HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 995
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 172/17, Urteil v. 27.07.2017, HRRS 2017 Nr. 995
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 24. November 2016 werden verworfen.
Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft sowie die dem Angeklagten dadurch und durch die Revision des Nebenklägers entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt. Der Nebenkläger trägt die Kosten seines Rechtsmittels. Die im Revisionsverfahren entstandenen gerichtlichen Auslagen tragen die Staatskasse und der Nebenkläger je zur Hälfte.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung und wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und ihn im Übrigen freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger beanstanden mit ihren jeweils auf die Sachrüge gestützten Revisionen die Ablehnung des Tötungsvorsatzes. Die Staatsanwaltschaft wendet sich darüber hinaus gegen den Teilfreispruch. Die Rechtsmittel sind nicht begründet.
Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen konsumiert der Angeklagte seit seiner Jugend in erheblichem Umfang Alkohol und Betäubungsmittel und leidet unter einer Alkohol- und einer Cannabisabhängigkeitserkrankung. Am Tattag, dem 11. Februar 2016, trank der Angeklagte mit dem mit ihm befreundeten Zeugen J. Bier sowie Wodka und rauchte mit ihm einen aus einer Kräutermischung bestehenden Joint. Ein weiterer Freund übergab dem Zeugen J. zur Begleichung von Schulden ein Paket, das zwei Macheten und zwei Wurfmesser enthielt. Am Abend begaben sich der Angeklagte und J. in ein Obdachlosenwohnheim in K., das in unmittelbarer Nähe zu einem Asylbewerberheim gelegen ist. Dort öffnete J. das Paket und zeigte den Anwesenden den Inhalt. Der Angeklagte und J. riefen sodann sinngemäß, dass sie jetzt „rübergingen“ und Asylanten bzw. Ausländer „abschlachten“, „umbringen“, „fertig machen“ oder „platt machen“ würden. Sie verließen sodann jeweils mit einer Machete in der Hand das Obdachlosenwohnheim; J. ließ sich jedoch zur Umkehr überreden. Der Angeklagte, bei dem keine Anhaltspunkte dafür bestanden, er gehöre der politisch rechts einzuordnenden Szene an, betrat das Asylbewerberheim und ging in das erste Obergeschoss. Dort rief er wiederholt: „Heil Hitler!", „Scheiß Ausländer!", „Sieg Heil!", „Schaut's dass ihr euch aus unserem Land verpisst's!" und „Arschlöcher!". Er schlug mit der Machete und trat mit den Füßen mehrmals gegen eine von innen abgesperrte Wohnungseingangstür. Hierdurch wurde der Nebenkläger, der sich in der Wohnung aufhielt, aufmerksam und öffnete die Tür um etwa 30 Zentimeter. In diesem Moment schlug der Angeklagte, der mit einem Öffnen der Tür durch einen Bewohner rechnete und dessen gegebenenfalls lebensgefährdende Verletzungen billigend in Kauf nahm, erneut mit der Machete waagrecht auf Brust- bzw. Bauchhöhe in Richtung der Tür. Der Nebenkläger schloss diese jedoch, als er die Machete auf sich zukommen sah, so dass der Schlag nur die Tür traf. Nachdem der Nebenkläger sie mit Hilfe eines weiteren Bewohners versperrt hatte, schrie der Angeklagte: „Mach die Tür auf! Scheiße!" und schlug erneut gegen diese. Spätestens jetzt hätte er erkennen können und müssen, dass er den Nebenkläger durch sein Verhalten in Angst und Schrecken versetzen sowie dazu veranlassen konnte, aus dem Fenster zu springen und sich dabei zu verletzen. Der Nebenkläger begab sich ins Badezimmer, beugte sich aus dem Fenster und warnte die Mitbewohner. Sodann kletterte er aus dem Fenster auf einen Mauervorsprung und sprang von dort auf die 2,80 Meter tiefer gelegene Straße. Hierdurch erlitt er Bauchbeschwerden und eine Kontusion im Bereich des rechten Kniegelenks.
Anschließend kehrte der Nebenkläger in das Asylbewerberheim zurück, um den Angeklagten aus dem Haus zu locken, und rief ihm zu, er solle kommen. Daraufhin begab sich der Angeklagte nach unten und folgte dem zurückweichenden Nebenkläger auf die Straße. Als der Nebenkläger ins Stolpern geriet, näherte sich der Angeklagte ihm bis auf einen Abstand von ungefähr einem Meter, holte mit der Machete etwa auf Schulterhöhe seitlich aus und schlug in Richtung des linken Oberkörpers des Nebenklägers. Dabei nahm er eine lebensgefährliche Verletzung zumindest billigend in Kauf. Der Nebenkläger konnte dem Schlag jedoch ausweichen und dem Angeklagten einen Stoß versetzen, so dass dieser stürzte und die Machete aus der Hand verlor. Anschließend fixierten zwei Zeugen den am Boden liegenden und „Ich bin Deutschland“ rufenden Angeklagten bis zum Eintreffen der Polizei. Nach seiner Festnahme fiel der Angeklagte durch einen torkelnden Gang, eine verwaschene Aussprache und Unruhe auf. Seine Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit betrug etwa drei Promille; infolge der Alkoholisierung war seine Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert.
Der Angeklagte hat sich im Wesentlichen dahin eingelassen, sich an das konkrete Tatgeschehen nicht erinnern zu können. Das Landgericht hat aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme nicht die Überzeugung davon gewonnen, dass der Angeklagte bei den Schlägen mit der Machete mit Tötungsvorsatz handelte.
Vom Vorwurf der Volksverhetzung (§ 130 StGB) in Tateinheit mit Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86a StGB) hat die Strafkammer den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Insoweit hat sie sich nicht davon zu überzeugen vermocht, dass der Angeklagte vor oder nach dem Geschehen in dem Asylbewerberwohnheim auf der Straße ausländerfeindliche Rufe tätigte. Hinsichtlich der vom Angeklagten in dem Wohnheim gerufenen Parolen hat sie nicht als erwiesen angesehen, dass der Angeklagte davon ausging, diese seien über den Bewohnerkreis der Unterkunft hinaus hörbar.
I. Revision der Staatsanwaltschaft
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg. Die sachlich-rechtliche Überprüfung des Urteils ergibt keinen durchgreifenden Rechtsfehler zu Gunsten oder zu Lasten (§ 301 StPO) des Angeklagten. Das Landgericht hat insbesondere die erhobenen Beweise in revisionsrechtlich hinzunehmender Weise gewürdigt; dies gilt sowohl für die Ablehnung des Tötungsvorsatzes als auch im Zusammenhang mit dem Teilfreispruch, der sich auch im Übrigen als im Ergebnis rechtsfehlerfrei erweist. Mit Blick auf das Revisionsvorbringen ist im Einzelnen Folgendes zu erörtern:
1. Soweit die Strafkammer den Tötungsvorsatz des Angeklagten abgelehnt hat, gilt:
a) Das Landgericht hat zunächst die Verneinung des direkten Tötungsvorsatzes des Angeklagten unter Würdigung der hierfür maßgeblichen objektiven Tatumstände tragfähig begründet und dabei ohne Rechtsfehler (vgl. zum allgemeinen revisionsrechtlichen Überprüfungsmaßstab BGH, Urteil vom 9. Juni 2005 - 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2326) darauf abgestellt, dass der Angeklagte in dem Asylbewerberheim die Machete nicht zum Stich in die sich durch das Öffnen der Tür ergebende Lücke benutzte, den Nebenkläger nicht am Schließen der Tür hinderte und auch nichts unternahm, um die Tür vor dem Abschließen erneut zu öffnen, er mithin insgesamt den in Rede stehenden Taterfolg in Form des Todes des Nebenklägers nicht in nachdrücklicher Weise anstrebte. Entsprechendes gilt für das anschließende Geschehen auf der Straße, hinsichtlich dessen das Landgericht zusätzlich gewertet hat, dass sich die Gelegenheit für den Angeklagten, erneut auf den Nebenkläger einzuschlagen, erst bedingt durch dessen Stolpern und damit unvorhersehbar ergab. Vor diesem Hintergrund begründet es keinen durchgreifenden Rechtsfehler, dass die Strafkammer in diesem Zusammenhang daneben auch für den Tötungsvorsatz unergiebige objektive Tatumstände, etwa das offene Vorgehen des Angeklagten, in seine Bewertung eingestellt hat. Soweit sie ausgeführt hat, sie habe bei dem Geschehen auf der Straße keine „zwingend“ auf den direkten Tötungsvorsatz schließen lassende Umstände festgestellt, ist aufgrund der übrigen Ausführungen zur Beweiswürdigung nicht zu besorgen, sie habe ihre Überzeugungsbildung an einem falschen Maßstab ausgerichtet.
b) Gegen die Ausführungen des Landgerichts, mit denen es dargelegt hat, warum es nicht einen bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten angenommen hat, ist revisionsrechtlich im Ergebnis ebenfalls nichts zu erinnern.
aa) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, und dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung zumindest abfindet. Da die Schuldformen des bedingten Vorsatzes und der bewussten Fahrlässigkeit im Grenzbereich eng beieinander liegen, müssen vor der Annahme bedingten Vorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissens- als auch das Willenselement, umfassend geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Hierzu bedarf es einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalles, in welche vor allem die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage mit einzubeziehen sind.
Kann das Tatgericht auf der Grundlage dieser Gesamtbewertung aller Umstände Zweifel am Vorliegen des bedingten Tötungsvorsatzes nicht überwinden, so hat das Revisionsgericht dies regelmäßig hinzunehmen, denn die Beweiswürdigung ist vom Gesetz dem Tatrichter übertragen (§ 261 StPO). Es obliegt allein ihm, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld des Angeklagten zu bilden. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überhöhte Anforderungen stellt. Liegen solche Rechtsfehler nicht vor, hat das Revisionsgericht die tatgerichtliche Überzeugungsbildung auch dann hinzunehmen, wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich oder sogar näherliegend gewesen wäre.
Gleichermaßen Sache des Tatgerichts ist es, die Bedeutung und das Gewicht der einzelnen be- oder entlastenden Indizien in der Gesamtwürdigung des Beweisergebnisses zu bewerten. Ist diese Bewertung nach den dargestellten rechtlichen Maßstäben vertretbar, so kann das Revisionsgericht nicht auf der Grundlage einer abweichenden Beurteilung der Bedeutung einer Indiztatsache in die Überzeugungsbildung des Tatgerichts eingreifen. Dies muss insbesondere auch dann gelten, wenn dieses im Rahmen der Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes Gewalthandlungen des Täters festgestellt hat, die für das Opfer objektiv lebensbedrohlich sind. Zwar hat der Bundesgerichtshof die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung als wesentlichen Indikator sowohl für das Wissens- als auch für das Willenselement des bedingten Vorsatzes angesehen und bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen das Vorliegen beider Elemente als naheliegend bezeichnet. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Tatrichter der objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung bei der Prüfung der subjektiven Tatseite von Rechts wegen immer die ausschlaggebende indizielle Bedeutung beizumessen hätte. Darin läge vielmehr eine vom Einzelfall gelöste Festlegung des Beweiswerts und der Beweisrichtung eines im Zusammenhang mit derartigen Delikten immer wieder auftretenden Indizes, die einer unzulässigen Beweisregel nahekäme und deshalb dem Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 261 StPO) widerspräche.
Nach alledem ist es bei der Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes - nicht anders als sonst bei der Würdigung der Beweise - aus revisionsrechtlicher Sicht erforderlich, aber auch ausreichend, sämtliche objektiven und subjektiven, für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände des Einzelfalles in eine individuelle Gesamtschau einzubeziehen und zu bewerten. Dies gilt auch für solche Beweisanzeichen, die sich auf den ersten Blick als ambivalent darstellen, die also dem Tatrichter, je nachdem, wie er sie im Einzelfall bewertet, rechtlich zulässige Schlüsse sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten des Angeklagten ermöglichen. Eine rechtlich vertretbare tatrichterliche Entscheidung darüber, in welchem der möglichen, zueinander in einem Gegensatz stehenden Beweiszusammenhänge ein solcher Umstand im konkreten Fall indizielle Bedeutung entfaltet, ist vom Revisionsgericht hinzunehmen. Das Tatgericht kann in einem solchen Falle nicht gehalten sein, denselben Umstand nochmals in dem anderen Beweiszusammenhang zu erwägen und damit Gefahr zu laufen, sich zu seinem anderweitig gewonnenen Ergebnis zu Gunsten oder zu Lasten des Angeklagten in Widerspruch zu setzen (vgl. hierzu insgesamt BGH, Urteil vom 20. September 2012 - 3 StR 158/12, NStZ-RR 2013, 89, 90; Beschluss vom 9. Februar 2017 - 3 StR 415/16, NStZ 2017, 342, 344; jew. m. zahlr. w. N.).
bb) Unter Berücksichtigung dieses tatgerichtlichen Bewertungsspielraums werden die Ausführungen des Landgerichts den Anforderungen an die Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes gerecht.
(1) Die Strafkammer hat das objektive Tatgeschehen in die Beweiswürdigung eingestellt, dessen Gefährlichkeit erkannt und als für einen bedingten Tötungsvorsatz sprechend gewertet. Dabei durfte sie in gewisser Weise relativierend berücksichtigen, dass nicht festzustellen war, gegen welchen Teil des Oberkörpers die Hiebe mit der Machete gerichtet waren.
(2) Als gegenläufigen vorsatzkritischen Faktor hat sie zunächst bedacht, dass die Tat nicht nach längerer Vorplanung, sondern aus einem spontanen Entschluss heraus begangen wurde. Entgegen der Ansicht der Revision wird diese Erwägung von den Feststellungen getragen. Das Landgericht hat in diesem Zusammenhang zutreffend darauf abgestellt, dass der Tatentschluss erst in dem Obdachlosenwohnheim anlässlich der Herausnahme der Macheten aus dem Paket gefasst und zeitlich unmittelbar danach umgesetzt wurde. Darüber hinaus durfte die Strafkammer diesem Gesichtspunkt auch in der Sache Gewicht beimessen (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Oktober 2006 - 2 StR 340/06, NStZ-RR 2007, 45; Urteile vom 23. Juni 2009 - 1 StR 191/09, NStZ 2009, 629, 630; vom 17. Dezember 2009 - 4 StR 424/09, NStZ 2010, 571, 572).
Entsprechendes gilt, soweit das Landgericht in die Bewertung einbezogen hat, dass der Angeklagte im Zustand deutlicher Alkoholisierung und deshalb erheblich verminderter Schuldfähigkeit handelte, wobei es nahelag, dass er aufgrund seiner alkoholbedingten Enthemmung besonders unüberlegt handelte (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. November 2002 - 3 StR 216/02, NStZ 2004, 51, 52; vom 20. September 2005 - 3 StR 324/05, NStZ 2006, 169, 170; Urteile vom 25. Oktober 2005 - 4 StR 185/05, NStZ-RR 2006, 11, 12; vom 18. Januar 2007 - 4 StR 489/06, NStZ-RR 2007, 141, 142; Beschlüsse vom 8. Mai 2008 - 3 StR 142/08, NStZ 2009, 91; vom 22. April 2009 - 5 StR 88/09, NStZ 2009, 503 f.; vom 1. September 2010 - 2 StR 179/10, NStZ-RR 2011, 42). Soweit der Generalbundesanwalt unter Hinweis auf andere Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Urteile vom 24. Februar 2010 - 2 StR 577/09, NStZ-RR 2010, 214, 215; vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 192) beanstandet, es habe nicht in Erwägung gezogen, dass diese Umstände nach sicherer Erfahrung gerade besonders geeignet seien, die Hemmschwelle auch für besonders gravierende Gewalthandlungen herabzusetzen, verkennt er, dass die alkoholbedingte Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit sich auf die subjektive Tatseite im Einzelfall unterschiedlich auswirken kann. Gemäß den dargelegten Grundsätzen ist es dem Tatgericht deshalb dem Grunde nach möglich, rechtlich zulässige Schlüsse zu Gunsten oder zu Lasten des Angeklagten zu ziehen. Gemessen hieran sind die Erwägungen des Landgerichts frei von Rechtsfehlern.
Die Strafkammer durfte weiter als gegen einen dolus eventualis sprechenden Umstand werten, dass mit Blick auf die politische Gesinnung des Angeklagten sowie sein Vorleben und sein Wesen das Handeln mit Tötungsvorsatz einen radikalen Bruch in seiner Persönlichkeit bedeutet hätte. Hinsichtlich dieser besonderen Umstände des vorliegenden Falles begründet es keinen durchgreifenden Rechtsfehler, dass sie in diesem Zusammenhang auch darauf hingewiesen hat, dass kein überzeugendes konkretes Tötungsmotiv erkennbar gewesen sei, selbst wenn man annehmen will, dass diesem Umstand für sich genommen nach der neueren Rechtsprechung für den bedingten Tötungsvorsatz keine wesentliche Bedeutung zukommt (vgl. etwa BGH, Urteil vom 27. August 2009 - 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009, 372, 373). Die Äußerungen des Angeklagten, wie er mit den Asylbewerbern verfahren wolle, hat die Strafkammer ohne Rechtsfehler dahin gedeutet, sie könnten auch nur „verbale Kraftmeierei“ darstellen oder nur einem Körperverletzungsvorsatz Ausdruck verleihen. Im Übrigen hat sie - erkennbar gerade mit Blick auf diese Äußerungen - aufgrund des sonstigen Ergebnisses der Beweisaufnahme rechtsfehlerfrei eine politisch rechte Gesinnung des Angeklagten, welche geeignet gewesen wäre, ein Tötungsmotiv zu begründen, nicht festzustellen vermocht.
Nicht im revisionsrechtlichen Sinne lückenhaft ist die Beweiswürdigung ebenfalls, soweit das Landgericht keine genauen Feststellungen zu den Äußerungen hat treffen können, die unmittelbar vor der Tat in dem Obdachlosenwohnheim getätigt wurden. Die Strafkammer hat die Aussagen der Zeugen, insbesondere diejenige des Zeugen B., in ausreichender Weise gewürdigt. Weitergehende Darlegungen, warum es sich nicht eine detailliertere Überzeugung hat verschaffen können, waren nicht erforderlich.
Dasselbe gilt, soweit die Strafkammer nicht ausdrücklich in ihre Bewertung der subjektiven Tatseite eingestellt hat, dass der Angeklagte den Nebenkläger zunächst in dem Wohnheim und sodann erneut auf der Straße angriff. Grund für den Angriff auf der Straße war, dass der Nebenkläger den Angeklagten „gelockt“ hatte und dann ins Stolpern gekommen war. Vor diesem Hintergrund belegen die Feststellungen die Annahme des Generalbundesanwalts nicht, der Angeklagte habe hartnäckig sein Ziel verfolgt, schwerste Gewalt gegen den Nebenkläger anzuwenden.
Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist schließlich nicht widersprüchlich. Insbesondere stehen die Erwägungen zum Tötungsvorsatz mit denjenigen zum Vorsatz bezüglich einer mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung begangenen gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB im Einklang. An beiden Stellen der Urteilsgründe hat die Strafkammer die große Gefährlichkeit der Tathandlung bedacht, ist mit Blick auf die sonstigen relevanten Umstände jedoch in nicht zu beanstandender Weise zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen. Dies ist hinzunehmen.
2. Hinsichtlich des Teilfreispruchs enthält das Urteil im Ergebnis ebenfalls keinen durchgreifenden Rechtsfehler.
a) Bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen ist das Tatgericht zunächst gehalten, in einer geschlossenen Darstellung diejenigen Tatsachen festzustellen, die es für erwiesen hält, bevor es in der Beweiswürdigung darlegt, aus welchen Gründen die für einen Schuldspruch erforderlichen - zusätzlichen - Feststellungen nicht getroffen werden können. Die Begründung muss so abgefasst sein, dass das Revisionsgericht prüfen kann, ob dem Tatgericht bei der Beweiswürdigung ein Rechtsfehler unterlaufen ist (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 8. Mai 2014 - 1 StR 722/13, juris Rn. 6 mwN).
Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe gerecht. Ihnen ist zu entnehmen, dass der Angeklagte die ausländerfeindlichen Parolen lediglich in dem Asylbewerberwohnheim skandierte und das Landgericht nicht hat feststellen können, dass er die ihm zur Last gelegten Äußerungen auch zuvor oder danach auf der Straße tätigte. Mit rechtsfehlerfreier Begründung hat die Strafkammer sodann dargelegt, dass die von den Zeugen Kr., H. und L. gehörten Äußerungen auch von dem Zeugen J. abgegeben worden sein konnten. Für eine mittäterschaftliche Zurechnung dieser Rufe bietet der festgestellte Sachverhalt, der sich wesentlich von demjenigen unterscheidet, welcher der vom Generalbundesanwalt in diesem Zusammenhang angeführten Entscheidung des Oberlandesgerichts Brandenburg (Urteil vom 28. November 2001 - 1 Ss 52/01, NJW 2002, 1440 f.) zugrunde liegt, keinen Anhalt. Vor diesem Hintergrund war es nicht erforderlich, im Einzelnen darzulegen, welchen genauen Inhalt die von den Zeugen vernommenen Rufe hatten.
b) Die auch insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen begründen keine Strafbarkeit nach § 86a Abs. 1 Nr. 1 oder § 130 Abs. 1 StGB.
aa) Im Rahmen des § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB erfordert die allein in Betracht kommende Tatvariante des öffentlichen Verwendens von Kennzeichen von verfassungswidrigen Organisationen, dass die Art der Verwendung die Wahrnehmbarkeit für einen größeren, durch persönliche Beziehungen nicht zusammenhängenden Personenkreis begründet (vgl. BGH, Beschluss vom 19. August 2010 - 3 StR 301/10, BGHR StGB § 86a Abs. 1 Öffentlich 1). Entscheidend ist somit nicht die Öffentlichkeit des Verwendungsortes an sich, sondern die vom Täter nicht überschaubare kommunikative Wirkung der Verwendung, mithin die Möglichkeit der Wahrnehmung durch einen größeren Personenkreis. Demgegenüber fehlt es an der Öffentlichkeit, wenn die Äußerung des Täters auf die Wahrnehmung durch eine einzelne Person oder einen engeren, untereinander verbundenen Personenkreis beschränkt ist oder beschränkt bleiben soll. Bei einer akustischen Äußerung kommt es deshalb darauf an, ob diese in einer Art und Weise abgegeben wurde, dass sie von einem größeren Personenkreis tatsächlich wahrgenommen wurde bzw. hätte wahrgenommen werden können (vgl. BayObLG, Beschluss vom 12. März 2003 - 5 St RR 20/2003, NStZ-RR 2003, 233, 233 f.).
Hier skandierte der Angeklagte die Parolen im Flur des 1. Stockes des Asylbewerberwohnheimes, in dem sich zum Zeitpunkt der Äußerung keine weiteren Personen aufhielten. Den Feststellungen ist weder zu entnehmen, dass sich eine ausreichend große Anzahl von Personen in den einzelnen Wohnungen befand und die Ausrufe dort wahrnahm, noch dass dies überhaupt möglich gewesen wäre, mithin die Rufe dort überhaupt verständlich waren. So wurde selbst der Nebenkläger nicht durch die Parolen, sondern erst durch die Schläge gegen die Tür auf den Angeklagten aufmerksam. Es ist deshalb bereits fraglich, ob hier ein größerer Personenkreis zur Wahrnehmung der Äußerungen in der Lage war und damit die Voraussetzungen des objektiven Tatbestands festgestellt sind. Jedenfalls hat das Landgericht vor diesem Hintergrund ohne durchgreifenden Rechtsfehler den notwendigen Vorsatz des Angeklagten verneint.
c) § 130 Abs. 1 StGB setzt einen in besonderer Weise qualifizierten Angriff gegen unter anderem Teile der Bevölkerung, wozu auch die in Deutschland dauerhaft lebenden Ausländer gehören (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Januar 1988 - 3 StR 561/87, BGHR StGB § 130 Nr. 1 Bevölkerungsteil 2), mit einem im Vergleich zu den Beleidigungsdelikten gesteigerten Unrechtsgehalt voraus. Erfasst sind Taten, die von Feindseligkeit geprägt sind. Daneben erfasst die Norm schwerwiegende Formen der Missachtung, die durch ein besonderes Maß an Gehässigkeit und Rohheit geprägt sind und die Angegriffenen als insgesamt minderwertig und ohne Existenzrecht in der Gemeinschaft abqualifizieren (vgl. LK/Krauß, StGB, 12. Aufl., § 130 Rn. 34; MüKoStGB/Schäfer, 3. Aufl., § 130 Rn. 21).
Im Einzelnen ist im Sinne von § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB unter Aufstacheln zum Hass ein Verhalten zu verstehen, das auf die Gefühle oder den Intellekt eines anderen einwirkt und objektiv geeignet sowie subjektiv bestimmt ist, eine emotional gesteigerte, über die bloße Ablehnung oder Verachtung hinausgehende feindselige Haltung gegen den betroffenen Bevölkerungsteil zu erzeugen oder zu verstärken (vgl. BGH, Urteil vom 3. April 2008 - 3 StR 394/07, BGHR StGB § 130 Nr. 1 Aufstacheln 2). Das Auffordern zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen setzt ein über bloßes Befürworten hinausgehendes, ausdrückliches oder konkludentes Einwirken auf andere voraus mit dem Ziel, in ihnen den Entschluss zu diskriminierenden Handlungen hervorzurufen, die den elementaren Geboten der Menschlichkeit widersprechen (vgl. BGH, aaO, BGHR StGB § 130 Nr. 1 Auffordern 1).
Für die Tathandlungen nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB gilt: Beschimpfen ist eine nach Inhalt oder Form besonders verletzende Äußerung der Missachtung. Unter Verächtlichmachen ist jede auch bloß wertende Äußerung zu verstehen, durch die jemand als der Achtung der Staatsbürger unwert oder unwürdig hingestellt wird. Verleumden erfordert das wider besseres Wissen aufgestellte oder verbreitete Behaupten einer Tatsache, die geeignet ist, die betroffene Gruppe in ihrer Geltung und in ihrem Ansehen herabzuwürdigen. Ein Angriff gegen die Menschenwürde anderer, der sich durch eine dieser Handlungen ergeben muss, setzt voraus, dass sich die feindselige Handlung nicht nur gegen einzelne Persönlichkeitsrechte wie etwa die Ehre richtet, sondern den Menschen im Kern seiner Persönlichkeit trifft, indem er unter Missachtung des Gleichheitssatzes als minderwertig dargestellt und ihm das Lebensrecht in der Gemeinschaft bestritten wird (vgl. BGH, aaO, BGHR StGB § 130 Menschenwürde 5 mwN).
Insoweit kommen sowohl im Rahmen des § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB als auch bei § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB zwar grundsätzlich intensive ausländerfeindliche Parolen in Betracht (vgl. die Nachweise und Beispiele bei LK/Krauß, aaO, § 130 Rn. 56; MüKo/Schäfer, aaO, § 130 Rn. 44, 57 jew. mwN). Derart besonders qualifizierte Beeinträchtigungen liegen hier jedoch nicht vor. Der Gehalt der festgestellten Äußerungen „Scheiß Ausländer!", „Arschlöcher“ und „Schaut's dass ihr euch aus unserem Land verpisst's“ zielt zwar auf eine - wenn auch nicht unerhebliche - Kundgabe der Missbilligung, erreicht indes den nach obigem Maßstab zu bestimmenden tatbestandsrelevanten Bereich noch nicht.
II. Revision des Nebenklägers
Die Revision des Nebenklägers, mit der dieser die Beweiswürdigung angreift und die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung sowie wegen eines weiteren versuchten Mordes erstrebt, hat aus den bereits bei der Revision der Staatsanwaltschaft ausgeführten Gründen in der Sache keinen Erfolg.
HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 995
Externe Fundstellen: NStZ 2018, 37 ; StV 2018, 80
Bearbeiter: Christian Becker