HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 1107
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 558/15, Urteil v. 07.07.2016, HRRS 2016 Nr. 1107
Auf die Revisionen des Angeklagten, der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 8. Mai 2015, soweit es den Angeklagten betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung unter Auflösung der Gesamtstrafen und Einbeziehung von Einzelstrafen aus drei früheren Verurteilungen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt und eine Einzelfreiheitsstrafe von zwei Monaten aus einer der Vorverurteilungen bestehen lassen.
Die vom Generalbundesanwalt nicht vertretene, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft und die mit der Sachrüge und einer Verfahrensbeanstandung begründete Revision des Nebenklägers beanstanden, dass der Angeklagte nicht wegen eines versuchten Tötungsdelikts verurteilt worden ist. Das Rechtsmittel des Angeklagten wendet sich mit der Sachbeschwerde gegen die Verurteilung. Die erhobenen Sachrügen führen jeweils zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.
Nach den Feststellungen entfaltete der Nebenkläger, der ehemalige langjährige Präsident des H. Club in B., nach seinem Ausschluss aus dem Club im Sommer 2008 umfangreiche Bemühungen, um seine Rehabilitierung und Rückkehr in den Club zu erreichen. Der Angeklagte, der zum Tatzeitpunkt die Stellung eines „Prospects“ in dem Club innehatte, und mindestens ein weiterer Täter wollten, dass der Nebenkläger wegen dieser Bemühungen bestraft wird und sie zukünftig einstellt. Sie beabsichtigten, ihrem Ansinnen dadurch Nachdruck zu verleihen, dass sie dem Nebenkläger erhebliche, jedoch nicht lebensbedrohliche Verletzungen zufügen.
Mit diesem Ziel begaben sich der Angeklagte und mindestens eine weitere Person mit einem Pkw VW Passat zu dem im Außenbereich von A. gelegenen Grundstück des Nebenklägers, wo sich der Angeklagte M. und ein Tatgenosse versteckten und auf die Ankunft des Nebenklägers warteten. Gegen 23.00 Uhr traf der Nebenkläger mit seinem Fahrzeug an dem Grundstück ein und parkte unmittelbar davor. Sein Mobiltelefon und die Fahrzeugschlüssel in der rechten Hand haltend, stieg er aus. Als er die Fahrzeugtür schloss, stürmte einer der Täter aus seinem Versteck von hinten an ihn heran und versetzte ihm mit einem harten knüppelartigen Gegenstand einen Schlag gegen den Kopf, um ihn verteidigungsunfähig zu machen, ohne ihn zu töten. Der Nebenkläger drehte sich daraufhin zum Angreifer, der weiterhin mit dem Ziel, ihn seiner Verteidigungsfähigkeit zu berauben, ohne ihn zu töten, auf ihn einschlug. Um sich vor weiteren Schlägen zu schützen, hob der Nebenkläger die Hände schützend vor den Kopf und wich entlang des Fahrzeugs zurück. Währenddessen hatte sich der zweite Angreifer mit einem Messer mit mindestens 15 cm langer und ca. 2 bis 4 cm breiter Klinge dem Nebenkläger unbemerkt seitlich genähert. Auf Höhe des Kofferraums bemerkte der Nebenkläger eine Stichverletzung im Oberschenkel, worauf er nach links auf den Boden kippte und hinter dem Kofferraum seines Fahrzeugs mit dem Kopf in Richtung Fahrbahn auf dem Rücken zu liegen kam. Sodann beugte sich der Angreifer mit dem Messer über ihn und versetzte ihm mit dem Wissen und Wollen, ihn erheblich zu verletzen, nicht jedoch zu töten, gezielt weitere Stiche in den linken Oberschenkel, die linke Hüfte und den linken und rechten Unterschenkel. Um das Opfer in Schach zu halten und dem Mittäter mit dem Messer die Gelegenheit zu geben, die Messerstiche auszuführen, versetzte der andere Angreifer dem Nebenkläger mit dem knüppelartigen Gegenstand weitere Schläge gegen Kopf, Arme, Hände und Beine. Schließlich ließen die Angreifer vom Nebenkläger ab und entfernten sich in Richtung des Pkw VW Passat. Der Angreifer mit dem knüppelartigen Gegenstand kam noch einmal zurück, sagte dem Nebenkläger „Schönen Gruß von S.“ und versetzte ihm noch einen Schlag, um diesem Satz Nachdruck zu verleihen. Anschließend lief er zu dem Pkw VW Passat. Um dem Opfer noch einen Schreck einzujagen, fuhr das Fahrzeug auf den nach wie vor auf dem Boden - mit dem Oberkörper auf der Straße und den Beinen hinter dem Kofferraum des Fahrzeugs - liegenden Nebenkläger zu, der sich daraufhin mit letzter Kraft weiter hinter den Kofferraum seines Fahrzeugs schob. Der VW Passat fuhr etwa einen halben Meter entfernt an ihm vorbei, bremste kurz und setzte dann rasant seine Fahrt fort.
Dem Opfer gelang es, mit dem immer noch in seiner rechten Hand befindlichen Mobiltelefon, einen Bekannten zu erreichen, der einen Notruf absetzte. Neben zahlreichen oberflächlichen Verletzungen am Kopf, am Rücken sowie an den Beinen und Händen trug der Nebenkläger sechs Stichverletzungen im Bereich der Beine und des Hüftgelenks davon, wobei zwei Stiche im linken Oberschenkel und im rechten Unterschenkel jeweils bis auf den Knochen reichten und der Oberschenkelstich eine Stichkanaltiefe von ca. 20 cm aufwies. Obgleich keine großen Blutgefäße durchtrennt waren, kam es bis zum Eintreffen des Notarztes zu einem massiven Blutverlust mit starkem Abfall der Erythrozytenkonzentration, was eine Erythrozytentransfusion notwendig machte. Hierfür war es erforderlich, die notwendigen Blutkonserven aus dem Krankenhaus entgegenbringen zu lassen, weil der Nebenkläger ansonsten auf dem Transport ins Krankenhaus verblutet wäre.
Seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten hat das Landgericht neben einzelnen weiteren Beweisanzeichen maßgeblich auf die vergleichende molekulargenetische Untersuchung einer Spur gestützt, die am linken Ärmel des vom Opfer bei der Tat getragenen Jacketts gesichert werden konnte. Die Untersuchung dieser Spur habe ein zelluläres Gemisch zweier Personen, nämlich des Nebenklägers und des Angeklagten ergeben. Die nachgewiesenen DNA-Merkmalskombinationen für denkbare Mitverursacher in der deutschen Bevölkerung kämen statistisch nur einmal unter rund 616 Trillionen Personen vor, weswegen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden könne, dass es sich bei dem Nebenkläger und dem Angeklagten um die Verursacher des zellulären Gemisches handele.
Bezüglich der subjektiven Tatseite hat die Strafkammer neben einem direkten auch einen bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten verneint und dies mit der Erwägung begründet, dass das Verletzungsbild eher den Anschein einer in Rockerkreisen nicht unüblichen Bestrafungsaktion, mit der das Opfer zur Räson gebracht werden solle, als den Eindruck eines Anschlags auf das Leben des Nebenklägers erwecke.
Revision des Angeklagten
Das Rechtsmittel des Angeklagten ist begründet. Die Beweiswürdigung der Strafkammer zur Täterschaft des Angeklagten begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil die Darstellung des DNA-Vergleichsgutachtens in den Urteilsgründen den in sachlichrechtlicher Hinsicht zu stellenden Anforderungen nicht genügt.
Das Tatgericht hat in den Fällen, in denen es dem Gutachten eines Sachverständigen folgt, die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Ausführungen des Gutachters so darzulegen, dass das Rechtsmittelgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und die Schlussfolgerungen nach den Gesetzen der Logik, den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich ist. Für die Darstellung des Ergebnisses einer auf einer molekulargenetischen Vergleichsuntersuchung beruhenden Wahrscheinlichkeitsberechnung ist danach erforderlich, dass der Tatrichter mitteilt, wie viele Systeme untersucht wurden, ob und inwieweit sich Übereinstimmungen in den untersuchten Systemen ergeben haben, mit welcher Wahrscheinlichkeit die festgestellte Merkmalskombination zu erwarten ist und, sofern der Angeklagte einer fremden Ethnie angehört, inwieweit dieser Umstand bei der Auswahl der Vergleichspopulation von Bedeutung war (vgl. BGH, Urteile vom 21. März 2013 - 3 StR 247/12, BGHSt 58, 212, 217; vom 5. Juni 2014 - 4 StR 439/13, NStZ 2014, 477 ff.; Beschlüsse vom 19. Januar 2016 - 4 StR 484/15, NStZ-RR 2016, 118 f.; vom 12. April 2016 - 4 StR 18/16 Rn. 4). Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe, die sich weder zur Anzahl der untersuchten Systeme noch zu den sich in den untersuchten Systemen ergebenden Übereinstimmungen verhalten, nicht gerecht.
Da die Strafkammer ihre Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten maßgeblich auf das Ergebnis des DNA-Gutachtens gestützt hat, beruht das Urteil auf diesem Darstellungsmangel.
Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklage
Die Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger beanstanden zu Recht die Beweiswürdigung des Landgerichts zu einem möglichen Tötungsvorsatz des Angeklagten. Während die Strafkammer einen direkten Tötungsvorsatz unter anderem mit Blick auf die mäßig starke Kraftentfaltung bei den Schlägen mit dem knüppelartigen Gegenstand und die ausschließlich in die Beine und die Hüftregion des Opfers geführten Messerstiche rechtsfehlerfrei ausgeschlossen hat, entbehrt die Verneinung auch eines bedingten Tötungsvorsatzes einer tragfähigen Begründung.
1. Bedingter Tötungsvorsatz ist gegeben, wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement). Beide Elemente des bedingten Vorsatzes müssen in jedem Einzelfall umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (vgl. BGH, Urteile vom 16. September 2015 - 2 StR 483/14, NStZ 2016, 25, 26; vom 5. Juni 2014 - 4 StR 439/13 Rn. 7, insoweit in NStZ 2014, 477 nicht abgedruckt; vom 17. Juli 2013 - 2 StR 139/13, StraFo 2013, 467; vom 27. Januar 2011 - 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699, 702). Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände des Einzelfalls erfolgen (vgl. BGH, Urteil vom 13. Januar 2015 - 5 StR 435/14, NStZ 2015, 216; Beschluss vom 9. Oktober 2013 - 4 StR 364/13, StV 2014, 345, 346; Urteil vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183 Rn. 26), in welche insbesondere die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage einzubeziehen sind (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 2013 - 3 StR 45/13, NStZ 2013, 581, 582). Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtschau stellt die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung einen wesentlichen Indikator sowohl für das kognitive als auch für das voluntative Vorsatzelement dar (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juni 2014 - 4 StR 439/13 aaO; Beschluss vom 9. Oktober 2013 - 4 StR 364/13 aaO; Urteile vom 16. Mai 2013 - 3 StR 45/13 aaO; vom 23. Februar 2012 - 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444 mwN). Hat der Täter eine offensichtlich äußerst gefährliche Gewalthandlung begangen, liegt es - vorbehaltlich in die Gesamtbetrachtung einzustellender gegenläufiger Umstände des Einzelfalls - nahe, dass er den Eintritt des Todes als mögliche Folge seines Tuns erkannt und, indem er gleichwohl sein gefährliches Handeln begonnen oder fortgesetzt hat, den Todeserfolg auch billigend in Kauf genommen hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 1. Dezember 2011 - 5 StR 360/11, NStZ 2012, 207, 208 mwN).
2. Diesen Anforderungen genügen die Erwägungen nicht, mit denen das Landgericht das Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes verneint hat.
a) Den Ausführungen zur Beweiswürdigung im angefochtenen Urteil lässt sich schon nicht hinreichend klar entnehmen, ob die Strafkammer es bereits für nicht nachweisbar gehalten hat, dass der Angeklagte einen tödlichen Ausgang des Angriffs auf das Tatopfer als möglich und nicht ganz fernliegend ansah, oder sich nicht hat davon überzeugen können, dass der Angeklagte einen als möglich erkannten tödlichen Erfolg billigte oder sich zumindest um des erstrebten Zieles willen mit ihm abfand (vgl. BGH, Urteile vom 19. April 2016 - 5 StR 498/15, NStZ-RR 2016, 204, 205; vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11 aaO, Rn. 27). Die erforderliche Gesamtschau aller in objektiver und subjektiver Hinsicht für das Tatgeschehen bedeutsamen Umstände hat das Landgericht weder zum kognitiven noch hinsichtlich des voluntativen Elements des bedingten Tötungsvorsatzes erkennbar vorgenommen. In diese Gesamtwürdigung wäre als gewichtiger Indikator für beide Vorsatzelemente die der Tathandlung nach ihrer konkreten Ausführung und den sonstigen sie begleitenden Umständen innewohnende objektive Gefährlichkeit einzustellen gewesen. Dabei hätte Berücksichtigung finden müssen, dass dem Tatopfer bei dem nächtlichen Angriff unter anderem eine 20 cm tiefe bis auf den Knochen reichende Stichverletzung im Oberschenkel beigebracht wurde. Das Landgericht ist - offenbar bezogen auf den für die gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB erforderlichen Vorsatz - selbst davon ausgegangen, dass dem Angeklagten aufgrund der Gefährlichkeit seines Tuns bewusst gewesen sein müsse, dass auch Messerstiche in die Beine generell geeignet seien, das Leben des Opfers zu gefährden, da theoretisch eine Hauptschlagader im Bein hätte getroffen werden können. Diese generelle Gefährlichkeit seines Tuns habe er jedenfalls billigend in Kauf genommen, indem er trotz dieses Wissens gehandelt habe.
b) Die Erwägung der Strafkammer, bei der Tat habe es sich um eine in Rockerkreisen nicht unübliche Bestrafungsaktion gehandelt, mit welcher das Opfer habe zur Räson gebracht werden sollen, ist nicht geeignet, die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes in Frage zu stellen. Denn mit bedingtem Tötungsvorsatz handelnde Täter haben kein Tötungsmotiv, sondern gehen einem anderweitigen Handlungsantrieb nach (vgl. BGH, Urteile vom 14. Januar 2016 - 4 StR 84/15, NStZ-RR 2016, 79, 81; vom 19. Dezember 2013 - 4 StR 347/13, NStZ 2014, 147, 149; vom 23. Februar 2012 - 4 StR 608/11 aaO, S. 445; vom 30. November 2005 - 5 StR 344/05, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 61). Die Absicht, das Tatopfer zu bestrafen, steht daher der Bejahung eines bedingten Tötungsvorsatzes nicht entgegen. Allerdings kann sich aus der Art des jeweiligen Handlungsantriebs ein Rückschluss auf die Stärke des vom Täter empfundenen Tatanreizes und damit auch auf seine Bereitschaft zur Inkaufnahme schwerster Folgen ergeben (vgl. BGH, Urteil vom 19. Dezember 2013 - 4 StR 347/13 aaO; Beschluss vom 24. August 1990 - 3 StR 311/90, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 22).
c) Schließlich hat die Strafkammer nicht erkennbar bedacht, dass bedingter Tötungsvorsatz auch dann vorliegen kann, wenn der Eintritt des tödlichen Erfolgs dem Täter gleichgültig (vgl. BGH, Urteile vom 14. Januar 2016 - 4 StR 72/15, NStZ 2016, 211, 215; vom 11. Oktober 2000 - 3 StR 321/00, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 51; vom 2. November 1994 - 2 StR 449/94, BGHSt 40, 304, 306) oder sogar unerwünscht ist (vgl. BGH, Urteile vom 14. Januar 2016 - 4 StR 84/15 aaO; vom 14. Januar 2015 - 5 StR 494/14, NStZ 2015, 460; vom 27. August 2009 - 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009, 372, 373; Urteil vom 22. April 1955 - 5 StR 35/55, BGHSt 7, 363, 369).
3. Die Sache bedarf daher einer neuen tatrichterlichen Verhandlung und Entscheidung. Die Frage, ob der Angeklagte im Falle eines mit bedingtem Tötungsvorsatz geführten Angriffs auf das Tatopfer vom Versuch des Tötungsdelikts jedenfalls strafbefreiend zurückgetreten wäre, lässt sich - entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts - auf der Grundlage der bisher getroffenen tatsächlichen Feststellungen, die sich zu dem maßgeblichen Vorstellungsbild der Täter unmittelbar nach Abschluss des Angriffs nicht verhalten, nicht beantworten.
Mit Blick auf die im Verurteilungsfalle erneut vorzunehmende Entscheidung über die Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe weist der Senat auf Folgendes hin:
Die in den Urteilen des Amtsgerichts Berlin-Tiergarten vom 16. September 2011 und vom 27. März 2013 abgeurteilten Taten wurden ganz oder teilweise vor dem Erlass des Strafbefehls des Amtsgerichts Berlin-Tiergarten vom 3. Februar 2011 begangen. Der neue Tatrichter wird sich daher mit der Frage zu befassen haben, ob dem Strafbefehl vom 3. Februar 2011, der zeitlich vor der im angefochtenen Urteil abgeurteilten Tat erging, noch gesamtstrafenrechtliche Bedeutung zukommt. Dies wäre der Fall, wenn die Bezahlung der Geldstrafe aus dem Strafbefehl vom 3. Februar 2011 erst nach zumindest einer der späteren Verurteilungen durch das Amtsgericht Berlin-Tiergarten erfolgt wäre und daher insoweit noch die Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe im Verfahren nach § 460 StPO in Betracht käme (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. Dezember 2013 - 4 StR 356/13, NStZ-RR 2014, 74 mwN; vom 15. September 2010 - 5 StR 325/10, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Zäsurwirkung 19; vom 17. Juli 2007 - 4 StR 266/07, NStZ-RR 2007, 369 f.).
Da die Verurteilung durch das Amtsgericht Berlin-Tiergarten vom 16. September 2011 erst am 25. Mai 2012 rechtskräftig geworden ist, besteht zudem Veranlassung zu prüfen, ob in diesem Verfahren ein zumindest teilweise die Schuld- und Straffrage betreffendes Berufungsurteil erging, auf das nach der gesetzlichen Regelung des § 55 Abs. 1 Satz 2 StGB bei der zeitlichen Bestimmung der dieser Verurteilung zukommenden Zäsurwirkung abzustellen wäre (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. November 2015 - 4 StR 407/15, NStZ-RR 2016, 75 (LS); vom 30. Juni 1960 - 2 StR 147/60, BGHSt 15, 66, 69 ff.). Gegebenenfalls wäre auch die im Urteil des Amtsgerichts Berlin-Tiergarten vom 27. März 2013 verhängte Einzelfreiheitsstrafe von zwei Monaten für die am 9. Dezember 2011 begangene Tat, die im angefochtenen Urteil gesondert bestehen geblieben ist, in eine nachträgliche Gesamtstrafe miteinzubeziehen.
HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 1107
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede