HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1382
Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 121/24, Urteil v. 22.08.2024, HRRS 2024 Nr. 1382
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kleve, auswärtige Strafkammer in Moers, vom 4. Dezember 2023, soweit es ihn betrifft,
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der räuberischen Erpressung in Tateinheit mit Raub und mit gefährlicher Körperverletzung schuldig ist;
b) aufgehoben, soweit Entscheidungen über aa) die Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung und bb) die Reihenfolge der Vollstreckung von Strafe und Maßregel unterblieben sind; jedoch bleiben die jeweils zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten der „gemeinschaftlichen“ räuberischen Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen und ihn unter Einbeziehung von zwei Einzelstrafen aus einem Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 26. Mai 2023 und Auflösung der dortigen Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Ferner hat es die mit dem vorbezeichneten Urteil angeordnete Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt aufrechterhalten.
Die auf die nicht ausgeführte allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.
Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen hielt sich der dem örtlichen Drogenmilieu zugehörige Angeklagte zusammen mit einem Mitangeklagten (s. zu diesem BGH, Beschluss vom 14. Mai 2024 - 3 StR 121/24, juris) und einer nicht identifizierten dritten Person am Nachmittag des 24. Februar 2023 an einem Busbahnhof in M. auf. Die drei Personen entschieden sich, gemeinsam den dort wartenden Nebenkläger, der Heroin im Wert von etwa 25 € und eine geringe Menge Bargeld mit sich führte, körperlich anzugreifen und zur Herausgabe beziehungsweise Duldung einer Wegnahme von Betäubungsmitteln und Bargeld zu veranlassen, um das so Erlangte für sich zu verwenden. Der Mitangeklagte und der Dritte traten absprachegemäß von vorne an den Nebenkläger heran und forderten ihn auf, alles herauszugeben, was er bei sich habe. Dieser Forderung verliehen sie dadurch Nachdruck, dass sie ihn beide mehrfach mit der flachen Hand in das Gesicht schlugen. Der Angeklagte hatte sich derweil im Rücken des Geschädigten positioniert. Als der Nebenkläger sich umdrehte, um die Möglichkeit einer Flucht zu prüfen, nahm er den Angeklagten wahr. Dieser sagte zu ihm, „Wegrennen“ bringe nichts, um der Herausgabeforderung Nachdruck zu verleihen. Daraufhin händigte der Nebenkläger dem Mitangeklagten oder dem Dritten das mitgeführte Heroin aus. Gleichzeitig griff der Mitangeklagte oder der Dritte in eine Brusttasche des Nebenklägers und nahm das darin befindliche Bargeld in Höhe von mindestens 25 € an sich; der Geschädigte ließ dies unter dem Eindruck der Gewaltanwendung geschehen. Sodann wandten sich der Angeklagte, der Mitangeklagte und der Dritte zunächst von ihrem Opfer ab.
Als eine in direkter Nähe befindliche Zeugin, die das gesamte Geschehen beobachtet hatte, den Nebenkläger fragte, ob er Hilfe brauche, traten der Mitangeklagte und der Dritte erneut auf ihn zu und forderten ihn auf „abzuhauen“. Sodann schlugen sie unvermittelt mit Fäusten mehrfach in sein Gesicht. Nachdem der Geschädigte dadurch zu Fall gekommen war, trat einer der beiden ihm mindestens einmal kräftig in das Gesicht. Der Angeklagte registrierte, dass die Zeugin ihr Mobiltelefon hervorholte, um die Polizei zu verständigen. Er rief ihr daraufhin zu, sie solle „keine Namen“ nennen, und forderte den Mitangeklagten und den Dritten auf zu fliehen. Alle drei verließen sodann den Busbahnhof.
Der Nebenkläger erlitt durch das Tatgeschehen eine Fraktur des Mittelgesichtsknochens und verlor drei vordere Zähne. Er musste operativ versorgt und stationär in einem Krankenhaus behandelt werden.
1. Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende materiellrechtliche Überprüfung des Urteils hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
2. Der Schuldspruch hat jedoch in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO in zweierlei Hinsicht eine Änderung zu erfahren:
a) Der Angeklagte hat sich auf der Basis der vom Landgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen nicht nur wegen räuberischer Erpressung gemäß § 253 Abs. 1 und 2, §§ 255, 249 Abs. 1, § 25 Abs. 2 StGB sowie tateinheitlich (§ 52 StGB) wegen mittäterschaftlich begangener gefährlicher Körperverletzung in den Varianten der gemeinschaftlichen Tatbegehung gemäß § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB und einer das Leben gefährdenden Behandlung gemäß § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB strafbar gemacht.
Vielmehr ist er auch - in weiterer Tateinheit - des mittäterschaftlich begangenen Raubes gemäß § 249 Abs. 1, § 25 Abs. 2 StGB schuldig. Denn seine Mitstreiter und er veranlassten nicht nur das Tatopfer durch die Gewaltanwendung, das mitgeführte Heroin herauszugeben, sondern nahmen ihm - gemeinschaftlich agierend - zudem unter dem Einsatz körperlicher Gewalt Bargeld ab, um dieses für sich zu verwenden; das diesbezügliche Handeln des Mitangeklagten beziehungsweise Dritten ist dem Angeklagten zuzurechnen.
Raub und räuberische Erpressung sind nach dem äußeren Erscheinungsbild des Tatgeschehens abzugrenzen, und zwar danach, ob der Täter dem Opfer die betreffende Sache unter Anwendung beziehungsweise Androhung körperlicher Gewalt wegnimmt (Raub) oder das Opfer sie ihm eingedenk der Gewaltanwendung beziehungsweise -androhung herausgibt (räuberische Erpressung) (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 12. August 2021 - 3 StR 474/20, juris Rn. 12; Beschluss vom 24. April 2018 - 5 StR 606/17, juris Rn. 13; Urteil vom 22. Oktober 2009 - 3 StR 372/09, NStZ-RR 2010, 46, 48). Die Wegnahme des Bargelds erfüllt mithin den Tatbestand des Raubes. Da es sich bei dem Geld um ein anderes Tatobjekt als das vom Opfer hergegebene Heroin handelt, tritt der Tatbestand des Raubes tateinheitlich zu dem der räuberischen Erpressung hinzu (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2010 - 4 StR 402/10, NStZ 2011, 519, 520; Beschluss vom 12. August 1992 - 3 StR 358/92, BGHR StGB § 249 Abs. 1 Drohung 3; Urteil vom 22. September 1983 - 4 StR 376/83, BGHSt 32, 88, 92 f.; Schönke/Schröder/Bosch, StGB, 30. Aufl., § 255 Rn. 3; Fischer, StGB, 71. Aufl., § 255 Rn. 9; MüKoStGB/Sander, 4. Aufl., § 249 Rn. 43).
Das Verschlechterungsverbot des § 358 Abs. 2 StPO erstreckt sich auf eine Schuldspruchänderung zum Nachteil des Angeklagten nicht (vgl. BGH, Urteil vom 12. September 2023 - 3 StR 306/22, juris Rn. 66; Beschlüsse vom 28. Juni 2023 - 3 StR 123/23, juris Rn. 28; vom 8. Dezember 2021 - 3 StR 308/21, NStZ-RR 2022, 108; KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 358 Rn. 18). Auch § 265 StPO steht ihr nicht entgegen, weil sich der Angeklagte insofern nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
b) Ferner bedarf es keiner Kennzeichnung der mittäterschaftlichen Tatbegehung in der Urteilsformel (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2020 - 3 StR 308/20, juris Rn. 2; MüKoStPO/Maier, 2. Aufl., § 260 Rn. 294; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 260 Rn. 24). Der Senat lässt daher die Bezeichnung der räuberischen Erpressung als „gemeinschaftlich“ entfallen.
3. Zum Nachteil des Angeklagten rechtlich defizitär ist das Urteil insoweit, als die Strafkammer, die - für sich genommen rechtsfehlerfrei - unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 26. Mai 2023 eine nachträgliche Gesamtstrafe gemäß § 55 Abs. 1 StGB gebildet hat, eine mit diesem Urteil getroffene Kompensationsentscheidung unberücksichtigt gelassen hat.
Das Landgericht Mönchengladbach hatte in dem vorgenannten Urteil ausgesprochen, dass wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung von etwa zwei Jahren von der dort verhängten Gesamtfreiheitsstrafe zwei Wochen als vollstreckt gelten. Daher hätte sich die Strafkammer im hiesigen Verfahren zur Kompensation dieser rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung verhalten müssen. Denn wird eine Gesamtstrafe, von der wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung ein Vollstreckungsabschlag gewährt worden ist, nachträglich aufgelöst, so hat das Gericht, das unter Einbeziehung der dieser zu Grunde liegenden Einzelstrafen eine neue Gesamtstrafe zu bilden hat, auch - unter Beachtung des Verschlechterungsverbots - festzusetzen, welcher bezifferte Teil dieser neuen Gesamtstrafe nunmehr aus Kompensationsgründen als vollstreckt anzurechnen ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 2. August 2023 - 5 StR 63/23, juris Rn. 5; vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07, BGHSt 52, 124 Rn. 59; Fischer, StGB, 71. Aufl., § 46 Rn. 140a; MüKoStGB/Maier, 4. Aufl., § 46 Rn. 484). Dies wird nachzuholen sein.
4. Zu Recht hat die Strafkammer die mit dem Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 26. Mai 2023 angeordnete Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) aufrechterhalten. Die Aufrechterhaltung einer Maßregelanordnung aus einer Vorverurteilung bei nachträglicher Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 Abs. 2 StGB hat Vorrang vor einer erneuten Anordnung gemäß § 67f StGB (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. August 2020 - 4 StR 670/19, NStZ-RR 2021, 72, 73; vom 23. November 2017 - 4 StR 477/17, NStZ 2018, 526; Fischer, StGB, 71. Aufl., § 55 Rn. 29b, § 67f Rn. 3) und unabhängig davon zu erfolgen, ob eine solche ohne die nachträgliche Gesamtstrafenbildung nunmehr getroffen worden wäre (vgl. NK-StGB/Frister, 6. Aufl., § 55 Rn. 53).
Dagegen erweist es sich als rechtsfehlerhaft, dass die Strafkammer nicht über einen Vorwegvollzug eines Teils der nunmehr verhängten Gesamtfreiheitsstrafe vor der Unterbringung gemäß § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB entschieden hat. Nach dieser Vorschrift soll das Gericht bei der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt neben einer zeitigen Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren bestimmen, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist. Diese Entscheidung ist - in Abweichung vom Wortlaut des § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB - auch dann zu treffen, wenn nach § 55 Abs. 2 StGB eine bereits bestehende Unterbringungsanordnung aus einer früheren Entscheidung lediglich aufrechterhalten wird und die daneben gemäß § 55 Abs. 1 StGB gebildete nachträgliche Gesamtfreiheitsstrafe drei Jahre übersteigt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 23. November 2017 - 4 StR 477/17, NStZ 2018, 526, 527; vom 4. Juli 2012 - 4 StR 228/12, juris Rn. 2; vom 31. Mai 2011 - 3 StR 132/11, juris Rn. 3; vom 25. November 2010 - 3 StR 406/10, NStZ-RR 2011, 105, 106; Fischer, StGB, 71. Aufl., § 55 Rn. 29b).
Der Angeklagte wird durch eine Entscheidung nach § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB nicht beschwert, sodass eine Nachholung allein auf seine Revision hin ohne Verstoß gegen § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO möglich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 23. November 2017 - 4 StR 477/17, NStZ 2018, 526, 527).
Abschließend weist der Senat darauf hin, dass wegen der bereits vor dem 1. Oktober 2023 rechtskräftig angeordneten Unterbringung gemäß Art. 316o Abs. 1 Satz 1 EGStGB eine etwaige Bestimmung eines Teilvorwegvollzugs einer neuen Gesamtfreiheitsstrafe entgegen § 2 Abs. 6 StGB nicht nach der zu diesem Zeitpunkt in Kraft getretenen neuen Fassung des § 67 StGB, sondern nach altem Recht ergehen, also auf die Möglichkeit einer Entlassung zum Halbstrafenzeitpunkt hin berechnet werden müsste (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Februar 2024 - 2 StR 428/23, NStZ 2024, 350 Rn. 6).
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1382
Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede