HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 74
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 235/16, Urteil v. 24.11.2016, HRRS 2017 Nr. 74
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 3. Dezember 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des Totschlags in Tateinheit mit Nötigung freigesprochen. Hiergegen wenden sich die Staatsanwaltschaft und die Nebenkläger mit ihren auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und die Revisionen der Nebenkläger haben Erfolg.
Die zugelassene Anklage legt dem Angeklagten unter anderem zur Last, er habe am 14. Mai 2015 auf dem Vorplatz des Bahnhofes in L. im Rahmen eines Streites dem Geschädigten H. A. mit einen Spatenstiel unter billigender Inkaufnahme tödlicher Verletzungen zweimal heftig und gezielt gegen den Kopf geschlagen. H. A. sei infolge der durch die Schläge erlittenen Verletzungen zu Boden gegangen und mit dem Kopf auf das Straßenpflaster aufgeschlagen. Dort habe ihn der Angeklagte mit dem beschuhten Fuß zumindest noch einmal in die linke Körperseite getreten. H. A. sei am 16. Mai 2015 an einem durch die Schläge und den Sturz verursachten Schädel-Hirn-Trauma verstorben.
Zu der dem Angeklagten zur Last gelegten Tat hat das Landgericht im Wesentlichen das Folgende festgestellt:
1. Der Angeklagte trank im Verlauf des 14. Mai 2015 zusammen mit mehreren Bekannten erhebliche Mengen Alkohol. Ab 20.30 Uhr hielt er sich mit vier Begleitern vor dem Hauptbahnhof in L. auf. Gegen 20.50 Uhr standen die fünf Männer mindestens fünf Minuten am Ende der Ausfahrt des Bahnhofsvorplatzes, die sie dabei zu etwa einem Drittel blockierten. Zu dieser Zeit fuhr der 49 Jahre alte Geschädigte H. A. mit seinem Pkw die Auffahrt herauf, um den Bahnhofsvorplatz zu verlassen. Als er auf den Angeklagten und seine Begleiter traf, hielt er sein Fahrzeug in einer Entfernung von etwa eineinhalb Metern an und hupte. Ob es dem Geschädigten möglich gewesen wäre, an der Gruppe vorbeizufahren oder ob diese ihm die Ausfahrt versperrte, hat das Landgericht nicht festzustellen vermocht. Als er die Scheibe der Fahrertür herunterließ, kam es zu wechselseitigen Beleidigungen („Scheiß-Russen“, „Scheiß-Türke“). Wer hiermit begann, hat die Strafkammer nicht aufklären können.
Der Geschädigte stieg schließlich - für den Angeklagten und seine Begleiter unerwartet - aus seinem Fahrzeug aus, ging wortlos zum Kofferraum und entnahm daraus einen hölzernen Spatenstiel, der etwa 110 cm lang war und einen Durchmesser von etwa 5 cm aufwies. Anschließend trat er auf den Angeklagten und seine Begleiter zu und schlug mit dem Stiel einmal auf den Angeklagten ein. Der mit einer ausholenden Bewegung geführte Schlag traf den Angeklagten im Bereich des Oberkörpers. Nachdem der Geschädigte mit dem Spatenstiel auch zwei Begleiter des Angeklagten geschlagen hatte, schlug er erneut in Richtung des Angeklagten, der trotz eines Ausweichversuches ein zweites Mal im Bereich des Oberkörpers getroffen wurde.
