HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1333
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 477/18, Beschluss v. 01.08.2019, HRRS 2019 Nr. 1333
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Freiburg im Breisgau vom 24. Mai 2018 wird
a) in Höhe eines Betrages von 434.634 Euro mit Zustimmung des Generalbundesanwalts von der Einziehung abgesehen;
b) das vorbezeichnete Urteil im Ausspruch über die Einziehung, auch soweit sie die Aufrechterhaltung der mit Urteil des Amtsgerichts Freiburg vom 16. Januar 2018 angeordneten Einziehung betrifft, dahin abgeändert, dass die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 1.491.672,29 Euro angeordnet wird. Der Ausspruch über die gesamtschuldnerische Mithaftung des Mitangeklagten H. in Höhe eines Teilbetrags von 176.817 Euro entfällt.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
3. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betrugs in zwölf Fällen jeweils in Tateinheit mit Fälschung beweiserheblicher Daten in zwei tateinheitlichen Fällen unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus zwei Urteilen des Amtsgerichts Freiburg vom 1. Juni 2017 und vom 16. Januar 2018 unter Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Daneben hat es die „Einziehung eines Betrages in Höhe von 1.496.621,60 €“ angeordnet, ausgesprochen, dass der Angeklagte und der nicht revidierende Mitangeklagte H. in Höhe eines Betrags von 176.817 Euro als Gesamtschuldner haften, und die mit Urteil des Amtsgerichts Freiburg vom 16. Januar 2018 angeordnete „Einziehung“ in Höhe von 429.684,69 Euro aufrechterhalten.
Gegen seine Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel ist nach dem teilweisen Absehen von der Einziehung unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Den Verfahrensrügen bleibt aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 20. November 2018 der Erfolg versagt. Näherer Erörterung bedarf lediglich die Rüge der Verletzung des § 257c StPO. Mit ihr beanstandet der Beschwerdeführer, das Landgericht habe „in unzulässiger Weise das Prozessverhalten des Angeklagten und Revisionsführers im Verfahren 8 Ns 460 Js 18496/17 AK 2/18 (LG Freiburg) zum Gegenstand des Verständigungsvorschlages des Gerichts gemacht“ (S. 15 der Revisionsbegründung des Rechtsanwalts G. vom 3. September 2018).
a) Der Rüge liegt folgendes Geschehen zugrunde:
Zeitgleich zur Hauptverhandlung im hiesigen Verfahren war beim Landgericht Freiburg das Verfahren über die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Berufung der Staatsanwaltschaft und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Freiburg vom 16. Januar 2018 anhängig. Die Einzelstrafen aus diesem Urteil waren im Fall ihrer Rechtskraft nach § 55 StGB einzubeziehen.
Am 24. April 2018 berichtete die Vertreterin der Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung, dass sie in der Vorwoche mit dem Verteidiger telefonisch „Verhandlungsgespräche“ geführt habe. Dabei habe man sich darauf geeinigt, „eine Gesamtlösung“ anzustreben. Bei einer Rücknahme der gegenläufigen Berufungen in der Parallelsache könne man sich in vorliegender Sache übereinstimmend einen Strafkorridor von drei Jahren und neun Monaten bis zu vier Jahren und drei Monaten vorstellen. Außerdem sollten die bei der Staatsanwaltschaft noch anhängigen Verfahren gemäß § 154 Abs. 1 StPO eingestellt werden. Der Verteidiger bestätigte dies.
Der Vorsitzende teilte hierauf mit, dass eine gegenseitige Berufungsrücknahme in dem parallel geführten Verfahren ebenso wie etwaige Einstellungen gemäß § 154 Abs. 1 StPO „Sache des Angeklagten/Verteidigers bzw. der Staatsanwaltschaft“ seien. Eine „bedingte Verständigung“ für den Fall, dass der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft ihre Rechtsmittel zurücknähmen, sei jedoch möglich. Nach erfolgter Beratung teilte der Vorsitzende sodann mit, dass „bei“ einer gegenseitigen Rücknahme der Berufungen in den parallel geführten Verfahren und bei einem umfassenden Geständnis des Angeklagten unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus den beiden Urteilen des Amtsgerichts Freiburg eine Gesamtstrafe von vier Jahren bis zu vier Jahren und sechs Monaten in Betracht komme. Nachdem der Angeklagte signalisiert hatte, sich mit dem gerichtlichen Verständigungsvorschlag einverstanden erklären zu können, verkündete der Vorsitzende einen schriftlich niedergelegten „Verständigungsvorschlag“, mit dem die Strafkammer dem Angeklagten für den Fall, dass er und die Staatsanwaltschaft ihre gegenseitigen Berufungen zurücknähmen, bei einem umfassenden Geständnis unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus den Urteilen vom 16. Januar 2018 und vom 1. Juni 2017 eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren bis vier Jahren sechs Monaten zusicherte.
Der Angeklagte und die Vertreterin der Staatsanwaltschaft stimmten dem Verständigungsvorschlag zu. Am Folgetag nahmen sie ihre Berufungen zurück. Im Fortsetzungstermin am 26. April 2018 legte der Angeklagte ein Geständnis ab.
b) Damit hat das Landgericht nicht gegen § 257c StPO verstoßen.
aa) Nach § 257c Abs. 2 Satz 1 StPO dürfen nur Rechtsfolgen, die Inhalt des Urteils und der dazugehörigen Beschlüsse sein können, sonstige Maßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren und das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten Gegenstand der Verständigung sein (vgl. dazu BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 - 2 BvR 2628/10 u.a., BVerfGE 133, 168, 214). Ob sich hieraus ergibt, dass eine Rechtsmittelrücknahme in einem anderen Verfahren tauglicher Gegenstand einer Verständigung gemäß § 257c StPO sein kann, wird unterschiedlich beantwortet (für die Zulässigkeit einer derartigen Verständigung KG, NStZ 2015, 236, 237; OLG Hamburg, NStZ 2014, 534, 536 und NStZ 2017, 307; OLG Karlsruhe, NStZ 2014, 536; MüKo-StPO/Jahn/Kudlich, § 257c Rn. 105; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 257c Rn. 15b; Schneider, NZWiSt 2015, 1, 5; dagegen Mosbacher, JuS 2015, 701, 702; Knauer/Pretsch, NStZ 215, 238; offen gelassen in BGH, Beschluss vom 24. November 2015 - 3 StR 312/15, NStZ 2016, 177).
bb) Der Senat braucht diese Streitfrage nicht zu entscheiden, denn die Strafkammer hat die Berufungsrücknahme des Angeklagten nicht zum Gegenstand ihres Verständigungsvorschlags gemacht. Im Gegenteil hat sie die Beteiligten ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine gegenseitige Berufungsrücknahme ebenso wie etwaige Einstellungen gemäß § 154 Abs. 1 StPO „Sache des Angeklagten/Verteidigers bzw. der Staatsanwaltschaft“ seien und nicht mit der Strafkammer vereinbart werden können. Die Mitteilung, dass eine „bedingte Verständigung“ für den Fall der wechselseitigen Berufungsrücknahme möglich sei, erschöpfte sich - bei zutreffendem Verständnis - in dem Hinweis, dass ein Verständigungsvorschlag unter Einschluss auch der Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Freiburg vom 16. Januar 2018 nur für den Fall gemacht werden könne, dass diese Strafen nach § 55 Abs. 1 StGB einbeziehungsfähig sind, weil der Angeklagte insoweit rechtskräftig verurteilt ist. Denn erst bei Eintritt dieser Voraussetzung konnten die Einzelstrafen aus dem bis dahin noch angefochtenen Urteil vom 16. Januar 2018 Rechtsfolge des Urteils im hiesigen Verfahren und damit nach § 257c Abs. 2 Satz 1 StPO auch Gegenstand einer hier getroffenen Verständigung sein. Damit hat das Landgericht die Berufungsrücknahme des Angeklagten aber nicht in einer Weise mit der Zusicherung einer bestimmten Strafunter- und Obergrenze verknüpft, dass es diese zueinander in ein Gegenseitigkeitsverhältnis gesetzt hätte.
cc) Der Senat braucht auch nicht zu entscheiden, ob es der Wirksamkeit der Verständigung entgegensteht, dass die Strafkammer den Beteiligten eine „bedingte Verständigung“ vorgeschlagen hat, obwohl Prozesshandlungen grundsätzlich bedingungsfeindlich sind (vgl. dazu BGH, Urteil vom 25. November 1980 - 5 StR 356/80, BGHSt 29, 396 mwN). Denn hierauf ist der Angriff der Revision nicht gerichtet.
2. Soweit gemäß § 73c Satz 1 StGB gegen den Angeklagten die Einziehung von Wertersatz angeordnet worden ist, hat der Senat nach § 421 Abs. 1 Nr. 3 StPO in Höhe eines Teilbetrages von 434.634 Euro mit Zustimmung des Generalbundesanwalts von einer Einziehung abgesehen.
a) Handelt der Täter - wie hier - als Organ, Vertreter oder Beauftragter eines Unternehmens mit dem Ziel, dass infolge der Tat bei dem Unternehmen eine Vermögensmehrung eintritt, ist nicht der Täter, sondern das Unternehmen im Erfolgsfall Drittbegünstigter im Sinne des § 73b Abs. 1 Nr. 1 StGB. Eine Vermögensmehrung bei einem Drittbegünstigten schließt grundsätzlich eine gegen den Täter anzuordnende Einziehung aus. Für die Anordnung einer Einziehung gegen den Täter bedarf es in derartigen Fällen einer über die faktische Verfügungsgewalt hinausgehenden Feststellung, dass dieser selbst durch die Tat etwas erlangt hat, was zu einer Änderung seiner Vermögensbilanz geführt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 2019 - 4 StR 486/18, NZWiSt 2019, 321 mwN).
b) Die Strafkammer hat bei der Bestimmung des von dem Angeklagten aus den abgeurteilten Taten Erlangten im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB nicht zwischen Zuflüssen in sein Vermögen und solchen in das Vermögen der von ihm vertretenen T. GmbH unterschieden. Die Urteilsgründe belegen aber in noch ausreichender Weise, dass ihm in Höhe des Wertes der ausgereichten Smartphones (1.061.987,60 Euro) Taterträge unmittelbar zugeflossen sind. Zwar wurden auch diese Geräte direkt an die T. GmbH geliefert. Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe kann aber mit Blick auf den mitgeteilten Inhalt des Geständnisses entnommen werden, dass der T. GmbH insoweit lediglich die Rolle einer Zustellempfängerin zukam, die die Geräte sofort an den Angeklagten durchreichte, der sie verwertete und die Verkaufserlöse vereinnahmte. Hinsichtlich des weiter gehenden Betrags in Höhe von 434.634 Euro, der von der Strafkammer aus betrügerisch erwirkten Provisionszahlungen der V. GmbH an die von dem Angeklagten vertretene T. GmbH abgeleitet worden ist, bleibt hingegen offen, ob der Angeklagte insoweit etwas im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB erlangte. Zwar hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte dem Geschäftskonto der T. GmbH im Zeitraum vom 31. Januar 2013 bis zum 7. Juli 2015 insgesamt 1.013.000 Euro in bar entnahm. Das Urteil enthält jedoch keine Feststellungen dazu, ob und inwieweit es sich hierbei um die inkriminierten Provisionszahlungen oder um legale Einkünfte der Gesellschaft handelte.
c) Aus verfahrensökonomischen Gründen sieht der Senat deshalb mit Zustimmung des Generalbundesanwalts in Höhe des Werts der Provisionszahlungen von 434.634 Euro gemäß § 421 Abs. 1 Nr. 3 StPO von der Einziehung ab. Da es sich bei diesen Taterträgen um diejenigen handelt, an denen auch der Mitangeklagte H. Verfügungsgewalt erlangte, hatte auch der Ausspruch über die in diesem Umfang bestehende gesamtschuldnerische Mithaftung am Einziehungsbetrag zu entfallen.
3. Die Entscheidung des Landgerichts, die im Urteil vom 16. Januar 2018 angeordnete „Einziehung“ aufrecht zu erhalten, steht mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Einbeziehung früherer Entscheidungen gemäß § 55 Abs. 2 StGB nicht in Einklang.
a) Liegen die Voraussetzungen des § 55 StGB vor, sind Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen gleicher Art grundsätzlich durch das spätere Urteil einheitlich anzuordnen, so dass über sie durch den Gesamtstrafenrichter neu zu entscheiden ist (vgl. Senat, Urteil vom 22. Mai 2003 - 4 StR 130/03, juris, Rn. 9; Beschluss vom 19. Dezember 2017 - 4 StR 589/17, wistra 2018, 176, jeweils mwN). Dabei ist er an die Rechtskraft der ursprünglichen Entscheidung gebunden (vgl. BGH, Urteil vom 29. Mai 2008 - 3 StR 94/08, NStZ-RR 2008, 275, 276; Beschluss vom 28. Februar 2019 - 1 StR 26/19, juris Rn. 6 mwN). Sofern die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für die (weitere) Vollstreckung vorliegen, ist die frühere Einziehungsentscheidung in das neue Urteil einzubeziehen. Dies geschieht - trotz des auf die Aufrechterhaltung der früheren Entscheidung gerichteten Wortlauts des § 55 Abs. 2 StGB (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2019 - 1 StR 26/19, juris, Rn. 6 mwN) - durch das Zusammenzählen der Beträge aus der früheren und der aktuellen Einziehungsentscheidung (vgl. BGH, Urteil vom 22. Mai 2003 - 4 StR 130/03, BGHR StGB § 55 Abs. 2 Aufrechterhalten 7 Rn. 8; Urteil vom 29. Mai 2008 - 3 StR 94/08, NStZ-RR 2008, 275, 276; Urteil vom 10. Februar 2011 - 4 StR 552/10, juris, Rn. 3).
b) Unter Berücksichtigung der rechtskräftigen Einziehungsentscheidung aus dem Urteil des Amtsgerichts Freiburg vom 16. Januar 2018 in Höhe von 429.684,69 Euro und dem verbleibenden Einziehungsbetrag aus den verfahrensgegenständlichen Taten in Höhe von 1.061.987,60 Euro hat der Senat den einheitlich einzuziehenden Betrag gemäß § 354 Abs. 1 StPO analog danach auf 1.491.672,29 Euro festgesetzt.
4. Der nur geringfügige Teilerfolg des Rechtsmittels gibt keine Veranlassung, den Angeklagten von der Pflicht zur Übernahme der durch sein Rechtsmittel veranlassten Kosten und Auslagen auch nur teilweise zu entlasten (§ 473 Abs. 1 und 4 StPO).
HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1333
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2020, 8; StV 2021, 11
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner