Strafaussetzung zur Bewährung rechtfertigen sollen. Ob besondere Umstände in der Tat und in der Täterpersönlichkeit vorliegen, ist dabei aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände zu entscheiden. Die besonderen Umstände müssen umso gewichtiger sein, je näher die Strafe an der Zweijahresgrenze liegt.

3. Zwar ist nach der Umgestaltung des § 64 StGB in eine Sollvorschrift die Anordnung der Maßregel bei Vorliegen ihrer Voraussetzungen nicht mehr zwingend. Jedoch kommt ein Absehen von der Unterbringungsanordnung - auch nach dem Willen des Gesetzgebers - nur in Ausnahmefällen in Betracht.

4. Ein solcher Ausnahmefall folgt nicht daraus, dass bereits eine Maßregel nach § 64 StGB angeordnet ist. Vielmehr ergibt sich aus § 67f StGB, dass von einer an sich gebotenen Unterbringungsanordnung gerade nicht deshalb abgesehen werden kann, weil eine bereits früher angeordnete und noch vollstreckbare Unterbringungsanordnung besteht.

5. Der Gesetzgeber hat durch die am 1. August 2016 in Kraft getretene Vorschrift des § 67 Abs. 6 StGB die Möglichkeit geschaffen, zur Vermeidung unbilliger Härten die im Maßregelvollzug verbrachte Zeit auch auf verfahrensfremde Freiheitsstrafen anzurechnen.

6. In Fällen, in denen sich der Verurteilte zur Zeit der neuen Anordnung bereits aufgrund einer früheren Verurteilung im Vollzug der Maßregel befindet, wird die frühere Unterbringung ohne Unterbrechung kraft der neuen Anordnung fortgesetzt. Dadurch wird, dem Grundsatz des § 44b Abs. 1 Satz 1 StVollstrO entsprechend, auch in diesen Fällen die Unterbringung grundsätzlich vor der in einem anderen Verfahren verhängten Freiheitsstrafe vollzogen und eine - gegebenenfalls den Therapieerfolg gefährdende - Herausnahme des Angeklagten aus dem Maßregelvollzug vermieden.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 2. Oktober 2018 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben

a) im Ausspruch über die Aussetzung der Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung;

b) soweit von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist.

Die weiter gehende Revision wird verworfen. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten, auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten und auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Revision beanstandet die Staatsanwaltschaft den Strafausspruch als unvertretbar milde, die Strafaussetzung zur Bewährung sowie die unterbliebene Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet.

I.

1. Nach den Feststellungen beschloss der Angeklagte, der am 29. September 2017 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, bewaffneten unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln und unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und dessen Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden war, in der Folgezeit auf Drängen seiner Kunden, ihnen vor Antritt des Maßregelvollzugs noch einmal Betäubungsmittel zu beschaffen, aufgrund von Druck, der auf ihn wegen bestehender Schulden ausgeübt wurde, sowie zur Finanzierung seines fortbestehenden erheblichen eigenen Alkohol- und Betäubungsmittelkonsums, weiterhin Betäubungsmittel zum gewinnbringenden Weiterverkauf anzukaufen.

Zu diesem Zweck erwarb er im Oktober 2017 auf die entsprechende Bestellung eines seiner Kunden mindestens 1.236,21 g Amphetaminsulfat-Zubereitung mit einem Wirkstoffgehalt von 8,22 % sowie 863,47 g Cannabis-Kraut mit einem Wirkstoffgehalt von 11,7 %, die er in der Wohnung seiner früheren Lebensgefährtin deponierte und die dort, da es nicht zu einem Weiterverkauf kam, am 9. Januar 2018 vollständig sichergestellt wurden (Fall II. 1 der Urteilsgründe).

Am 20. Dezember 2017 erwarb der Angeklagte, wiederum auf eine entsprechende Bestellung eines seiner Kunden, zum gewinnbringenden Weiterverkauf 300 g Amphetamin und 100 g Marihuana, die er in seiner eigenen Wohnung deponierte und die er - da es auch hier nicht zu einem Weiterverkauf kam - in der Folgezeit teilweise selbst konsumierte; am 9. Januar 2018 wurden bei ihm noch 288,66 g Amphetaminsulfat-Zubereitung mit einem Wirkstoffgehalt von 9,15 % sowie 76 g Cannabis-Kraut mit einem Wirkstoffgehalt von 10,6 % sichergestellt (Fall II. 2 der Urteilsgründe).

