HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1386
Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 82/24, Beschluss v. 26.06.2024, HRRS 2024 Nr. 1386
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 2. Januar 2024
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des Handeltreibens mit Cannabis in Tateinheit mit Besitz von Cannabis, Handeltreiben mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln außerhalb von Apotheken, Inverkehrbringen von Fertigarzneimitteln ohne Zulassung und ohne Genehmigung der Europäischen Gemeinschaft oder Europäischen Union, Inverkehrbringen qualitätsgeminderter Arzneimittel, Inverkehrbringen gefälschter Arzneimittel und Inverkehrbringen bedenklicher Arzneimittel schuldig ist,
b) im Strafausspruch aufgehoben, jedoch werden die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, Handeltreiben mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, Inverkehrbringen zulassungspflichtiger Fertigarzneimittel, Inverkehrbringen von Arzneimitteln geminderter Qualität, Inverkehrbringen gefälschter Arzneimittel und Inverkehrbringen bedenklicher Arzneimittel zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen verwahrte der Angeklagte in seiner Wohnung einen Beutel mit 212,33 Gramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 38 Gramm THC, wovon jeweils die Hälfte zum Eigenkonsum und zum gewinnbringenden Verkauf bestimmt war. Ferner hielt er in dem Beutel apotheken- und verschreibungspflichtige potenzsteigernde Arzneimittel mit dem Wirkstoff Sildenafil zu Verkaufszwecken vorrätig. Diese waren von minderer Qualität, in der Europäischen Union nicht zugelassen, hatten eine von der Kennzeichnung abweichende Zusammensetzung und wiesen keine Informationen zur Einnahme auf, was der Angeklagte jeweils billigend in Kauf nahm.
Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende materiellrechtliche Nachprüfung des Urteils führt zur Änderung des Schuld- sowie Aufhebung des Strafausspruchs.
1. Der Schuldspruch hat im Hinblick auf das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge keinen Bestand, da nach Urteilsverkündung das Gesetz zum Umgang mit Konsumcannabis (Konsumcannabisgesetz - KCanG) vom 27. März 2024 mit Wirkung vom 1. April 2024 in Kraft getreten ist (BGBI. I Nr. 109). Diese Rechtsänderung hat der Senat gemäß § 2 Abs. 3 StGB in Verbindung mit § 354a StPO zu berücksichtigen. Nach der Neuregelung unterfällt Cannabis nicht dem Betäubungsmittelgesetz, sondern bestimmt sich die Strafbarkeit der hier zu beurteilenden Tat, soweit es um das Handeltreiben mit und den Besitz von Marihuana geht, nach dem Konsumcannabisgesetz (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Mai 2024 - 5 StR 1/24, juris Rn. 4; vom 18. April 2024 - 6 StR 24/24, juris Rn. 5).
Nach den vom Landgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ist unter der Geltung des Konsumcannabisgesetzes der Umgang des Angeklagten mit Marihuana als Handeltreiben mit Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG) in Tateinheit mit Besitz von Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 1 KCanG) zu werten. Bei Marihuana handelt es sich um ein Produkt der Cannabispflanze, das nach den Begriffsbestimmungen des Konsumcannabisgesetzes als „Cannabis“ erfasst wird (§ 1 Nr. 4 KCanG / § 1 Nr. 5 KCanG). Dass sich die Taten auf Cannabis in nicht geringer Menge bezogen - diese ist auch unter dem Konsumcannabisgesetz bei einer Wirkstoffmenge von 7,5 Gramm THC erreicht (BGH, Beschlüsse vom 23. April 2024 - 5 StR 153/24, juris Rn. 11 ff.; vom 18. April 2024 - 1 StR 106/24, NJW 2024, 1968 Rn. 7 ff.; ebenso BGH, Beschlüsse vom 29. April 2024 - 6 StR 132/24, juris Rn. 7; vom 28. Mai 2024 - 3 StR 154/24, juris Rn. 8) -, stellt lediglich ein Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall dar (§ 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG), der im Schuldspruch nicht zum Ausdruck zu bringen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Mai 2024 - 5 StR 1/24, juris Rn. 5; KKStPO/Tiemann, 9. Aufl., § 260 Rn. 31 mwN).
Die neue Rechtslage unter dem Konsumcannabisgesetz ist bei dem nach § 2 Abs. 3 StGB gebotenen konkreten Gesamtvergleich im Einzelfall (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 10. August 2023 - 3 StR 412/22, NZWiSt 2024, 187 Rn. 70; vom 8. August 2022 - 5 StR 372/21, BGHSt 67, 130 Rn. 12 f. mwN; Beschluss vom 14. Oktober 1982 - 3 StR 363/82, NStZ 1983, 80; Urteil vom 9. Oktober 1964 - 3 StR 32/64, BGHSt 20, 74, 75; Fischer, StGB, 71. Aufl., § 2 Rn. 8 ff.; Schönke/Schröder/Hecker, StGB, 30. Aufl., § 2 Rn. 28 ff. mwN) angesichts der milderen einschlägigen Strafrahmen für den Angeklagten günstiger als die nach dem Tatzeitrecht (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG); sie ist daher gemäß § 2 Abs. 3 StGB in Verbindung mit § 354a StPO maßgeblich.
Der Senat ändert den Schuldspruch deshalb in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO wie aus der Beschlussformel ersichtlich. Die Regelung des § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der umfassend geständige Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
2. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat ansonsten im Hinblick auf die tateinheitliche Verurteilung wegen strafbewehrter Verstöße gegen das Arzneimittelgesetz, wie in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts zutreffend ausgeführt ist, keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Die getroffenen Feststellungen werden durch die Beweiswürdigung belegt und tragen den Schuldspruch nach § 95 Abs. 1 und § 96 AMG.
Auch die konkurrenzrechtliche Bewertung des Landgerichts, dass der Angeklagte wegen einer einzigen Tat zu verurteilen ist, ist ohne einen diesen belastenden Rechtsfehler getroffen. Die im Schuldspruch genannten Tatbestandsvarianten des § 95 Abs. 1 und § 96 AMG stehen hier in Tateinheit zueinander, da bei der Annahme von Gesetzeseinheit der Unrechtsgehalt nicht vollständig erfasst würde (BGH, Urteil vom 27. November 2019 - 3 StR 233/19, NStZ-RR 2020, 84, 87 mwN; MüKoStGB/Freund, 4. Aufl., § 95 AMG Rn. 74; Weber, BtMG, 6. Aufl., § 95 AMG Rn. 21). Mit Blick auf die einheitliche Verwahrung der Arzneimittel und des Marihuanas in einem Beutel besteht im Übrigen Idealkonkurrenz zwischen den Verstößen gegen das Konsumcannabisgesetz und das Arzneimittelgesetz (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. Februar 2023 - 5 StR 408/22, juris Rn. 6; vom 28. Mai 2018 - 3 StR 88/18, BGHR BtMG § 29 a Abs. 1 Nr. 2 Konkurrenzen 6 Rn. 5 ff. mwN).
Der Senat hat den Schuldspruch zum Arzneimittelgesetz klarstellend neu gefasst (vgl. zur Tenorierung: BGH, Urteil vom 27. November 2019 - 3 StR 233/19, NStZ-RR 2020, 84; Beschlüsse vom 6. November 2007 - 1 StR 302/07, NStZ 2008, 530; vom 10. November 2022 - 2 StR 92/21, NStZ-RR 2023, 52; vom 13. September 2022 - 5 StR 57/22; wistra 2023, 40).
3. Der Strafausspruch bedarf der Aufhebung, weil § 34 Abs. 3 KCanG einen erheblich milderen Strafrahmen vorgibt als § 29a Abs. 1 BtMG. Es ist ungeachtet der unter dem Konsumcannabisgesetz nicht mehr statthaften (vgl. BGH, Beschluss vom 29. April 2024 - 6 StR 132/24, juris Rn. 5) strafmildernden Berücksichtigung der im Vergleich zu anderen Drogen minderen Gefährlichkeit von Marihuana („weiche Droge“) durch das Landgericht nicht auszuschließen, dass die Strafkammer bei Anwendung des einschlägigen Strafrahmens dieses Gesetzes eine niedrigere Strafe gegen den Angeklagten verhängt hätte (§ 337 Abs. 1 StPO).
Einer Aufhebung der zugehörigen Feststellungen bedarf es nicht (§ 353 Abs. 2 StPO). Soweit die Strafkammer zu Gunsten des Angeklagten gewertet hat, dass es sich bei Marihuana um eine weiche Droge handele, ist dies keine Tatsachenfeststellung. Das zur neuen Verhandlung und Entscheidung berufene Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, soweit diese den bisherigen nicht widerstreiten.
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1386
Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede