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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1200

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 46/20, Urteil v. 15.07.2020, HRRS 2020 Nr. 1200


BGH 2 StR 46/20 - Urteil vom 15. Juli 2020 (LG Köln)

Einziehung von Taterträgen bei Tätern und Teilnehmern (Erlangter Vermögenswert: Maßstab; tatsächliches Herrschaftsverhältnis bei Kurierfahrten).

§ 73 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Vermögenswert im Rechtssinne aus der Tat erlangt, wenn er dem Täter oder Teilnehmer unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestands in irgendeiner Phase des Tatablaufs so zugeflossen ist, dass er hierüber tatsächliche Verfügungsgewalt ausüben kann. Bei mehreren Beteiligten ist ausreichend, aber auch erforderlich, dass sie zumindest eine faktische bzw. wirtschaftliche Mitverfügungsmacht über den Vermögensgegenstand haben. Dies ist der Fall, wenn sie im Sinne eines rein tatsächlichen Herrschaftsverhältnisses ungehinderten Zugriff auf ihn nehmen können. Unerheblich ist bei der gebotenen gegenständlichen (tatsächlichen) Betrachtungsweise dagegen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Täter oder Teilnehmer eine unmittelbar aus der Tat gewonnene (Mit)Verfügungsmacht später aufgegeben hat und der zunächst erzielte Vermögenszuwachs durch Mittelabflüsse etwa bei Beuteteilung gemindert wurde.

2. Zum Vorliegen eines tatsächlichen Herrschaftsverhältnisses bei Kurierfahrten mit erbeuteten Geldbeträge.

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 5. September 2019 dahin geändert, dass gegen den Angeklagten die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 36.500 Euro als Gesamtschuldner angeordnet wird.

Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten verurteilt. Darüber hinaus hat es die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 1.500 Euro angeordnet.

Die Revision der Staatsanwaltschaft, die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützt und vom Generalbundesanwalt vertreten wird, richtet sich gegen die Höhe der Einziehungsentscheidung und führt zu den aus dem Tenor ersichtlichen Änderungen.

I.

Nach den Feststellungen beteiligte sich der Angeklagte als sogenannter Abholer an Betrugsstraftaten zum Nachteil älterer Menschen mit dem Modus operandi „Falscher Polizeibeamter“.

Hinter diesen Taten stehen regelmäßig aus der Türkei agierende, professionell organisierte Tätergruppierungen, die arbeitsteilig vorgehen. Von der Türkei aus führen von eigens zu diesem Zweck eingerichteten Call-Centern aus sogenannte Keiler Telefonate mit den meist älteren Opfern. Darin geben sie sich als Polizeibeamte aus und täuschen den Angerufenen vor, diese stünden im Visier einer Einbrecherbande, die es auf ihr Vermögen abgesehen habe. Den älteren Menschen wird daher dringend geraten, ihr Vermögen alsbald durch die Polizei sichern zu lassen. Unter dem irrigen Eindruck, es handele sich tatsächlich um Anrufe echter Polizeibeamter, werden die Opfer dazu veranlasst, ihr auf der Bank befindliches Geld abzuheben und es auf Weisung der Anrufer zwecks Abholung und Sicherung durch die Polizei an einem bestimmten Ort zu deponieren. Parallel dazu koordinieren die „Logistiker“ die Abholung der Tatbeute und deren Weiterleitung in die Türkei, indem sie „Abholer“ rekrutieren und diese instruieren, die von den Opfern deponierten Vermögenswerte abzuholen und nach näherer Weisung an weitere Tatbeteiligte weiterzugeben.

Über einen Schulfreund lernte der Angeklagte im Jahr 2018 eine Person namens C. kennen, die nach dem oben beschriebenen Modus operandi als „Logistiker“ in Deutschland tätig war und den in finanziellen Schwierigkeiten befindlichen Angeklagten im Einvernehmen mit den Hintermännern in der Türkei für die Aufgabe des „Abholers“ rekrutierte. C. erläuterte dem Angeklagten, dass er für einen Lohn von 500 Euro etwas abholen und anschließend woanders abliefern müsse. Hierzu übergab er ihm ein Mobiltelefon, über das C. dem Angeklagten die Adresse nennen werde, zu der er fahren solle. Fragen solle er keine stellen, sondern lediglich den durchgegebenen Anweisungen nachkommen. Dafür solle der Angeklagte 500 Euro erhalten.

Taten 1 bis 3 der Urteilsgründe:

Zwischen dem 16. Januar 2019 und dem 28. Januar 2019 gab sich ein „Keiler“ aus der Tätergruppierung, zu der auch C. gehörte, in mehreren Telefonaten gegenüber den betagten Geschädigten V. und E. als Polizeibeamter aus und täuschte ihnen vor, ihr Vermögen sei durch Einbrecherbanden in Gefahr. Er wies sie an, ihr Bargeld zum Zweck der Sicherung durch die Polizei an einem bestimmten Ort zur Abholung bereit zu legen. Die den Informationen vertrauenden und verängstigten Geschädigten kamen der Aufforderung nach. Die Geschädigten V. deponierten 3.500 Euro, der Geschädigte E. zunächst 15.000 Euro, zwei Tage später nach einem erneuten Anruf weitere 18.000 Euro an dem vom „Keiler“ vorgegebenen Ort.

Parallel zu den Telefonaten wurde der Angeklagte von C. telefonisch beauftragt, die Abholung der Geldbeträge durchzuführen und auf weitere Anweisungen über das ihm übergebene Mobiltelefon zu warten. Von einer ihm unbekannten Person, einem „Logistiker“ aus der Türkei, erhielt er telefonisch die Zielanschriften, zu denen er sich mit seinem Pkw begab. Währenddessen kontaktierte der Logistiker mehrfach den Angeklagten auf dem ihm zur Tatausführung übergebenen Mobiltelefon, um dessen Standort und ungefähre Ankunftszeit am Tatort abzufragen. Dabei war dem Angeklagten jeweils klar, dass es sich um Betrugsstraftaten zum Nachteil älterer Menschen handelte. In Kenntnis und Billigung des Tatplans ließ er sich auf die weitere Durchführung der Tat ein und befolgte alle weiteren Anweisungen des Anrufers.

Vor Ort führte der „Logistiker“ in der Türkei jeweils ein längeres Telefonat mit dem Angeklagten, welches während des eigentlichen Abholvorgangs zwecks Informationsaustauschs durchgehend aufrechterhalten wurde. Unmittelbar nachdem die Geschädigten das Bargeld am vorgegebenen Ort abgelegt hatten, nahm der Angeklagte es an sich. Kurz darauf meldete sich der „Logistiker“ aus der Türkei erneut über das Mobiltelefon beim Angeklagten. Zunächst teilte er ihm jeweils lediglich eine Postleitzahl mit, zu der der Angeklagte die Beute zwecks Weiterleitung bringen sollte. Als der Angeklagte sich dem Zielort näherte, gab ihm der „Logistiker“ in weiteren Telefonaten die konkrete Adresse durch. Der Angeklagte hielt sich stets an die Anweisungen, brachte das Geld unverzüglich zu den angegebenen Übergabeorten und übergab die Beute an weitere Tatbeteiligte. Im Gegenzug erhielt er jeweils seinen Beuteanteil in Höhe von 500 Euro pro Abholung.

Tat 4 der Urteilsgründe:

Am 7. Februar 2019 kontaktierte ein „Keiler“ aus derselben Tätergruppierung die Geschädigte B. und veranlasste diese nach demselben modus operandi zur Hinterlegung ihres Sparguthabens in Höhe von 28.745 Euro. Wie in den anderen Fällen wurde der Angeklagte als „Abholer“ eingesetzt und zur Weiterleitung des Geldes instruiert. Nachdem der Angeklagte das Geld abgeholt hatte, konnte er auf dem Weg zu seinem Fahrzeug von vor Ort eingesetzten Polizeikräften gestellt und festgenommen werden. Das bei ihm aufgefundene Bargeld gelangte vollständig an die Geschädigte zurück.

Bei seiner Einziehungsentscheidung ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der Angeklagte insgesamt lediglich 1.500 Euro für seine Tätigkeit erlangt habe. Auf den Gesamtwert der Tatbeute hat es nicht abgestellt, da der Angeklagte weder die genaue Höhe der jeweiligen Tatbeute gekannt habe noch an der Beuteteilung beteiligt worden sei. Außerdem sei ihm in der Funktion als Bote die Tatbeute lediglich kurzfristig und vorübergehend überlassen worden.

II.

Die Revision der Staatsanwaltschaft, die wirksam auf die Höhe der Einziehungsentscheidung beschränkt ist (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juni 2010 - 4 StR 126/10, BGHSt 55, 174, 175 f.; Urteil vom 13. November 2019 - 5 StR 343/19, BeckRS 2019, 31922), hat Erfolg und führt zur Abänderung der Einziehungsentscheidung. Das Landgericht ist rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass der Angeklagte nur die ihm verbliebene Belohnung als Taterträge erlangt hat.

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Vermögenswert im Rechtssinne aus der Tat erlangt, wenn er dem Täter oder Teilnehmer unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestands in irgendeiner Phase des Tatablaufs so zugeflossen ist, dass er hierüber tatsächliche Verfügungsgewalt ausüben kann. Bei mehreren Beteiligten ist ausreichend, aber auch erforderlich, dass sie zumindest eine faktische bzw. wirtschaftliche Mitverfügungsmacht über den Vermögensgegenstand haben. Dies ist der Fall, wenn sie im Sinne eines rein tatsächlichen Herrschaftsverhältnisses ungehinderten Zugriff auf ihn nehmen können. Unerheblich ist bei der gebotenen gegenständlichen (tatsächlichen) Betrachtungsweise dagegen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Täter oder Teilnehmer eine unmittelbar aus der Tat gewonnene (Mit)Verfügungsmacht später aufgegeben hat und der zunächst erzielte Vermögenszuwachs durch Mittelabflüsse etwa bei Beuteteilung gemindert wurde (vgl. etwa BGH, Urteil vom 12. Juli 2018 - 3 StR 144/18, juris Rn. 10 mwN).

2. Gemessen daran hatte der Angeklagte faktische (Mit-)Verfügungsgewalt über die bei den Taten 1, 2 und 3 der Urteilsgründe erlangten Bargeldbeträge inne.

Der Angeklagte nahm in allen Fällen in seiner Funktion als „Abholer“ in Absprache mit den übrigen Mittätern die von den Geschädigten bereitgelegten Geldbeträge an sich, wodurch die Tatbeute jeweils unmittelbar in seine Verfügungsgewalt gelangte. Währenddessen stand er zwar mit anderen Mittätern in telefonischem Kontakt, war aber - entsprechend dem Tatplan - jeweils alleine am Tatort. Absprachegemäß und nach konkreter telefonischer Vorgabe transportierte er das an sich gebrachte Geld mit seinem Pkw über eine längere Strecke zu den für die Weiterleitung in die Türkei zuständigen Mitgliedern der Tätergruppierung. Während der längeren Zeiträume der Transportfahrten hatte er unter Ausschluss der anderen Tatbeteiligten im Sinne eines rein tatsächlichen Herrschaftsverhältnisses - jedenfalls vorübergehend - ungehinderten Zugriff auf die erbeuteten Geldbeträge (vgl. Senat, Beschluss vom 21. August 2018 - 2 StR 311/18, juris Rn. 11; BGH, Urteil vom 6. März 2019 - 5 StR 543/18, juris Rn. 12; Urteil vom 9. Oktober 2019 - 1 StR 170/19, juris Rn. 13). Dass der Angeklagte die genaue Höhe der Tatbeute nicht kannte und ihm die Adresse, an der er die Tatbeute abzuliefern hatte, sukzessive telefonisch mitgeteilt wurde, spielt angesichts der gebotenen gegenständlichen (tatsächlichen) Betrachtungsweise (vgl. etwa BGH, Urteil vom 24. Mai 2018 - 5 StR 623/17, BeckRS 2018, 13566; Urteil vom 5. Juni 2019 - 5 StR 670/18, BeckRS 2019, 11778) keine entscheidende Rolle. Nach den festgestellten Tatabläufen liegen die Ausnahmekonstellationen eines nur kurzfristigen, für einen anderen ausgeübten Besitzes oder einer lediglich botenmäßigen Weiterleitung der Tatbeute nicht vor.

Ob der Angeklagte auch bei Tat 4, in der er die Beute nur kurzzeitig in Besitz hatte, (Mit)Verfügungsgewalt besaß, kann dahinstehen, da der von ihm abgeholte Geldbetrag jedenfalls vollständig zum Geschädigten zurückgelangt ist (§ 73e Abs. 1 StGB).

3. Aufgrund der Urteilsfeststellungen kann der Senat die Höhe des einzuziehenden Wertes der Taterträge des vom Angeklagten Erlangten entsprechend § 354 Abs. 1 StPO selbst festsetzen. Der festgesetzte Betrag in Höhe von 36.500 Euro setzt sich aus dem Wert der insgesamt erlangten Beute zusammen. In dieser Höhe haftet der Angeklagte mit den weiteren Mittätern als Gesamtschuldner.

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1200

Externe Fundstellen: NStZ 2021, 221; NStZ 2021, 37; NStZ 2021, 160; StV 2021, 709

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner