HRRS-Nummer: HRRS 2005 Nr. 912
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 185/05, Urteil v. 25.10.2005, HRRS 2005 Nr. 912
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Halle vom 8. September 2004 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
Die Rüge der Verletzung formellen Rechts ist nicht ausgeführt und daher unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die Nachprüfung auf Grund der Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
1. Nach den Feststellungen kam es zwischen dem Angeklagten, wenn dieser unter Alkoholeinfluss stand, und seiner Ehefrau wiederholt zu heftigen Auseinandersetzungen. Dabei schlug er seine Ehefrau und drohte, sie und die gemeinsame Tochter zu töten.
Fall II 1: Am Tattag kam es gegen 11.00 - 11.30 Uhr in dem gemeinsamen Zimmer im Spätaussiedlerheim wiederum zu einer Auseinandersetzung zwischen den Eheleuten, nachdem der Angeklagte am Morgen ein Glas Wein und etwa 200 ml Rum getrunken hatte. Dabei packte er mit der rechten Hand den Hals seiner Ehefrau und drückte ihn einige Sekunden lang so fest zu, dass ihr die Luft wegblieb und sie am Vorderhals eine etwa 8x2 cm große, quer gestellte, bandförmige Hautrötung bzw. Druck-/Schürfwunde mit unscharfen Rändern davontrug.
Bei diesem Übergriff war ihm bewusst, dass er durch das Zudrücken des Halses das Leben seiner Ehefrau in Gefahr brachte. Schließlich lockerte er seinen Griff und verließ das Zimmer.
Fall II 2: Wegen dieses Vorfalls entschloss sich die Geschädigte, noch am selben Tag mit der gemeinsamen Tochter ein Zimmer in einem benachbarten, unter Dauerüberwachung stehenden Wohnheim zu beziehen und begann gegen Mittag, in Gegenwart eines Sozialarbeiters einige Sachen zusammenzupacken.
Der Angeklagte, der zwischenzeitlich zurückgekehrt war, nahm diese Entscheidung zunächst äußerlich ruhig hin, so dass der Sozialarbeiter keine Bedenken hatte, die Eheleute allein zu lassen. Gegen 16.00 Uhr wurde dem Angeklagten klar, dass die Trennung von seiner Frau und seiner Tochter unmittelbar bevorstand.
Ihm kam jetzt der Gedanke, dass er seine Tochter behalten könne, wenn er seine Ehefrau töte, und er entschloss sich, dies auszuführen. Er ergriff ein kurz zuvor aus dem Zimmer seines Bruders beschafftes, auf dem Tisch bereitgelegtes Brotmesser mit einer knapp 20 cm langen Klinge, packte mit der anderen Hand seine Ehefrau, als diese ihm arglos den Rücken zuwandte, und begann sofort, an ihrem Hals im Bereich des Übergangs vom Mundboden schneidende Bewegungen auszuführen. Dabei fügte er ihr eine 6,5 cm lange Schnittverletzung zu, bei der der oberflächliche Halsmuskel und dessen Bindegewebshülle durchtrennt wurden; außerdem erlitt sie Abwehrverletzungen an den Händen und - durch das Abrutschen des Messers nach unten - eine Hautverletzung über dem Kehlkopf. Wegen der heftigen Gegenwehr der Geschädigten konnte der Angeklagte ihr, auch nachdem sie zu Boden gegangen war, keine weiteren Verletzungen beibringen. Schließlich gelang es einem Mitbewohner des Heims, der durch die Schreie der Geschädigten auf das Geschehen aufmerksam geworden war, den Angeklagten zu überwältigen und zu entwaffnen.
Die Geschädigte wurde in ein Krankenhaus gebracht und dort vom 13. bis 19. Januar 2004 stationär behandelt.
2. Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts begegnet die Verurteilung des Angeklagten im Fall II 1 der Urteilsgründe wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Allerdings ist nicht jeder Angriff auf den Hals des Opfers in der Form des Würgens, der zu würgemalähnlichen Druckmalen oder Hautunterblutungen führt, eine das Leben gefährdende Behandlung im Sinne dieser Vorschrift. Von maßgeblicher Bedeutung sind vielmehr Dauer und Stärke der Einwirkung, die zwar nicht dazu führen muss, dass das Opfer der Körperverletzung tatsächlich in Lebensgefahr gerät, aber abstrakt geeignet sein muss, das Leben des Opfers zu gefährden (vgl. BGH NJW 2002, 3264, 3265; NStZ 2004, 618, jeweils m.w.N.). Angesichts der als glaubhaft angesehenen Bekundungen der Geschädigten, der Angeklagte habe sie so fest gewürgt, dass ihr kurzzeitig die Luft weggeblieben sei, und der von dem rechtsmedizinischen Sachverständigen festgestellten Verletzungen ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht davon ausgegangen ist, das Würgen sei abstrakt lebensgefährdend gewesen. Der Umstand, dass die Geschädigte schon kurz nach der Tat das Wohnheim aus eigener Kraft verlassen konnte, steht dem ebenso wenig entgegen wie die Tatsache, dass sie sich nicht sogleich in ärztliche Behandlung begeben hat.
3. Auch soweit sich die Revision gegen die Annahme bedingten Tötungsvorsatzes im Fall II 2 der Urteilsgründe wendet, bleibt sie - entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts - ohne Erfolg.
Das Landgericht hat das Vorliegen eines zumindest bedingten Tötungsvorsatzes aus dem objektiven Tatgeschehen gefolgert, und zwar aus "der massiven schneidenden Einwirkung des Angeklagten mit einem Brotmesser auf den Hals der Geschädigten und seines weiteren Einwirkens trotz deren einsetzender Gegenwehr und lauten Schreien". Dabei hat es berücksichtigt, dass in unmittelbarer Nähe der Schnittverletzungen am Hals nicht nur die Luftröhre, sondern auch lebenswichtige Blutbahnen verlaufen. Deren Verletzung hätte nach den Ausführungen des rechtsmedizinischen Sachverständigen, denen sich das Landgericht angeschlossen hat, schon bei einem Ansetzen des Messers am Hals in einem nur geringfügig anderen Winkel erfolgen können, was wesentlich schwerwiegendere, lebensgefährliche Folgen nach sich gezogen hätte. Die Gefährlichkeit des Messerangriffs auf den Hals des Opfers war dem Angeklagten als durchschnittlich intelligentem Mann nach den Feststellungen auch bewusst. Dass im konkreten Fall die Verletzung nicht lebensbedrohlich gewesen sei, sei allein glücklichen Umständen und den Abwehrhandlungen der Geschädigten zuzuschreiben. Soweit sich die Revision gegen die Feststellungen zur Gefährlichkeit der Tat wendet, deckt sie keine Beweiswürdigungsfehler auf, sondern nimmt lediglich eigene Würdigung vor.
Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen, zu denen ein Schnitt in den Hals zählt, ist der Schluss auf einen zumindest bedingten Tötungsvorsatz nahe liegend. Er ist nach ständiger Rechtsprechung allerdings nur dann rechtsfehlerfrei, wenn der Tatrichter alle nach Sachlage in Betracht kommenden Tatumstände in seine Erwägungen einbezogen hat, die dieses Ergebnis in Frage stellen können (vgl. BGH NStZ 2004, 51, 52; BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 7, jeweils m.w.N.). Mit der Frage, ob sich die Alkoholisierung des Angeklagten, die zur Tatzeit 2,37 ‰ betrug, und seine psychische Situation angesichts der sich abzeichnenden Trennung von Ehefrau und Tochter auf seine Erkenntnisfähigkeit und Willenskräfte ausgewirkt haben, hat sich das Schwurgericht in den schriftlichen Urteilsgründen nicht ausdrücklich befasst. Zwar gehören nach ständiger Rechtsprechung hochgradige Alkoholisierung und affektive Erregung zu den Umständen, die der Annahme eines Tötungsvorsatzes entgegenstehen können und deshalb ausdrücklicher Erörterung in den Urteilsgründen bedürfen (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 54 m.w.N.). Hier stellt das Unterlassen einer solchen Erörterung aber keinen durchgreifenden Mangel dar, weil das sachverständig beratene Schwurgericht rechtsfehlerfrei festgestellt hat, dass die für die Tatzeit festgestellte Blutalkoholkonzentration ohne Einfluss auf die Einsichtsund Steuerungsfähigkeit des alkoholgewohnten Angeklagten gewesen ist. Eine hochgradige Alkoholisierung lag demnach nicht vor. Dass zu der alkoholischen Beeinflussung eine relevante affektive Erregung des Angeklagten durch eine vom Tatopfer ausgehende akute Kränkung hinzugetreten sein könnte, hat das Landgericht im Zusammenhang mit der Schuldfähigkeitsbeurteilung in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen rechtsfehlerfrei ausgeschlossen.
HRRS-Nummer: HRRS 2005 Nr. 912
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2006, 11
Bearbeiter: Karsten Gaede