HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 202
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 477/17, Beschluss v. 23.11.2017, HRRS 2018 Nr. 202
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Münster vom 29. Mai 2017, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben, soweit eine Entscheidung über die Reihenfolge der Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe und der Maßregel unterblieben ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten schweren Raubes und besonders schweren Raubes unter Einbeziehung der mit Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 12. Januar 2017 verhängten Freiheitsstrafe von drei Jahren zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Ferner hat es die in dem vorbezeichneten Urteil angeordnete Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt aufrechterhalten. Eine Entscheidung über die Reihenfolge der Vollstreckung von Strafe und Maßregel hat es nicht getroffen.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit einer Verfahrensrüge sowie der Sachrüge. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen den Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler ergeben.
Auch die von der Strafkammer angeordnete Aufrechterhaltung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt aus dem Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 12. Januar 2017 hält rechtlicher Nachprüfung stand (1.). Sie hat sich jedoch zu Unrecht gehindert gesehen, gemäß § 67 Abs. 2 Satz 2 und 3 StGB die Reihenfolge der Vollstreckung zu bestimmen (2.).
1. Das Landgericht hat zutreffend die im Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 12. Januar 2017 angeordnete Maßregel gemäß § 55 Abs. 2 StGB aufrechterhalten, weil die beiden im vorliegenden Verfahren abgeurteilten Taten am 16. Juli 2016 und damit vor jener Verurteilung des Angeklagten begangen wurden. Wegen des Vorrangs der Grundsätze der nachträglichen Gesamtstrafenbildung (§ 55 StGB) vor der Regelung des § 67f StGB war kein Raum für eine zusätzliche Maßregelanordnung (vgl. BGH, Beschluss vom 25. November 2010 - 3 StR 406/10, NStZ-RR 2011, 105 mwN).
2. Jedoch hält die Begründung, mit der das Landgericht von einer Entscheidung über die Vollstreckungsreihenfolge gemäß § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB abgesehen hat, revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
a) Nach § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB soll das Gericht bei der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt neben einer zeitigen Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren bestimmen, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist. Diese Entscheidung ist - in Abweichung vom Wortlaut des § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB - auch dann zu treffen, wenn nach § 55 Abs. 2 StGB eine bereits bestehende Unterbringungsanordnung aus einer früheren Entscheidung lediglich aufrechterhalten wird und die daneben gemäß § 55 Abs. 1 StGB gebildete nachträgliche Gesamtfreiheitsstrafe drei Jahre übersteigt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. Juli 2012 - 4 StR 228/12, Tz. 2; vom 31. Mai 2011 - 3 StR 132/11, Tz. 3; vom 25. November 2010 - 3 StR 406/10, NStZ-RR 2011, 105, 106). Denn durch die nachträgliche Gesamtstrafenbildung sollen die Vor- und Nachteile ausgeglichen werden, die dem Angeklagten infolge der getrennten Verurteilung entstanden sind (vgl. BGH, Urteil vom 30. April 1997 - 1 StR 105/97, BGHSt 43, 79, 80; Beschluss vom 4. Juli 2012, aaO). Dieses Ziel wird nur dann vollständig erreicht, wenn mit der nachträglichen Gesamtstrafenbildung und der Aufrechterhaltung der bereits bestehenden Unterbringungsanordnung auch die unter den gegebenen Umständen zur Sicherung des Therapieerfolgs erforderliche Änderung der Vollstreckungsreihenfolge vorgenommen wird (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 2012, aaO).
Von einem teilweisen Vorwegvollzug der Strafe nach Maßgabe des § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB kann ausnahmsweise dann abgesehen werden, wenn aus gewichtigen Gründen des Einzelfalls eine andere Entscheidung eher die Erreichung eines Therapieerfolgs erwarten lässt (BGH, Beschluss vom 29. September 2009 - 4 StR 348/09, Tz. 4). Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn nachträglich eine so hohe Gesamtfreiheitsstrafe gebildet wird, dass eine nach § 67 Abs. 2 Satz 2 und 3 StGB bemessene, am Halbstrafenzeitpunkt orientierte Anordnung des Vorwegvollzugs zu einer Herausnahme des Angeklagten aus dem Maßregelvollzug führen muss und dies zur Folge hat, dass der Zweck der Maßregel gefährdet und nicht, wie es § 67 Abs. 2 Satz 1 StGB voraussetzt, leichter erreicht werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 2. August 2017 - 4 StR 261/17, StraFo 2017, 426; Beschluss vom 25. November 2010 - 3 StR 406/10, NStZ-RR 2011, 105 f. in einer nicht tragenden Erwägung). Dabei obliegt die Entscheidung über die Vollstreckungsreihenfolge gemäß § 67 Abs. 2 StGB dem Tatrichter im Erkenntnisverfahren auch dann, wenn im Rahmen der nachträglichen Gesamtstrafenbildung eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt lediglich aufrechterhalten wird. Entgegen der Auffassung des Landgerichts durfte diese Entscheidung nicht dem Vollstreckungsgericht überlassen werden.
b) Der neue Tatrichter wird daher eine Entscheidung nach § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB zu treffen und dabei zu prüfen haben, ob und inwieweit der Angeklagte bereits in den Therapieverlauf eingegliedert ist und wie sich seine Herausnahme auf einen möglichen Therapieerfolg auswirken würde. Dabei wird gegebenenfalls auch zu erwägen sein, welche Auswirkungen ein sich an eine erfolgreiche Therapie anschließender Strafvollzug auf das weitere Abstinenzverhalten des Angeklagten haben würde. Der Angeklagte wird durch eine Entscheidung nach § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB nicht beschwert, sodass eine Nachholung allein auf seine Revision hin möglich ist (BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2008 - 4 StR 552/08, NStZ-RR 2009, 105).
HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 202
Externe Fundstellen: NStZ 2018, 526; StV 2019, 272
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede