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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 893

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 121/22, Beschluss v. 12.07.2022, HRRS 2022 Nr. 893


BGH 3 StR 121/22 - Beschluss vom 12. Juli 2022 (LG Mönchengladbach)

Verbindung von Strafsachen (örtliche und sachliche Zuständigkeit; Vereinbarung der beteiligten Gerichte).

§ 4 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

Die Verbindung von Strafsachen, die nicht nur die örtliche, sondern auch die sachliche Zuständigkeit betrifft, kann nicht durch eine Vereinbarung der beteiligten Gerichte nach § 13 Abs. 2 Satz 1 StPO vorgenommen werden. Eine solche Verbindung kann vielmehr in den Fällen, in denen die verschiedenen Gerichte nicht alle zu dem Bezirk des ranghöheren gehören, gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 StPO nur durch Entscheidung des gemeinschaftlichen oberen Gerichts herbeigeführt werden.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 14. Januar 2022, soweit es ihn betrifft,

dahin geändert, dass der Angeklagte des besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig ist und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet wird;

aufgehoben

in Fall II. 4. der Urteilsgründe mit den zugehörigen Feststellungen;

im Ausspruch über die Einzelstrafe zu Fall II. 1. der Urteilsgründe und über die Gesamtstrafe; jedoch bleiben die jeweils zugehörigen Feststellungen bestehen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen

a) hinsichtlich Fall II. 4. der Urteilsgründe an das Amtsgericht - Schöffengericht - Geilenkirchen,

b) im Übrigen an eine andere Strafkammer des Landgerichts, die auch über die Kosten des Rechtsmittels zu entscheiden hat.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen eines in Mönchengladbach begangenen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Fall II. 1. der Urteilsgründe) sowie wegen einer in Ü. begangenen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Fahren ohne Fahrerlaubnis (Fall II. 4. der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet; von der Bestimmung eines vorweg zu vollziehenden Teils der Strafe hat es abgesehen.

Dagegen wendet sich der Angeklagte mit der nicht ausgeführten Rüge formellen Rechts und der Sachrüge. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg.

I.

1. Die Verurteilung des Angeklagten in Bezug auf Fall II. 4. der Urteilsgründe kann nicht bestehen bleiben, weil das Landgericht für die Entscheidung sachlich nicht zuständig war. Dieser Mangel ist gemäß § 6 StPO vom Revisionsgericht von Amts wegen zu beachten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. Mai 1990 - 4 StR 177/90, BGHR StPO § 4 Verbindung 3; vom 1. Dezember 2005 - 4 StR 426/05, juris Rn. 3).

Die Staatsanwaltschaft Aachen hatte wegen dieser Tat Anklage zum Amtsgericht - Schöffengericht - Geilenkirchen erhoben, das sie zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet hatte. Nachdem die Vorsitzende des Schöffengerichts erfahren hatte, dass gegen den Angeklagten ein Verfahren vor dem Landgericht Mönchengladbach anhängig war und Bereitschaft bestand, das Verfahren „zu übernehmen“, hat sie es dorthin abgegeben. Durch Beschluss vom 19. April 2021 hat das Landgericht dieses zu dem bei sich anhängigen Verfahren verbunden.

Dieser Verbindungsbeschluss ist unwirksam, da er nicht von dem hierfür zuständigen Gericht erlassen worden ist. Die Verbindung von Strafsachen, die nicht nur die örtliche, sondern auch die sachliche Zuständigkeit betrifft, kann nicht durch eine Vereinbarung der beteiligten Gerichte nach § 13 Abs. 2 Satz 1 StPO vorgenommen werden. Eine solche Verbindung kann vielmehr in den Fällen, in denen - wie im vorliegenden Fall - die verschiedenen Gerichte nicht alle zu dem Bezirk des ranghöheren gehören, gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 StPO nur durch Entscheidung des gemeinschaftlichen oberen Gerichts - hier des Bundesgerichtshofs - herbeigeführt werden (vgl. BGH, Urteil vom 30. August 1968 - 4 StR 335/68, BGHSt 22, 232, 234; Beschlüsse vom 21. März 2000 - 1 StR 609/99, NStZ 2000, 435 f.; vom 7. April 2005 - 3 StR 347/04, NStZ 2005, 464 Rn. 1). Daran fehlt es. Die Sache ist insoweit nicht bei dem Landgericht Mönchengladbach rechtshängig geworden. Es besteht daher hinsichtlich dieser Tat ein Verfahrenshindernis, das zwar zu einer Teilaufhebung des Urteils, nicht jedoch zur Verfahrenseinstellung führt, da die Rechtshängigkeit des Verfahrens bei dem Amtsgericht - Schöffengericht - Geilenkirchen fortbesteht, eine Einstellung dieses Verfahren beenden würde und danach kein Raum für eine Sachentscheidung, gleich durch welches Gericht, verbliebe. Das Verfahren ist daher entsprechend § 355 StPO, soweit es Fall II. 4. der Urteilsgründe betrifft, an das weiterhin zuständige Amtsgericht Geilenkirchen zurückzuverweisen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. Juli 1995 - 2 StR 74/95, BGHR StPO § 4 Verbindung 9; vom 16. April 1996 - 4 StR 80/95, - NStZRR 1996, 232; vom 1. Dezember 2005 - 4 StR 426/05, juris Rn. 4; vom 11. Juli 2013 - 3 StR 166/13, NStZRR 2013, 378).

2. Bereits der Wegfall der Verurteilung in Fall II. 4. der Urteilsgründe zieht die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe nach sich.

II.

Zum Strafausspruch gilt im Übrigen Folgendes:

Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen ist der Angeklagte nach Begehung der unter Fall II. 4. der Urteilsgründe festgestellten Tat zwei weitere Male verurteilt worden, nämlich am 1. April 2020 durch das Amtsgericht Geilenkirchen zu einer, noch nicht vollständig gezahlten, Geldstrafe von 60 Tagessätzen und am 20. Mai 2020 durch das Amtsgericht Mönchengladbach unter anderem zu einer, zwischenzeitlich vollstreckten, Freiheitsstrafe von sechs Monaten.

Die den Vorverurteilungen zu Grunde liegenden Tatzeiten werden nicht mitgeteilt, es liegt aber nahe, dass der Angeklagte die dem Urteil des Amtsgerichts Mönchengladbach zu Grunde liegende Tat bereits vor der Entscheidung des Amtsgerichts Geilenkirchen am 1. April 2020 begangen hatte und mithin diese Tat, die als Fall II. 1. der Urteilsgründe festgestellte Tat und die vom Amtsgericht Geilenkirchen abgeurteilte Tat gesamtstrafenfähig sind (§ 55 Abs. 1 6 7 8 Satz 1 StPO). Die Härte, die darin läge, dass die bereits vollstreckte Strafe aus dem Erkenntnis des Amtsgerichts Mönchengladbach nicht mehr einbezogen werden kann, ist dann bei der Gesamtstrafenbildung auszugleichen (vgl. BGH, Urteile vom 23. Januar 1985 - 1 StR 645/84, BGHSt 33, 131, 132 f.; vom 2. Mai 1990 - 3 StR 59/89, NStZ 1990, 436; Beschluss vom 23. Juli 2020 - 3 StR 224/20, juris Rn. 11).

Zwar sind die Strafzumessungserwägungen zu Fall II. 1. der Urteilsgründe für sich materiellrechtlich nicht zu beanstanden. Der Ausspruch über diese Strafe kann aber gleichwohl keinen Bestand haben, da das Landgericht erneut gemäß § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB davon absehen könnte, die vom Amtsgericht Geilenkirchen verhängte Geldstrafe in eine Gesamtstrafe einzubeziehen. Die sich für den Angeklagten ergebende Härte, dass die Bildung einer Gesamtstrafe dann gänzlich ausschiede, weil die Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Mönchengladbach bereits vollstreckt ist (§ 55 Abs. 1 StGB), müsste - ausnahmsweise (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 1982 - 4 StR 75/82, BGHSt 31, 102, 104) - bei der Bemessung der Strafe für den verbleibenden Fall II. 1. der Urteilsgründe ausgeglichen werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. November 2010 - 4 StR 441/10, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 20 Rn. 6; vom 2. Dezember 2015 - 4 StR 423/15, juris Rn. 2).

III.

Die Sache ist an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO), welche die Strafe für Fall II. 1. der Urteilsgründe zu bemessen und die Bildung einer nachträglichen Gesamtfreiheitsstrafe zu prüfen hat. Die zugehörigen Feststellungen bleiben von den aufgezeigten Rechtsfehlern unberührt, sodass sie gemäß § 353 Abs. 2 StPO aufrechterhalten werden können. Weitergehende Feststellungen, die den bislang getroffenen nicht widersprechen, sind möglich.

Die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer wird ein besonderes Augenmerk auf das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) zu richten haben, aus dem sich der Grundsatz ergibt, dass dem revidierenden Angeklagten der durch die fehlerhafte Anwendung des § 55 Abs. 1 StGB erlangte Vorteil nicht wieder genommen werden darf (vgl. BGH, Beschluss vom 24. November 2020 - 3 StR 360/20, NStZ-RR 2021, 42, 43).

Sollte der Angeklagte die dem Erkenntnis des Amtsgerichts Mönchengladbach zu Grunde liegende Tat erst nach dem Urteil des Amtsgerichts Geilenkirchen begangen haben, so bildete das erste Urteil auch dann eine Zäsur, wenn das Landgericht von der Einbeziehung einer Geldstrafe in eine Gesamtfreiheitsstrafe gemäß § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB absehen würde (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Dezember 1983 - 1 StR 148/83, BGHSt 32, 190, 194; Urteil vom 12. August 1998 - 3 StR 537/97, BGHSt 44, 179, 184). Da die in Mönchengladbach ausgeurteilte Freiheitsstrafe in diesem Fall nicht gesamtstrafenfähig wäre (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juni 1988 - 4 StR 164/88, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz Zäsurwirkung 4), würde der Umstand nicht zu einem Härteausgleich nötigen, dass diese Strafe bereits vollstreckt ist.

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 893

Bearbeiter: Christian Becker