2. Das Landgericht hat hinsichtlich beider Taten das Vorliegen eines minder schweren Falls des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verneint und jeweils aus dem Regelstrafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG Einzelfreiheitsstrafen von einem Jahr und sechs Monaten verhängt. Die Vollstreckung der hieraus gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren hat es zur Bewährung ausgesetzt. Von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt hat es abgesehen; eine solche Anordnung sei mit Blick darauf, dass gegen den Angeklagten derzeit bereits die im Urteil vom 29. September 2017 angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt vollstreckt werde, nicht verhältnismäßig.

II.

Die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft führt zur Aufhebung des Urteils, soweit das Landgericht die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt und von einer Unterbringung des Angeklagten nach § 64 StGB abgesehen hat.

1. Die Bemessung der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe weist keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf.

a) Die Strafbemessung (Strafrahmenbestimmung, Festsetzung der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe) ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts, dessen Aufgabe es ist, aufgrund der Hauptverhandlung die wesentlichen belastenden und entlastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Das Revisionsgericht kann nach ständiger Rechtsprechung nur eingreifen, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, so weit löst, dass sie nicht mehr innerhalb des dem Tatgericht eingeräumten Spielraums liegt (vgl. BGH, Urteile vom 4. April 2019 - 3 StR 31/19, juris Rn. 15; vom 4. Dezember 2018 - 1 StR 477/18, NStZ-RR 2019, 105; vom 18. Oktober 2018 - 3 StR 292/18, juris Rn. 7). Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ist ausgeschlossen. In Zweifelsfällen muss das Revisionsgericht die vom Tatgericht vorgenommene Bewertung bis an die Grenze des Vertretbaren hinnehmen (vgl. BGH, Urteile vom 29. März 2018 - 4 StR 568/17, NStZ 2018, 459, 460; vom 2. Februar 2017 - 4 StR 481/16, NStZ-RR 2017, 105, 106; Beschluss vom 10. April 1987 - GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 349).

b) Unter Beachtung dieser Grundsätze hält die Strafzumessung des Landgerichts revisionsrechtlicher Überprüfung stand.

aa) Die Strafkammer hat bei der Festsetzung der beiden Einzelstrafen innerhalb des von ihr zur Anwendung gebrachten Regelstrafrahmens des § 29a Abs. 1 BtMG ersichtlich alle wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände berücksichtigt und zumindest vertretbar gewürdigt. Insbesondere hat sie bei beiden Taten die einschlägige Vorstrafe des Angeklagten sowie die sehr hohe Rückfallgeschwindigkeit, bei Tat 1 zudem die große Menge der gehandelten Betäubungsmittel in den Blick genommen und strafschärfend berücksichtigt. Andererseits hat das Landgericht auch gewichtige strafmildernde Gesichtspunkte in Ansatz gebracht. So hat sich zu Gunsten des Angeklagten bei beiden Taten sein frühzeitiges, vollumfängliches Geständnis ausgewirkt, dem die Strafkammer namentlich bei Tat 1 besondere Bedeutung beigemessen hat, da er hierdurch wesentlich zu seiner Überführung bezüglich dieses Tatvorwurfs beigetragen hat. Darüber hinaus hat das Landgericht zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass es sich bei dem gehandelten Marihuana um eine „weiche“ Droge handelt, der Angeklagte zum Zeitpunkt der Taten selbst Betäubungsmittel konsumierte und die Betäubungsmittel am 9. Januar 2018 sichergestellt worden sind. Insbesondere vor dem Hintergrund dieser gewichtigen Strafmilderungsgründe lösen sich die verhängten Einzelstrafen entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin noch nicht von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, und sind damit auch nicht unvertretbar milde.

bb) Auch mit Blick auf die Gesamtfreiheitsstrafe, die in ihrer Höhe ebenfalls noch innerhalb des dem Tatgericht eingeräumten Spielraumes liegt und deshalb hinzunehmen ist, zeigt die Revision keine Rechtsfehler auf. Der Senat teilt nicht die Sorge der Beschwerdeführerin, das Landgericht habe die Bemessung der Gesamtstrafe so vorgenommen, dass ihre Vollstreckung noch zur Bewährung ausgesetzt werden konnte. Weder die Formulierung der Strafzumessungsgründe des angefochtenen Urteils noch das Ausmaß des von dem Angeklagten verwirklichten Unrechts geben zu der Besorgnis Anlass, das Landgericht habe durch unzulässige Vermengung von Gesichtspunkten der Strafzumessung mit solchen der Strafaussetzung zur Bewährung eine nicht mehr schuldangemessene Gesamtstrafe verhängt (vgl. BGH, Urteile vom 28. November 2018 - 5 StR 376/18, NStZ-RR 2019, 173 [Ls]; vom 7. Februar 2012 - 1 StR 525/11, BGHSt 57, 123, 133 f.).

2. Die Entscheidung über die Aussetzung der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung hält rechtlicher Nachprüfung hingegen nicht stand. Die Begründung des Landgerichts genügt nicht den Grundsätzen, die für eine Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56 Abs. 1 und 2 StGB zu beachten sind.

a) Nicht anders als die Strafzumessung ist auch die Entscheidung, ob die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wird, grundsätzlich Sache des Tatgerichts (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 6. Juli 2017 - 4 StR 415/16, NStZ 2018, 29, 30). Wird eine Strafe zur Bewährung ausgesetzt, müssen die Urteilsgründe in einer der revisionsrechtlichen Überprüfung zugänglichen Weise die dafür maßgebenden Gründe angeben (§ 267 Abs. 3 Satz 4 Halbsatz 1 StPO). Die Aussetzung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr bis zu zwei Jahren erfordert zunächst die Feststellung einer günstigen Legalprognose im Sinne des § 56 Abs. 1 StGB, wobei maßgeblicher Zeitpunkt für die Prognoseentscheidung der Zeitpunkt des tatrichterlichen Erkenntnisses ist. Ferner muss das Tatgericht darlegen, worin es die besonderen Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB sieht, welche die Strafaussetzung zur Bewährung rechtfertigen sollen. Ob besondere Umstände in der Tat und in der Täterpersönlichkeit vorliegen, ist dabei aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände zu entscheiden (vgl. BGH, Urteile vom 12. Mai 2016 - 4 StR 487/15, NStZ 2016, 605, 607; vom 6. Februar 2008 - 5 StR 610/07, juris). Die besonderen Umstände müssen umso gewichtiger sein, je näher die Strafe an der Zweijahresgrenze liegt (vgl. BGH, Urteile vom 6. Juli 2017 - 4 StR 415/16, NStZ 2018, 29, 31; vom 15. Februar 1994 - 5 StR 692/93, wistra 1994, 193).

b) Diesen Anforderungen wird die Begründung des Landgerichts, mit der es die Vollstreckung der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren zur Bewährung ausgesetzt hat, nicht gerecht.

aa) Bereits die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine positive Legalprognose begründet hat, begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Das Landgericht hat zur Begründung der positiven Legalprognose lediglich auf einen „stattgehabten Lebenswandel“ des Angeklagten seit Begehung der beiden verfahrensgegenständlichen Taten abgestellt und hierzu ausgeführt, der Angeklagte befinde sich seit knapp neun Monaten im Maßregelvollzug in einer Entziehungsanstalt und habe sich dort inzwischen derart positiv entwickelt, dass ihm bereits erste Lockerungen gewährt worden seien (UA S. 34).

Die Annahme eines bereits „stattgehabten Lebenswandels“ des Angeklagten infolge der bisherigen Therapie im Maßregelvollzug steht jedoch in Widerspruch zu den Erwägungen des Landgerichts im Zusammenhang mit der Ablehnung einer Maßregelanordnung nach § 64 StGB. Denn dort hat es ausgeführt, dass im - für die Bewährungsentscheidung maßgeblichen - Urteilszeitpunkt „ein Rückfall des Angeklagten in einen Drogenkonsum außerhalb des Maßregelvollzugs nicht unwahrscheinlich erscheint“ (UA S. 36). Hiernach kann von einem bereits „stattgehabten Lebenswandel“, der eine tragfähige Grundlage für ein straffreies Leben des Angeklagten außerhalb geschlossener Unterbringung bilden könnte, ersichtlich noch keine Rede sein.

bb) Darüber hinaus lässt die Bewährungsentscheidung des Landgerichts jegliche Erörterung, worin vorliegend besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB zu sehen seien, vermissen. Die Ausführungen des Landgerichts erschöpfen sich in der dargestellten - bereits für sich gesehen rechtsfehlerhaften - Annahme einer positiven Legalprognose. Dies greift zu kurz.

Im Hinblick auf die vom Angeklagten begangenen Taten fehlt schon die - sich hier aufdrängende - Auseinandersetzung mit dem Umstand, dass er diese nur wenige Wochen (Tat 1) bzw. weniger als drei Monate (Tat 2) nach seiner Verurteilung vom 29. September 2017 zu einer mehrjährigen Gesamtfreiheitsstrafe wegen Betäubungsmittelstraftaten verübte. Überdies enthält das Urteil zu dem bisherigen Therapieverlauf keinerlei Ausführungen, so dass - unbeschadet des oben dargelegten Widerspruchs - der vom Landgericht angenommene positive Therapieverlauf nicht nachvollzogen werden kann.

3. Die Ablehnung einer Maßregelanordnung nach § 64 StGB hat ebenfalls keinen Bestand.

a) Das Landgericht hat - sachverständig beraten - eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgelehnt. Zwar liege bei dem Angeklagten ein Hang vor, Alkohol und andere berauschende Mittel im Übermaß zu konsumieren; auch stünden die beiden verfahrensgegenständlichen Taten - als Beschaffungskriminalität - in einem symptomatischen Zusammenhang mit dem Hang, und es bestehe eine hinreichend konkrete Aussicht auf einen Behandlungserfolg; zur Gefährlichkeitsprognose hat sich die Strafkammer nicht verhalten. Die Anordnung der Maßregel hat sie mit der Begründung abgelehnt, eine solche sei unverhältnismäßig, da gegen den Angeklagten derzeit bereits die im Urteil vom 29. September 2017 angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt vollstreckt werde. Eine erneute Anordnung der Maßregel würde gemäß § 67f StGB zur Erledigung der derzeit vollstreckten Unterbringung führen. Dies hätte zur Folge, dass der Strafrest der am 29. September 2017 verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren zumindest bis zum Halbstrafenzeitpunkt von dem Angeklagten in einer Justizvollzugsanstalt zu verbüßen wäre, wodurch der bisher erzielte Therapieerfolg und die Behandlungsmotivation des Angeklagten zumindest gefährdet würden. Zudem wäre nicht gewährleistet, dass eine neu angeordnete Unterbringung in derjenigen Einrichtung erfolgen könnte, in welcher die derzeitige Unterbringung vollstreckt werde.

b) Dieser der Verhältnismäßigkeitsprüfung zugrunde gelegte rechtliche Ansatz des Landgerichts ist verfehlt.

aa) Das Landgericht hat bereits verkannt, dass entsprechend der gesetzgeberischen Wertung der §§ 64, 67f StGB bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 64 StGB eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt grundsätzlich erfolgen soll, und zwar auch dann, wenn diese Maßregel bereits in einem früheren Verfahren angeordnet worden war.

Zwar ist nach der Umgestaltung des § 64 StGB in eine Sollvorschrift die Anordnung der Maßregel bei Vorliegen ihrer Voraussetzungen nicht mehr zwingend. Jedoch kommt ein Absehen von der Unterbringungsanordnung - auch nach dem Willen des Gesetzgebers (vgl. BTDrucks. 16/5137 S. 10, 16/1344 S. 12) - nur in Ausnahmefällen in Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 3. März 2016 - 4 StR 497/15, juris Rn. 20; SSW-StGB/Kaspar, 4. Aufl., § 64 Rn. 48).

Ein solcher Ausnahmefall folgt nicht daraus, dass bereits eine Maßregel nach § 64 StGB angeordnet ist. Vielmehr ergibt sich aus § 67f StGB, dass von einer an sich gebotenen Unterbringungsanordnung gerade nicht deshalb abgesehen werden kann, weil eine bereits früher angeordnete und noch vollstreckbare Unterbringungsanordnung besteht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. September 2006 - 3 StR 305/06, NStZ-RR 2007, 38, 39; vom 13. März 2002 - 1 StR 47/02, insofern nicht abgedruckt in NStZ 2003, 89; vom 30. März 1992 - 4 StR 108/92, NStZ 1992, 432; MüKo-StGB/van Gemmeren, 3. Aufl., § 64 Rn. 86).

bb) Auch soweit die Strafkammer darauf abgestellt hat, die Erledigung der bisherigen Unterbringung nach § 67f StGB habe zur Folge, dass der Angeklagte den Strafrest der am 29. September 2017 gegen ihn verhängten Gesamtfreiheitsstrafe zumindest bis zum Halbstrafenzeitpunkt zu verbüßen habe, hat sie - unabhängig davon, dass über die Anrechnung des Maßregelvollzugs auf die Strafe erst im Vollstreckungsverfahren zu befinden ist - die Rechtslage verkannt. Sie hat außer Betracht gelassen, dass der Gesetzgeber durch die am 1. August 2016 in Kraft getretene Vorschrift des § 67 Abs. 6 StGB die Möglichkeit geschaffen hat, zur Vermeidung unbilliger Härten die im Maßregelvollzug verbrachte Zeit auch auf verfahrensfremde Freiheitsstrafen anzurechnen. Hiernach kann im Vollstreckungsverfahren die Zeit einer neu angeordneten Unterbringung des Angeklagten unter den Voraussetzungen des § 67 Abs. 6 StGB auf den Strafrest aus der am 29. September 2017 verhängten Gesamtfreiheitsstrafe angerechnet werden.

cc) Fehl geht schließlich die Annahme des Landgerichts, es bestehe die Gefahr einer Rückverlegung des Angeklagten in den Strafvollzug vor Beginn einer neu angeordneten Unterbringung nach § 64 StGB. Vielmehr wird in den Fällen, in denen sich der Verurteilte zur Zeit der neuen Anordnung bereits aufgrund einer früheren Verurteilung im Vollzug der Maßregel befindet, die frühere Unterbringung ohne Unterbrechung kraft der neuen Anordnung fortgesetzt (vgl. Fischer, StGB, 66. Aufl., § 67f Rn. 1; LK/Rissing-van Saan/Peglau, StGB, 12. Aufl., § 67f Rn. 9; SSW-StGB/Jehle/Harrensdorf, 4. Aufl., § 67f Rn. 3). Dadurch wird, dem Grundsatz des § 44b Abs. 1 Satz 1 StVollstrO entsprechend, auch in diesen Fällen die Unterbringung grundsätzlich vor der in einem anderen Verfahren verhängten Freiheitsstrafe vollzogen und eine - gegebenenfalls den Therapieerfolg gefährdende - Herausnahme des Angeklagten aus dem Maßregelvollzug vermieden (vgl. zu dieser Zielsetzung in anderem Zusammenhang BGH, Beschlüsse vom 23. November 2017 - 4 StR 477/17, NStZ 2018, 526, 527; vom 2. August 2017 - 4 StR 261/17, StraFo 2017, 426; vom 25. November 2010 - 3 StR 406/10, NStZ-RR 2011, 105, 106).

4. Über die Frage, ob die gegen den Angeklagten verhängte Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen ist, sowie über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt muss deshalb neu verhandelt und entschieden werden.

5. Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten hat die Überprüfung des Urteils nicht ergeben (§ 301 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 858

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2019, 339; StV 2021, 252

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner