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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 28

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 360/20, Beschluss v. 24.11.2020, HRRS 2021 Nr. 28


BGH 3 StR 360/20 - Beschluss vom 24. November 2020 (LG Trier)

Betäubungsmittelstrafrecht (Besitz; Einfuhr; Konkurrenzen; Tateinheit; Tatmehrheit; auffangtatbestand); Wiedereinbeziehungsentscheidung nach Einstellung; nachträgliche Gesamtstrafenbildung.

§ 29 BtMG; § 29a BtMG; § 30a BtMG; § 154a StPO; § 55 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Beim Tatbestand des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG handelt es sich um einen Auffangtatbestand, der zurücktritt gegenüber sonstigen Begehungsweisen, die zu Verbrechen erhoben wurden und in § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG aufgeführt sind, sowie gegenüber Straftaten, die seit jeher als Verbrechen eingestuft waren oder mit einer höheren Mindeststrafe bedroht sind. Zu letztgenannten Delikten zählt nicht nur die Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG, sondern erst recht als deren qualifizierte Form die bewaffnete Einfuhr von Betäubungsmitteln nach § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Trier vom 29. Juni 2020

im Schuldspruch dahin geändert, dass er der bewaffneten Einfuhr von Betäubungsmitteln schuldig ist,

im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten ?der bewaffneten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz derselben? schuldig gesprochen und ihn unter Einbeziehung der mit Urteil des Amtsgerichts Saarbrücken vom 12. November 2019 festgesetzten Einzelstrafe nach Auflösung der dort nachträglich gebildeten Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sieben Monaten verurteilt. Ferner hat es ausgesprochen, dass die weitere in die vormalige Gesamtstrafe einbezogene Einzelstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Saarbrücken vom 28. Februar 2019 bestehen bleibt. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Der Schuldspruch bedarf der Änderung dahin, dass der Angeklagte der bewaffneten Einfuhr von Betäubungsmitteln schuldig ist und die Verurteilung wegen tateinheitlichen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge entfällt.

a) Nach den vom Landgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen verbrachte der Angeklagte am späten Abend des 8. September 2019 als Beifahrer des von einem Freund gesteuerten Pkw insgesamt 110,74 g Marihuana und Haschisch mit einer Wirkstoffmenge von 10,51 g THC von den Niederlanden kommend über Belgien nach Deutschland. Die Drogen waren für den Eigenkonsum bestimmt. Unter dem Beifahrersitz befand sich zugriffsbereit ein Baseballschläger, der zumindest auch dem Schutz des Rauschgifts diente, von dem der Angeklagte den größeren Teil im Handschuhfach des Fahrzeugs und den anderen Teil in seinem Rucksack verstaut hatte. Eine am 10. September 2019 durchgeführte Durchsuchung seiner Wohnräume führte zum Auffinden von 1,59 g Haschisch mit einer Wirkstoffmenge von 0,327 g THC sowie eines cannabishaltigen Joints.

b) Durch das mit dem Baseballschläger abgesicherte Verbringen der 110,74 g Marihuana und Haschisch in das Bundesgebiet machte sich der Angeklagte wegen bewaffneter Einfuhr von Betäubungsmitteln nach § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG strafbar. Der Aufnahme des Zusatzes „in nicht geringer Menge“ in die Urteilsformel bedarf es nicht, weil der Qualifikationstatbestand des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG stets voraussetzt, dass die Tat eine solche Menge zum Gegenstand hat (s. - für das bewaffnete Handeltreiben - BGH, Beschluss vom 15. September 2020 - 3 StR 205/20, juris Rn. 3 mwN).

c) Die Feststellungen tragen nicht die Verurteilung des Angeklagten wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG. Das gilt unabhängig davon, ob, was sich dem Urteil nicht sicher entnehmen lässt, das in den Wohnräumen aufgefundene Cannabis (1,59 g Haschisch und cannabishaltiger Joint) in die rechtliche Bewertung des Landgerichts miteinbezogen worden ist.

aa) Zwar erfüllte das Verbringen des Marihuanas und Haschischs in das Bundesgebiet auch den Tatbestand des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG. Hierbei handelt es sich jedoch um einen Auffangtatbestand, der zurücktritt gegenüber sonstigen Begehungsweisen, die zu Verbrechen erhoben wurden und in § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG aufgeführt sind, sowie gegenüber Straftaten, die seit jeher als Verbrechen eingestuft waren oder mit einer höheren Mindeststrafe bedroht sind; zu letztgenannten Delikten zählt nicht nur die Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG (s. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2016 - 3 StR 534/15, juris Rn. 3; Urteil vom 20. Juni 2018 - 5 StR 68/18, NStZ 2019, 95 Rn. 8), sondern erst recht als deren qualifizierte Form die bewaffnete Einfuhr von Betäubungsmitteln nach § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG.

bb) Die Feststellungen zu dem am 10. September 2019 in den Wohnräumen des Angeklagten aufgefundenen Cannabis tragen nur seine Verurteilung wegen Besitzes von Betäubungsmitteln nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BtMG, weil die Wirkstoffmenge den Grenzwert zur nicht geringen Menge nicht erreicht. Der Angeklagte hätte diesen Straftatbestand tatmehrheitlich (§ 53 StGB) verwirklicht, wenn er sich das Rauschgift erst nach seiner Wiedereinreise verschafft hätte, dagegen tateinheitlich (§ 52 StGB), wenn er es bereits zu diesem Zeitpunkt aufbewahrt hätte (vgl. BGH, Urteil vom 16. Oktober 2014 - 3 StR 268/14, NStZ-RR 2015, 14, 15; Weber, BtMG, 5. Aufl., § 29 Rn. 1388 mwN; zur Bestimmung der für die rechtliche Bewertung maßgeblichen Mengen vgl. - entsprechend zum Verhältnis von Handeltreiben und Eigenverbrauch - BGH, Beschluss vom 19. September 2001 - 3 StR 268/01, BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Konkurrenzen 5; Weber aaO, § 29a Rn. 202 ff. mwN).

In beiden Fällen unterlag die in der Wohnung aufbewahrte Rauschgiftmenge allerdings nicht der Kognitionsbefugnis des Landgerichts:

(1) Sollte sich der Angeklagte das Rauschgift erst verschafft haben, nachdem er die Einfuhrtat begangen hatte, fehlte es an den Verfahrensvoraussetzungen der wirksamen Anklageerhebung und des wirksamen Eröffnungsbeschlusses. Denn beim Verfassen der Anklageschrift hat sich der Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft nicht auf eine andere Tat als diejenige vom 8. September 2019 bezogen. Der Fund vom 10. September 2019 wird im Anklagesatz zwar erwähnt, aber nicht als eigene Straftat bewertet. Vielmehr hat die Staatsanwaltschaft mit ihrer Abschlussverfügung die „Strafverfolgung ... gemäß §§ 154, 154a StPO vorläufig beschränkt auf die in der Anklageschrift aufgeführten Straftaten und Straftatbestände“, nämlich bewaffnetes Handeltreiben mit und bewaffnete Einfuhr von Betäubungsmitteln.

(2) Sollte der Angeklagte das in den Wohnräumen aufgefundene Rauschgift bereits während der Einfuhrtat besessen haben, wäre es zwar von der Anklage und dem Eröffnungsbeschluss umfasst. Denn dann läge nicht nur eine materiellrechtliche (s. oben 1. c) bb)), sondern auch eine einheitliche prozessuale Tat (§ 264 Abs. 1 StPO) vor. Gleichwohl wäre § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BtMG nach § 154a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO aus dem Verfahren ausgeschieden. Das Landgericht hat insoweit keine Wiedereinbeziehungsentscheidung gemäß § 154a Abs. 3 Satz 1 StPO getroffen. Der in der Hauptverhandlung erteilte Hinweis, der Angeklagte könne sich ?möglicherweise auch wegen bewaffneter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge? strafbar gemacht haben, kann nicht als eine solche Entscheidung beurteilt werden. Denn ein gerichtlicher Hinweis nach § 265 Abs. 1 StPO genügt den Anforderungen des § 154a Abs. 3 Satz 1 StPO nur dann, wenn die Einbeziehung für die Verfahrensbeteiligten unmissverständlich zum Ausdruck gebracht wird und den durch die Beschränkungsverfügung geschaffenen Vertrauenstatbestand beseitigt (vgl. BGH, Urteil vom 11. Juni 1975 - 3 StR 35/75, NJW 1975, 1748, 1749; Beschluss vom 18. Mai 1994 - 2 StR 169/94, NStZ 1994, 495). Vorliegend bezieht sich der Hinweis inhaltlich gerade nicht auf den Grundtatbestand des Betäubungsmittelbesitzes; außerdem wird nicht deutlich, auf welchen von der Strafkammer in Betracht gezogenen tatsächlichen Umständen die dort vorgenommene rechtliche Neubewertung beruht.

2. Der Strafausspruch hält in zweierlei Hinsicht sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand; dies betrifft die für die abgeurteilte Tat festgesetzte Einzelfreiheitsstrafe und die nachträglich gebildete Gesamtfreiheitstrafe:

a) Die Strafkammer hat die Einzelstrafe aufgrund einer Gesamtbetrachtung der bestimmenden Strafzumessungsumstände dem für den minder schweren Fall der bewaffneten Einfuhr von Betäubungsmitteln vorgesehenen Strafrahmen des § 30a Abs. 3 BtMG entnommen. Im Rahmen der konkreten Strafzumessung hat sie - in den Urteilsgründen durch Bezugnahme auf die Ausführungen zur Anwendbarkeit des Sonderstrafrahmens - strafschärfend berücksichtigt, der Angeklagte habe „zwei Delikte tateinheitlich verwirklicht“ (UA S. 19). Dieser Erwägung begegnen durchgreifende rechtliche Bedenken. Wie ausgeführt (s. oben 1. c) aa)), steht hier der Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nicht im Konkurrenzverhältnis der Tateinheit zur bewaffneten Einfuhr von Betäubungsmitteln, sondern wird durch sie verdrängt. Als Auffangtatbestand kommt dem Besitz neben der Einfuhr kein eigener Unwert zu.

