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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 932

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 185/21, Beschluss v. 14.07.2021, HRRS 2021 Nr. 932


BGH 3 StR 185/21 - Beschluss vom 14. Juli 2021 (LG Oldenburg)

Fristwahrung bei Rechtsmittel durch inhaftierten Rechtsmittelführer (Ausschöpfung bis zum letzten Tag; Berücksichtigung von organisatorischem Aufwand; Zumutbarkeit).

§ 299 StPO; § 341 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Zwar darf eine Rechtsmittelfrist grundsätzlich bis zum letzten Tag ausgeschöpft werden. Allerdings hat der Rechtsmittelführer dabei den zeitlichen und organisatorischen Aufwand in Rechnung zu stellen, dessen es bedarf, damit die Rechtsmittelerklärung in der gesetzlich vorgeschriebenen Form innerhalb der Frist gegenüber der zuständigen Stelle abgegeben wird.

2. Ein inhaftierter Rechtsmittelführer kann wegen des jeweiligen organisatorischen Aufwands für die Justizvollzugsanstalt und das Gericht nicht darauf vertrauen, dass ihm zu jeder Zeit und innerhalb kürzester Frist auf ein Rechtsmittel bezogene Erklärungen gemäß § 299 Abs. 1 StPO zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts, in dessen Bezirk er untergebracht ist, ermöglicht werden können. Eine Beeinträchtigung der Prozessgrundrechte eines inhaftierten Rechtsmittelführers aus Art. 103 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG ist damit nicht verbunden; auch einem Inhaftierten ist es zuzumuten, die ihm möglichen Maßnahmen zur Vermeidung anstaltsbedingter Verzögerungen bei der fristgebundenen Rechtsmittelbegründung zu ergreifen.

Entscheidungstenor

Der Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 7. Januar 2021 wird verworfen.

Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Gegen das Urteil richtet sich die auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel sowie der von dem Angeklagten zudem gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist haben keinen Erfolg.

1. Der vom Angeklagten selbst gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist unzulässig, weil das Rechtsmittel vom Verteidiger rechtzeitig begründet worden ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Juli 2021 - 4 StR 498/20, juris Rn. 2; vom 26. März 2019 - 2 StR 511/18, BGHR StPO § 341 Frist 2 Rn. 2; vom 29. Januar 2019 - 2 StR 416/18, juris Rn. 2; vom 11. Oktober 2017 - 5 StR 377/17, juris Rn. 1; vom 3. Juli 2012 - 4 StR 126/12, juris Rn. 2; vom 21. Dezember 2011 - 4 StR 553/11, juris Rn. 2).

Eine Wiedereinsetzung ist hier auch nicht ausnahmsweise - etwa zur Anbringung weiterer Verfahrensrügen oder Gewährung rechtlichen Gehörs - deshalb geboten, weil der in Untersuchungshaft befindliche Angeklagte geltend macht, er habe seine Revision gemäß § 345 Abs. 2 StPO selbst zu Protokoll der Geschäftsstelle begründen wollen und hierzu einen Antrag auf Vorführung vor das Amtsgericht am Ort seiner Inhaftierung nach § 299 Abs. 1 StPO gestellt, dem aber nicht innerhalb der Revisionsbegründungsfrist entsprochen worden sei.

Denn auch insofern ist der Wiedereinsetzungsantrag unzulässig. Zum einen hat der Angeklagte die versäumte Handlung - eine Revisionsbegründung zu Protokoll der Geschäftsstelle - entgegen § 45 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht nachgeholt und auch nicht vorgebracht, dass er sich nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist vergeblich weiter um eine Vorführung nach § 299 Abs. 1 StPO zur Anbringung einer weiteren Revisionsbegründung neben derjenigen seines Verteidigers bemüht habe.

Zum anderen hat der Angeklagte entgegen § 45 Abs. 2 StPO keinen Sachverhalt vorgetragen, aus dem sich sein fehlendes Verschulden (§ 44 Satz 1 StPO) an der Versäumung der Frist ergibt (vgl. zu diesem Darlegungserfordernis BGH, Beschlüsse vom 27. Juni 2017 - 2 StR 129/17, NStZ-RR 2017, 285; vom 12. März 2014 - 1 StR 74/14, juris Rn. 3; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 45 Rn. 5a). Vielmehr trifft den Angeklagten schon nach seinem Vorbringen eigene Schuld daran, dass er seine Revision nicht fristgemäß zu Protokoll der Geschäftsstelle begründet hat. Denn die Revisionsbegründungsfrist lief - wie dem Angeklagten bekannt war - am 9. April 2021 ab. Er hat jedoch erst am 7. April 2021 und damit zwei Tage vor Fristablauf in der Justizvollzugsanstalt, in der er inhaftiert ist, um eine Vorführung an das örtliche Amtsgericht nach § 299 Abs. 1 StPO ersucht. Dies war eingedenk der von der Justizvollzugsanstalt und dem zuständigen Gericht zu treffenden organisatorischen Vorkehrungen offensichtlich zu spät (vgl. KG, Beschluss vom 30. Juni 2008 - (4) 1 Ss 249/08, NStZ-RR 2009, 19; OLG Hamm, Beschluss vom 28. Mai 2015 - 1 Vollz (Ws) 248/15, NStZ-RR 2015, 327; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 44 Rn. 12c, § 299 Rn. 8).

Zwar darf eine Rechtsmittelfrist grundsätzlich bis zum letzten Tag ausgeschöpft werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 370/84, BVerfGE 69, 381, 385; BGH, Beschluss vom 12. März 2014 - 1 StR 74/14, juris Rn. 6). Allerdings hat der Rechtsmittelführer dabei den zeitlichen und organisatorischen Aufwand in Rechnung zu stellen, dessen es bedarf, damit die Rechtsmittelerklärung in der gesetzlich vorgeschriebenen Form innerhalb der Frist gegenüber der zuständigen Stelle abgegeben wird. Ein inhaftierter Rechtsmittelführer kann wegen des jeweiligen organisatorischen Aufwands für die Justizvollzugsanstalt und das Gericht nicht darauf vertrauen, dass ihm zu jeder Zeit und innerhalb kürzester Frist auf ein Rechtsmittel bezogene Erklärungen gemäß § 299 Abs. 1 StPO zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts, in dessen Bezirk er untergebracht ist, ermöglicht werden können (BGH, Beschluss vom 12. März 2014 - 1 StR 74/14, juris Rn. 6; KG, Beschluss vom 30. Juni 2008 - (4) 1 Ss 249/08, NStZ-RR 2009, 19; OLG Hamm, Beschluss vom 28. Mai 2015 - 1 Vollz (Ws) 248/15, NStZ-RR 2015, 327; Thüringer OLG, Beschluss vom 29. Oktober 2007 - 1 Ws 356/07, juris). Eine Beeinträchtigung der Prozessgrundrechte eines inhaftierten Rechtsmittelführers aus Art. 103 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG ist damit nicht verbunden; auch einem Inhaftierten ist es zuzumuten, die ihm möglichen Maßnahmen zur Vermeidung anstaltsbedingter Verzögerungen bei der fristgebundenen Rechtsmittelbegründung zu ergreifen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. August 1990 - 2 BvR 641/90, juris Rn. 3; BGH, Beschluss vom 12. März 2014 - 1 StR 74/14, juris Rn. 6).

2. Die Revision ist aus den vom Generalbundesanwalt in der Antragsschrift vom 18. Juni 2021 dargelegten Gründen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Das Vorbringen in der Gegenerklärung des Verteidigers des Angeklagten vom 8. Juli 2021 greift demgegenüber nicht durch.

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 932

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2021, 344; StV 2022, 789; StV 2021, 800

Bearbeiter: Christian Becker