Der Geschädigte folgte dem Angeklagten. Zwischen beiden entwickelte sich eine Auseinandersetzung um den Spatenstiel, den der Angeklagte an sich bringen wollte, um weitere Schläge zu verhindern. Dabei gingen beide aufeinander zu und schubsten sich hin und her. Während dieser Auseinandersetzung, bei der der Geschädigte schließlich dem Bahnhof den Rücken zuwandte, legten beide einen Weg von etwa 20 Metern in Richtung Bahnhof zurück; die Begleiter des Angeklagten folgten ihnen in kurzem Abstand nach. Obwohl sich der Geschädigte in einer Rückwärtsbewegung befand, machte er mit dem erhobenen Stiel in den Händen weiterhin Drohgebärden in Richtung des Angeklagten sowie seiner Begleiter und versuchte diese - wild um sich schlagend - zu treffen. Aufgrund dessen und mit Rücksicht darauf, dass der Geschädigte noch immer den Stiel fuchtelnd in Händen hielt, mit dem er ihn schon zwei Mal geschlagen hatte, „fürchtete der Angeklagte weiterhin“, dass H. A. plötzlich stehenbleiben oder nach vorne gehen und dann weiter auf ihn einschlagen würde. Um das zu verhindern, versuchte er, dem Geschädigten den Stiel zu entwinden, was ihm letztlich auch gelang. Obwohl er nunmehr entwaffnet war und sich in einer Rückwärtsbewegung befand, „griff H. A. sein Gegenüber weiter mit drohend hochgehobenen fuchtelnden Armen an“. Um weitere, aufgrund der vorangegangenen Schläge befürchtete, jetzt ohne den Spatenstiel geführte Schläge von sich abzuwehren und den Geschädigten von sich fernzuhalten, auch damit dieser den Spatenstiel nicht zurückerlangen und ihn damit erneut angreifen konnte, schlug der Angeklagte kurz hintereinander mit ausholenden Bewegungen mindestens zwei Mal mit dem Stiel in Richtung des Oberkörpers des Geschädigten und traf diesen jeweils am Kopf. Dabei nahm er zumindest billigend in Kauf, ihn am Körper zu verletzen. Einen bedingten Tötungsvorsatz hat das Landgericht nicht festzustellen vermocht.
H. A. kam zu Fall. Die Ursache hierfür konnte nicht geklärt werden. Der Angeklagte „stupste“ den auf dem Rücken liegenden Geschädigten mit dem Fuß an, um ihn zum Aufstehen zu veranlassen. Dieser blieb jedoch auf dem Boden liegen, wobei er stark aus dem Ohr blutete. Der Angeklagte warf daraufhin den Spatenstiel weg und verblieb mit seinen Begleitern am Ort des Geschehens.
Es steht fest, dass der Geschädigte durch „weitere Gewalteinwirkung“ auf den Kopf - zusätzlich zu den zwei Schlägen des Angeklagten - verletzt wurde. Auf welche Weise dies konkret geschehen ist und von wem diese Gewalteinwirkung ausging, hat das Landgericht nicht festzustellen vermocht. H. A. verstarb trotz zeitnaher ärztlicher Versorgung am 16. Mai 2015 infolge der erlittenen Verletzungen an einem schweren Schädel-Hirn-Trauma.
2. Das Landgericht hat angenommen, das Handeln des Angeklagten sei durch Notwehr gerechtfertigt. Der Geschädigte habe den Angeklagten rechtswidrig angegriffen, indem er mit dem Spatenstiel zwei Mal auf ihn eingeschlagen und noch im Rückwärtsgehen wild um sich schlagend versucht habe, ihn mit dem Spatenstiel zu treffen. Dieser Angriff sei auch noch nach dem Entwinden des Spatenstiels nicht beendet gewesen. Denn der Geschädigte habe den Angeklagten weiter mit „drohend hochgehobenen fuchtelnden Armen angegriffen“, obwohl er nunmehr entwaffnet gewesen sei und sich in einer Rückwärtsbewegung befunden habe. Es sei deshalb - auch angesichts der vorangegangenen Schläge - zu befürchten gewesen, dass der Geschädigte auch ohne den Stiel weiter auf den Angeklagten eindringen und ihn nunmehr mit den Händen oder Fäusten schlagen oder den Spatenstiel zurückerlangen und dann damit erneut angreifen werde.
Die Revisionen der Nebenkläger und die zuungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft haben Erfolg, weil das angefochtene Urteil sachlichrechtlicher Prüfung nicht standhält.
1. Der Freispruch des Angeklagten kann schon deswegen nicht bestehen bleiben, weil die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte sei im Zeitpunkt der von ihm geführten Schläge mit dem Spatenstiel objektiv noch einem gegenwärtigen Angriff des Geschädigten ausgesetzt gewesen, nicht belegt ist. Die hierzu in den Feststellungen und der Beweiswürdigung gemachten Ausführungen sind unklar und lückenhaft.
a) Ein gegenwärtiger Angriff im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB ist auch ein Verhalten, das zwar noch kein Recht verletzt, aber unmittelbar in eine Verletzung umschlagen kann und deshalb ein Hinausschieben der Abwehrhandlung unter den gegebenen Umständen entweder deren Erfolg gefährden oder den Verteidiger zusätzlicher nicht mehr hinnehmbarer Risiken aussetzen würde (vgl. BGH, Urteil vom 25. April 2013 - 4 StR 551/12, NJW 2013, 2133; Beschluss vom 8. März 2000 - 3 StR 67/00, NStZ 2000, 365; Beschluss vom 11. Dezember 1991 - 2 StR 535/91, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff 5; Urteil vom 26. August 1987 - 3 StR 303/87, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff 1; Urteil vom 7. November 1972 - 1 StR 489/72, NJW 1973, 255 mwN). Hat der Angreifer bereits eine Verletzungshandlung begangen, dauert der Angriff so lange an, wie eine Wiederholung und damit ein erneuter Umschlag in eine Verletzung unmittelbar zu befürchten ist (vgl. BGH, Urteil vom 9. August 2005 - 1 StR 99/05, NStZ 2006, 152, 153; Beschluss vom 11. Dezember 1991 - 2 StR 535/91, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff 5). Dabei kommt es auf die objektive Sachlage an. Entscheidend sind daher nicht die Befürchtungen des Angegriffenen, sondern die Absichten des Angreifers und die von ihm ausgehende Gefahr einer (neuerlichen oder unverändert fortdauernden) Rechtsgutsverletzung (vgl. BGH, Urteil vom 18. April 2002 - 3 StR 503/01, NStZ 2002, 203; Urteil vom 9. August 2005 - 1 StR 99/05, NStZ 2006, 152, 153; Beschluss vom 11. Dezember 1991 - 2 StR 535/91, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff 5; siehe auch Beschluss vom 28. Oktober 2015 - 5 StR 397/15, Rn. 5).
b) Das Landgericht hat keine tatsächlichen Feststellungen dazu getroffen, welche Absichten der Geschädigte im Tatzeitpunkt hatte. Soweit davon die Rede ist, dass H. A. „obwohl er nunmehr entwaffnet war und sich in einer Rückwärtsbewegung befand“, sein Gegenüber „weiter mit drohend hochgehobenen fuchtelnden Armen“ angriff (UA 8), kann dem nicht entnommen werden, was der Geschädigte in Bezug auf den Angeklagten tatsächlich beabsichtigte und welche Gefahr objektiv von ihm - trotz der festgestellten Rückwärtsbewegung - für die Rechtsgüter des Angeklagten ausging. Im Weiteren geben die Feststellungen lediglich wieder, was der Angeklagte „aufgrund der vorangegangenen Schläge und des Gerangels“ von dem Geschädigten „befürchtete“ (ohne den Spatenstiel geführte Schläge) und welche Zwecke er mit seinen Schlägen verfolgte (H. A. von sich fernzuhalten, auch damit dieser den Spatenstiel nicht zurückerlangen und ihn damit erneut angreifen konnte).
Die diesen Feststellungen zugrunde liegende Beweiswürdigung gibt keinen weiteren Aufschluss. Das Landgericht hat ausgeführt, „im Wesentlichen“ der „nicht zu widerlegenden“ Einlassung des Angeklagten gefolgt zu sein. Dieser habe geltend gemacht, der Geschädigte habe ihn (auch nach der Wegnahme des Spatenstiels) noch immer angreifen wollen, was er den „Drohungen und Bewegungen der hochgehobenen Arme entnommen habe“ (UA 18). Soweit an anderer Stelle dazu noch ausgeführt wird, der Angeklagte habe bei „lebensnaher Betrachtung“ auch davon ausgehen müssen, dass H. A. versuchen würde, den Spatenstiel zurückzuerlangen, um dann damit den Angriff fortzusetzen (UA 20), ergibt sich daraus nicht, dass eine solche (von dem Angeklagten nach eigenem Bekunden nicht besorgte) Gefahr auch tatsächlich bestand.
2. Es kommt deshalb nicht mehr entscheidend darauf an, dass dem Landgericht auch bei der Würdigung der Aussage des Zeugen Kl. ein auf Sachrüge hin zu beachtender Rechtsfehler unterlaufen ist (zum revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstab vgl. BGH, Urteil vom 29. September 2016 - 4 StR 320/16, Rn. 9; Urteil vom 14. Oktober 1952 - 2 StR 306/52, BGHSt 3, 213, 215, st. Rspr.).
a) Der Tatrichter ist grundsätzlich verpflichtet, alle wesentlichen Beweismittel heranzuziehen und die vorhandenen Beweise erschöpfend zu würdigen (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2002 - 5 StR 448/01, NStZ 2002, 485 mwN). Geschieht dies nicht, ist die Beweiswürdigung lückenhaft und weist damit in sachlichrechtlicher Hinsicht (§ 261 StPO) einen Fehler auf.
b) Daran gemessen ist die Würdigung der Aussage des Zeugen Kl. lückenhaft. Die Strafkammer hat die Angaben dieses Zeugen zur Tatvorgeschichte (Streit mit dem Geschädigten im Bereich der Ausfahrt des Bahnhofs, Schläge seitens des Geschädigten mit dem aus dem Kofferraum geholten Spatenstiel usw.) für glaubhaft gehalten (UA 12, 15 und 19) und als eine Bestätigung der Einlassung des Angeklagten gewertet. Dass der Zeuge an entscheidender Stelle, nämlich hinsichtlich der Frage, von wem und auf welche Weise dem Geschädigten die festgestellten massiven Kopfverletzungen beigebracht wurden, eine nach den mitgeteilten Umständen nicht erklärbare Erinnerungslücke geltend gemacht hat, hat das Landgericht zwar gesehen, insoweit aber eine den Angeklagten begünstigende bewusste Falschaussage lediglich für möglich gehalten. Warum diese Erinnerungsschwäche auch mit allgemeinen Gedächtnisgesetzmäßigkeiten erklärbar sein soll und deshalb keinen sicheren Schluss auf eine bewusste Falschaussage zulässt, hat die Strafkammer nicht dargelegt. Hierzu hätte jedoch Anlass bestanden. Denn die von dem Zeugen angeblich nicht mehr erinnerten Ereignisse (mehrere gravierende Gewalthandlungen gegen den Kopf eines Menschen) waren ihrer Art nach wenig vergessensanfällig. Auch sah sich der Zeuge in der Lage, das nicht durch eine höhere Einprägsamkeit gekennzeichnete unmittelbar vorangehende Geschehen - zur Überzeugung der Strafkammer detailgenau - aus dem Gedächtnis wiederzugeben.
3. Schließlich kommt es auch nicht mehr maßgeblich darauf an, dass das Urteil keine Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten enthält und deshalb unter den hier gegebenen Umständen nicht den Darstellungsanforderungen des § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO genügt.
a) Bei freisprechenden Urteilen ist der Tatrichter aus sachlichrechtlichen Gründen dann zu Feststellungen zur Person des Angeklagten verpflichtet, wenn diese für die Beurteilung des Tatvorwurfs eine Rolle spielen können. Dabei kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an; für eine schematische Betrachtungsweise ist kein Raum (vgl. BGH, Urteil vom 13. März 2014 - 4 StR 15/14, Rn. 8; Beschluss vom 5. März 2015 - 3 StR 514/14, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 18; Urteil vom 2. April 2014 - 2 StR 554/13, NStZ 2014, 419; Urteil vom 11. März 2010 - 4 StR 22/10, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 16 jeweils mwN).
b) Danach waren hier Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen veranlasst. Dem Angeklagten lag zur Last, im angetrunkenen Zustand im öffentlichen Raum aus einem belanglosen Streit heraus einen deutlich älteren, ihm unbekannten Mann tödlich verletzt zu haben. Für die Beurteilung eines derartigen Tatvorwurfs kann es von erheblicher Bedeutung sein, ob der Angeklagte in der Vergangenheit bereits durch Gewalttaten - insbesondere unter Alkoholeinfluss - in Erscheinung getreten ist oder tätliche Auseinandersetzungen gesucht hat.
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf das Folgende hin:
1. Sollte auch der neue Tatrichter das Gutachten des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen aus dem Bereich DNA-Analytik/Serologie vom 4. August 2015 heranziehen wollen, wird er bei der Darstellung der Ergebnisse die einschlägigen Anforderungen der Rechtsprechung zu beachten haben (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juli 2016 - 4 StR 558/15, Rn. 10; Beschluss vom 12. April 2016 - 4 StR 18/16, Rn. 4; Urteil vom 24. März 2016 - 2 StR 112/14, NStZ 2016, 490, 491 f.; Beschluss vom 19. Januar 2016 - 4 StR 484/15, NStZ-RR 2016, 118 f.; Urteil vom 5. Juni 2014 - 4 StR 439/13, NStZ 2014, 477 ff.; Urteil vom 21. März 2013 - 3 StR 247/12, BGHSt 58, 212, 217).
2. Ergibt sich, dass der Angeklagte in einer Notwehrlage gehandelt hat, wird das neue Tatgericht auch konkrete Feststellungen dazu treffen müssen, ob er an wechselseitigen Beleidigungen im Vorfeld beteiligt war. Sollte dies der Fall gewesen sein, wird es die Frage zu erörtern haben, ob und inwieweit das Notwehrrecht des Angeklagten dadurch unter dem Gesichtspunkt einer Angriffsprovokation Einschränkungen erfahren hat (vgl. BGH, Urteil vom 27. September 2012 - 4 StR 197/12, NStZ-RR 2013, 139, 141; Urteil vom 2. November 2005 - 2 StR 237/05, NStZ 2006, 332, 333 jeweils mwN).
3. Ist auch im zweiten Rechtsgang ein bedingter Tötungsvorsatz zu erörtern, wird der neue Tatrichter zu bedenken haben, dass ein solcher nicht mit der Erwägung in Frage gestellt werden kann, dass sich der Angeklagte „in einer Abwehrsituation reagierend“ befunden habe. Mit bedingtem Tötungsvorsatz handelnde Täter haben kein Tötungsmotiv, sondern gehen einem anderen Handlungsantrieb nach. Die Absicht, sich verteidigen zu wollen, steht daher der Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes nicht entgegen (vgl. BGH, Urteil vom 19. Dezember 2013 - 4 StR 347/13, NStZ 2014, 147, 149 mwN). Auch zeigt ein lediglich formelhafter Hinweis auf eine bei Tötungsdelikten erhöhte subjektive Hemmschwelle keinen vorsatzkritischen Gesichtspunkt von Gewicht auf (vgl. BGH, Urteil vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183 Rn. 31 ff.).
HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 74
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2017, 38
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede