HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 935
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 203/21, Beschluss v. 27.07.2021, HRRS 2021 Nr. 935
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kleve vom 8. März 2021 dahin ergänzt und geändert, dass
die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt vor seiner Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollstreckt wird;
die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 41.100 € angeordnet wird, wobei er für einen Teilbetrag von 20.000 € als Gesamtschuldner haftet; der Ausspruch über die Aufrechterhaltung der durch das Urteil des Amtsgerichts Kleve vom 18. Juni 2019 (13 Ls - 305 Js 3/17 - 32/18) in Verbindung mit dem Urteil des Landgerichts Kleve vom 14. Oktober 2019 (210 Ns 9/19) angeordneten Einziehung von 13.600 € aus dem Vermögen des Angeklagten entfällt.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Raubes in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen unter Auflösung einer Gesamtfreiheitsstrafe und Einbeziehung der Einzelstrafen aus einem Urteil des Landgerichts Kleve vom 17. September 2019 sowie aus einem Urteil des Amtsgerichts Kleve vom 18. Juni 2019 in Verbindung mit einem Urteil des Landgerichts Kleve vom 14. Oktober 2019 unter Freispruch im Übrigen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt, eine Kompensationsentscheidung wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung getroffen, die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung und die Einziehung von Wertersatz in Höhe von 27.500 € angeordnet. Zudem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt sowie die Einziehung von 13.600 € aus dem Vermögen des Angeklagten aufrechterhalten, die in dem einbezogenen Urteil des Amtsgerichts Kleve vom 18. Juni 2019 in Verbindung mit dem Urteil des Landgerichts Kleve vom 14. Oktober 2019 angeordnet worden waren. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel führt zur Festsetzung der Vollstreckungsreihenfolge der nebeneinander angeordneten freiheitsentziehenden Maßregeln und einer Teilkorrektur der Einziehungsentscheidung; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Das Landgericht hat zwar rechtsfehlerfrei die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet und die Anordnung seiner Unterbringung in einer Entziehungsanstalt aus dem Urteil des Amtsgerichts Kleve vom 18. Juni 2019 in Verbindung mit dem Urteil des Landgerichts Kleve vom 14. Oktober 2019 zu Recht aufrechterhalten (§ 55 Abs. 2 StGB). Es hat aber entgegen § 72 Abs. 3 Satz 1 StGB nicht die Reihenfolge der Vollstreckung der beiden freiheitsentziehenden Maßregeln bestimmt. Diese setzt der Senat wie aus der Beschlussformel ersichtlich gemäß § 354 Abs. 1 analog StPO fest.
Die Unterbringung in der Entziehungsanstalt ist grundsätzlich vor der Sicherungsverwahrung zu vollstrecken, weil eine erfolgreiche Entziehungskur die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Vollstreckung der Sicherungsverwahrung zur Bewährung (§ 67c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB) oder jedenfalls günstigere Voraussetzungen für die Resozialisierung in der Sicherungsverwahrung schaffen kann und jener „ultima ratio-Charakter“ zukommt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. Januar 2015 - 5 StR 473/14, NStZ 2015, 210; vom 16. Februar 2016 - 1 StR 624/15, juris Rn. 2 f.; LK/Valerius, StGB, 13. Aufl., § 72 Rn. 39; s. auch BGH, Beschluss vom 21. Dezember 1994 - 3 StR 347/94, BGHR StGB § 63 Konkurrenzen 3 zum Verhältnis von § 63 StGB und § 66 StGB). Gründe, die im vorliegenden Fall ausnahmsweise für eine andere Vollstreckungsreihenfolge sprechen könnten, sind nicht ersichtlich.
2. Die Einziehungsanordnung ist in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO teilweise zu ändern.
a) Die Aufrechterhaltung der in dem Urteil des Amtsgerichts Kleve vom 18. Juni 2019 in Verbindung mit dem Urteil des Landgerichts Kleve angeordneten Einziehung von 13.600 € war nicht auszusprechen.
Liegen die Voraussetzungen des § 55 StGB vor, sind Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen gleicher Art grundsätzlich durch das spätere Urteil einheitlich anzuordnen, so dass über sie durch das Gericht zu entscheiden ist, das auch über die nachträgliche Gesamtstrafe befindet. Dieses ist dabei an die Rechtskraft der ursprünglichen Entscheidung gebunden. Sofern die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für die (weitere) Vollstreckung vorliegen, ist die frühere Einziehungsentscheidung in das neue Urteil einzubeziehen. Dies geschieht - trotz des auf die Aufrechterhaltung der früheren Entscheidung gerichteten Wortlauts des § 55 Abs. 2 StGB - durch das Zusammenzählen der Beträge aus der früheren und der aktuellen Einziehungsentscheidung. Damit wird die Einziehungsanordnung in dem früheren Urteil gegenstandlos im Sinne des § 55 Abs. 2 StGB und bedarf keiner Aufrechterhaltung; die entsprechende Anordnung entfällt (vgl. BGH, Beschluss vom 1. August 2019 - 4 StR 477/18, juris Rn. 18 f. mwN; Urteile vom 29. Mai 2008 - 3 StR 94/08, NStZ-RR 2008, 275, 276; vom 22. Mai 2003 - 4 StR 130/03, BGHR StGB § 55 Abs. 2 Aufrechterhalten 7; Fischer, StGB, 68. Aufl., § 55 Rn. 29, 30; Matt/Renzikowski/Bußmann, StGB, 2. Aufl., § 55 Rn. 31).
Der Senat setzt den einheitlich einzuziehenden Betrag auf 41.100 € fest, also auf die Summe der rechtskräftigen Einziehungsentscheidung aus dem Urteil des Amtsgerichts Kleve vom 18. Juni 2019 in Verbindung mit dem Urteil des Landgerichts Kleve vom 14. Oktober 2019 in Höhe von 13.600 € und dem Einziehungsbetrag aus den verfahrensgegenständlichen Taten in Höhe von insgesamt 27.500 €, nämlich 7.500 € aus Fall II. Ziff. 2 der Urteilsgründe und 20.000 € aus Fall II. Ziff. 3 der Urteilsgründe.
b) Zudem ist der Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen zugunsten des Angeklagten dahin zu ergänzen, dass er in Höhe eines Teilbetrages von 20.000 € als Gesamtschuldner haftet.
Nach den zu Fall II. Ziff. 3 der Urteilsgründe getroffenen Feststellungen beging er diese Tat mit einem unbekannt gebliebenen Mittäter und erlangte Mitverfügungsgewalt an der Tatbeute in der vorgenannten Höhe, so dass beide im Rahmen der Einziehung gesamtschuldnerisch haften (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juli 2020 - 2 StR 46/20, NStZ 2021, 37 Rn.14). Die Kennzeichnung der Gesamtschuldnerschaft in der Urteilsformel dient dazu, das mehrfache Einziehen der Taterträge zu verhindern. Ihr steht nicht entgegen, dass nicht alle Tatbeteiligten identifiziert worden sind; der individuellen Benennung der anderen Gesamtschuldner bedarf es nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2020 - 3 StR 308/20, juris Rn. 3; Urteil vom 4. Oktober 2018 - 3 StR 283/18, NZWiSt 2019, 225, 229; Beschluss vom 18. Juli 2018 - 2 StR 245/18, juris Rn. 10 mwN).
3. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils keinen dem Angeklagten nachteiligen Rechtsfehler ergeben.
4. Angesichts des geringen Teilerfolgs der Revision ist es nicht unbillig, den Angeklagten mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).
HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 935
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2021, 303
Bearbeiter: Christian Becker