HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1390
Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 164/24, Beschluss v. 10.07.2024, HRRS 2024 Nr. 1390
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 9. Januar 2024
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte in den Fällen 4.b und 6 der Urteilsgründe jeweils des Handeltreibens mit Cannabis in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Cannabis und in den Fällen 3, 4.a und 5 der Urteilsgründe jeweils des Handeltreibens mit Cannabis schuldig ist,
b) aufgehoben aa) in den Fällen 1, 2 und 7 der Urteilsgründe, bb) in den Aussprüchen über die Einzelstrafen in den Fällen 3, 4.a, 4.b, 5 und 6 der Urteilsgründe und die Gesamtstrafe, jedoch werden die jeweils zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen, Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben in nicht geringer Menge in zwei Fällen sowie wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte führte im Zeitraum zwischen dem 9. und 18. Januar 2023 mit einem gesondert Verfolgten ernsthafte und verbindliche Gespräche über den Ankauf eines Handelsbestandes von 200 Gramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 27,6 Gramm Tetrahydrocannabinol (THC). Das Geschäft kam letztlich nicht zustande, da keine Einigung über den Kaufpreis erzielt werden konnte (Fall 1 der Urteilsgründe).
Am 21. Februar 2023 traf der Angeklagte mit einem Dritten eine verbindliche Vereinbarung über den Verkauf von 200 Gramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 27,6 Gramm THC. Das Geschäft kam erneut nicht zustande, weil sich der Abnehmer einem anderen Käufer zuwandte (Fall 2 der Urteilsgründe).
Am 1. März 2023 erwarb der Angeklagte von einem gesondert Verfolgten einen Handelsbestand von 50 Gramm Marihuana mit einem Mindestwirkstoffgehalt von 6,9 Gramm THC, den er mit Gewinn weiterveräußerte (Fall 3 der Urteilsgründe).
Am 6. März 2023 erwarb der Angeklagte von einem gesondert Verfolgten 500 Gramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von jedenfalls 69 Gramm THC, den er gewinnbringend weiterverkaufte (Fall 4.a der Urteilsgründe).
Ebenfalls am 6. März 2023 traf der Angeklagte mit zwei gesondert Verfolgten eine verbindliche Vereinbarung über den Ankauf eines Handelsbestandes von 6 Kilogramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 480 Gramm THC. Hiervon waren jedenfalls 500 Gramm Marihuana als Handelsmenge für den Angeklagten bestimmt. Dieser beabsichtigte insoweit von einem Mengenrabatt zu profitieren. Die Strafkammer hat keine Feststellungen dazu treffen können, ob das Marihuana tatsächlich übergeben wurde (Fall 4.b der Urteilsgründe).
Am 9. März 2023 erwarb der Angeklagte von einem unbekannten Dritten 1 Kilogramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von jedenfalls 138 Gramm THC, welches er anschließend mit Gewinn weiterveräußerte (Fall 5 der Urteilsgründe).
Am 16. März 2023 erwarb der Angeklagte gemeinsam mit einem gesondert Verfolgten einen Handelsbestand von 5 Kilogramm Marihuana mit einem Mindestwirkstoffgehalt von 690 Gramm THC. Hiervon waren 500 Gramm für den Angeklagten zum Weiterverkauf bestimmt, der insoweit von einem Mengenrabatt profitieren wollte. Von diesem Handelsbestand veräußerte er 250 Gramm gewinnbringend weiter und übergab den Restbestand an den gesondert Verfolgten, der seinen Bestand bereits verkauft hatte. Den Verkauf der restlichen 3,75 Kilogramm Marihuana übernahm in der Folgezeit ein Dritter (Fall 6 der Urteilsgründe).
Am 24. März 2023 traf der Angeklagte mit einem gesondert Verfolgten eine verbindliche Vereinbarung über den Erwerb eines Handelsbestandes von 100 Gramm Haschisch mit einem Wirkstoffgehalt von jedenfalls 20,4 Gramm THC. Das Geschäft kam letztlich nicht zustande (Fall 7 der Urteilsgründe).
Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende materiellrechtliche Nachprüfung des Urteils führt zu dessen Aufhebung in den Fällen 1, 2 und 7 der Urteilsgründe, zu einer Schuldspruchänderung in den Fällen 3, 4.a, 4.b, 5 und 6 der Urteilsgründe sowie zur Aufhebung im gesamten Strafausspruch.
1. Der Schuldspruch hat keinen Bestand, weil das Landgericht den Angeklagten für seinen Umgang mit Marihuana und Haschisch - entsprechend der zum Urteilszeitpunkt geltenden Rechtslage - nach dem Betäubungsmittelgesetz verurteilt hat. Am 1. April 2024 ist jedoch das Gesetz zum Umgang mit Konsumcannabis (Konsumcannabisgesetz - KCanG) vom 27. März 2024 in Kraft getreten (BGBl. 2024 I Nr. 109). Diese Rechtsänderung hat der Senat gemäß § 2 Abs. 3 StGB in Verbindung mit § 354a StPO zu berücksichtigen. Nach ihr unterfällt Cannabis nicht mehr dem Betäubungsmittelgesetz, sondern bestimmt sich die Strafbarkeit der hier zu beurteilenden Taten nach dem Konsumcannabisgesetz (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Mai 2024 - 5 StR 1/24, juris Rn. 4; vom 18. April 2024 - 6 StR 24/24, juris Rn. 5; Patzak/Möllinger, NStZ 2024, 321).
a) Hinsichtlich der Taten 3, 4.a, 4.b, 5 und 6 der Urteilsgründe ist die neue Rechtslage unter dem Konsumcannabisgesetz bei dem nach § 2 Abs. 3 StGB gebotenen Gesamtvergleich im Einzelfall (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 10. August 2023 - 3 StR 412/22, NZWiSt 2024, 187 Rn. 70; vom 8. August 2022 - 5 StR 372/21, BGHSt 67, 130 Rn. 12 f. mwN; Beschluss vom 14. Oktober 1982 - 3 StR 363/82, NStZ 1983, 80; Urteil vom 9. Oktober 1964 - 3 StR 32/64, BGHSt 20, 74, 75; Fischer, StGB, 71. Aufl., § 2 Rn. 8 f.; Schönke/Schröder/Hecker, StGB, 30. Aufl., § 2 Rn. 28 ff. mwN; Patzak/Möllinger, NStZ 2024, 321, 327) günstiger als die nach dem Tatzeitrecht; sie ist daher gemäß § 2 Abs. 3 StGB in Verbindung mit § 354a StPO maßgeblich. Denn der in Betracht kommende Strafrahmen des § 34 Abs. 3 Satz 1 KCanG ist milder als der des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG; zudem hat die Strafkammer minder schwere Fälle nach § 29a Abs. 2 BtMG rechtsfehlerfrei verneint.
Der Senat ändert den Schuldspruch in den Fällen 3, 4.a, 4.b, 5 und 6 der Urteilsgründe deshalb in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO dahin, dass der Angeklagte in den Fällen 4.b und 6 der Urteilsgründe jeweils des Handeltreibens mit Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG) in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG, § 27 StGB) und in den Fällen 3, 4.a und 5 der Urteilsgründe jeweils des Handeltreibens mit Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG) schuldig ist. Die Regelung des § 265 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen, weil sich der geständige Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
b) Eine Schuldspruchänderung durch den Senat scheidet indes in den Fällen 1, 2 und 7 der Urteilsgründe aus. Die Strafkammer hat insoweit jeweils einen minder schweren Fall gemäß § 29a Abs. 2 BtMG angenommen. Ob hinsichtlich dieser Taten das neue Recht nach dem Konsumcannabisgesetz für den Angeklagten bei dem nach § 2 Abs. 3 StGB gebotenen konkreten Gesamtvergleich im Einzelfall günstiger und damit zur Anwendung zu bringen ist oder es ungeachtet der Rechtsänderung bei dem Schuldspruch nach dem Betäubungsmittelgesetz zu verbleiben hat, hängt deshalb davon ab, ob die Taten nach neuem Recht als besonders schwere Fälle (§ 34 Abs. 3 KCanG) zu werten sind - dann wäre das neue Recht nicht milder und gemäß § 2 Abs. 1 StGB das Tatzeitrecht weiter maßgeblich - oder der Grundstrafrahmen des § 34 Abs. 1 KCanG Anwendung findet. Im letztgenannten Fall wäre das neue Recht für den Angeklagten günstiger. Bei dieser Entscheidung handelt es sich um einen Strafzumessungsakt, der allein dem Tatgericht obliegt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. Mai 2024 - 3 StR 154/24, juris Rn. 5; vom 9. Mai 2017 - 4 StR 366/16, NStZ-RR 2017, 240, 241 f.; Urteil vom 24. Juli 2014 - 3 StR 314/13, wistra 2014, 446 Rn. 31; KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 354a StPO Rn. 11). Entgegen dem Vorbringen des Generalbundesanwalts kann nicht mit der gebotenen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die Strafkammer bei Anwendung des Konsumcannabisgesetzes trotz der jeweils nicht geringen Menge des tatgegenständlichen Marihuanas und Haschisch sowie des gewerbsmäßigen Handelns des Angeklagten einen besonders schweren Fall gemäß § 34 Abs. 3 KCanG aufgrund des bloßen „Verbalhandelns“ verneint und die Strafe dem Grundstrafrahmen des § 34 Abs. 1 KCanG entnommen hätte.
Über die Fälle 1, 2 und 7 der Urteilsgründe hat daher ein neues Tatgericht zu befinden.
2. Die Schuldspruchänderung führt zur Aufhebung der Einzelstrafen in den Fällen 3, 4.a, 4.b, 5 und 6 der Urteilsgründe, weil § 34 Abs. 3 Satz 1 KCanG einen erheblich milderen Strafrahmen vorgibt als § 29a Abs. 1 BtMG. Es ist ungeachtet der - unter dem Konsumcannabisgesetz nicht mehr statthaften (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. Mai 2024 - 6 StR 116/24, NStZ-RR 2024, 215, 216; vom 29. April 2024 - 6 StR 132/24, juris Rn. 5) - strafmildernden Berücksichtigung der im Vergleich zu anderen Drogen minderen Gefährlichkeit von Cannabis („weiche Droge“) durch das Landgericht nicht auszuschließen, dass die Strafkammer bei Anwendung des einschlägigen Strafrahmens dieses Gesetzes niedrigere Einzelstrafen gegen den Angeklagten verhängt hätte (§ 337 Abs. 1 StPO). Die Einzelstrafen sind daher neu zu bemessen.
3. Die Urteilsaufhebung in den Fällen 1, 2 und 7 der Urteilsgründe und der Einzelstrafen in den übrigen Fällen zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich.
4. Es bedarf keiner Aufhebung der zugehörigen Feststellungen, soweit das Urteil aufgehoben wird (§ 353 Abs. 2 StPO). Denn diese sind insgesamt frei von Rechtsmängeln getroffen worden. Soweit die Strafkammer zu Gunsten des Angeklagten gewertet hat, dass es sich bei Cannabis um eine weiche Droge handele, und damit einen unter der Geltung des Konsumcannabisgesetzes nicht mehr statthaften Strafzumessungsgrund herangezogen hat, handelt es sich um eine bloße Wertung und keine Tatsachenfeststellung. Das zur neuen Verhandlung und Entscheidung berufene Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, soweit diese den bisherigen nicht widerstreiten.
5. Trotz der Aufhebung des Urteils in den Fällen 1, 2 und 7 der Urteilsgründe hat der Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen Bestand. Denn die Anordnung beruht nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen allein auf den erzielten Verkaufserlösen in den Fällen 3, 4.a, 5 und 6 der Urteilsgründe. Aus den Taten in den Fällen 1, 2 und 7 erlangte der Angeklagte hingegen nichts, da die Geschäfte über den Erwerb von Marihuana und Haschisch letztlich nicht zustande kamen.
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1390
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