HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1159
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 57/22, Beschluss v. 13.09.2022, HRRS 2022 Nr. 1159
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 4. Juni 2021 wird mit der Maßgabe verworfen, dass der Angeklagte des vorsätzlichen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz durch unerlaubtes Handeltreiben mit Arzneimitteln, die nur auf Verschreibung an Verbraucher abgegeben werden dürfen, unter Verstoß gegen die Apothekenpflicht in Tateinheit mit unerlaubtem Herstellen eines Arzneimittels und mit Inverkehrbringen eines Fertigarzneimittels ohne Zulassung und ohne Genehmigung der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union schuldig ist.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „26 tateinheitlichen Fällen … vorsätzlichen Handeltreibens mit Arzneimitteln, die nur auf Verschreibung an Verbraucher abgegeben werden dürfen, unter Verstoß gegen die Apothekenpflicht, davon in 14 Fällen in Tateinheit mit dem Herstellen eines Arzneimittels ohne die erforderliche Herstellungserlaubnis und in Tateinheit mit dem Inverkehrbringen eines zulassungspflichtigen Fertigarzneimittels ohne Zulassung und ohne Genehmigung der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union“ zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Gegen die nicht revidierende Einziehungsbeteiligte M. GmbH hat es die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 1.645.323,28 Euro angeordnet. Die Revision des Angeklagten führt lediglich zu einer Klarstellung des Schuldspruchs und bleibt ansonsten ohne Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts ist der Angeklagte, ein promovierter Biochemiker, seit vielen Jahren der geschäftsführende Alleingesellschafter der Einziehungsbeteiligten M. GmbH. Mit dieser stellte er spätestens ab Anfang 2014 eine weder in Deutschland noch in der Europäischen Union zugelassene und auch nicht klinisch erprobte Substanz „GcMAF“ (Globulin Component Macrophage-Activating Faktor, auch „DBPMAF“ genannt) her. Bei dieser - insbesondere in Kreisen der Alternativmedizin - als mögliches neues Heilmittel in der Krebstherapie gehandelten Substanz handelt es sich um ein im menschlichen Blut vorkommendes Protein, das auch im Labor hergestellt werden kann. Nach Angaben einiger Wissenschaftler, die jedoch aufgrund methodischer Mängel angezweifelt und teils zurückgezogen wurden, soll es in der Krebstherapie durch eine „Makrophagen-Aktivierung“ („MAF“ = Makrophagen aktivierender Faktor) gute Heilerfolge bei geringen Nebenwirkungen erzielen. Tatsächlich hat sich bis heute nicht mit wissenschaftlichen Methoden belegen lassen, dass die Substanz eine pharmakologische Wirkung auslöst und das Immunsystem stimuliert.
2 Der Angeklagte forschte zu GcMAF in der Hoffnung, damit einen wissenschaftlichen Durchbruch bei der Krebstherapie zu erzielen und den Nobelpreis zu gewinnen. Trotz aller Mühen gelang es ihm aber nicht, den Nachweis einer pharmakologischen Wirkung von GcMAF zu führen. Er konzipierte aber ein Verfahren, um GcMAF unter höchsten Anforderungen an Reinheit und Sterilität zu produzieren, das reproduzierbar war und die Herstellung in größerem Rahmen ermöglichte. Die Einsicht, dass GcMAF tatsächlich gar keine pharmakologische Wirkung hat und allein zur Erzielung eines Placebo-Effekts geeignet ist, reifte im Angeklagten erst nach dem verfahrensgegenständlichen Zeitraum.
Der Angeklagte ging als Geschäftsführer der Einziehungsbeteiligten eine Kooperation mit der österreichischen C. GmbH ein, zunächst mit dem Plan, das in der Öffentlichkeit von anhaltendem Interesse begleitete GcMAF als Nahrungsergänzungsmittel zu vermarkten. Hiervon nahm man aber bald Abstand, weil der Angeklagte und die Verantwortlichen der C. GmbH davon ausgingen, dass GcMAF rechtlich als Arzneimittel eingestuft werden müsste, der Angeklagte insbesondere, weil sich die erhoffte Wirkung von GcMAF auf das Immunsystem nur durch intravenöse Injektion würde erzielen lassen. Ein regulärer Vertrieb von GcMAF als Arzneimittel kam weder für die C. GmbH noch für die M. GmbH in Betracht, weil GcMAF nicht über eine Zulassung als Arzneimittel verfügte und keine der beteiligten Gesellschaften eine Erlaubnis zum Herstellen oder zum Vertrieb von Arzneimitteln besaß. Während sich die C. GmbH um die Werbung und betriebswirtschaftliche Belange kümmerte, erfolgte bei der M. GmbH die Herstellung von GcMAF.
Um die arzneimittelrechtlichen Erlaubniserfordernisse und Regularien von vornherein zu umgehen, entschieden sich die Geschäftspartner für ein Geschäftsmodell, das auf der Ausnahmevorschrift des § 13 Abs. 2b AMG als „Schlupfloch“ fußen und einen Vertrieb von GcMAF an Ärzte und Heilpraktiker auch ohne Zulassung ermöglichen sollte. Nach § 13 Abs. 2b Satz 1 AMG in der zur Tatzeit geltenden Fassung bedurfte ein Arzt oder eine sonst zur Ausübung der Heilkunde bei Menschen befugte Person keiner Erlaubnis, soweit die Arzneimittel unter ihrer unmittelbaren fachlichen Verantwortung zum Zwecke der persönlichen Anwendung bei einem bestimmten Patienten hergestellt werden („Eigenherstellung“).
Nach Abschluss eines „Labornutzungs-Rahmenvertrages“, wonach an GcMAF interessierte Ärzte und Heilpraktiker selbst in den Räumlichkeiten der M. GmbH diesen Stoff herstellten, und nach einer zwei- bis vierstündigen „Laboreinweisung“ unterzeichneten die Abnehmer einen formularmäßig vorbereiteten „Eigenherstellungsauftrag“, wonach sie beabsichtigten, in den Räumen der M. GmbH eine bestimmte Anzahl Ampullen GcMAF in bestimmter Konzentration herzustellen. Tatsächlich handelte es sich dabei um Bestellungen entsprechender Mengen zu de facto festen Preisen pro Ampulle. Die Herstellung der GcMAF-Ampullen erfolgte - anders als nach außen suggeriert - im Labor der M. GmbH durch zwei Mitarbeiter der Firma nach einer vom Angeklagten erstellten Standardarbeitsanweisung in größeren Chargen auf Vorrat. Hierbei wurde zunächst eine „Stammlösung“ GcMAF hergestellt, im Kühlschrank gelagert, anschließend mit Ringer-Acetat-Lösung auf die gewünschte Konzentration verdünnt und schließlich in Injektionsflaschen gefüllt. Diese Verfahrensweise stellt kein anerkanntes homöopathisches Herstellungsverfahren dar. Den ausführenden Labormitarbeitern war jeweils gänzlich unbekannt, für welche und wie viele Abnehmer die von ihnen hergestellte Charge verwendet wurde; sie stellten eine neue Charge her, wenn die vorgehaltene Menge zu Ende ging.
Die Kunden als „Eigenhersteller“ wirkten an der Herstellung und Abfüllung von GcMAF nicht mit. Weder waren sie dabei anwesend noch kommunizierten sie mit den Labormitarbeitern oder dem Angeklagten über Inhalte des Herstellungs- und Abfüllvorgangs; die Kunden erteilten mithin nie inhaltliche Anweisungen an M. -Mitarbeiter im Zusammenhang mit der Herstellung oder Abfüllung des Stoffs. Der Versand an die Kunden erfolgte in bewusstem zeitlichen Abstand von 14 Tagen zum Auftrag. Teilweise gab es auch „Depot“-Aufträge, wobei erst Abrufe aus dem Depot eine Abfüllung bzw. Aussonderung entsprechender Mengen aus einer bereits erfolgten Abfüllung zur Folge hatten. Zeitnah zum Versand rechnete die M. GmbH das übersandte GcMAF ab und erhielt entsprechende Überweisungen auf ein Geschäftskonto. Anschließend wurden die Erträge vom kontobevollmächtigten Geschäftsführer der C. GmbH verteilt.
Nach Beendigung der Zusammenarbeit zwischen der M. GmbH und der C. GmbH im Herbst 2016 schrieb der Angeklagte für die M. GmbH die Kunden (Ärzte und Heilpraktiker) an. In dem Schreiben heißt es u.a.: „Deswegen ist es sinnvoll, GcMAF intravenös zu verabreichen. GcMAF fällt somit unter das Arzneimittelgesetz. Da das Präparat noch keine Zulassung als Arzneimittel hat, ist eine Applikation am Patienten nur im Rahmen der Eigenherstellung durch den behandelnden Arzt oder Heilpraktiker nach § 13 AMG bzw. § 67 AMG erlaubt.“ Im Einzelnen kam es bei der M. GmbH zwischen Anfang 2014 und Mai 2017 zur Herstellung und Abfüllung zahlreicher Chargen GcMAF. Mit den verfahrensgegenständlichen Chargen (insgesamt 26) erzielte die M. GmbH Einkünfte von über 1,6 Millionen Euro. Behördliche Anfragen beantwortete der Angeklagte unter Hinweis auf die angebliche Eigenherstellung in den Räumen der M. GmbH in Art eines „Mietlabors“, wobei er die tatsächlichen Umstände bewusst verschwieg.
Der gewerbsmäßig handelnde Angeklagte ging durchweg davon aus, dass es sich bei GcMAF um ein Arzneimittel handelt. Dies stützte er auf die Applikationsform (intravenöse Injektion) sowie die Wirkweise (Stimulierung des Immunsystems durch die Aktivierung von Markrophagen). Ihm war bekannt, dass die C. GmbH den Stoff GcMAF als Behandlungsmethode gegen Krebs durch Stimulierung des Immunsystems bewarb. Er wusste, dass im Tatzeitraum GcMAF weder in Deutschland noch in der Europäischen Union eine Zulassung hatte in Europa keine klinischen Studien zu GcMAF veröffentlicht worden waren und er über keine Erlaubnisse nach dem Arzneimittelgesetz verfügte. Ihm war auch klar, dass die Vereinbarungen über eine angebliche „Eigenherstellung“ den tatsächlichen Gegebenheiten nicht entsprachen, sondern diese lediglich nach außen die Erfüllung der Vorgaben des § 13 Abs. 2b AMG vorspiegeln sollten.
2. Der Angeklagte hat nach Auffassung der Strafkammer hinsichtlich aller verfahrensgegenständlichen Chargen den Straftatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 4 Alt. 1 AMG erfüllt, indem er ohne die erforderliche Erlaubnis mit dem nach § 43 Abs. 1 Satz 1 AMG apothekenpflichtigen und nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AMG aF verschreibungspflichtigen GcMAF Handel getrieben habe. Die Strafkammer hat das von der M. GmbH hergestellte GcMAF als „Präsentationsarzneimittel“ im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG aF bewertet und auch den Straftatbestand des § 96 Nr. 4 AMG dadurch als erfüllt angesehen, dass der Angeklagte selbst oder durch seine Mitarbeiter diese Arzneimittel ohne die nach § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AMG erforderliche Erlaubnis gewerbsmäßig hergestellt habe. Die tatsächliche Betriebsführung hinsichtlich der gesamten auf die Herstellung von GcMAF bezogenen Herstellungsschritte habe bei ihm gelegen; der Ausnahmetatbestand der „Eigenherstellung“ nach § 13 Abs. 2b AMG sei nicht verwirklicht gewesen. Zudem habe der Angeklagte auch § 96 Nr. 5 AMG erfüllt, indem er das GcMAF als „Fertigarzneimittel“ im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 AMG ohne Erlaubnis in den Verkehr gebracht habe. Aufgrund der kurzen Verjährung hat das Landgericht diese Straftaten nach § 96 AMG lediglich auf die Chargen ab Nr. 49 bezogen.
In Anknüpfung an die Wertungen im Betäubungsmittelstrafrecht hat das Landgericht jede einzelne Charge zunächst als eine Tat im Sinne einer Bewertungseinheit angesehen und aufgrund eines Überlappens der jeweils gebildeten Vorräte sowie wegen des Anlegens von Depots über mehrere Chargen hinweg die verschiedenen Taten als in gleichartiger Idealkonkurrenz verwirklicht bewertet.
3. Einen besonders schweren Fall nach § 95 Abs. 3 AMG hat die Strafkammer abgelehnt und die verhängte Freiheitsstrafe unter Berücksichtigung der langen Verfahrensdauer dem Normalstrafrahmen des § 95 Abs. 1 AMG entnommen. Eine Einziehungsentscheidung zu Lasten des Angeklagten ist nicht erfolgt.
Die mit Verfahrensrügen und der näher ausgeführten Sachrüge geführte Revision des Angeklagten bleibt im Ergebnis ohne Erfolg. Die Verfahrensrügen sind mangels vollständigen Vortrags der die Rüge begründenden Tatsachen (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) jeweils unzulässig (vgl. Antragsschrift des Generalbundesanwalts). Die Sachrüge führt lediglich zur Änderung der Konkurrenzen.
1. Die auf rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung beruhenden Feststellungen tragen den Schuldspruch. Der Erörterung bedarf nur Folgendes:
a) Bei GcMAF in der vom Angeklagten hergestellten Form handelt es sich um ein Arzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG (zur Tatzeit § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG aF).
aa) Danach sind Arzneimittel Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die zur Anwendung im oder am menschlichen Körper bestimmt sind und als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt sind (sogenanntes Präsentationsarzneimittel, vgl. hierzu im Einzelnen Müller in Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, 3. Aufl., § 2 Rn. 71 ff. mwN).
Hierunter fallen nicht nur objektiv tatsächlich therapeutisch wirksame Stoffe, sondern auch solche, die lediglich subjektiv eine entsprechende Zweckbestimmung aufweisen (BGH, Urteil vom 18. September 2013 - 2 StR 535/12, BGHSt 59, 16, 18 f. mwN): Von dem Begriff der Präsentationsarzneimittel werden neben „echten“ Arzneimitteln auch solche Produkte erfasst, die nur den Anschein erwecken, therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken zu dienen. Der Schutzzweck des Gesetzes besteht darin, für die Sicherheit im Verkehr mit Arzneimitteln zu sorgen. Deshalb soll der Verbraucher auch vor solchen Produkten geschützt werden, die zur Erfüllung der erwünschten therapeutischen oder prophylaktischen Zwecke ungeeignet sind. Dies beruht auf der Überlegung, dass die Heilung einer Krankheit verzögert oder deren Verlauf verschlechtert werden kann, wenn statt geeigneter Medikamente unwirksame Anscheinsarzneimittel angewendet werden und dadurch eine sachgemäße Medikation verhindert oder verzögert wird.
Abzustellen ist auf die ausdrückliche oder konkludente Präsentation und Bezeichnung als Arzneimittel, wobei auf die Perspektive eines Durchschnittsverbrauchers abzustellen ist; dabei können die Ähnlichkeit mit einem „echten“ Arzneimittel in äußerer Form und Aufmachung und der Inhalt von Werbemaßnahmen relevant sein (Müller, aaO, § 2 Rn. 72 f. mwN).
bb) Diese Voraussetzungen lagen nach den Urteilsfeststellungen vor (vgl. zu GcMAF als Arzneimittel aus sozial- und beihilferechtlicher Sicht auch BSG, Beschluss vom 31. Oktober 2016 - B 1 KR 63/16 B; VG Saarlouis, Urteil vom 12. Mai 2016 - 6 K 2135/13; SG Duisburg, Urteil vom 1. Juli 2019 - S 50 KN 126/15 KR). GcMAF in der vom Angeklagten hergestellten Form war zur Anwendung im menschlichen Körper mittels Injektion bestimmt und sollte im Rahmen einer Krebstherapie das Immunsystem stimulieren, um zur Heilung einer schweren Krankheit beizutragen. Auf seine objektive Wirksamkeit kam es nicht an. Sowohl in der werbenden Außendarstellung als auch in der Aufmachung stellte es sich als Arzneimittel im genannten Sinne dar. Dass auch der Angeklagte selbst subjektiv von der Arzneimitteleigenschaft des von ihm hergestellten Stoffs ausging, hat das Landgericht unter Würdigung aller relevanten Umstände rechtsfehlerfrei festgestellt.
b) Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten zu Recht als Straftat gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 4 Alt. 1 AMG gewertet.
Danach macht sich strafbar, wer entgegen § 43 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 oder Abs. 3 AMG mit Arzneimitteln, die nur auf Verschreibung an Verbraucher abgegeben werden dürfen, Handel treibt. Gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 AMG darf mit Arzneimitteln im Sinne von § 2 Abs. 1 AMG jenseits bestimmter Ausnahmen außerhalb von Apotheken kein Handel getrieben werden.
Mangels Eingreifens eines Ausnahmetatbestandes unterlag GcMAF in der vom Angeklagten hergestellten Form der Apothekenpflicht (hierzu näher Hofmann in Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, 3. Aufl., § 43 Rn. 9 ff. mwN). Als Applikationsarzneimittel war GcMAF zur Abgabe zum Endverbrauch bestimmt; dies setzt keine Abgabe an den Endverbraucher voraus, sondern ist auch bei der Abgabe an den Arzt zur Anwendung am Patienten mittels Injektion erfüllt (vgl. Hofmann, aaO, § 43 Rn. 13 ff. mwN; vgl. auch BGH, Urteil vom 26. April 2018 - I ZR 121/17, GRUR 2018, 1271).
Es handelte sich entgegen der Auffassung der Revision nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AMG aF auch um ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel, da die ihm zugeschriebenen pharmakologischen Wirkungen in der medizinischen Wissenschaft im Tatzeitraum nicht allgemein bekannt waren (vgl. zu den Voraussetzungen näher Hofmann, aaO, § 48 Rn. 20 mwN). Hierfür reicht aus, dass einem neuen Stoff - wie hier - bestimmte erhebliche pharmakologische Wirkungen zugeschrieben werden, die in der Wissenschaft umstritten und nicht allgemein bekannt sind. Denn der Gesetzgeber wollte mit Einfügung von § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AMG aF im Sinne des Patientenschutzes gerade solche Arzneimittel mit neuen Stoffen erfassen, die noch nicht von einer Rechtsverordnung zur Verschreibungspflicht erfasst werden können (vgl. BT-Drucks. 16/12256, S. 52).
Eine Ausnahme von der (präventiven) Verschreibungspflicht für solche Präsentationsarzneimittel, bei denen sich im Nachhinein die Wirkungslosigkeit herausstellt, würde dem vom Gesetzgeber bezweckten vorbeugenden Patientenschutz zuwiderlaufen. Eine Beschränkung auf Stoffe, die bereits von einer Verordnung nach § 48 Abs. 2 AMG erfasst werden, lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen (vgl. zum Problem Hofmann, aaO, § 48 Rn. 20 mwN). Da es an einer homöopathischen Herstellung mangelte, entfiel die Verschreibungspflicht auch nicht nach § 5 AMVV.
Die Voraussetzungen von § 47 AMG, der die Abgabe apothekenpflichtiger Arzneimittel durch pharmazeutische Unternehmen und Großhändler an andere Empfänger als Apotheken regelt (näher Miller in Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, 3. Aufl., § 47 Rn. 1 mwN), lagen nach den Urteilsfeststellungen ersichtlich nicht vor.
Mit dem Verkauf von GcMAF in Gewinnerzielungsabsicht hat der Angeklagte vorsätzlich Handel mit diesem Arzneimittel getrieben. Eine dem etwa entgegenstehende „Eigenherstellung“ der Arzneimittel durch die abnehmenden Ärzte und Heilpraktiker (vgl. § 13 Abs. 2b AMG) lag nach den Feststellungen des Landgerichts fern. Relevante Fehlvorstellungen hat die Strafkammer rechtsfehlerfrei ausgeschlossen.
c) Zugleich hat sich der Angeklagte mit seinem Verhalten nach § 96 Nr. 4 AMG strafbar gemacht, da er als Verantwortlicher der Einziehungsbeteiligten ohne die erforderliche Erlaubnis das Arzneimittel GcMAF herstellen ließ.
Gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AMG bedarf derjenige einer Erlaubnis der zuständigen Behörde, der Arzneimittel gewerbs- oder berufsmäßig herstellt. Dies traf auf den Angeklagten und die von ihm geleitete Einziehungsbeteiligte zu. Der Angeklagte beherrschte den Herstellungsprozess und sämtliche zur Herstellung erforderlichen Herstellungsschritte sowie die Qualitätskontrolle (vgl. zum Begriff des Herstellens von Arzneimitteln auch BGH, Urteil vom 4. September 2012 - 1 StR 534/11, BGHSt 57, 312 Rn. 24 ff. mwN). Die Abnehmer waren dagegen nicht in vergleichbarer Weise in die Herstellung eingebunden. Die Voraussetzungen des Ausnahmetatbestandes der „Eigenherstellung“ nach § 13 Abs. 2b AMG lagen nach den Feststellungen des Landgerichts deshalb fern. Da die zuständigen Behörden über die relevanten tatsächlichen Umstände im Unklaren gelassen wurden, kam ihrem Verhalten auch kein den Angeklagten entlastender Erklärungswert zu.
d) Die Feststellungen belegen zudem eine Strafbarkeit gemäß § 96 Nr. 5 AMG. Danach ist u.a. strafbar, wer entgegen § 21 Abs. 1 AMG Fertigarzneimittel ohne Zulassung oder ohne Genehmigung der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union in den Verkehr bringt. Auch diese Voraussetzungen (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 AMG, näher dazu Krüger in Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, 3. Aufl., § 4 Rn. 4 ff. mwN) hat die Strafkammer anhand der Zweckbestimmung der Ampullen rechtsfehlerfrei bejaht.
2. Der Schuldspruch bedarf hinsichtlich der Annahme mehrerer tateinheitlicher Taten der Korrektur. Weil sich die zahlreichen Tatbeiträge des Angeklagten insgesamt auf die Einrichtung und das Aufrechterhalten eines Geschäftsbetriebs bezogen, ohne dass sein Handeln einzelnen Taten abgrenzbar zugeordnet werden kann, sind sämtliche Einzelhandlungen nach den Grundsätzen des uneigentlichen Organisationsdelikts zu einer Tat im Rechtssinne zusammenzufassen (vgl. BGH, Beschluss vom 5. August 2021 - 2 StR 307/20 Rn. 27 mwN). Der Senat hat entsprechend § 354 Abs. 1 StPO den Schuldspruch geändert; § 265 StPO steht nicht entgegen, weil sich der Angeklagte insoweit nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können. Auswirkungen auf die Strafzumessung hat dies nicht, da eine veränderte Beurteilung derartiger Konkurrenzen den Schuldgehalt regelmäßig - so auch hier - unberührt lässt.
Vor diesem Hintergrund ist das Urteil trotz der ungewöhnlichen Darstellungsmethode - Einrücken eines von den Unterschriften gedeckten umfangreichen Tabellenwerks nur teilweise verfahrensgegenständlicher Fälle mit Ausführungen zur jeweiligen Beweiswürdigung hinsichtlich der verwendeten Dokumente - noch aus sich heraus verständlich, weil sich den Tabellen die jeweiligen Herstellungszeiten, Herstellungsprozesse, Mengen und Abnehmer detailliert entnehmen lassen. Auf die vom Generalbundesanwalt vermisste Behandlung des Anklagefalls 299 kommt es aufgrund der veränderten Konkurrenzverhältnisse nicht mehr an.
3. Der Strafausspruch weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1159
Bearbeiter: Christian Becker