Die Einzelstrafe beruht auf dem Rechtsfehler (§ 337 Abs. 1 StPO). Es ist nicht auszuschließen, dass die Strafkammer eine niedrigere Freiheitstrafe verhängt hätte, wenn sie vom zutreffenden Schuldspruch ausgegangen wäre.

b) Es erweist sich als rechtsfehlerhaft, dass das Landgericht nachträglich eine Gesamtstrafe gebildet hat.

aa) Mit rechtskräftigem Urteil vom 28. Februar 2019 - vor der hier abgeurteilten Tat - hatte das Amtsgericht Saarbrücken den Angeklagten wegen Abgabe von Betäubungsmitteln an einen Minderjährigen zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Mit rechtskräftigem Urteil vom 12. November 2019 - nach der hier abgeurteilten Tat - hatte dasselbe Gericht ihn der gefährlichen Körperverletzung schuldig gesprochen; dieses Delikt hatte er vor der ersten Vorverurteilung verübt. Das Amtsgericht hatte deswegen eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verhängt; diese Strafe hatte es mit derjenigen aus dem vorangegangenen Erkenntnis auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und elf Monaten wiederum unter Strafaussetzung zur Bewährung zurückgeführt.

bb) Die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 StGB für die nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe haben - wie das Landgericht selbst in den Urteilsgründen richtiggestellt hat (UA S. 20) - nicht vorgelegen.

Der Angeklagte beging die hier abgeurteilte Tat zwischen den zwei ihrerseits untereinander gesamtstrafenfähigen Vorverurteilungen. In diesem Fall darf aus der neuen und der letzten Strafe keine Gesamtstrafe gebildet werden. Es gilt: Wurde zwar die eine neue Strafe nach sich ziehende Tat vor einer rechtskräftigen Vorverurteilung begangen, lag dieser aber eine Tat zugrunde, die wiederum vor einer (nicht erledigten) vorausgegangenen Vorverurteilung begangen wurde, hat die zeitlich erste Entscheidung ihrerseits Zäsurwirkung, nicht hingegen die zweite. Das spätere Erkenntnis hat gesamtstrafenrechtlich keine eigenständige Bedeutung; denn es wäre nicht ergangen, wenn mit dem früheren Erkenntnis die Taten aus beiden Entscheidungen geahndet worden wären (s. BGH, Beschluss vom 7. Dezember 1983 - 1 StR 148/83, BGHSt 32, 190, 193; Urteil vom 12. August 1998 - 3 StR 537/97, BGHSt 44, 179, 180 f.; Beschluss vom 8. Juni 2016 - 4 StR 73/16, NStZ-RR 2016, 275 f.; LK/Rissing-van Saan/Scholze, StGB, 13. Aufl., § 55 Rn. 15).

cc) Durch die vom Landgericht vorgenommene nachträgliche Bildung der Gesamtfreiheitsstrafe ist der Angeklagte schon deshalb beschwert, weil es eine Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt war, zu Unrecht in eine nicht mehr bewährungsfähige Gesamtfreiheitsstrafe einbezogen hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Januar 1992 - 1 StR 744/91, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Begehung 2; vom 8. Dezember 1995 - 2 StR 584/95, juris Rn. 5; Sander, NStZ 2016, 656, 663). Dies kommt einem Widerruf der Strafaussetzung (§ 56f StGB) gleich, über den im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden ist.

3. Im Umfang der Aufhebung bedarf die Sache erneuter Prüfung. Die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer wird ein besonderes Augenmerk auf das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) zu legen haben, aus dem sich der Grundsatz ergibt, dass dem revidierenden Angeklagten der durch die fehlerhafte Anwendung des § 55 Abs. 1 StGB erlangte Vorteil nicht wieder genommen werden darf (s. BGH, Beschlüsse vom 8. Dezember 1995 - 2 StR 584/95, juris Rn. 6; vom 8. Juni 2016 - 4 StR 73/16, NStZ-RR 2016, 275, 276).

Die Aufhebung des Strafausspruchs umfasst auch die vom Landgericht angeordnete Auflösung der Gesamtfreiheitstrafe aus dem Urteil vom 12. November 2019. Deshalb muss - entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts - nicht erneut darüber befunden werden, auf welche Gesamtstrafe die zwei Strafen aus den Vorverurteilungen zurückgeführt werden. Allerdings folgt aus dem Verschlechterungsverbot, dass es dem neuen Tatgericht nicht gestattet ist, die für die hier abgeurteilte Tat zu bestimmende Einzelstrafe auf mehr als zwei Jahre und acht Monate Freiheitsstrafe zu bemessen. Denn diese Strafe und die (zu keinem Zeitpunkt rechtskräftig aufgelöste) Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und elf Monaten aus der benannten Vorverurteilung dürfen in der Addition die Dauer von 55 Monaten (Summe aus der im ersten Rechtsgang nachträglich gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sieben Monaten sowie der aufrechterhaltenen Freiheitsstrafe von einem Jahr aus dem Urteil vom 28. Februar 2019) nicht übersteigen.

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 28

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2021, 42; StV 2021, 448

Bearbeiter: Christian Becker