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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 988

Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 112/23, Beschluss v. 16.05.2024, HRRS 2024 Nr. 988


BGH 3 StR 112/23 - Beschluss vom 16. Mai 2024 (LG Wuppertal)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Unzulässigkeit bei fristgemäßer Revisionsbegründung); Revisionsbegründung (Zulässigkeit der Verfahrensrüge: Angabe der Verfahrenstatsachen; Angabe der Inhalte des Ablehnungsgesuchs und des zurückweisenden Beschlusses; Berücksichtigungsfähigkeit von Schreiben und Gegenerklärungen während des Revisionsverfahrens); sexuellen Handlung an einem Kind (Körperkontakt; Unerheblichkeit der Wahrnehmung des Geschädigten).

§ 24 StPO; § 44 StPO; § 345 Abs. 1 Satz 1 StPO; § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO; § 345 Abs. 2 StPO; § 349 Abs. 2 StPO; § 176 Abs. 1 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

Für die Verwirklichung des § 176 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 1 StGB ist nicht erforderlich, dass der Täter sein Versprechen erfüllen will oder kann. Es genügte und genügt, wenn das Angebot als ernst gemeint erscheinen kann und der Täter dies in seinen - zumindest bedingten - Vorsatz aufgenommen hat.

Entscheidungstenor

1. Der Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 11. Juli 2022 wird verworfen.

2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen.

3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger Ko. im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in sechs Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Herstellen kinderpornographischer Schriften und in drei Fällen in Tateinheit mit Herstellen kinderpornographischer Schriften oder Inhalte, sowie wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit Herstellen kinderpornographischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Ferner hat er einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist gestellt. Der Wiedereinsetzungsantrag erweist sich als unzulässig. Die Revision des Angeklagten ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Der Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Revisionsbegründungsfrist ist zu verwerfen, weil die Frist nicht versäumt worden ist. Zum einen hat der Verteidiger des Angeklagten eine unter anderem auf die allgemeine Sachrüge gestützte Begründung der Revision gegen das ihm am 5. Oktober 2022 zugestellte Urteil am 25. Oktober 2022 und damit innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 StPO vorgelegt. Zum anderen ist auch die vom inhaftierten Angeklagten selbst zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts am Ort seiner Verwahrung (§ 345 Abs. 2 i.V.m. § 299 Abs. 1 StPO) abgegebene Revisionsbegründung, mit der er die Sachrüge ausgeführt hat, innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 StPO abgegeben worden. Denn diese endete, weil der Fristablauf (5. November 2022) auf einen Sonnabend fiel, gemäß § 43 Abs. 2 StPO erst am Montag, dem 7. November 2022. An diesem Tag wurde die Niederschrift durch den Urkundsbeamten des Amtsgerichts aufgenommen; das genügt gemäß § 299 Abs. 2 StPO zur Fristwahrung (vgl. MüKoStPO/Allgayer, 2. Aufl., § 299 Rn. 9). Überdies kommt es für die Revisionsbegründung des Angeklagten selbst auf die Einhaltung der Frist des § 345 Abs. 1 StPO nicht an, weil (ergänzende) Ausführungen zu einer bereits wirksam erhobenen allgemeinen Sachrüge nicht fristgebunden sind und bis zur Entscheidung des Revisionsgerichts angebracht werden können (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. Februar 2021 - 6 StR 326/20, juris Rn. 6; vom 19. Februar 2019 - 3 StR 525/18, juris Rn. 2; KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 344 Rn. 25; MüKoStPO/Knauer/Kudlich, § 345 Rn. 6; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 352 Rn. 8). Da der Wiedereinsetzungsantrag des Angeklagten mithin auf eine unmögliche Rechtsfolge gerichtet ist, stellt er sich als unzulässig dar (vgl. BGH, Beschlüsse vom 31. Oktober 2023 - 3 StR 342/23, juris Rn. 2; vom 14. Juli 2021 - 3 StR 185/21, NStZ-RR 2021, 344).

2. Die mit der Revisionsbegründung des Verteidigers erhobene Verfahrensrüge, das Landgericht habe einen Befangenheitsantrag gegen die psychiatrische Sachverständige (§ 74 Abs. 1 i.V.m. § 24 Abs. 2 StPO) rechtsfehlerhaft abgelehnt, ist unzulässig, weil sie den Darlegungsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht genügt. Denn weder das Ablehnungsgesuch noch der dieses zurückweisende Beschluss der Jugendkammer sind vom Revisionsführer vorgelegt oder zumindest in ihrem Inhalt vollständig mitgeteilt worden. Das aber wäre erforderlich gewesen, um dem Senat eine Überprüfung der Entscheidung auf Rechtsfehler zu ermöglichen (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Januar 2018 - 1 StR 437/17, NJW 2018, 1030 Rn. 9; KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 344 Rn. 39, 43, 47; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 74 Rn. 21; MüKoStPO/Trück, 2. Aufl., § 74 Rn. 25).

3. Die auf die ausgeführte allgemeine Sachrüge veranlasste umfassende materiellrechtliche Überprüfung des Urteils lässt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen.

Der Erörterung bedarf über die Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts hinaus lediglich Folgendes:

a) Zwar nennt das Urteil einerseits im Rahmen der rechtlichen Würdigung auch die Tat Nr. 14 der Anklageschrift als eine von denen, die keine Strafbarkeit des Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern begründeten, weil ein Eindringen in den Körper des Nebenklägers nicht sicher habe festgestellt werden können. Andererseits hat die Jugendkammer den Angeklagten wegen dieser Tat des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern schuldig gesprochen und - entsprechend einem diesbezüglichen Geständnis des Angeklagten - bei der Schilderung des Tatgeschehens in den Urteilsgründen (Fall II. 12. der Urteilsgründe) ausgeführt, der Angeklagte habe seinen Penis in den Mund des Nebenklägers eingeführt. Diese Diskrepanz gefährdet den Bestand des Urteils aber entgegen dem Revisionsvorbringen des Angeklagten nicht. Denn bei der erwähnten Nennung auch des Vorwurfs zu Nr. 14 der Anklageschrift handelt es sich um ein offensichtliches Fassungsversehen.

b) Zu Recht hat die Jugendkammer im Fall II. 14. der Urteilsgründe das Ejakulieren des Angeklagten auf das nackte Gesäß des Nebenklägers als Vornahme einer sexuellen Handlung an einem Kind gemäß § 176 Abs. 1 StGB gewertet. Denn das Aufbringen von Ejakulat auf einen nackten Körperteil einer anderen Person stellt einen hinreichenden Körperkontakt dar (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Februar 2024 - 3 StR 499/23, juris Rn. 4; Urteil vom 9. Juli 2014 - 2 StR 13/14, BGHSt 59, 263 Rn. 18; Beschluss vom 19. Dezember 2008 - 2 StR 383/08, BGHSt 53, 118 Rn. 8 f.; Urteil vom 20. Mai 1992 - 2 StR 73/92, BGHR StGB § 178 Abs. 1 Sexuelle Handlung 4). Zudem ist für die Strafbarkeit unerheblich, ob das Opfer die Einwirkung wahrnimmt und als sexuell motiviert versteht (vgl. BGH, Urteil vom 10. März 2016 - 3 StR 437/15, BGHSt 61, 173 Rn. 8; Schönke/Schröder/Eisele, 20. Aufl., § 184h Rn. 18 mwN; Fischer, StGB, 71. Aufl., § 176 Rn. 7; LK/Hörnle, StGB, 13. Aufl., § 176 Rn. 10; MüKoStGB/Hörnle, 4. Aufl., § 184h Rn. 11).

c) Nicht zu beanstanden ist, dass die Jugendkammer den Angeklagten in drei Fällen tateinheitlich des Herstellens kinderpornographischer Schriften oder Inhalte schuldig gesprochen, also im Schuldspruch Schriften und Inhalte alternativ benannt hat. Denn zu den drei betreffenden Taten, bei denen der Angeklagte Videoaufnahmen von seinem sexuellen Missbrauch des Nebenklägers anfertigte, hat keine exakte Tatzeit, sondern nur die Zeit zwischen dem 24. Dezember 2019 und einzeln benannten Tagen im Frühjahr 2021 als Spanne festgestellt werden können, in der die Taten begangen wurden. Der einschlägige Straftatbestand des § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB wurde zum 1. Januar 2021, also innerhalb dieses Zeitraums, dahin geändert, dass der Begriff „Schriften“ durch die Bezeichnung „Inhalte“ ersetzt wurde; die Strafandrohung blieb unverändert. Eine Änderung in Gestalt einer erhöhten Strafandrohung erfuhr die Strafvorschrift erst mit Wirkung zum 1. Juli 2021, mithin später als die hiesigen Taten. Keine der beiden zeitlich in Betracht kommenden Fassungen der Strafnorm erweist sich als für den Angeklagten vorteilhaft, so dass nicht zu seinen Gunsten Tatbegehungen vor oder nach dem 1. Januar 2021 anzunehmen gewesen sind. Angesichts dessen ist gegen die alternative Tatbezeichnung nichts zu erinnern.

d) Die Verurteilung des Angeklagten im Fall II. 17. der Urteilsgründe wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176 Abs. 5 Variante 1 aF StGB durch das Anbieten eines Kindes zur Vornahme sexueller Handlungen an diesem lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Ein tatbestandsmäßiges Anbieten - sowohl im Sinne des § 176 Abs. 5 Variante 1 StGB aF als auch im Sinne der inhaltsgleichen Nachfolgevorschrift § 176 Abs. 1 Nr. 3 Alternative 1 StGB nF - liegt vor, wenn der Täter gegenüber einer anderen Person ausdrücklich oder konkludent erklärt, er sei willens und in der Lage, ein bestimmtes - allerdings nicht notwendigerweise anhand der Erklärung identifizierbares - Kind für sexuelle Handlungen zur Verfügung zu stellen (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2012 - 4 StR 381/12, BGHR StGB § 176 Abs. 5 Anbieten 1 Rn. 5; Fischer, StGB, 71. Aufl., § 176 Rn. 10). Dies erfolgte jeweils. Das vom Angeklagten im Rahmen eines Internetchats seinem Kommunikationspartner zum sexuellen Missbrauch angebotene Kind war hinreichend bestimmt, denn es ging um den Nebenkläger Ko. .

Unerheblich ist, dass die Jugendkammer nicht hat feststellen können, ob der Angeklagte sein Angebot ernst meinte und tatsächlich ein Zusammentreffen seines Chatpartners mit dem feilgebotenen Kind organisieren wollte oder - wie er es geltend gemacht hat - in dem Chat nur (wahrheitswidrig) vorgab, das Kind zur Vornahme sexueller Handlungen an diesem zur Verfügung stellen zu wollen und zu können. Denn für die Verwirklichung des § 176 Abs. 5 Variante 1 StGB aF war - und dasselbe gilt für die Nachfolgevorschrift § 176 Abs. 1 Nr. 3 Alternative 1 StGB nF - nicht erforderlich, dass der Täter sein Versprechen erfüllen will oder kann. Es genügte und genügt, wenn das Angebot als ernst gemeint erscheinen kann und der Täter dies in seinen - zumindest bedingten - Vorsatz aufgenommen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2012 - 4 StR 381/12, BGHR StGB § 176 Abs. 5 Anbieten 1 Rn. 5, 225; Fischer, StGB, 71. Aufl., § 176 Rn. 10). Das ist von der Strafkammer festgestellt und tragfähig belegt worden.

e) Die umfangreichen handschriftlich verfassten Schreiben, die der Angeklagte während des Revisionsverfahrens, aber vor Antragstellung des Generalbundesanwalts an diesen gerichtet und mit denen er ohne Rücksicht auf die begrenzte Prüfungskompetenz des Revisionsgerichts seine Sicht der Dinge erläutert hat, können keine Beachtung finden. Denn sie genügen nicht den Formerfordernissen des § 345 Abs. 2 StPO, die auch für nachgereichte (weitere) Ausführungen zu einer formgerecht erhobenen Sachrüge gelten (vgl. BGH, Urteil vom 16. Januar 1973 - 1 StR 567/72, juris Rn. 8; LR/Franke, StPO, 26. Aufl., § 345 Rn. 16; KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 345 Rn. 11; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 345 Rn. 10). Die vom Angeklagten selbst verfassten und vorgelegten Gegenerklärungen gemäß § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO hat der Senat demgegenüber berücksichtigt, denn für diese gilt § 345 Abs. 2 StPO nicht (vgl. LR/Franke, StPO, 26. Aufl., § 349 Rn. 20; KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 349 Rn. 20; MüKoStPO/Knauer/Kudlich, § 349 Rn. 46; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 349 Rn. 17). Unerheblich ist, dass sie erst nach Ablauf der Frist des § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO abgegeben worden sind.

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 988

Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede