HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1022
Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, AK 56/24, Beschluss v. 27.06.2024, HRRS 2024 Nr. 1022
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.
Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.
Der Beschuldigte ist am 12. Dezember 2023 festgenommen worden und befindet sich seit dem Folgetag ununterbrochen in Untersuchungshaft aufgrund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 27. November 2023 (4 BGs 87/23).
Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Beschuldigte habe im Zeitraum von August 2012 bis April 2013 in der syrischen Stadt B. jeweils gemeinschaftlich mit Mitgliedern der örtlichen Hisbollah-Miliz durch drei selbständige Handlungen (§ 53 Abs. 1 StGB) - im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt geplündert oder, ohne dass dies durch die Erfordernisse des bewaffneten Konflikts geboten gewesen sei, sonst in erheblichem Umfang völkerrechtswidrig Sachen der gegnerischen Partei, die der Gewalt der eigenen Partei unterlegen hätten, zerstört, sich angeeignet oder beschlagnahmt, während er noch Heranwachsender gewesen sei (Fall 1; strafbar gemäß § 9 Abs. 1 VStGB, §§ 1, 105 JGG), - im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung einen Menschen, der sich in seinem Gewahrsam oder in sonstiger Weise unter seiner Kontrolle befunden habe, gefoltert, indem er ihm erhebliche körperliche oder seelische Schäden oder Leiden zugefügt habe, die nicht lediglich Folge völkerrechtlich zulässiger Sanktionen gewesen seien, und tateinheitlich hierzu im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person grausam oder unmenschlich behandelt, indem er ihr erhebliche körperliche oder seelische Schäden oder Leiden zugefügt, insbesondere sie gefoltert oder verstümmelt habe (Fall 2; strafbar gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 5, § 8 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 6 Nr. 2 VStGB, § 52 Abs. 1 StGB), - einem anderen zu dessen Tat - einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Folter und Freiheitsberaubung in Tateinheit mit einem Kriegsverbrechen gegen Personen durch Folter - Hilfe geleistet (Fall 3; strafbar gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 5 und 9, § 8 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 6 Nr. 2 VStGB, § 27 Abs. 1, § 52 Abs. 1 StGB).
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
1. Der Beschuldigte ist der ihm mit dem Haftbefehl zur Last gelegten Taten dringend verdächtig (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO).
a) Nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines solchen Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:
aa) Die in Syrien seit Februar 2011 gegen die Regierung von Bashar al-Assad schwelenden Proteste eskalierten ab dem 15. März 2011 aufgrund des repressiven und gewaltsamen Vorgehens syrischer Sicherheitskräfte, Milizen sowie der Armee gegen Demonstranten und Oppositionelle. Die dadurch bewirkte Militarisierung der Protestbewegung entwickelte sich zu einem bewaffneten Aufstand, der Anfang des Jahres 2012 schließlich weite Teile des Landes erfasste und sich zu einem großflächigen Bürgerkrieg ausweitete. In dem Konflikt bekämpften sich die syrischen Streitkräfte, unterstützt durch militärisch aufgerüstete Sicherheitskräfte und Milizen, einerseits und quasimilitärisch organisierte, mit Kriegswaffen ausgestattete Rebellengruppen andererseits.
bb) Die Organisation Hisbollah („Partei Gottes“; auch „Hizb Allah“, „Hezbollah“ oder „Hizbullah“) geht zurück auf einen Zusammenschluss schiitischer Islamisten mit iranischer Unterstützung im Jahr 1982 nach der israelischen Invasion in den Libanon. Die Vereinigung orientiert sich ideologisch an dem iranischen Revolutionsführer Ruhollah Khomeini und dessen Nachfolger, insbesondere an deren Widerstandsgedanken gegen die USA und Israel. Bei Ausbruch der politischen Unruhen in Syrien besorgte sie, dass eine Ablösung von Präsident Assad und die Einsetzung einer sunnitisch geprägten Regierung ihr gefährlich werden sowie Waffenlieferungen aus dem Iran über syrisches Staatsgebiet in den Libanon unmöglich machen könnte. Deshalb beteiligte sie sich mit tausenden bewaffneten Kämpfern am syrischen Bürgerkrieg auf Seiten des dortigen Regimes und unterstützte es bei Rückeroberungen und der Vertreibung der sunnitischen Bevölkerung.
cc) Der Beschuldigte wohnte in der syrischen Stadt B. Im Zuge des Bürgerkriegsgeschehens schloss er sich der örtlichen Hisbollah-Miliz an und trug in der Öffentlichkeit deren Symbole.
In der Nacht vom 12. auf den 13. August 2012 und damit nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen als 20-Jähriger begab er sich gemeinsam mit rund 20 Hisbollah-Mitgliedern zum in der Altstadt von B. gelegenen Haus der Familie A. Die Gruppe rechnete diese Familie der Opposition zu. Die fünf Familienmitglieder - ausnahmslos unbewaffnete Zivilisten, unter ihnen der Zeuge M. A. - schliefen. Die Hisbollah-Milizen brachen die Haustür auf und drangen in das Gebäude ein. Ein Komplize des Beschuldigten namens Al. gab einen Schuss auf den Zeugen ab, verfehlte ihn aber. Die Angreifer brachten die Familienmitglieder auf den Hof, wo diese sich auf den Boden legen mussten und Al. den Zeugen durch einen Tritt am Kopf verletzte. Anschließend zertrümmerte die Gruppe das Inventar und entwendete Türen, Eisenstangen, Holz sowie andere Gegenstände. Auf Befehl des Beschuldigten setzten die Mitglieder der Hisbollah-Miliz anschließend das Haus in Brand und zerstörten es dadurch vollständig. Vermutlich während des Rückzugs der Gruppe schoss Al. auf den 21-jährigen Bruder des Zeugen. Die Kugel trat unterhalb der Rippen in den Körper ein und verletzte zugleich die Mutter am Fuß, die ihren Sohn zu schützen versuchte. Der Bruder wurde von Verwandten ins Krankenhaus verbracht und erlag dort der Schussverletzung (Fall 1).
dd) Der ebenfalls in B. wohnhafte Zeuge Ali. stammte aus einem von Oppositionellen geprägten Gebiet und hatte an regimekritischen Demonstrationen teilgenommen. Am 10. April 2013 überfielen die Mitglieder der örtlichen Hisbollah-Miliz, unter ihnen der inzwischen 21 Jahre alte Beschuldigte, deshalb das Haus der Familie des Zeugen. Mit Sturmgewehren des Typs Kalaschnikow bewaffnet traten die Männer die Tür ein, überwältigten Ali. und fesselten ihn, seinen Bruder sowie den Vater mit den Händen hinter dem Rücken. Der Beschuldigte schlug mit seinem Gewehrkolben auf den Zeugen ein. Anschließend verbrachte er Ali. zu dem etwa 200 Meter entfernten Büro des syrischen Militärgeheimdienstes. Dort versetzten der Beschuldigte und andere Hisbollah-Mitglieder dem Zeugen wiederum Schläge mit ihren Sturmgewehren, bevor sie ihn und zwei weitere Männer auf der Ladefläche eines Pickups nach S. transportierten. Während der einstündigen Fahrt schlugen sie den Zeugen erneut (Fall 2).
ee) In S. angekommen, lieferte der Beschuldigte die Gefangenen in einem Gefängnis des Militärischen Geheimdienstes ab. Er wusste und billigte, dass die Männer dort über einen langen Zeitraum vom syrischen Geheimdienst festgehalten und schwer misshandelt werden würden. Um die Entlassung des Zeugen Ali. aus dem Gefängnis zu erschweren, hatte er dessen Pass an sich genommen.
Die Gefangenen mussten sich auf den Boden legen, wo die Wärter mit Stromkabeln auf ihre Beine schlugen. Der Beschuldigte sah dies und ermutigte die Aufseher zur fortwährenden Misshandlung der drei. Danach entfernte er sich mit seinen Begleitern und überließ die Gefangenen ihrem Schicksal.
Ali. wurde in eine Zelle mit 80 bis 90 weiteren Insassen gesperrt. Darin musste er tagsüber durchweg mit den anderen mit auf dem Rücken verschränkten Händen auf dem Boden knien. Wer beim Öffnen der Zellentür den Kopf drehte, erhielt Schläge. Die Gefangenen durften bei deutlich unzureichender Nahrung - morgens teilten sich je drei Insassen eine Scheibe Brot und ein Ei - nur dreimal am Tag auf die Toilette. Der Zeuge erlitt derart häufig Schläge auf die Fußsohlen, dass sich offene Wunden mit Eiterausfluss bildeten, die ihm erheblich das Gehen erschwerten. Nach 23 Tagen wurde er nach D. in die Abteilung des Militärischen Geheimdienstes verlegt und anschließend in zwei weiteren Gefängnissen inhaftiert. Nach insgesamt 46 Tagen kam er frei (Fall 3).
b) Der Beschuldigte hat sich zu den Tatvorwürfen bisher nicht eingelassen, allerdings über seinen Verteidiger die Vorwürfe pauschal bestritten.
Der dringende Tatverdacht hinsichtlich des syrischen Bürgerkriegs und der Einbindung der Hisbollah in die militärische Auseinandersetzung aufseiten des Assad-Regimes beruht auf einem Sachverständigengutachten und Auswerteberichten des Bundeskriminalamts.
Den Anschluss des Beschuldigten an die örtliche Hisbollah-Miliz im Tatzeitraum haben mehrere Zeugen bekundet. Sie haben unabhängig voneinander ausgesagt, er habe eine Uniform mit Abzeichen der Organisation getragen, an seinem Haus eine Hisbollah-Fahne angebracht und an einem Kontrollpunkt der Vereinigung gearbeitet. Außerdem ergibt sich die Zugehörigkeit des Beschuldigten zum militärischen Flügel der Hisbollah aus einem auf seinem Mobiltelefon sichergestellten Chat, in dem er sich mit einem Vertrauten austauschte.
Die einzelnen dem Beschuldigten zur Last gelegten Handlungen folgen aus Aussagen von mehreren Zeugen aus seiner Heimat, namentlich M. A. und Ali. Beide kannten den Beschuldigten schon vor den Übergriffen und haben die Taten in polizeilichen Vernehmungen wie oben dargestellt geschildert. Mehrere flankierende Bekundungen anderer Zeugen stützen ihre Angaben, auch zu den Haftbedingungen im Militärgefängnis von S. Wegen der Einzelheiten wird auf den Haftbefehl Bezug genommen.
c) In rechtlicher Hinsicht ergibt sich danach Folgendes:
aa) In Fall 1 verwirklichte der Beschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit jedenfalls den Tatbestand eines Verbrechens gegen Eigentum und sonstige Rechte nach § 9 Abs. 1 VStGB. Insoweit sind nach vorläufiger Würdigung ein nichtinternationaler bewaffneter Konflikt sowie ein funktionaler Zusammenhang zwischen diesem und der Plünderung beziehungsweise der Zerstörung des Hauses genügend belegt. Die Tathandlungen der anderen Gruppenmitglieder sind dem Beschuldigten aufgrund des bislang anzunehmenden Sachverhalts zumindest insoweit als Mittäter nach § 25 Abs. 2 StGB, § 2 VStGB zuzurechnen, als sie die Wegnahme von Inventar und die Inbrandsetzung betreffen.
Das Haus der Familie A. ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts als Sache der gegnerischen Partei gemäß § 8 Abs. 6 Nr. 2 VStGB anzusehen, die der Gewalt der eigenen Partei unterlag. Denn in der komplexen Bürgerkriegslage standen sich zur Tatzeit im Wesentlichen Regimetreue und Regimegegner gegenüber. Die Hisbollah bekämpfte den sunnitischen Teil der Bevölkerung sowie diejenigen Zivilisten, die sich nicht auf die Seite der Assad-Regierung stellten, was für die Familie mit dem für § 112 Abs. 1 StPO erforderlichen Verdachtsgrad zutrifft, wenngleich diese Frage im weiteren Verfahrensverlauf noch präziserer Aufklärung bedarf (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Februar 2024 - AK 4/24, juris Rn. 29 und 78).
bb) Das Handeln des Beschuldigten in Fall 2 stellt sich nach vorläufiger Würdigung zum einen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Folter gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 5 VStGB dar:
In Syrien lag zur Tatzeit ein ausgedehnter und systematischer Angriff gegen die Zivilbevölkerung vor (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Juni 2019 - StB 14/19, BGHSt 64, 89 Rn. 55 ff.; vom 3. Februar 2021 - AK 50/20, NStZ-RR 2021, 155, 156; vom 21. Februar 2024 - AK 4/24, NJW 2024, 1674 Rn. 54 ff.). In dessen Rahmen folterte der Beschuldigte den Zeugen Ali. und mithin einen Menschen, der sich in seinem Gewahrsam oder in sonstiger Weise unter seiner Kontrolle befand. Die dem Zeugen zugefügten körperlichen oder seelischen Schäden waren nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen erheblich (zu den Maßstäben s. BGH, Urteil vom 28. Januar 2021 - 3 StR 564/19, BGHSt 65, 286 Rn. 65 ff.; Beschluss vom 21. Februar 2024 - AK 4/24, juris Rn. 69); denn der Beschuldigte hielt ihn über Stunden willkürlich fest und verbrachte ihn mit auf dem Rücken gefesselten Händen auf der offenen Ladefläche eines Fahrzeugs an einen anderen Ort. Währenddessen wurde der Zeuge wiederholt unter Einsatz von Schlagwerkzeugen misshandelt.
Außerdem ist der Beschuldigte in Fall 2 eines Kriegsverbrechens gegen Personen durch Folter gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 3 VStGB dringend verdächtig. Das Tatbestandsmerkmal der unmenschlichen Behandlung setzt ebenfalls eine gewisse Erheblichkeit voraus (zu Einzelheiten s. BGH, Beschluss vom 21. Februar 2024 - AK 4/24, juris Rn. 79), die mit großer Wahrscheinlichkeit gegeben ist. Die mutmaßliche Strafbarkeit des Beschuldigten wegen des Kriegsverbrechens gegen Personen durch Folter tritt in Tateinheit zu derjenigen wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit durch Folter hinzu (BGH, Beschluss vom 21. Februar 2024 - AK 4/24, juris Rn. 80; MüKoStGB/Werle/Jeßberger, 4. Aufl., § 7 VStGB Rn. 143).
cc) In Fall 3 erfüllt das hochwahrscheinliche Handeln der Mitarbeiter des syrischen Geheimdienstes die Straftatbestände aus Fall 2. Tateinheitlich hierzu sperrten sie den Zeugen 46 Tage lang ohne ein vorheriges, rechtsstaatlichen Anforderungen genügendes Verfahren ein (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Februar 2024 - AK 4/24, juris Rn. 71; MüKoStGB/Werle/Jeßberger, 4. Aufl., § 7 VStGB Rn. 106) und verwirklichten dadurch die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit durch Freiheitsentziehung gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 9 VStGB.
Zu dieser Tat leistete der Beschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit wissentlich und willentlich Beihilfe (§ 2 VStGB, § 27 StGB).
dd) Die mögliche Verwirklichung weiterer Straftatbestände durch den Beschuldigten, darunter die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 StGB), kann für die Frage der Haftfortdauer dahinstehen.
Ebenfalls keiner abschließenden Entscheidung bedarf an dieser Stelle das Konkurrenzverhältnis der Fälle 2 und 3. Denn die mögliche Straferwartung richtet sich nach dem Unrechtsund Schuldgehalt, der maßgeblich dadurch bestimmt wird, dass der Beschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit über die am 10. April 2013 „eigenhändig“ begangene Folter hinaus für deren wochenlange Fortsetzung durch den syrischen Militärgeheimdienst sorgte. Allerdings liegt bereits deshalb Tateinheit nach § 2 VStGB, § 52 Abs. 1 StGB nahe, weil sich nach dem derzeit zugrunde zu legenden Sachverhalt die tatbestandlichen Ausführungshandlungen der Fälle 2 und 3 überschnitten. Denn die Fahrt nach S., während der der Beschuldigte und seine Komplizen den Zeugen (selbst) folterten, diente dessen Überführung in die Hände der Gefängniswärter und war somit bereits Beihilfe zu deren Tat (zur Strafbarkeit einer im Vorbereitungsstadium geleisteten Beihilfe s. BGH, Beschluss vom 20. September 2016 - 3 StR 49/16, BGHSt 61, 252 Rn. 17; zum Konkurrenzverhältnis zwischen mehreren Einzeltaten aus dem Katalog des § 7 Abs. 1 VStGB im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung s. im Übrigen BGH, Beschluss vom 3. Februar 2021 - AK 50/20, StV 2021, 596 Rn. 45 ff.).
ee) Deutsches Strafrecht ist anwendbar. Für Menschlichkeits- und Kriegsverbrechen gilt das aufgrund des in § 1 Satz 1 VStGB normierten Weltrechtsprinzips.
2. Die Strafgerichtsbarkeit des Bundes und damit die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs für den Erlass des Haftbefehls ergeben sich aus § 125 Abs. 1, § 169 Abs. 1 StPO, § 120 Abs. 1 Nr. 8, § 142 Abs. 1 Nr. 1, § 142a Abs. 1 Satz 1 GVG.
3. Es besteht weiterhin aus den im Haftbefehl dargelegten Erwägungen der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO. Die Straferwartung ist erheblich. Denn allein § 7 Abs. 1 Nr. 5 VStGB sieht als Regelstrafrahmen Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren vor. Der Beschuldigte hat deshalb unabhängig davon, ob Erwachsenen- oder Jugendstrafrecht zur Anwendung gelangt, mit einer langen Inhaftierung zu rechnen (§ 18 Abs. 1 Satz 2 JGG). Außerdem droht dem Beschuldigten Strafverfolgung in anderer Sache.
Danach ist zu erwarten, dass er sich, sollte er in Freiheit gelangen, dem weiteren Strafverfahren durch Flucht entziehen wird. Eine solche würde ihm dadurch erleichtert, dass Familienangehörige von ihm in seinem Heimatland Syrien sowie im Libanon leben, wohin er in den vergangenen Jahren von Deutschland aus über einen Finanzdienstleister auch mehrfach namhafte Geldbeträge schickte. Es ist deshalb und wegen seiner hochwahrscheinlichen Nähe zur Hisbollah damit zu rechnen, dass sich der Beschuldigte dorthin absetzen könnte. Hinzu kommt, dass er bei der Verkündung des Haftbefehls eine Kautionszahlung in Höhe von 20.000 € angeboten hat, was nahelegt, dass er über die für eine Flucht nötigen finanziellen Ressourcen verfügt.
Durchgreifende fluchthemmende Umstände liegen nach allem nicht darin, dass er vor seiner Inhaftierung ein Umzugsunternehmen mit vier Mitarbeitern betrieb sowie in Deutschland nach eigener Darstellung Frau und Kind hat, mit denen er nicht zusammenlebte.
Der Zweck der Untersuchungshaft kann unter den gegebenen Umständen nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 Abs. 1 StPO erreicht werden.
4. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) sind gegeben. Die besondere Schwierigkeit und der Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Haftfortdauer. Das am Tag der Festnahme sichergestellte Mobiltelefon des Beschuldigten ist auszuwerten und dessen Inhalte sind zu übersetzen gewesen. Außerdem hat das Landeskriminalamt Baden-Württemberg weitere für den Nachweis des Tatvorwurfs wesentliche Zeugen im In- und Ausland vernommen. Schließlich ist ein Rechtshilfeersuchen gestellt und das Gutachten eines Sachverständigen zur politischen Entwicklung in Syrien zum Tatzeitpunkt eingeholt worden. Auf die nähere Darlegung in der Zuschrift des Generalbundesanwalts vom 6. Juni 2024 wird verwiesen. Dieser hat in Aussicht gestellt, im Laufe des Monats Juni 2024 Anklage zu erheben.
5. Die Untersuchungshaft steht nach Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Beschuldigten einerseits sowie dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit andererseits nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1022
Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede